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Die "Erste Republik" - Die politische Entwicklung Südkoreas unter Rhee Syngman

Einführung: Zur Person Rhee Syngmans

In der südkoreanischen Politik der 50er Jahre, so kann grundsätzlich festgestellt werden, drehte sich nahezu alles um bzw. gegen einen Mann: nämlich den seit 1948 amtierenden ersten Präsidenten Rhee Syngman (Yi Sŭng-man). Rhee Syngman gilt heute – ebenso wie einige wenige andere Machthaber wie etwa Park Chung Hee (Pak Chŏng-hŭi) – als eine der umstrittensten politischen Persönlichkeiten des modernen Koreas. Die Beschreibung seiner politischen Persönlichkeit reicht von absoluter Bewunderung einerseits bis hin zu tiefster Verachtung andererseits. Die Frage, welche die nachfolgende Diskussion anleitet, lautet dementsprechend, wie eine solch kontroverse Figur wie Rhee Syngman einen solchen politischen Einfluss erlangen konnte? In der relevanten Literatur werden, um diese Frage zu beantworten, i.d.R. drei verschiedene Faktoren angeführt, auf welche der Beitrag eingeht: (1) der persönliche und politische Hintergrund Rhee Syngmans; (2) die politische Persönlichkeit Rhee Syngmans nach der Übernahme des Präsidentenamtes und (3) die Position und Rolle Südkoreas unter Rhee Syngman gegenüber der USA.


Rhee Syngman

Rhee Syngman
Bildquelle: Wikimedia Commons Rhee Syng Man

Rhee Syngman wurde am 26.3.1875 in der Provinz Hwanghae geboren. Obwohl er familiäre Beziehungen zum Königshof (royal court) besaß, war seine Familie alles andere als reich. Nichtsdestotrotz studierte Rhee Syngman die chinesischen Klassiker, doch gelang es ihm nicht, einen Abschluss der Beamtenprüfung (civil service examination; kwagŏ) zwischen 1887 und 1893 zu erzielen. Vor diesem Hintergrund schloss sich Rhee der Paeje [Methodist] School an, wo er zum Entsetzen seiner streng konservativen buddhistisch-konfuzianistisch geprägten Familie zum Christentum konvertierte. Rhee schloss sich in den 1890er Jahren dem „Independence Club“ (tongniphyŏphoe) an, welcher sich für demokratische, westlich orientierte Reformen im Rahmen der koreanischen Monarchie aussprach. Für diese Aktivitäten wurde er 1899 verhaftet und musste eine Gefängnisstrafe verbüßen. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis ging er 1904 in die USA, wo er 1907 sein B.A. an der George Washington University und wenige Jahre später seinen MA an der Harvard University absolvierte und 1910 den Doktorgrad an der Princeton University erlangte. Noch im Jahr 1910 kehrte Rhee Syngman nach Korea zurück, wo er Widerstandskräfte gegen die japanische Besatzung organisierte. Aufgrund dieser Aktivitäten sah er sich 1913 zur Flucht nach Hawaii gezwungen, wonach er die Tongjihoe (Comrades Society) etablierte. Nach der 1.-März Unabhängigkeitsbewegung (1919) wurde Rhee zum Präsidenten der Provisorischen Regierung Koreas (Taehanminguk Imsijŏngbu) in China gewählt. Zwar verfehlte Rhee 1932 sein Ziel die Unterstützung der „League of Nations“ inkl. den USA, für die Koreafrage zu erhalten. Er besaß jedoch aufgrund seiner Vergangenheit als aktiver Streiter für die Unabhängigkeit Koreas immenses Prestige unter einer Vielzahl von Koreanern.


