Das prähistorische Thessalien: mobile und sesshafte Gemeinschaften südlich des Olymp (DFG-Projekt)
FU Berlin
Institut für Prähistorische Archäologie
Deutsche Forschungsgemeinschaft (Sachbeihilfe)
Projekt
Im nordöstlichen Thessalien, umgeben von hohen Bergmassiven im Norden und Osten sowie von niedrigeren Bergketten im Westen und Süden liegt eine Beckenlandschaft (vgl. Abbildungen), die bislang nur geringe Aufmerksamkeit von Archäologen, Geographen oder Geologen erhalten hat. 30–40 m höher gelegen als die Thessalische Tiefebene ist das Becken durch ein eigenes hydrologisches Regime geprägt: das südliche „Becken von Sykourio“ war noch in osmanischer Zeit in weiten Bereichen von einem See bedeckt. Auch in prähistorischer Zeit befand sich hier ein See, an dessen Ufern mehrere neolithische Siedlungen lagen. Das nördliche „Becken von Elateia“ hingegen ist durch Fließgewässer geprägt, die heutzutage nur noch in ihren oberen Abschnitten Wasser führen. Intensive Oberflächenbegehungen in beiden Beckenbereichen erbrachten den Nachweis von Flachsiedlungen unweit von bereits bekannten Siedlungshügeln. Aber auch an den Berghängen konnten mehrere Fundstellen aus verschiedenen Epochen entdeckt werden. Unter der Ägide des Griechischen Antikendienstes (Ephorie Larissa, Dr. Giorgos Toufexis) und mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) werden Landschaftsnutzung und Populationsdynamik im Laufe des Holozäns (Boreal und Atlantikum) untersucht.
Dank der detaillierten Fundauswertung, speziell der Keramik, aus den neu entdeckten Siedlungsbereichen und unter Heranziehen der Altfunde aus dem Museumsdepot konnten wir eine nun auch durch neue 14C-Daten abgesicherte relative Chronologie für die Zeit zwischen 6400/6300 und 3300/3200 v.Chr. vorschlagen. Darauf gründen zwei wichtige Erkenntnisse: wir wissen jetzt, wie genau die ältesten neolithischen Siedlungen datieren, nämlich in die Phase FN II, und wir konnten nachweisen, dass es am Ende der Tellbesiedlung keineswegs zu einer Aufgabe des Gebietes im Chalkolithikum kam, vielmehr wurde die Ortskonstanz mit einer Ortsmobilität ersetzt (Reingruber 2021).
Ein weiter wichtiger Beitrag zur Erforschung des FN und des frühen Mittelneolithikums (MN) ist die Gewinnung von Siedlungsbildern aufgrund von Magnetogrammen aus dieser Zeit, die auch in einem gesamt-ägäischen und sogar südosteuropäischen Zusammenhang von Bedeutung sein könnten (Toufexis et al. im Druck). Dabei handelt es sich um großflächige Siedlungen, in denen möglicherweise noch nicht ortskonstant ein Tell (eine Magula) aufgewohnt wurde, sondern es zu horizontalen Verschiebungen kam (Reingruber et al. 2021). Erst nach 6200/6000 v.Chr. wurde der gleiche Platz über mehrere Generationen hinweg bis (natürlich mit Unterbrechungen) ins frühe Chalkolithikum (ca. 4200 v.Chr.) für Stein-/Lehmbauten genutzt.
