Interdisziplinäres Kooperationsprojekt „Iconic Presence. The Evidence of Images in Religion“, gefördert von Prof. Dr. Hans Belting im Rahmen des ihm 2015 verliehenen Balzan-Preises
Kolleg-Forschergruppe „BildEvidenz. Geschichte und Ästhetik“
Henry Kaap M.A. (Wiss. Mitarbeiter)
Philipp Hubert (Stud. Hilfskraft)
Dr. Johanna Abel (Wiss. Mitarbeiterin – ZfL Berlin)
Mgr. Zuzana Frantová (Wiss. Mitarbeiterin – Masaryk Universität, Brno)
Dr. Friederike Wille (Assoziierte Wissenschaftlerin)
Iconic Presence. The Evidence of Images in Religion
I. Kunst und Religion in der Renaissance. Der Fall Venedig
Das Schlusskapitel von Bild und Kult (1990) löste eine anhaltende Kontroverse über die Präsenz von Religion in den Bildern der KUNST aus, so wie sie seit der Renaissance verstanden wird. Die Bildgeschichte der Religion ist fortan so in die Kunstproduktion eingeschrieben, dass sie seit Vasari als Kunstgeschichte firmiert, welche das Leben und die Schöpfung von Malern oder Bildhauern erzählt. Die Frage lautet also, wie die Bilder der Religion in der neuzeitlichen Kunst gedeutet und verwandelt wurden. Fakt ist, dass sich der Kunstcharakter der Bilder im Kernbereich des religiösen Bildes herausgebildet hat, bevor er an anderen Themen weiterentwickelt wurde. Das Projekt lädt also zu dem Versuch ein, die Bildgeschichte der Religion und die Kunstgeschichte der Neuzeit aufeinander zu beziehen, ohne den einen Diskurs auf Kosten des anderen zu privilegieren. Damit wird auch die Aufgabe sichtbar, verschiedene Disziplinen miteinander ins Gespräch zu bringen, um das Beispiel Europa in eine allgemeine Bildgeschichte zu integrieren.
Als Kunstwerke beeindrucken religiöse Bilder durch ihre Darstellungsleistung, die gerade dadurch einem persönlichen Blick ausgeliefert ist. Der religiöse Realismus füllt sich dabei mit der neuen Realität der Darstellung. ‚Kopien‘ von heiligen Bildern, die jetzt Namen von großen Künstlern tragen, können eine größere Wirkung ausüben als ihre ‚Originale‘, deren Bildmacht sie aber weiterhin in Anspruch nehmen. Innerhalb der neuen Kunstproduktion nimmt das kirchliche Altarbild durch Format und Ort, aber auch durch seine Bildsprache eine Sonderstellung ein.
Der Weg in die Kunst bahnte sich an im Andachtsbild, das sich allmählich von der kirchlichen Kontrolle löste und für einen privaten Blick organisierte. Damit begründete es eine eigene Ästhetik, die den Akzent von der (religiösen) Verehrung zum (ästhetischen) Genuss verschob. Im ‚Stundenbuch‘, einem bebilderten Gebetbuch für private Besitzer, ließen sich dessen Besitzer häufig selbst ins Bild bringen und in ihrer häuslichen Umgebung darstellen, als wollten sie sich im Spiegel betrachten. Der private Bildbesitz begann, historisch gesehen, im religiösen Bereich, bevor sich seine Geschichte unter anderen Vorzeichen im Kunstbesitz fortsetzte.
Die Immanenz bemächtigt sich der Bildmittel. Kein Wunder also, dass es wieder die Bilder der Religion sind, die in der Reformation zum Streitobjekt werden. Die Reformation ist nicht Ursache, sondern Echo dieser kopernikanischen Wende. Der Calvinismus zeigt kein Interesse für die Bilder der Kunstsammlung, aber verbannt die Bilder aus den Kirchen. Die Gutenberg Ära entmachtet die Bilder der Religion auf ihre Weise.
Die einzelnen Etappen dieser europäischen Bildgeschichte sind gut aufgearbeitet, doch kann allein eine übergreifende Fragestellung das Verhältnis von Kunst und Religion systemisch zur Diskussion bringen. Der Wende zur Kunst in der Renaissance geschieht in einer Schwellenzeit, deren Nachwirkung bekanntlich um 1800 in einer neuen Schwellenzeit endet, als die Kunst selbst zu einer bürgerlichen Religion wird und gleichsam die Rolle der ästhetisch gewordenen Überwältigung von der Religion übernimmt (Stichwort: Kunstreligion der Romantik).
Venedig ist um 1500 für die Frage nach der Entstehung der Kunst ein Paradefall. Hier zeigt sich, dass diese Frage nicht monokausal zu beantworten ist. Sie wurde nicht allein im Künstleratelier entschieden, sondern berührt einen komplexen Zusammenhang, der die ganze Gesellschaft involviert. Die Mentalität der neuen Sammler spiegelt sich in der zeitgenössischen Literatur Venedigs. Sie führt der poetischen Fiktion eine neue Leserschaft zu.