„The core of Rhee‘s prestige and influence derived from the fact that the average Korean associated Rhee with Korea‘s struggle for independence“

Kim Jin-Woo (2001): Master of Manipulation: Syngman Rhee and the Seoul/Washington Alliance, Yonsei University Press, Seoul


Und genau hier liegt ein wichtiger Teilfaktor in der Beantwortung der Frage, warum Rhee Syngman einen solchen politischen Einfluss erlangen konnte: Denn ein wichtiger Kern von Rhee’s Prestige und Einfluss, so führt Kim Jin-Woo (2001) zutreffend aus, leitet sich letztlich auch und gerade von der Tatsache ab, dass die Mehrheit der Koreaner mit Rhee Syngman den Kampf Koreas um Unabhängigkeit in Verbindung brachte und damit die Statur und der Status Rhee Syngmans durch dessen Prestige überschattet wurden.

Es ist nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund eben dieses persönlichen Prestiges, das es Rhee Syngman 1948 gelang, als Sieger aus den ersten freien und geheimen Wahlen in Südkorea hervorzugehen. Der Ausgang dieser Wahlen, deren Wahlbeteiligung trotz eines Boykottes der Gemäßigten, Linken und Kommunisten bei 72% lag, spiegelte die Zersplitterung des damaligen politischen Lagers wider, denn letztlich gelang es keiner Partei, die absolute Mehrheit zu erringen. Insgesamt hatte die aus den Wahlen hervorgehende Nationalversammlung 200 Sitze zu vergeben, wobei 100 Sitze für die Abgeordneten aus dem Norden freigehalten wurden. Von diesen 200 Sitzen (faktisch gewählt 198) gingen 54 an die Partei von Rhee Syngman (Nationale Gesellschaft zur Förderung der Koreanischen Unabhängigkeit), die zweitstärkste Kraft errang gerade einmal 29 Sitze. Nicht weniger als 83 Sitze gingen an unabhängige Kandidaten, was direkt auf die Zersplitterung der koreanischen Politik zu dieser Zeit hinweist. Auf der 1. Sitzung der Nationalversammlung am 31.5.1948 wurde Rhee Syngman zum Vorsitzenden gewählt, am 12. Juni 1948 wurde die erste angenommen und am 20.6.1948 wurde Rhee schließlich zum ersten Präsidenten Südkoreas gewählt.


Schwächung Rhees nach den Wahlen von 1950

Doch bereits bei den Parlamentswahlen im Mai 1950 musste die Partei Rhee Syngmans erste Verluste hinnehmen. Die Mandate der direkten Unterstützer Rhees verharrten auf 49, während die direkten Gegner Rhees auf 34 Mandate kamen. Dazu kamen die Mandate von ca. 130 Parteilosen. Die politische Zukunft von Rhee Syngman schien einen Monat vor Ausbruch des Koreakrieges ungewisser denn je. Auch wenn der wenig später ausbrechende Koreakrieg diese Problemlagen mit einem Schlag zu überdecken schien, so ging die Popularität Rhees auch und gerade aufgrund der durch den Koreakrieg ansteigenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme merklich zurück.

Die Frage war nun, wie Rhee auf seine sinkende Popularität reagieren würde? Konfrontiert mit zunehmendem Widerstand ging Rhee Syngman dazu über, diesen Widerstand aktiv zu brechen. Einerseits ergriff er konkrete Initiativen, um die Beschränkungen des politischen Systems durch die Veränderung der demokratischen Verfassung zu umgehen und damit seine eigene Machtposition auch im Rahmen des existierenden formal-demokratischen politischen Systems abzusichern. Einhergehend mit der Aufhebung von Verfassungsbeschränkungen und der Sicherung seiner persönlichen Machtposition ging Rhee jedoch auch zu direkten Initiativen zur Ausschaltung seiner parlamentarischen und außerparlamentarischen Gegner über. So begannen Rhee Syngmans politische Charakteristika und die Art und Weise seiner Amtsausführung zunehmend mit der Verfassung und dem politischen System sowie mit der parlamentarischen und außerparlamentarischen Opposition zu kollidieren. Vor diesem Hintergrund zeichnete sich die Erste Republik in Südkorea denn auch primär durch die Bemühungen von Rhee Syngman einerseits aus, dieses politische System zu seinen Gunsten schrittweise zu verändern bzw. komplett zu umgehen, und andererseits durch die Bemühungen von oppositionellen Kräften, diese Veränderungen zu unterbinden bzw. gegen diese Art der Politik zu kämpfen.


