IV. 3. Die Euphrasius-Basilika in Poreč (M. G.)
Die Basilika in ihrer heutigen Gestalt wurde im 6. Jahrhundert errichtet, die Integration von älteren Gebäudeteilen und Funde von vorhergehenden Kirchenbauten zeigen aber, dass der Standort schon lange zuvor für sakrale Zwecke genutzt worden war. Die verschiedenen Bauphasen des Komplexes liefern wertvolle Informationen über die lokale Geschichte, belegen aber auch wichtige Verbindungen zu anderen Regionen. Für den Übergang von der Spätantike zum Mittelalter bedeutet dies insbesondere, dass sich an der Basilika die Vernetzung und Ähnlichkeit mit anderen frühchristlichen Zentren im Adriaraum wie Ravenna oder Aquileia sowie die Relevanz des byzantinischen Einflusses ablesen lassen.
Die Baugeschichte bezeugt den historischen Wandel von Poreč, als die Stadt im Zuge der Verbreitung des Christentums im Adriaraum zum Sitz eines Bischofs wurde. Sie beginnt im 3. Jahrhundert mit einem kleinen, schlichten Oratorium am Rande der Stadt, ähnlich wie in anderen Städten der Region an einer Stelle, an der sich Thermen oder normale Wohnhäuser befanden. Da das Christentum zunehmend an Bedeutung gewann, wurde im folgenden Jahrhundert eine erste einfache Kirche errichtet, ihre Fläche aber schon bald anlässlich der Überführung der Gebeine des lokalen Märtyrers Maurus zu einer Doppelkirche erweitert. Poreč wurde zum Bischofssitz und beherbergte die Reliquien eines eigenen Heiligen. Im 5. Jahrhundert wurde auf dem Gelände eine erste dreischiffige Basilika errichtet. Es handelt sich um einen Monumentalbau, dessen Stil jedoch an die lokale Profanarchitektur angeglichen war, einen in Istrien verbreiteten Typ der Hallenkirche. Anstelle dieser ersten Basilika wurde Mitte des 6. Jahrhunderts eine neue Basilika errichtet. Dabei wurden diverse ältere Bauteile integriert, insgesamt entstand aber ein ganz anderer, byzantinisch geprägter Kirchentypus. (→ Bild: Atrium und Eingang der Basilika)
Der Bauherr, Bischof Euphrasius, gab eine Kirche nach östlichem Vorbild in Auftrag. Ihre aufwendige künstlerische Ausgestaltung mit vielfarbigen Mosaiken, Stukkaturen, Inkrustrationen und den dafür verwendeten hochwertigen Materialien wie Marmor, Glas, Edelsteinen und Perlmutt zeigt das Vordringen eines neuen byzantinischen Stils nach Westen. Die Euphrasius-Basilika ist eines der wichtigsten Zeugnisse byzantinischer Baukunst im Adriaraum. Ähnliche Konzeptionen findet man etwa in Solun, Salona, Grado oder Ravenna. Vor der Westfassade der Basilika entstanden der – für eine Bischofskirche typische – Komplex aus Atrium und Baptisterium, daneben der ebenfalls auf dem Grundriss einer Basilika beruhende Bischofspalast und eine Gedenkkapelle zur Aufbewahrung der wichtigsten Reliquien. Im Verlauf späterer Jahrhunderte wurden dem Komplex noch diverse weitere Gebäude hinzugefügt. Dieser vollständig erhaltene spätantike Bischofspalast ist ein Baudenkmal, das in in der spätörmischen Überlieferung seinesgleichen sucht.
Durch die mehrfache Überbauung des Standorts lassen sich besonders an den verschiedenen Mosaiken der Euphrasius-Basilika die Entwicklung lokaler Traditionen und die wechselnden Einflüsse anderer, für Poreč relevanter Regionen am Übergang von der Antike zum Mittelalter ablesen. Von der frühchristlichen lokalen Mosaikkunst zeugt ein quadratisches Mosaikfeld mit einem Fischmotiv, das vom ältesten Oratorium übriggeblieben ist, etwa drei Meter unterhalb der heutigen Bodenhöhe der Euphrasius-Basilika. Darüber liegen die Bodenmosaiken ihrer Vorgängerbauten aus dem 4. und 5. Jahrhundert (→ Bild: Mosaikfußboden aus dem Ende des 4. Jahrhunderts). Wie bei den Mosaiken frühchristlicher Kirchen in Aquileia, Grado oder Classe zeigen sie geometrische Muster Mäander, Ranken und Vögel und verewigen die Namen von Mitgliedern der Gemeinde, die eine Mosaikfläche in römischem Längenmaß stifteten. Dabei dokumentieren die einzelnen Mosaikschichten augenscheinlich den Verfall dieser lokalen Mosaikkunst, da sich nach oben hin Unstimmigkeiten in Darstellung und Ausführung sowie mangelhaft ausgebesserte Stellen häufen.
Die berühmten Apsismosaiken (→ Bild: Apsismosaiken der Euphrasius-Basilika) der Euphrasius-Basilika aus dem 6. Jahrhundert hingegen sind Beispiele höchster Kunstfertigkeit. Sie werden mit denen von S. Vitale in Ravenna verglichen, stammen wahrscheinlich sogar von denselben Meistern. Auch darstellerisch und ikonographisch weisen zahlreiche Details auf die Verbindungen zu Byzanz und anderen frühchristlichen Zentren hin: ein byzantinischer Reliquienschrein, den Zacharias in der Hand trägt, die Apostel in ihren mit Buchstaben verzierten Gewändern und Christus als Weltenrichter im oberen Teil der Apsis, die in vielen Kirchen der Zeit sichtbare Verewigung des bischöflichen Bauherren, der mit byzantinischer Hofetikette Christus und Maria die von ihm gestiftete Basilika darbringt. Als eine Besonderheit der Apsismosaiken der Euphrasius-Basilika gilt die Mischung von im 6. Jahrhundert offenbar bereits standardisierten ikonographischen Mustern mit lebendigen, nicht standardmäßigen Details. Nicht zuletzt weist das Ziborium der Basilika auf den späteren Einfluss einer weiteren Macht im Adriaraum auf Poreč hin: Es wurde 1277 errichtet und ist mit einem Mosaik venezianischer Meister überzogen.
Durch den direkten Vergleich zwischen den Bauwerken und Mosaiken von Ravenna oder Aquileia mit denen von Poreč lassen sich Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten, aber auch Besonderheiten in der Ausgestaltung feststellen. Es wird deutlich, dass bestimmte, häufig byzantinisch durchdrungene Formen im gesamten Adriaraum zu finden sind und die Kontakte zwischen den einzelnen frühchristlichen Zentren durchaus eng waren. Das Beispiel Poreč dokumentiert darüber hinaus eindrucksvoll die Entwicklung einer frühen christlichen Gemeinde zu einem Bistum. Die Basilika ist auch heute noch die zentrale Kathedrale des Bistums Poreč-Pula und zählt zu den bedeutendsten Sakralbauten in Kroatien. Der Gebäudekomplex stellt einen einzigartigen Mikrokosmos der spätantiken Kirche dar und wurde wegen seiner Vollständigkeit und seines guten Erhaltungszustands von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.
Ausschnitt aus den Apsismosaiken der Euphrasius-Basilika
Das Atrium und das Hauptportal der Euphrasius-Basilika
Reste des Mosaikfußbodens aus dem Hauptraum des ursprünglichen Kultraumes für den Hl. Maurus (im Norden der Euphrasius-Basilika, Ende 4. Jh.) - Bilder: André Fischer