II. Ikonische und Realpräsenz. Mediation in den Religionen
Ikonische Präsenz ist Präsenz im Bild und als Bild. Bereits die faktische Präsenz eines Bildes (seine Medialität) verweist auf die symbolische Präsenz, die an ihm gesucht wird. Im Kult erwirbt die Bildperson jene spezifische Form von Anwesenheit (Realpräsenz), die Körper besitzen. Mit ihr besetzt das Bild die Erfahrung von zeitlicher oder konstitutiver Abwesenheit. Diese wird in der ikonischen Präsenz sogar markiert, indem das Bild Abwesenheit, ohne sie zu leugnen, in eine andere Art von Anwesenheit verwandelt. Ikonische Präsenz ist ein anderes Thema als "ikonische Differenz", wie sie Gottfried Boehm definiert. Sie ist keine ästhetische, sondern eine Frage der Bildsemantik. Vor allem ist sie eine Frage der menschlichen Bildpraxis, wie sie im Versuch einer Bild-Anthropologie (2001) von mir vorgestellt wurde.
In den Naturreligionen verwandeln sich lebende Körper durch ‚Tanz‘ und Stimme in ‚Bilder‘ von körperlosen Geistern, die im wörtlichen Sinne von solchen Körpern Besitz ergreifen (Stichwort Besessenheit). Im Christentum wurden Bildartefakte als lebende Körper aufgefasst, wenn sie weinten, Wunder wirkten oder durch die Straßen getragen wurden, als ob sie selbst wandelten. Die Bildprozession war eine Inszenierung, um die Erfahrung von Präsenz zu vermitteln. Eine Bildprozession dieser Art hat sich in der Semana Santa von Sevilla bis heute erhalten. Sie ist schon im 8. Jahrhundert mit dem Wunderbild des Salvator in Rom bezeugt
Die Religionswissenschaften (RW) haben inzwischen die Bedeutung der materiellen Religionspraxis für sich entdeckt. Das verraten Begriffe wie Iconic Religion (Univ. Bochum), Visible Religion (Univ. Groningen), Material Religion (Univ. Utrecht). Birgit Meyer spricht in ihrer Antrittsvorlesung in Utrecht von einer „genesis of presence“ in der Religion (Mediation and the Genesis of Presence, 2012). Im englischen Titel meines Buchs Bild und Kult (1990) verweisen die Begriffe Likeness and Presence (1997) auf mimetische Autorität und ikonische Präsenz des Heiligen in der christlichen Religion. Bildliche Präsenz lädt zu einem interdisziplinären Diskurs ein, der über den europäischen Radius hinausreicht und andere Religionen einbezieht.
Die ikonische Produktion ist in den einzelnen Religionen signifikant verschieden, was jede Komparatistik ans Licht bringt, und unterliegt dennoch ähnlichen Mustern, welche erst im Vergleich an den Tag treten. Verschieden ist in den Kulturen der Welt auch die Bedeutung dessen, was wir Religion nennen. Die Bilder haben in den Religionen einen ontologischen Status, der sie von anderen Bildern unterscheidet. Ihre Evidenz ist eine Sache des Glaubens. Deshalb haben sie immer wieder Kritik auf sich gezogen und Aufklärer auf den Plan gerufen, welche die Macht brechen wollten, die sie auf die Imagination ausübten. Bildersturm (Ikonoklasmus) und Bilderkult sind zwei Seiten derselben Münze (B. Latour). Deshalb wurden die Bilder der Religion, ähnlich wie später die Denkmäler der gestürzten Despoten, so leicht Opfer von Bildersturm, der gegen falsche oder missbrauchte Bilder (also Idole) zu Feld zog. Das Bilderverbot galt in Judentum und Islam allein für die Religion. Es richtete sich im Judentum gegen die eigene und im Islam gegen die Bildpraxis der christlichen Kirchen im Nahen Osten (vgl. C. Uehlinger; G. Fowden oder K. Jaroš).
Der Begriff der ‚Realpräsenz‘, ein heftiger Streitpunkt in der Reformation, wurde in der theologischen Literatur an die Eucharistie gebunden und fungierte deshalb als Gegenbegriff der Bilder. Allgemein gesprochen, erfüllen Bilder in den Religionen das Verlangen nach Realpräsenz dessen, der im Bild herbeigerufen wird. Realpräsenz wird dabei im ‚Hier‘ und ‚Jetzt‘ des Bildes sinnlich erfahren. Die Rituale richteten sich auf Bilder, die als Adressaten einer Kulthandlung auftraten. Diese Kulthandlung wird in den Religionswissenschaften als ‚Mediation‘ beschrieben (B. Meyer). Matthew Engelke spricht im Hinblick auf Kulte in Afrika von einem Problem of Presence (2007). Bei Robert Orsi ist die Frage der Realpräsenz in der katholischen Tradition mit ikonischer Präsenz eng verbunden (History and Presence, 2016; Between Heaven and Earth, 2005). Analisa Butticci stellt ihre Untersuchung der Pfingstkirchen unter den Begriff „The Politics of Presence“ (African Pentecostals in Catholic Europe, 2016).
III. Walking to Places and Living Images
The Christian world worshipped what are in a way possessed images which performed miracles and played their role in the liturgy. From Rome to Fatima and to Constantinople such images "walked" across the public, urban space. Attention will be given to the phenomenon of the activation of static images which performed as a result of mediation and invited the movement of the viewers to meet them, especially in the context of pilgrimage. The presence of a holy place appears first as an idea and as a goal to be reached. Gradually, across a theatrical landscape, the pilgrim started to recognize images that were present (and virtually lived) at a sacred place The moving pilgrim thus gave life to static objects, which took part of the dynamism of the movement as such. In this sense, an immobile image became - in the pilgrim's experience– a local icon that attracted ritual performance on the spot and turned into a living image existing in space (the site) and time (the pilgrim's visit), as formulated by Alexej Lidov (Lidov 2009, cf. also V. and E.Turner, Image and Pilgrimage in Christian Culture).