Initiativen zur Machtabsicherung innerhalb des politischen Systems und zur Ausschaltung der parlamentarischen und außerparlamentarischen Opposition

Rhee Syngman unternahm verschiedenste Initiativen, um seine eigene Macht innerhalb des politischen Systems der ersten Republik nachhaltig abzusichern und gleichzeitig seinen eigenen politischen Handlungsspielraum stetig auszuweiten. Eine zentrale Maßnahme in diesem Zusammenhang stellte etwa die illegale Durchsetzung einer Verfassungsänderung 1952 nach einem äußerst zweifelhaften Wahlsieg 1954 dar, durch welche etwa die Wiederwahlbeschränkung des Staatspräsidenten aufgehoben und der Posten des Ministerpräsidenten abgeschafft wurden. Ferner enthielt der neue Verfassungsentwurf spezifische Zusatzartikel zur Abwahl einzelner Abgeordneter vor Ende der jeweiligen Legislaturperiode.

Auch in der Umsetzung seines Ziels der Ausschaltung der parlamentarischen und außerparlamentarischen Opposition setzte Rhee Syngman auf ein spezifisches Instrumentarium. Eines der Schlüsselinstrumente sowohl zur Umgestaltung des politischen Systems als auch im Kampf gegen die Opposition – und vor allem den linken Kräften – war das Nationale Sicherheitsgesetz (kukkaboanbŏp; NSG). Das Gesetz wurde im November 1948 (als Folge angeblich kommunistischer Aufstände in Yosu und Sunch’on einen Monat zuvor) in der Nationalversammlung beschlossen und war der wohl sichtbarste Ausdruck des starren Anti-Kommunismus der Ersten Republik in Südkorea. Kern des Gesetzes war die Illegalisierung von Kommunismus und die Nichtanerkennung von Nordkorea als einer politischen Entität. Das Gesetz wurde insbesondere durch seine vagen Formulierungen für die südkoreanische Bevölkerung so gefährlich, da im Namen des NSG nahezu jeglicher Widerstand gegen die Regierung gebrochen werden konnte. Kommunismus, Protest und Widerstand gegen den Staat und dessen Autorität – all diese Vorgänge wurden so vage definiert, dass das Gesetz von den staatlichen Autoritäten als politisches Werkzeug zur Unterdrückung nahezu jeglichen Widerstandes gegen die Rhee-Regierung ausgenutzt und eingesetzt wurde.1 Alle wesentlichen Organisationen inkl. des Militärs, der Presse, den Erziehungsinstitutionen uvm. wurden Gegenstand von genauen Überprüfungen und Säuberungen. Auch im Ausbruch des Koreakrieges sah Rhee Syngman die Chance, sukzessive seine politischen Gegner und insbesondere der Linken, bzw. alle die Rhee für dazugehörig hielt, auszuschalten. Dabei übte das NSG nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch auf der politischen Ebene einen spezifischen Druck auf die Abgeordneten aus, um sie im Sinne Rhees gefügig zu machen. Es kam zu gezielten Verhaftungen von politischen Gegnern – quasi aus den Parlamenten heraus. Darüber hinaus setzte Rhee auch seine eigene Partei, die Liberale Partei (Chayudang), zur Durchsetzung seiner Interessen innerhalb der Nationalversammlung ein.

