Die erste Phase
Zeit des Aufbaus kolonialherrschaftlicher Strukturen (1910-1920)
Seit ihrem ersten Handelsabkommen mit Korea 1876 hatte die japanische Meiji-Regierung Schritt für Schritt die Annexion des Nachbarn verfolgt. Die Expansion Japans beschränkte sich jedoch nicht auf die koreanische Halbinsel. Mit dem Einmarsch Japans in China brach 1937 der Zweite Chinesisch-Japanische Krieg aus, der bald weit über China hinaus den ganzen Pazifikraum erfasste. Die Geschichte der koreanischen Kolonialzeit unter der Herrschaft Japans lässt sich daher im Zusammenhang mit der Expansionspolitik Japans erklären.
Nachdem Japan 1910 das koreanische Reich annektiert hatte, ging die japanische Militärregierung in Korea sofort politische und gesellschaftliche Veränderungen an. Zunächst wurde die politische Struktur des Landes vollkommen umgebaut. Die kaiserliche Regierung sowie die dazu gehörenden politischen Institutionen und Organisationen wurden aufgelöst. Als Zentrale der Kolonialpolitik schuf Japan stattdessen ein Generalgouvernement, das von einem japanischen General geführt wurde. Dieser gesandte Gouverneur war einem Minister in Japan gleichgestellt und übte eine absolute Macht über das besetzte Land aus. Unter seinem Einfluss standen Verwaltungs-, Justiz- und Militärabteilung sowie einige Sonderabteilungen, die der Durchsetzung japanischer Wirtschaftsinteressen dienten. Hierzu gehörten die Abteilung für Eisenbahn, Kommunikation, Zoll und Bodenvermessung. Durch diese politische Neustrukturierung wurde den Koreanern jegliche politische Einflussnahme genommen, abgesehen von einem offiziellen Beratungsgremium koreanischer Politiker und Mitglieder der Kaiserfamilie, Chungch’uwŏn, das aber seine Funktion kaum ausübte.
Anlässlich der Verhaftung von angeblichen Widerstandskämpfern im Jahr 1911 wurde zur Kontrolle der Bevölkerung ein Militärpolizeisystem eingeführt, das eine kolonialherrschaftliche, harte Innenpolitik durchsetzte. Die Militärpolizei diente vor allem der Überwachung und Unterdrückung der Unabhängigkeitsbewegung und der autoritären Umerziehung der Koreaner im Sinne der japanischen Ideologie. Hierfür hatte die japanische Militärregierung rund 60.000 japanische Gendarmen im Polizeidienst auf der koreanischen Halbinsel stationiert.
Nach verschiedenen Neuregelungen im Bereich der Waldwirtschaft (1911), der Fischerei (1911) und der Unternehmen (1910) wurde 1912 als großes Vorhaben der kolonialen Wirtschaftspolitik eine Bodenvermessung und -registrierung durchgeführt. Nach dem Abschluss waren knapp 40% des gesamten koreanischen Bodens in japanischen Besitz überführt worden, was bis zum Jahr 1926 einen Zuzug von etwa 10.000 Haushalten japanischer Bauern auf die koreanische Halbinsel ermöglichte.
Im Zuge dieser kolonialen Wirtschaftspolitik entwickelte sich bereits in den 1910er Jahren eine Wirtschaftsstruktur, die Bereiche wie Bergbau, Fischerei, Waldwirtschaft, Verkehrsinfrastruktur und Finanzen umfasste und in dem vor allem Interessen der großen japanischen Unternehmen durchgesetzt wurden.
Die gesamte politische und wirtschaftliche Neustrukturierung geschah innerhalb der ersten zehn Jahre nach der Annexion 1910 und die Militärpolizei übernahm sowohl im Zentrum als auch in den Provinzen die Kontrolle über die koreanische Bevölkerung.
Die kolonialpolitischen Maßnahmen führten auch zu einer Modernisierung des Landes. Zunächst wurde die Hauptstadt Seoul großen Veränderungen unterzogen. Indem Straßen gebaut und vergrößert, primitive Häuser abgerissen und öffentliche Verkehrsmittel aufgebaut wurden, bekam sie die Infrastruktur einer modernen Großstadt. Das war deshalb wichtig, weil Japan damit in der Welt den Anschein erregen wollte, dass das Leben der Koreaner durch die japanische Kolonialisierung verbessert werde. Zudem wurde das Schulsystem gründlich reformiert und die traditionelle koreanische Schulstruktur durch eine moderne ersetzt. Diese diente jedoch dem Versuch, die Koreaner an die japanische Nation zu assimilieren.
Im Dunstkreis der Tonghak-Bewegung hatten sich mehrere Widerstandsgruppen gegen die japanische Armee gebildet, die sowohl von Bauern als auch von Intellektuellen angeführt wurden. Jedoch blieben koreanische Aufstände nach der Annexion bis auf einzelne verstreute Aktivitäten in der Mandschurei und in der östlichsten Ecke Nordostasiens zunächst unwirksam. Dies änderte sich im Frühjahr 1919, als koreanische Intellektuelle am 1. März in Seoul öffentlich eine Unabhängigkeitserklärung verlasen. In ihr wurde im Rückgriff auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker deklariert, dass Korea ein unabhängiges Land und Koreaner freie Menschen seien. Die 33 Unterzeichner erhofften sich, die Eigenständigkeit des besetzten Landes zurückzugewinnen. Das war der Beginn der sog. 1. März-Bewegung (3.1 undong).
Die Unabhängigkeitsbewegung wurde von Schülern und Studenten in Seoul mitgetragen und sie wurde von den Menschen begleitet, die bereits über die öffentliche Kundgebung informiert waren. Obwohl die Beteiligten an den Kundgebungen und Protestaktionen in der Hauptstadt umgehend verhaftet wurden, gingen die Proteste weiter. Sie breiteten sich in den folgenden Tagen im ganzen Land aus und entwickelten sich zu einem bewaffneten Befreiungskampf. Es dauerte drei Monate bis die japanische Kolonialmacht die Kontrolle im Land zurückgewinnen konnte. Laut japanischen Statistiken waren an 1.542 Protestaktionen etwas mehr als zwei Millionen Koreaner beteiligt, knapp 47.000 Menschen wurden verhaftet und 7.509 Beteiligte kamen ums Leben.
Die 1. März-Bewegung schrieb als erste Massenbewegung für die Unabhängigkeit des Landes koreanische Geschichte. Sie zeichnete sich dadurch aus, dass sie keine ideologische Färbung trug, sondern ausschließlich das Verlangen des koreanischen Volkes nach Befreiung von der japanischen Herrschaft zum Ausdruck brachte. Diese Ereignisse führten dazu, dass Japan seine bisher gewalttätige Kolonialherrschaft lockerte und begann, die Assimilationspolitik stärker zu fördern.
Hee Seok Park