Bericht über eine Exkursion in den nördlichen Adriaraum, 23.9.-2.10.2008
im Anschluss an das Hauptseminar „Der nördliche Adriaraum im Übergang von der Antike zum Mittelalter (5.-10. Jahrhundert)“
Freie Universität Berlin, Friedrich-Meinecke-Institut, Sommersemester 2008
Leitung: Prof. Dr. Stefan Esders (S. E.), PD Dr. Thomas Frank (T. F.)
Studentische Teilnehmer: Constance Barbarino, Christian Barthel (C. B.), André Fischer (A. F.), Björn Gebert (B. G.), Merle Gerst (M. G.), Katrin Getschmann (K. G.), Karin Hirsch (K. H.), Kirsten Jentzsch (K. J.), Anja Kuckuck (A. K.), Katharina Schulz (K. S.), Hanna Winkler
Übersicht
Einleitung
I. Ravenna
II. Venedig
III. Aquileia und Grado
IV. Istrien
Bibliographie
Detaillierte Übersicht (mit Links zu sämtlichen Monumenten)
Einleitung
Konzeption und Programm der Exkursion (S. E.)
Der nördliche Adriaraum wurde seit der Spätantike infolge einer Verschiebung des politischen Kräftefeldes zum Schauplatz tiefgreifender politischer Veränderungen, welche nicht nur die weitere Geschichte Italiens und sein Erscheinungsbild bis in die Gegenwart geprägt haben, sondern auch wichtige historische Bezugspunkte der sich gegenwärtig neu formierenden politischen Geographie des Balkanraumes bilden. Innerhalb des Zeitraumes zwischen 400 und 900 vollzog sich in dieser Region ein schrittweiser Prozess politischer, religiöser und kultureller Fragmentierung, dessen Verlauf sich unter drei Aspekten bündeln lässt:
1. Von einem eher peripheren Gebiet des römischen Italien entwickelte sich der Norden der Apenninhalbinsel seit ungefähr 400 zu deren eigentlichem Gravitationszentrum, wie vor allem die wechselvolle Geschichte Ravennas deutlich macht: Seit 402 Hauptstadt des weströmischen Reiches, wird Ravenna nach dem Ende des weströmischen Kaisertums (476) zum Regierungssitz zunächst des Königs Odoaker, sodann zum politischen Zentrum des Ostgotenreiches und nach der Rückeroberung Italiens unter Justinian (554) zum Sitz der byzantinischen Verwaltung Italiens. 751 kommt es unter langobardische, dann fränkische Kontrolle, um mit der pippinischen Schenkung (754) zu einem wichtigen Zentrum des allmählich entstehenden Kirchenstaates zu werden.
2. Mit der langobardischen Invasion Italiens (568) ist bereits ein zweiter wichtiger Entwicklungsfaktor genannt, der nicht nur die historisch äußerst folgenreiche Trennung von Nord- und Süditalien bewirkte, sondern im nördlichen Italien eine Zweiteilung in (ost)römische („byzantinische“) und langobardische Gebiete zeitigte, in deren Folge viele Bewohner des Festlandes sich auf die vorgelagerten Inseln in den Lagunen flüchteten. Die Leiter der Kirchenmetropole Aquileia gründeten auf der Flucht vor den Langobarden auf einer vorgelagerten Insel den Patriachensitz Grado, der später mit der im Langobardenreich verbliebenen Mutterstadt Aquileia im Dreikapitelschisma zeitweise in eine theologische Spaltung geriet. Auch die Entstehung Venedigs verdankt sich zu einem erheblichen Teil diesem Umstand, insofern der in der Lagune residierende byzantinsche dux zum Ausgangspunkt der Entwicklung des späteren Dogenamtes wurde.
3. Die militärische und politische Intervention der Franken markiert den dritten bedeutsamen Einschnitt. Waren Teile der oströmischen Gebiete Mittel- und Norditaliens nach 754 im entstehenden Kirchenstaat aufgegangen, dessen Existenz die Franken fortan garantierten, so führte die Niederlage der Langobarden gegenüber den Franken im Jahr 774 zur Integration des Langobardenreiches in die karolingische Herrschaft. So wurde der nordöstliche Adriaraum – Grado, Aquileia und Istrien – zum Zankapfel zwischen Ostrom (Byzanz) und dem Frankenreich (dessen Herrscher seit 800 kaiserliche Ebenbürtigkeit beanspruchte), die hier erstmals eine gemeinsame Grenze hatten; und gleichsam im Machtvakuum zwischen diesen beiden Großmächten sowie dem Papsttum etablierte sich Venedig als Militär- und Wirtschaftsmacht sowie mittelfristig als Kommune und See-Imperium. Istrien hingegen scherte aus dem oströmischen Einflussgebiet aus und wurde dauerhaft Teil des fränkischen Reiches und seiner Nachfolger. Während seine Hafenstädte an die romanisch-byzantinische Tradition gebunden blieben und zunehmend fränkische Einflüsse aufnahmen, öffnete das Binnenland sich mehr und mehr der Ansiedlung slawischer Militärs und Bauern.