Parallel zum NSG und seiner eigenen Partei nutzte Rhee auch gezielt die Regierungsbürokratie, verschiedene rechtsgerichtete Organisationen (wie bspw. die Korea Youth Corps (Taehanch‘ŏngnyŏndan) sowie die nationale Polizei zur Durchsetzung seiner Interessen. Politisch zahlten sich diese Taktiken für Rhee durchaus aus: Wahlsiege waren durch die gezielte Ausschaltung bzw. Kaltstellung der politischen Gegner, durch landesweite Überwachungsaktionen, durch die zahllosen Ein- und Übergriffe bewaffneter Gangs, durch den massiven Einsatz des NSG und nicht zuletzt auch durch die Nicht-Vertrautheit der südkoreanischen Bevölkerung zu dieser Zeit mit demokratischen Prozessen quasi vorprogrammiert. Bei den Parlamentswahlen im Mai 1954 errang Rhees Partei die absolute Mehrheit der Sitze. Rhee versuchte über verschiedene Verfassungsänderungen seine Stellung innerhalb des politischen Systems immer weiter zu stärken. Herauszuheben ist vor allem der Vorschlag 1954, den Staatspräsidenten mehr als zwei Mal wiederwählen zu dürfen. Obwohl die dafür notwendige Mehrheit der Stimmen nicht erreicht wurde, setzte Rhee auch diese Verfassungsänderung mit einem Trick durch, nämlich der Abrundung der Stimmen für die einzelnen Fraktionen.


Grundproblem: Persönliche Ziele & Weltanschauung Rhees dominieren dessen Politik

An dieser Stelle kommt nun auch die Frage von Rhee Syngmans politischem Führungsstil und dessen Machtbasis ins Bild. Denn Rhees politischer Führungs- und Regierungsstil zeichnete sich durch ein Talent für meisterhafte politische Manipulationen aus, von denen er exzessiven Gebrauch machte. Doch diese Charakteristika des politischen Führungs- und Regierungsstils Rhees standen eigentlich in drastischem Gegensatz zu dem politischen System, in dem er sich bewegte bzw. in dem er sich als Preis der fortgesetzten amerikanischen Unterstützung gezwungen war zu bewegen: nämlich einer der Verfassung nach von Wahlen gestützten Demokratie mit verschiedenen konstitutionellen Absicherungen gegen einen exzessiven Machtgebrauch und eine Machtmonopolisierung.


Innenpolitische Basis der Macht Rhee Syngmans

Rhee Synmans Machtposition zu dieser Zeit basierte also insbesondere auf zwei grundlegenden Blöcken, die Rhee sukzessive ausbaute bzw. pervertierte: zum einen der institutionellen Macht und zum anderen aus der persönlichen Macht Rhees, die unmittelbar mit dessen Prestige und Ansehen verknüpft war.

Bereits 1901 sprach Rhee Syngman die folgenden Sätze. Nahezu 50 Jahre später als erster Präsident Südkoreas und insbesondere zwischen 1953 und 1960 gelang es Rhee immer wieder eben diese Schwäche Südkoreas auszunutzen, um die Beziehungen zur USA zum eigenen Vorteil zu beeinflussen.


No matter how exceedingly small and weak a nation is, powerful foreigners have no room for domination if the people are of one mind. On the contrary, we have nothing to fear if we remain anchored to the national core, even if the powerful nation enjoys vast lands, millions of soldiers, and scores of warships (Rhee Syngman, 1901)



