Pinsel und Schwert, Name und Stammbuch – Eine geschichtliche Annäherung an Herrschaftsausübung, gesellschaftliche Stellung und Familie in Korea
Trotz manch vager Vorstellung von einer „konfuzianischen Gesellschaft“ mit im Vergleich zu westlichen Gesellschaften irgendwie „strengeren Hierarchien” würde wohl niemand auf die Idee kommen, das heutige Südkorea als eine Klassen-, geschweige denn Kastengesellschaft zu bezeichnen.
Zwar sorgt die enorme wirtschaftliche Macht der als chaebŏl bekannten Großkonglomerate und die mit dieser einhergehende Möglichkeit beträchtlicher – oft unlauterer oder gar krimineller – politischer Einflussnahme für Diskussionen um soziale Ungerechtigkeit, wirtschaftlich-politischen Filz und, oft genug, handfeste Korruptionsskandale. Doch ist es dabei eine primär wirtschaftliche Elite, bestenfalls im Sinne eines Geldadels, die sich heftiger Kritik aussetzt oder gar rechtlich strafbar macht.
Selbst die international so beliebten koreanischen Fernsehdramen zeichnen ihre chaebŏl-Familien, deren interne Machtkämpfe um die Firmennachfolge, gespickt mit Problemen rund um Elternschaft und nicht standesgemäße Liebe, so sehr an Intrigen „bei Hofe“ erinnern, letztlich doch als Einheiten, die vor allem von der Macht des Geldes getragen und angetrieben werden – nicht also als Gruppierungen, denen eine herausragende gesellschaftliche Stellung bereits aufgrund einer formal anerkannten, von Blutsdenken bestimmten Klassenzugehörigkeit zukäme.
Auch was die Familienzugehörigkeit angeht, steht für das Alltagsleben zumindest in den Apartments der koreanischen Großstädte nun ohne Zweifel die moderne Kleinfamilie im Vordergrund. Vom gemeinsamen Aufwachsen mit Cousins und Cousinen, vom Aufgezogenwerden in der Großfamilie kann in einer Gesellschaft, in welcher angesichts der Anforderungen des Arbeits- und Schulalltags gemeinsam eingenommene Mahlzeiten selbst in der Kleinfamilie keine Selbstverständlichkeit mehr sind, sicher nicht die Rede sein.
Und doch zeigen sich in Korea bei genauerem Hinsehen Spuren eines Denkens nicht nur in der Großfamilie, sondern gar in der noch weiter verzweigten Sippe.
So werden die auf den ersten Blick so überschaubar wenigen koreanischen Familiennamen auch heute noch dadurch näher bestimmt und auseinandergehalten, dass zusätzlich zum Familiennamen der pon'gwan, also der Herkunftsort eines oft mehrere Jahrhunderte zuvor gelebt habenden Vorfahren (sijo), genannt wird. Personen, die neben dem gleichen Familiennamen auch pon'gwan und sijo teilen, werden dabei als Angehörige ein und derselben Sippe (kamun) verstanden. Noch bis in das Jahr 1997 hatte dieses Denken in Sippen die höchst konkrete Folge, dass es Personen, die den gleichen Nachnamen trugen, verboten war, zu heiraten, wenn sich dieser Nachname gleichzeitig auf ein und denselben pon'gwan und sijo zurückführen ließ.
Auch ist auffällig, dass viele Koreaner bis auf den heutigen Tag Wert auf die Behauptung legen, bei ihrer Familie in diesem erweiterten Sinne des Wortes, also im Sinne einer Sippe oder eines Familienclans, handele es sich um eine sogenannte yangban-Familie, also, wie weiter unten näher erläutert werden wird, um eine Familie von traditionell herausgehobener gesellschaftlicher Stellung.
Wie sind solche Spuren eines Denkens in Klassen- und Sippenzugehörigkeit, einer Sensibilität für gesellschaftlichen Status und regionale Herkunft der Familie zu erklären?
Im Folgenden soll eine geschichtliche Annäherung an Herrschaftsausübung, gesellschaftliche Stellung und Familie in Korea versucht werden, mit einem Schwerpunkt auf den oben angeführten Begriffen „yangban“, „pon'gwan“, „kamun“ und dergleichen mehr.
Die Darstellung ist, als geschichtlich orientierte Darstellung, grob entlang der Epochen des Vereinigten Silla, der Koryŏ- und schließlich der Chosŏn-Dynastie gegliedert (III.-IV.).
Unter II. sollen jedoch zunächst einige Vorüberlegungen zu zentralen Begriffen und Grundmustern wie –mechanismen angestellt werden, die in allen dreien der oben genannten Epochen von Bedeutung sind und für das Verständnis der Geschehnisse in den einzelnen Epochen also sinnvollerweise kurz „vorgezogen “ behandelt werden können.