Das Potential unserer Feinchronologie zeigte sich in der Auswertung mithilfe eines GIS: darin wurden die exakten Höhenlagen der einzelnen Siedlungen mit der Datierung des dort angetroffenen Materials verknüpft, so dass eine Verschiebung der Siedlungsareale quer durch alle Zeiten nachvollzogen werden konnte. Wir stellten fest, das im Uferbereich des modellhaft in GIS gefüllten Sees Bara Toibasi die jeweils jüngeren Siedlungen an erhöhter Stelle gegründet wurden, was wir als Anpassung an den steigenden Seespiegel interpretieren. Der Abgleich mit absolut datierten Klimakurven zeigte, dass in besonders kalten/trockenen Phasen die Siedlungen an den tiefst möglichen Stellen im Becken lagen, aber in warmen/feuchten Perioden auf erhöhten Bereichen oder sogar auf Hügeln (Reingruber 2021). Es kann kein Zufall sein, dass es in Zeiten großer klimatischer Schwankungen zwischen 6300 und 5800 v.Chr. (im FN und frühen MN) und dann wiederum zwischen 4200 und 3300 v.Chr. (im Chalkolithikum) zu zahlreichen Ortswechseln kam, sich aber in der Zeit zwischen 5800 und 4300 v.Chr., einer klimatisch sehr stabilen Zeit, Magulen bilden konnten. Somit können wir das prähistorische Siedlungsverhalten besser verstehen und bestätigen, dass nicht nur kultureller Wandel, sondern auch ökologische und klimatische Schwankungen immer wieder Auslöser für Veränderungen waren. Dieses Modell muss durch gezielte Bohrungen überprüft werden.
Abb. 1. Blick in das Becken von Sykourio, Nordostthessalien, im Herbst 2016 (© Projekt Thessalien)
Abb. 2. Blick auf das Becken von Sykourio von Westen mit Olymp am linken Bildrand und der Spitze des Ossa-Massivs im Bildhintergrund (© Projekt Thessalien)
Kooperationspartner
Dr. Giorgos Toufexis, Griechischer Antikendienst, Larissa
Literatur
In Vorbereitung
A. Reingruber und G. Toufexis (in Vorbereitung), Die Becken von Sykourio und Elateia in Nordost-Thessalien in prähistorischer Zeit: Ergebnisse der archäologischen, geomorphologischen und geophysikalischen Untersuchungen. In: Prähistorische Archäologie in Südosteuropa.
Reingruber 2021
A. Reingruber, Sesshaft – und wie geht es weiter? Ortswechsel und Ortskonstanz im Becken von Sykourio, Thessalien. Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte 42, 2021, 89–98.
Reingruber 2023
A. Reingruber, Spoons from Spondylus: A New Interpretation of Aegean Neolithic Artefacts based on finds from Elateia and Nessonis in Northeast Thessaly. In: V. Şahoğlu, I. Tuğcu, O. Kouka, Ü. Gündoğan, Ü. Çayır, R. Tuncel und A. Erkanal-Öktü (Hrsg.), HAYAT: Arkeolojiye adanmış bir yaşam – HAYAT: A Life Dedicated to Archaeology. Studies in Mediterranean Archaeology in Memory of Hayat Erkanal (Ankara 2023) 353–364.
Reingruber 2024
A. Reingruber, The Oϊkos, the Orygma and the Open Spaces: Aegean Neolithic Settlement Patterns in Perspective. In: T. Kienlin (Hg.), Household Practices and Houses – Current Approaches from Archeology and the Sciences. Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 399 (Bonn 2024) 79–104.
Reingruber und Toufexis 2021
A. Reingruber und G. Toufexis, Frühe Bauern am Fuße des Olymp. Archäologie in Deutschland 1/2021, 42–43.
Reingruber u. a. 2021
A. Reingruber, G. Toufexis, Y. Maniatis, Elateia 1 in northeastern Thessaly 8000 years ago: Relative and absolute chronology of a flat extended settlement. Documenta Praehistorica 48, 2021, 184–201. DOI: https://doi.org/10.4312/dp.48.22
Toufexis und Reingruber 2021
G. Toufexis und A. Reingruber, Proistoriki katikisi kai palaioperivallon stis Lekanes tou Sykouriou kai Elateias (Prehistoric habitation and paleo-environment in the basins of Sykourio and Elateia). Praktika 10ou Synedriou Larisaikon Spoudon 2021, 7–24.
Toufexis et al. im Druck
G. Toufexis, A. Reingruber und G. Tsokas, Interdisciplinary investigations in Elateia 1, a flat extended site of the early Middle Neolithic (6000–5800 calBC). In: Archaiologiko Ergo Thessalias kai Stereas Elladas (AEThSE), 7th Archaeological Meeting of Thessaly and Central Greece, Volos, 2–4.6.2022.