Entgegengesetzte Ziele der USA und Südkoreas nach dem Ende des Koreakriegs

Die Beziehungen zwischen Südkorea und den USA zwischen 1953 und 1960 waren durch die Spannungen zwischen der Komplexität der globalen Ziele Amerikas und Koreas Ausnutzung der globalen Implikationen seiner parochialen Ziele geprägt. Das primäre Ziel der USA nach dem Kriegseintritt Chinas bestand darin, einen Waffenstillstand zu erreichen und zum zweiten seinen Protegé im Süden Koreas davon abzuhalten, den Krieg unilateral wieder zu eröffnen. Auf globaler Ebene ging das Ende des Koreakrieges mit dem sich anbahnenden Engagement der USA in Indochina einher. Die USA befand sich also in einer Situation in der man einerseits der kommunistischen Bedrohung durch China und Nordkorea begegnen musste. Hierzu errichteten die USA in Asien einen sog. „anti-kommunistischen Verteidigungspuffer“, zu dem auch Südkorea zählte. Das heißt, dass die Sicherheit Südkoreas für die USA quasi unerlässlich wurde und explizit im amerikanischen Verteidigungs- und Sicherheitsbereich lag. Andererseits verlagerte sich der Primärschauplatz des militärischen Engagements der USA nach dem Koreakrieg weg von Korea und hin nach Indochina. Das heißt also, dass man darum bemüht war, sich in keinen neuen Krieg in Korea zu verzetteln und man hoffte in dieser Frage auf einen verlässlichen und folgsamen Partner der USA in Südkorea. Dies war jedoch wahrlich nicht der Fall, denn Rhee Syngmans Ziele waren zunehmend unvereinbar mit jenen Zielen der USA. Insbesondere in der Frage der Wiedervereinigung lagen die USA und Südkorea weit auseinander. Denn während die USA – und übrigens auch Nordkorea – nach dem Ende der Kampfhandlungen des Koreakrieges sich den neuen Realitäten eines status quo stellten, weigerte sich Rhee Syngman die Einschränkungen durch den Waffenstillstand und der amerikanischen Verteidigungsverpflichtung zu akzeptieren. Vielmehr arbeitete Rhee explizit darauf hin, amerikanische Offizielle von der Notwendigkeit einer Fortsetzung des Krieges und einem Marsch nach Norden und der Wiedervereinigung Koreas unter südkoreanischer Flagge zu überzeugen. Denn Rhee war davon überzeugt, dass eine Wiedervereinigung mit dem Norden aufgrund der dortigen Bodenschätze wie bspw. Kohle essentiell für das politische und wirtschaftliche Überleben Südkoreas sei.


Strategien der USA und Südkoreas gegenüber der jeweils anderen Seite

Für die USA stellte es eine große Herausforderung dar, Rhee Syngman in Schach zu halten und dessen Ziel eines „Marsches nach Norden“ (pukjint‘ongillon) zu verhindern. Hierzu bediente sich Washington einer Reihe von Maßnahmen und setzte eine sog. „dual containment strategy“ gegenüber Südkorea um. Mit dieser Strategie versuchte die USA spezifische Anreize zu schaffen, um Rhee dazu zu bringen, der amerikanischen Politik und Führung zu folgen. Bspw. setzte die USA die für die Rehabilitierung und den Wiederaufbau Koreas notwendige Wirtschaftshilfe als ein strategisches Druckmittel ein oder modernisierte seine Truppen in Südkorea und schloss einen Verteidigungspakt mit Südkorea. Doch Rhee Syngman, den viele als einen Meister der Manipulation bezeichneten, nutzte die vermeidliche Schwäche Südkoreas zu seinem Vorteil aus. Seine sichtbarste und wirkungsvollste diplomatische Waffe hierfür war die Drohung mit einem „Marsch nach Norden“.


