Springe direkt zu Inhalt

III. Aquileia und Grado

III. 1. Überblick

III. 2. Das römische und spätantike Aquileia

III. 3. Grado: Stadtanlage und Dom S. Eufemia

III. 4. S. Maria delle Grazie und S. Giovanni Maggiore in Grado

1. Überblick (T. F.)

Der Griff der Venezianer nach den irdischen Überresten des hl. Markus zielte im 9. Jahrhundert vor allem auf einen Gegner: Aquileia, Sitz jenes Metropoliten, der sich auf die Begründung seiner Kirche durch den Evangelisten und dessen Schüler Hermagoras berief. Da die Langobarden dort nach 600 einen eigenen Patriarchen eingesetzt hatten und dieser nach der späteren Beilegung des Dreikapitelstreits auch von Rom anerkannt wurde, musste es zwangsläufig zum Konflikt mit Grado kommen, wo der vor den Langobarden aus Aquileia geflohene Patriarch Elias eine eigene Patriarchenreihe gebildet hatte. Politisch reichte der Arm des Gradensers so weit wie der byzantinische und dann venezianische Einfluss, der des Patriarchen von Aquileia so weit wie die Macht der Langobarden und dann der Franken. Beide Sitze pochten auf exklusive Legitimität und fochten diesen Streit mit diplomatischen und militärischen Mitteln unter Ausnutzung der jeweiligen politischen Kräfteverhältnisse aus. Um 829, als nach dem späteren Venezianer Bericht die Markus-Reliquien in die Lagune kamen, hatte Aquileia mit Unterstützung des fränkischen Hofes die Oberhand gewonnen, wie ihm von einem in Mantua 827 abgehaltenen Konzil bestätigt worden war.

Dabei war um diese Zeit mit Aquileia nicht viel Staat zu machen. Der Patriarch residierte im Hinterland, weil die Stadt – im 4. und 5. Jahrhundert eine der bedeutendsten Metropolen des Römischen Reiches, die zahlreiche archäologische Spuren hinterlassen hat (beachtlich das Lapidarium im örtlichen Museo Nazionale) – sich von der Verkleinerung in der Spätantike und der Zerstörung durch die Hunnen kaum erholt hatte (→ Das römische und spätantike Aquileia). Gut hundert Jahre nach dem Konzil von Mantua schrieb der Chronist Liutprand von Cremona, Aquileia sei „von Grund aus zerstört und, wie man heute sieht, nicht wieder aufgerichtet“. Ganz so schlimm war es freilich nicht. Immerhin verfügte Aquileia nicht nur über eine Reihe von kleineren spätantiken Basiliken, sondern vor allem über einen beeindruckenden Kathedralbau, der seit dem 4. Jahrhundert errichtet und mit großflächigen Bodenmosaiken ausgestattet worden war und an dem auch in karolingischer Zeit weiter gearbeitet wurde. Besondere Bauaktivitäten entfaltete jedoch im 11. Jahrhundert der energische Patriarch Poppo (1019-1042), dessen rücksichtslos auf die Mosaiken gesetzter Campanile die Stadt bis heute überragt. Unter ihm wurde der Sitz der Patriarchen erstmals wieder nach Aquileia verlegt.

Das hatte den Vorteil, dass sich von dort aus die Rivalen in Grado direkter bekämpfen ließen. Diese gerieten gegenüber der vom fränkisch-deutschen König unterstützten Konkurrenz zwar häufig in die Defensive, wussten aber mit Hilfe Venedigs ihre Ansprüche zu wahren und letztlich auch an der römischen Kurie durchzusetzen. Aquileia gelang es nicht, die von den Venezianer Reliquien und der angeblich von Kaiser Herakleios an Grado geschenkten cathedra des Evangelisten gestützte Gradenser Markus-Tradition zu untergraben. In den Kirchenbauten und der Mosaikkunst entwickelte man in Grado die aus Aquileia mitgebrachten Traditionen weiter (→ Dom S. Eufemia, → S. Maria delle Grazie), auch wenn es das kleine Insel-Castrum nicht zu einem Bauwerk von den Dimensionen der Kathedrale von Aquileia brachte. Man darf es als ironischen Winkelzug der Geschichte deuten, dass die Funktion einer Sommerfrische für den Patriarchen von Aquileia, die das Konzil von Mantua 827 der Insel Grado zuschrieb, Wirklichkeit geworden ist, wenn auch anders, als die Anhänger Aquileias es sich damals vorgestellt haben werden: Grado ist heute ein prosperierendes touristisches Zentrum mit mindestens viermal größerer Bevölkerung als Aquileia.

Mentoring
Tutoring
OSA Geschichte
OSA Geschichte