Der nördliche Adriaraum, zu Beginn unserer Zeitrechnung noch ein politisch und kulturell vergleichsweise homogenes Gebiet innerhalb des römischen Imperium, entwickelte sich daher in seinen Regionen fortan auch religiös und kulturell verschieden. Die Abfolge weströmischer, ostgotischer, oströmisch-byzantinscher, langobardischer und fränkischer Herrschaften förderte Prozesse regionaler Verselbständigung, die gravierende Auswirkungen beispielsweise auf das Erscheinungsbild der nordadriatischen Städte und auf deren Verhältnis zum sie umgebendem Land hatten. In den neu entstandenen Reichen wurde die Frage relevant, in welchem Maße man sich als Erbe weiterzuführender römischer Traditionen sah und wie man sich gegenüber Ostrom als der Verkörperung und Fortführung der politischen und reichskirchlichen Tradition des Imperium positionierte. Die ebenso tiefgreifenden wie folgenreichen kirchlichen und religiösen Konflikte während dieser Umbruchszeit (Arianismus, Dreikapitelstreit, Kampf der ravennatischen Erzbischöfe gegen den Primat Roms, Bilderstreit, Patriarchatsstreit zwischen Grado und Aquileia) sind auch im Kontext der beschriebenen Entwicklung von der Einheit der römischen Provinzialordnung zur territorialen Partikularisierung im Frühmittelalter zu verstehen.
Eine typische Erscheinung im Gefolge historischer Umbruchssituationen ist das Auftreten neuer Eliten als Träger des politischen, sozialen und kulturellen Wandels in Militär, Verwaltung, Kirche und Stadt. Diese repräsentieren ihre neugewonnene Stellung durch Bauten, Bilder, Zeremonien und Stiftungen nach außen. So sind es gerade die vielfältigen regionalen Identitätsbildungen politischer, religiöser und kultureller Art, deren Artefakte noch heute zu bestaunen sind. Archäologische Grabungen bereichern das Korpus der bekannten Artefakte ständig durch neue Sach- und Bildzeugnisse. Um ein möglichst vollständiges Bild von den beschriebenen historischen Entwicklungen und Umbrüchen zu gewinnen, ist es daher notwendig, die Lektüre der schriftlichen Überlieferung mit der Anschauung der materiellen Überreste zu verbinden. Dass der nördliche Adriaraum auf Schritt und Tritt dazu einlädt, solche Verbindungen herzustellen, macht ihn zu einem höchst ergiebigen Ziel für eine wissenschaftliche Exkursion.
Die zehntägige Exkursion, deren Ergebnisse auf diesen Seiten vorgestellt werden, führte von Ravenna über Venedig und Torcello sowie Aquileia und Grado nach Istrien wo Pula, Bale, Guran, Poreč und Novigrad besucht wurden. Zur besonderen Konzeption der Exkursion gehörte es, dass neben der Besichtigung der zentralen Monumente vor Ort auch Einblicke in den laufenden Forschungsprozess gewonnen werden sollten. Seit ungefähr zehn Jahren befindet sich die vor allem von Historikern, Kunsthistorikern und Archäologen getragene Forschungsdiskussion in erheblicher Bewegung und hat Erkenntnisse zu Tage gefördert, die das Bild der Entwicklung der Region innerhalb des fraglichen Zeitraumes erheblich und nachhaltig verändern werden.
Es ist den Organisatoren und Teilnehmern der Exkursion daher ein besonderes Anliegen, für die vielfältige Hilfe Dank zu sagen, die uns vor Ort zuteil wurde.
In Ravenna hat uns Dott. Pierpaolo Bonacini zu wichtigen Kirchen und Monumenten aus ostgotischer und byzantinischer Zeit begleitet. In Venedig hat uns die Gastfreundschaft des Deutschen Studienzentrums unter ihrem Leiter, Priv.-Doz. Dr. Uwe Israel, ermöglicht, Einblick in die Arbeit des Studienzentrums und die Geschichte seines Sitzes am Canale Grande zu bekommen sowie einen Vortrag der Baugeschichtsforscherin Karin Uetz und des Kunsthistorikers Rudolf Dellermann über neue Forschungen über die Baugeschichte der Basilika von S. Marco zu erleben. In Aquileia hat Dott. Silvia Blason uns durch das in der spätantiken Basilica di Monastero eingerichtete Museo paleocristiano geführt. In Grado hat uns mit Dott. Ezio Marocco der beste Kenner der lokalen Verhältnisse an seinem kunsthistorischen und archäologischen Wissen teilhaben lassen. Beim Besuch der frühmittelalterlichen Monumente Istriens gab Professor Miljenko Jurković (Zagreb) entscheidende organisatorische Unterstützung. Dr. Sunčica Mustač (Pula) hat uns die laufenden frühmittelalterlichen Ausgrabungen in Bale und Guran sowie das Lapidarium in Bale gezeigt. Professor Ivan Matejcić (Rijeka) gab uns Einblicke in die von ihm geleiteten Ausgrabungen und Rekonstruktionen im Bereich des Euphrasius-Basilika-Komplexes in Poreč und stellte uns auch das neue Lapidarium in Novigrad vor. Ihnen allen möchten wir sehr herzlich für die kollegiale Unterstützung danken.
Der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freien Universität Berlin danken wir für die großzügige Gewährung eines Zuschusses. In Anbetracht der wachsenden Schwierigkeit, für Auslandsexkursionen Beihilfen zu erhalten, und aufgrund der Streichung universitärer Unterstützungsleistungen hat dieser die Durchführung der Exkursion eigentlich erst möglich gemacht.
Detaillierte Übersicht:
I. Ravenna
I. 1. Überblick
I. 2. Das römische Ravenna
I. 3. Sant'Apollinare Nuovo
I. 4. Das Theoderich-Mausoleum
I. 5. Die Basilika Sant'Apollinare in Classe
II. Venedig
II. 1. Überblick
II. 2. Die Basilica di San Marco
II. 3. S. Maria Assunta auf Torcello
III. Aquileia und Grado
III. 1. Überblick
III. 2. Das römische und spätantike Aquileia
III. 3. Grado: Stadtanlage und Dom S. Eufemia
III. 4. S. Maria delle Grazie und S. Giovanni Maggiore in Grado
IV. Istrien
IV. 1. Überblick
IV. 2. Die Altstadt von Poreč
IV. 3. Die Euphrasius-Basilika in Poreč