Strategie der Manipulation der eigenen Schwäche

Auf den ersten Blick sieht die Vorstellung von einem Marsch nach Norden wie Fantasterei aus, wenn wir uns den Zustand Südkoreas und seiner militärischen Fähigkeiten zu jener Zeit vergegenwärtigen. Auf den zweiten Blick erkennt man jedoch, dass Rhee eine solche Drohung geschickt einsetzte, um gleichermaßen kontinuierliche Wirtschaftshilfe aus den USA und politische Aufmerksamkeit zu erlangen und sein Ziel der Unabhängigkeit und Autonomie Koreas zumindest teilweise aufrecht zu erhalten. Er setzte seinen Ruf als ein vollends unberechenbarer und mitunter irrationaler Akteur geschickt zu seinem Vorteil ein, weil er wusste, dass die USA aufgrund des Verteidigungspaktes mit Südkorea auf die eine oder andere Art in den Krieg mit hineingezogen werden würden. „Rhee carried a small stick but spoke loudly – and violently – to garner American attention”. In diesem Zusammenhang spielt auch die Tatsache eine Rolle, dass die USA seit dem Koreakrieg mit einer Modernisierung der amerikanischen Truppen in Korea begann, was einer solchen Drohung natürlich mehr Gewicht und Glaubwürdigkeit verlieh. Darüber hinaus war sich Rhee bewusst, dass die USA im Falle eines neuerlichen Krieges in Korea ihre gesamte Ostasienstrategie über Bord werfen könnten.

Zunehmender Druck auf die Rhee-Administration

Rhees geschicktes Manövrieren im Hinblick auf die USA konnte nicht das Erstarken der innenpolitischen Opposition gegen die Rhee-Administration verhindern. Der soziale Druck, den die starre Fokussierung auf die Frage der Wiedervereinigung Koreas und der damit einhergehenden Verweigerung zur wirtschaftlichen Entwicklung sowie die genannte Unterdrückung jeglicher Opposition provozierte, ließen eine immer breiter werdende Opposition aufkommen – auch im nationalistischen Lager.

Dazu kam, dass es diesen Gegnern Rhees, wie bspw. Chang Myŏn, Sin Ik-hŭi oder Cho Pyŏng-Ok zunehmend gelang, sich bei den Amerikanern Gehör für Ihre Anliegen wie bspw. die zunehmende Armut, der Korruption aber auch der militanten Außenpolitik Rhees zu verschaffen. Sin Ik-hŭi war bspw. der erste bedeutende Politiker, der offen eine Fokussierung auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes forderte und die Politik des Marsches nach Norden als Fantasterei bezeichnete. Wirtschaftliches Wachstum und wirtschaftliche Entwicklung seien die einzige Chance für eine Wiedervereinigung. Doch die oppositionellen politischen Führungspersönlichkeiten waren nicht die einzigen die immer unzufriedener wurden mit der Politik Rhee Syngmans. Bereits während der Amtszeit von Rhee Syngman kann man das Phänomen der extremen Kurzlebigkeit von Ministern beobachten. Im Durchschnitt blieben die Minister unter Rhee Syngman weniger als elf Monate im Amt. Und auch im Militär regte sich immer mehr Widerstand. Aufgrund der Unterdrückung des Volkes kam es auch hier zu einer fortschreitenden Entfremdung Rhees.


Erstarken der informellen Opposition

Widerstand gegen Rhee war jedoch auf parlamentarischem Wege kaum mehr möglich. Erstens, weil Rhee, wie bereits erwähnt, die Opposition gezielt auszuschalten versuchte und zweitens, weil die Opposition in sich ebenfalls enorm zerstritten war. Dies zeigte sich nicht zuletzt wieder durch den mehr als zweifelhaften Wahlerfolg Rhees bei den Wahlen im März 1960, die im Voraus lediglich noch reine Formsache zu sein schien. Und in der Tat gewann Rhee auch diese Wahl – jedoch unter Zuhilfenahme von massiven Wahlfälschungen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass eine formale Opposition innerhalb des politischen Zyklus kaum mehr möglich war, bildete sich zunehmend eine informelle Opposition gegen Rhee heraus. Nach der gefälschten Wahl vom März 1960 entlud sich die angestaute Wut dieser informellen Opposition, die in erster Linie von den Studentinnen und Studenten getragen wurde und die als Avantgarde der Proteste und Demonstrationen agierten, welche Rhee schließlich zu Fall bringen sollten.

