I. 3. Sant’Apollinare Nuovo (C. B.)
Nach dem Zerfall des Weströmischen Reiches wurde Ravenna nacheinander von Herulern, Ostgoten, Byzantinern, Langobarden und Franken kontrolliert. Unter den vielen Herrschern dieser Stadt sticht besonders der Ostgote Theoderich hervor (493-526), da er kurz nach der Eroberung Italiens ein umfassendes Bauprogramm in die Wege leitete, das zum einen die Wiederherstellung bereits bestehender Bauwerke wie einem Aquädukt aus trajanischer Zeit beinhaltete, zum anderen aber auch mit dem Bau seines Palastes mit angeschlossener Hofkapelle etwas gänzlich Neues schuf. Dieser Palast scheint ganz oströmischen Vorbildern verpflichtet gewesen zu sein. Neben einer Fassade, dem sogenannten Exarchenpalast (→ Bild: Fassade des sog. Exarchenpalastes), ist heute nur noch die ehemalige Palastkapelle S. Apollinare Nuovo erhalten. Die Kirche selbst ist eine dreischiffige Basilika, deren auffälligstes Merkmal die mit Mosaiken verzierten Innenwände des Mittelschiffs sind. Theoderich, der dem arianischen Glauben anhing, hatte die Kirche wohl zu Beginn des 6. Jahrhunderts Jesus Christus weihen lassen, danach wurde Martin von Tours ihr Titelheiliger. Ihren heutigen Namen erhielt sie erst im 9. oder 10. Jahrhundert durch die Überführung der Gebeine des hl. Apollinaris aus Classe nach Ravenna.
Die Mosaiken sind auf beiden Seiten des Mittelschiffs in drei Zonen gegliedert, wobei jede Zone mit der ihr gegenüberliegenden thematisch in Verbindung gebracht ist. Die oberste Ebene stellt einen christologischen Zyklus dar, der auf der einen Seite von der Passion Christi und auf der anderen von der Wundertätigkeit Jesu berichtet. Darunter sind neben den Fenstern jeweils 16 Männer dargestellt, die ähnlich wie Philosophen in eine Toga gehüllt sind und Schriftrollen in ihren Händen halten. Auf der untersten Ebene ist eine Prozession von heiligen Männern und Frauen zu erkennen, die ausgehend von der Stadt Classe und einem Palast auf der einen Seite zur Jungfrau Maria und auf der anderen Seite zu Jesus hinschreiten. Angeführt werden beide Prozessionen auf der einen Seite von den heiligen drei Königen und auf der anderen vom hl. Martin. Moderne Untersuchungen haben gezeigt, dass die Prozessionsmosaiken fast komplett umgearbeitet worden sind, so dass nur Ausgangs- und Endpunkte noch aus der Zeit Theoderichs stammen. Auffälligstes Beispiel hierfür sind die Überreste von Händen, die auf den Säulen des Palastes erkennbar sind (→ Bild: Detail aus der Darstellung des Palastes des Theoderich). Nach der Eroberung Ravennas durch die Byzantiner wurde die Palastkapelle Theoderichs vom Bischof der Stadt konfisziert und im Zuge der Rekatholisierung offenbar stark umgestaltet. Neben dem erwähnten Patroziniumswechsel (hl. Martin) wurde die Prozession, die ursprünglich wohl Theoderich und seinen Hofstaat zeigte, in eine Reihe von Heiligen umgewandelt. Auf diese Weise wurde die Erinnerung an die zuvor herrschende Schicht ausgelöscht und zu Gunsten der neuen Eliten der Stadt umgedeutet.
Die Fassade des sog. Exarchenpalastes mit dem Campanile von S. Apollinare Nuovo
Marmorplatte eines Lesepults in S. Apollinare Nuovo (6. Jh.)
Detail aus der Darstellung des Palastes des Theoderich - Bilder: André Fischer