Chosŏn-Dynastie (Teil 3)
(1800-1885): Nationale Umwälzungen vor und nach der Öffnung
Durch Kontakte mit westlichen Ideen und Techniken im 18. Jahrhundert durchlief die Chosŏn-Dynastie eine neuzeitliche Veränderung. Dieser Wandel wurde vor allem durch eine stabile innen- und außenpolitische Lage möglich. Die Stabilität brach jedoch zusammen, als im beginnenden 19. Jahrhundert am Hof eine neue Machtbasis entstand. Diese bestand aus zwei Hofbeamtenfamilien, die ihre Töchter mit drei aufeinanderfolgenden Königen verheiratet und so den Königshof in der Zeit von 1800 bis 1863 unter ihren Einfluss gebracht hatten. Die dadurch entstandene Machtverschiebung am Königshof hatte zur Folge, dass die Politik der Dynastie, insbesondere die Provinzpolitik, instabil wurde. Dies führte bereits im frühen 19. Jahrhundert zu großen Unruhen in ländlichen Gebieten, die sich in rund 70 organisierten Aufständen über das ganze Land ausbreiteten.
Im Zuge dieser sozialen Umwälzung kam eine neue religiöse Lehre‚ Tonghak, auf, die bei Bauern und Provinzgelehrten großen Zuspruch fand. Die Religion wurde 1860 von einem kleinen Beamten, Ch’oe Che-u, gegründet und verbreitete sich zunächst im Südosten des Landes. Dabei handelte es sich zum einen um eine Gegenreaktion auf die Lehre des Westens, den Katholizismus, indem die einheimische Glaubenssubstanz wie Konfuzianismus, Buddhismus, Schamanismus betont wurde. Zum anderen beinhaltete Tonghak einen sozialrevolutionären Gedanken, der die konfuzianisch geprägte soziale Ordnung in Frage stellte: Die Würde der Menschen aller Klassen wurde als gleich angesehen.
Im Jahr 1863, in dem die Regierung den Gründer der Tonghak wegen Unruheanstiftung hinrichtete, übernahm der Vater des zwölfjährigen neuen Königs als Regent die Macht. Der Regent Taewŏn’gun beschnitt den Einfluss der Beamtenfamilien, stellte die früheren politischen Strukturen wieder her und schloss in großem Umfang konfuzianische Bildungsstätten in den Provinzen, Sŏwŏn, die er für die Ursache des Aufstiegs der in Fraktionen gespaltenen Hofbeamtenschaft hielt. Mit diesen innenpolitischen Maßnahmen versuchte Taewŏn’gun, eine stabile, absolute Königsmacht wiederherzustellen.
Sein entschlossenes Durchgreifen betraf nicht nur die Innenpolitik. Es zeichnete insbesondere auch das außenpolitische Verhalten des Regenten aus. Bereits am Ende des 18. Jahrhunderts waren westliche Kriegs- und Handelsschiffe vor der koreanischen Küste aufgetaucht, welche die Öffnung der Dynastie für den Handel forderten. Sie wurden vom Regenten als Bedrohung wahrgenommen, da man bereits von der Unterwerfung des chinesischen Kaiserreichs durch westliche Mächte erfahren hatte. Deshalb entschied sich Taewŏn’gun gegen die Öffnung des Landes und ließ 1866 die Katholiken im Land unter dem Vorwand verfolgen, dass sie ausländische Interessen vertreten. Da bei den Verfolgungen auch neun französische Missionare ums Leben kamen, kam es in der Folge zu Auseinandersetzungen mit französischen Kriegsschiffen. Der Sieg über die Franzosen ließ den Regenten umso stärker an seiner Isolationspolitik festhalten.
Inzwischen gewann aber der Gedanke, dass die Dynastie doch den Handel mit westlichen Ländern ermöglichen sollte, in der Regierung an Einfluss. Die Öffnung fand insbesondere bei Familienmitgliedern der Königsgemahlin, die mittlerweile großen Einfluss auf die Politik auszuüben begannen, Zuspruch. Schließlich musste Taewŏn’gun 1873 seine Regentschaft beenden. Der junge König sei inzwischen in der Lage, selbst das Land zu regieren, lautete die offizielle Begründung. Sodann versuchten Familienmitglieder der Königsgemahlin, die bereits einflussreiche Positionen in der Regierung innehatten, die Politik des vormaligen Regenten zu korrigieren. Der Kernpunkt ihrer politischen Ideen bestand darin, die Dynastie weiterhin als ein monarchisches System zu erhalten, sich aber für die Modernisierung des Landes und für neue Techniken aus dem Westen zu öffnen.
Die Bereitschaft zur Öffnung und Modernisierung kam dem Nachbarland Japan zugute, das sich nach seiner eigenen Öffnung bereits westliche imperialistische Züge angeeignet hatte. 1875 wurde ein japanisches Kriegsschiff, das sich der koreanischen Küste genähert hatte, von einer Verteidigungsposition beschossen. Für Japan war das der Anlass, die koreanische Regierung zu einem Handelsvertrag zu zwingen, und so wurde 1876 das erste Handelsabkommen mit der japanischen Meiji-Regierung, Kwanghwado-Abkommen, geschlossen. Damit war die Isolationspolitik der koreanischen Dynastie an ihr Ende gekommen. Infolge des Abkommens siedelten sich japanische Händler unter diplomatischen Sonderkonditionen in drei koreanischen Hafenstädten an.