Dieser politische Sturz erfolgte im April 1960 und vollzog sich innerhalb eines Monats. Der politische Funken, der die aufgestauten Emotionen letztlich entzündete, war der Fund eines 17-jährigen Jungen in der Bucht von Masan (Hafenstadt in der Provinz Südkyongsan) am 11. April, der bei einer Demonstration gegen den Wahlausgang vom März von einem Tränengaskanister der Polizei getroffen und tödlich verletzt wurde. Die Polizei schmiss den Jungen daraufhin ins Wasser, wohl um unangenehmen Fragen aus dem Weg zu gehen. Als der Körper des Jungen gefunden wurde, brachte dies die Bevölkerung zuerst in Masan auf die Straße. Die Demonstrationen weiteten sich jedoch rasend schnell auf den Rest des Landes aus. Am 19. April demonstrierten ca. 30.000 Studentinnen und Studenten verschiedener Universitäten in Seoul und marschierten in Richtung des Präsidentensitzes. Die Polizei eröffnete gegen die unbewaffneten Demonstranten das Feuer, woraufhin in Seoul und anderen Großstädten des Landes zu zahlreichen Aufständen kam.


Das Ende der Herrschaft Rhee Syngmans

Am Ende dieses Schicksalstages des 19. Aprils wurden alleine in Seoul ca. 130 Studenten getötet und über 1.000 verletzt. Dieser Zwischenfall läutete das Ende der Herrschaft von Rhee Syngman ein, das nun v.a. von drei Faktoren beschleunigt wurde:

Zum ersten war dies eine Veränderung der amerikanischen Haltung gegenüber Rhee nach dem 19. April von einer widerwilligen Unterstützung hin zur öffentlichen Verurteilung der Unterdrückungsmaßnahmen des Regimes sowie zu öffentlichen Forderung nach demokratischen Reformen. Zum zweiten eine Demonstration gegen Rhee bzw. für dessen Rücktritt am 25. April von über 300 Universitätsprofessoren. Zum dritten war dies die Weigerung der Kriegsrechtkommandeure, auf Demonstranten zu schießen. Am 26. April 1960 sah sich Rhee dazu genötigt zurückzutreten; Südkoreas Erste Republik unter Rhee Syngman fand ein Ende.

Von all den z.T. abenteuerlichen Versuchen, sich den politischen Charakteristika Rhee Syngmans zu nähern, fasst jene der CIA die wesentlichen Charakterzüge Rhees besonders prägnant zusammen:


„Rhee has devoted his whole life to the cause of an independent Korea with the ultimate objective of personally controlling that country. In pursuing this end he has shown few scruples about the elements which he has been willing to utilize for his personal advancement, with the important exception that he had always refused to deal with Communists (…) Rhee‘s vanity has made him highly susceptible to the contrived flattery of self-seeking interests in the U.S. and Korea. His intellect is a shallow one, and his behavior is often irrational and even childish. Yet Rhee, in the final analysis, has proved himself to be a remarkably astute politician [with the] remarkably accurate estimate of popular attitudes and prevailing political conditions.“


Diese Beschreibung fast die wesentlichen politischen Charakterzüge Rhees prägnant zusammen, die sich gleichermaßen zu einem grundlegenden Problem für die weitere politische Entwicklung Südkoreas entwickeln sollten:

  • Oberstes Ziel: Verteidigung der Souveränität und Maximierung der Autonomie Südkoreas und Wiedervereinigung Koreas unter südkoreanischer Flagge
  • Streng antikommunistische Haltung
  • Marginalisierung Japans in (Nord-)Ostasien
  • Strategische Nutzung der USA

1 Auch wenn das Gesetz klar gegen den Geist der 1948er Verfassung stand, so bezog sich Rhee in der Legitimation des Gesetzes auf einen Verfassungsartikel, in dem es hieß, dass jegliche Restriktionen der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit verboten seien, außer dies wird per Gesetz ausdrücklich spezifiziert.

AKS
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