III. 4. S. Maria delle Grazie und S. Giovanni Maggiore in Grado (B. G.)
Mit S. Maria delle Grazie und S. Giovanni Maggiore greifen wir zwei Kirchen, die vermutlich beide im 5. Jahrhundert erbaut wurden und auch beide am Ende des 6. Jahrhunderts einen Umbau erfuhren. S. Giovanni steht heute nicht mehr: Boden und Reste des Mauerwerks sind als Ausgrabungsfeld von einer neu konstruierten kleinen Brücke aus von oben zu betrachten. Das zur Kirche gehörende Baptisterium ist gar nur noch in seinen Umrissen auf dem Asphalt eingezeichnet.
Der Umbau des 6. Jahrhunderts geschah unter dem dritten auf Grado ansässigen Patriarchen von Venetien-Istrien, Elias (571-586), dem zweiten Nachfolger von Paulinus, der 568, wegen des Einfalls der Langobarden im italischen Raum, von Aquileia auf die Insel Grado geflohen war. Der Ausbau Grados zur Residenz der Patriarchen fand hier also seinen Ausdruck in der Umgestaltung der beiden Kirchen. Schließlich bekannte sich Grado nun endgültig zur Orthodoxie: Von S. Giovanni Maggiore hat man nämlich vermutet, dass Kirche und Baptisterium ursprünglich dem arianischen Kult geweiht waren. Spätestens seit der dauerhaften Residenznahme der Patriarchen auf Grado war es mit dem Arianismus zu Ende. Beide Kirchen sind Basiliken in der für den nördlichen Adriaraum von Aquileia bis Pula und Salona typischen Bauweise altchristlicher Kirchen des 5. Jahrhunderts und haben einen weitgehend regelmäßig-rechteckigen Grundriss – im Gegensatz zum Dom von Grado, S. Eufemia, deren Grundriss sich am Typ der ravennatischen Basiliken orientiert. In S. Maria delle Grazie sind links und rechts der Apsis Prothesis und Diakonikon untergebracht, zwei kleine Räume zur Aufbewahrung liturgischer Gegenstände und zur Vorbereitung des Abendmahls, die auch Pastophorien genannt werden. Apsis und beide Nebenräume sind in den rechteckigen Grundriss des Gebäudes integriert, die Pastophorien hinter der Apsis miteinander verbunden. Auffällig in dieser Kirche ist die Verschiedenartigkeit von Säulen, Kapitellen und Kämpfern – sofern die beiden letzten überhaupt auf den Säulen vorhanden sind (→ Bild: S. Maria delle Grazie, Innenraum). So finden sich hier Kapitelle ionischen und korinthischen Typs, wohl aber auch Kompositkapitelle aus der Zeit des Patriarchen Elias.In S. Giovanni Maggiore besitzt das südliche Pastophorium eine kleine Außenapsis; auch die Hauptapsis tritt minimal nach außen hervor, der rechteckige Grundriss bleibt aber grundsätzlich gewahrt. Anders als in S. Maria delle Grazie findet sind hier im Westen zusätzlich noch ein Narthex.
Beiden Kirchen gemein sind die zahlreichen Stifterinschriften, die auf den Mosaikböden erhalten sind (→ Bild: S. Maria delle Grazie, Mosaikböden). Sie verzeichnen zumeist entweder die Spende von einer Anzahl (Quadrat-)Fuß (pedatura) an Mosaikboden oder die Erfüllung eines Gelübdes.
Innenraum der Kirche S. Maria delle Grazie
Mosaikböden in S. Maria delle Grazie - Bilder: André Fischer