Diese Veränderung wurde von der chinesischen Regierung, die bis dahin als eine Art Schutzmacht des koreanischen Königreiches fungiert hatte, mit Argwohn aufgenommen. Um den erstarkenden Einfluss Japans auf Korea zu mindern und zudem eine Annäherung Russlands an Korea zu verhindern, vermittelte China der koreanischen Regierung ein Abkommen mit den Vereinigten Staaten, die wegen der geographischen Entfernung keine Gefahr für die chinesische Qing-Dynastie zu sein schienen. So wurde der Handelsvertrag mit den USA (1882) als dem ersten westlichen Land geschlossen. Danach folgten Verträge mit weiteren westlichen Ländern: England und Deutschland (1883), Italien und Russland (1884), Frankreich und Österreich (1886). In Korea wurde sodann eine fortschrittliche Modernisierungspolitik verfolgt, die über den ersten Schritt der Öffnung für Handel hinaus auf ein modernes Land durch politische, wirtschaftliche und militärische Reformen abzielte. Zu dieser politischen Idee trugen sowohl chinafreundliche, moderate Anhänger der Öffnung und Modernisierung des Landes als auch japanfreundliche, progressive Anhänger bei. Sie formten ein politisches System nach chinesischem Modernisierungsmuster und bildeten die koreanische Armee nach dem Modell des nach europäischem Vorbild modernisierten Japan aus.
Angesichts dieser politischen und gesellschaftlichen Veränderungen entstand eine Gegenbewegung unter konfuzianischen Gelehrten, die für die Bewahrung der alten Werte und Ordnung kämpften. Auch unter den einfachen Armeeangehörigen, die durch die Reformen degradiert wurden, gab es Ablehnung. Sie entlud sich 1882 in einem von Soldaten organisierten Aufstand, Imo kullan, bei dem staatliche Einrichtungen gestürmt und das japanische Gesandtenhaus in Seoul überfallen wurde. Der Soldatenaufstand konnte durch die chinesische Armee, die dem Hilferuf der koreanischen Königsgemahlin bereitwillig folgte, niedergeschlagen werden. Die Unruhe gab China die Gelegenheit, seine Macht über Korea zu demonstrieren und wieder mehr Einfluss auf die koreanische Regierung auszuüben: Die chinesische Regierung entsandte Beamte als Berater für Militär, Innen- und Außenpolitik nach Korea. Zudem wurde ein neues Handelsabkommen mit China geschlossen. Somit gewann die chinesische Qing-Dynastie absolute Macht über Militär, Politik und Wirtschaft im koreanischen Königreich. Dennoch konnte auch Japan einen strategischen Erfolg erringen. Ein Abkommen mit China erlaubte es Japan zum ersten Mal, zum Schutz des bei dem Aufstand überfallenen Gesandtenhauses Soldaten in der Hauptstadt zu stationieren.
In der Folge des Soldatenaufstandes kontrollierte das chinesische Kaiserhaus durch seine Berater am koreanischen Königshof die innen- und außenpolitischen Angelegenheit Koreas aktiver denn je. In dieser Situation kam es im August 1884 zum Krieg zwischen China und Frankreich, als Frankreich Vietnam, das zum Einflussbereich des chinesischen Kaiserreichs gehörte, kolonialisieren wollte. China mobilisierte daraufhin einen Teil seiner in Korea stationierten Armee. Die jungen japanfreundlichen, progressiven Öffnungsanhänger machten sich den Abzug der chinesischen Armee zunutze. Sie initiierten im Dezember 1884 anlässlich der Eröffnung eines Postamtes in Seoul einen Staatsstreich, Kapsin chŏngbyŏn, und brachten das Königshaus unter ihre Kontrolle. Am nächsten Tag stellten sie Reformvorhaben vor, die u. a. ein Kabinettsystem als politische Struktur vorsahen. Der politische Umsturz dauerte jedoch nur drei Tage. Nachdem die Königsgemahlin China um Hilfe gebeten hatte, kamen chinesische Truppen nach Seoul. In der Folge kam es zwischen China und Japan zu einer kurzen militärischen Auseinandersetzung um den Königshof. Schließlich endete der Staatsstreich mit der Flucht der progressiven Japan-Anhänger nach Japan und dem Rückzug der japanischen Armee.
Der Vorfall führte zu einem Abkommen zwischen China und Japan (T’enjin-Abkommen), das im April 1885 geschlossen wurde. Darin wurde festgelegt, dass die beiden Länder ihre Armeen innerhalb von vier Monaten vom koreanischen Territorium abziehen und sich gegenseitig informieren müssten, bevor eines von ihnen seine Soldaten nach Korea zurückschicken würde. Das Abkommen gab dem kaiserlichen China die Möglichkeit, weiterhin die Politik des koreanischen Königreichs unter seiner Kontrolle zu halten. Japan konnte jedoch einen weiteren Etappensieg erreichen: Es besaß nun den gleichen militärischen Einfluss auf koreanischem Territorium wie China.
Hee Seok Park