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Wiborada Mörli

Wiborada Mörli

1.1. Name, Tätigkeiten und Positionen

Wiborada Mörli [Wibrat; gen. Fluri]

franziskanische Tertiarin; Leiterin [Mutter] eines Tertiarinnenhauses; röm.-kath.

1.2. Geburts- und Todesjahr und -ort

* bis 1510 St. Gallen (?)

† 1550 nach Assumptio (15. 08.) in ebd.?

1.3. Herkunft, Lebensbeschreibung, Konfession

Tochter frommer St. Galler Bürger; Mutter Ursula Spengler (gest. 1510), Vater Bader und Schmiedezünfter Hensli Mörli gen. Fluri; lernte wohl im Dominikanerinnenkloster St. Katharinen Lesen und Schreiben; trat in das franziskanische Tertiarinnenhaus St. Leonhart bei St. Gallen; dieses war urspr. ein Beginenhaus, der früheste Beleg f. die Zugehörigkeit zum Dritten Orden des Hl. Franziskus ist v. 1456; die Schwestern verdienten zumindest Teile ihres Lebensunterhaltes mit Handarbeit, insbesondere Weben; neben dem Weben betrieben die Schwestern wohl auch das Spinnen, evt. auch Krankenpflege und Totendienst; die Untere Klause bei St. Leonhart wurde 1425/26 gegr. und bestand bis 1576; in den 1460er Jahren heftige Konflikte der Schwestern, schließlich einigten sie sich auf bestimmte Hausregeln und Konstitutionen, vermutlich im Zusammenhang mit ihrem Wechsel v. den Franziskaner-Konventualen zur Reformbewegung der Observanten; nach dem Wechsel stand das untere Schwesternhaus v. St. Leonhart in der Ordenslandschaft etwas isoliert da; das Haus besaß eine stattliche Bibliothek, und die Schwestern kopierten auch selbst Bücher; zur Zeit der Reformation ein Dutzend Konventsfrauen; bis zur Reformation war das Amt der Mutter offenbar zeitl. beschränkt, WM war spätestens seit 1524 Mutter und blieb es bis zu ihrem Tod leitete das franziskanische Tertiarinnenhaus St. Leonhart bei St. Gallen und hatte in dieser Funktion heftige Konflikte gg. reformationsgesinnte Bevölkerung, Geistlichkeit und Obrigkeit St. Gallens auszutragen; bei ihrem Tod 1550 wird sie „die geistlich frau Muotter zuo S. Lienhart“ genannt − demnach lebte sie noch mit einigen Schwestern zusammen dort; die Reformation führte dazu, dass den Schwestern die Ausübung ihres kath. Glaubens verboten wurde einschließlich aller ihrer bisherigen Bräuche, dass sie keine neuen Schwestern aufnehmen durften sowie Urkunden und Siegel abgeben mussten; sie widersetzten sich, solange und soweit sie konnten, blieben zusammen und im Kloster und praktizierten verdeckt, was möglich war; die letzte Schwester starb 1574

1.4. Literatur zur Person

Ernst Götzinger, Die Feldnonnen bei St. Leonhard. Zur Reformationsgesch. der Stadt St. Gallen. In: Neujahrsblatt St. Gallen 1868; Joseph Müller, Wibrat Mörli, genannt Fluri. In: Zs f schweizerische Kirchengesch 16 (1922) 234f.; Ildefons v. Arx, Geschichten des Kantons St. Gallen. Bd. 2. St. Gallen 1811 (= ND mit einer Einf. v. Werner Vogler: St. Gallen 1987), 198; M[aria] W. Lehner, Die Schwestern zu St. Lienhart vor der Stadt St. Gallen (1318-1566). In: Zs f schweizerische Kirchengesch 55 (1961) 191-221. 275-287: 284-287; dies., St. Lienhart, Obere Klause. In: Johannes Gatz (Hg.), Alemania Franciscana Antiqua. Ehem. franziskanische Männer- und Frauenklöster im Bereich der Straßburger Franziskanerprovinz mit Ausnahme v. Bayern, 19 Bde. Landshut/Ulm 1956-1974/76, 14 (1970) 139-143; dies., St. Lienhart, Untere Klause. In: ebd. 14 (1970) 144-179; Alice Zimmerli-Witschi, Frauen in der Reformationszeit. Zürich 1981, 22-29. − Zur Lebensweise: Hs. „Spiegel der geistlichen Zucht“, aus Steiertobel 24. 2. 1524: Stiftsbibliothek St. Gallen Bd. 930 (vgl. Lehner [s.o.] 197 + Anm. 1); Hs. „Waldregel“: Stadtarchiv St. Gallen, Seckelamtsbuch Nr. 308, S. 31 (1438) (Lehner 197f. Anm. 1) − vor 1456, evt. vor 1433, Annahme der 3. franzisk. Regel, vgl. dazu den Druck v. St. Gallen 1608: Stiftsbibliothek St. Gallen 13055; 1566 endgültige Übernahme des Hauses durch die Stadt (Vertrag mit dem Abt v. St. Gallen), Nonnen evt. ins Benediktinerinnenkloster St. Georgen geflohen; Brigitte Degler-Spengler (Hg.), Die Franziskaner, die Klarissen und die regulierten Franziskaner-Terziarinnen in der Schweiz (= Helvetia Sacra. Abt. 5: Der Franziskanerorden. Bd. 1). Bern 1978; Cécile Sommer-Ramer (Hg.), Die Beginen und Begarden in der Schweiz. (= Helvetia Sacra. Abt. 9. Bd. 2). Basel/Frankfurt, M. 1995, 606-619, vgl. auch 630-635 (Verzeichnis der Häuser; zuständig waren die männlichen Franziskaner-Konventualen, die sich aber in den reformatorischen Konflikten überhaupt nicht um die Frauen kümmerten [Degler-Spengler in Helvetica Sacra IV 1, 611f.]; [Lit.]); Johannes Kessler, Sabbata. Chronik der Jahre 1523-1539. 2 Bde. (= Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte 5/6 u. 7/10). Hg. v. Ernst Goetzinger. St. Gallen 1866 u. 1868

2.1. Quelle: benutzte Edition

P. Gabriel Meier, Bericht über das Frauenkloster St. Leonhard in St. Gallen von der Frau Mutter Wiborada Fluri. 1524-1538. In: Anzeiger f Schweizerische Gesch Jg. 13, Bd. 46 (1915) 14-44, Text: 20-44. − Bespr. v. J. B. Kaiser in: Franziskanische Studien 6 (1919) 74-75 (Schottenloher [1932ff.] 6429)

2.2. Beschreibung der Edition, Bemerkungen

Orthographie etwas verändert (Kriterien angegeben), das in der Hs. jeden Absatz einleitende „It.“ (= Item) ist im Druck weggelassen; Absatzziffern und Überschriften v. Hg. eingefügt; Jahreszahlen in der Hs. mit röm., im Druck mit arabischen Ziffern; in der Hs. zahlreiche Abkürzungen − v. Hg. anscheinend aufgelöst; Seitenwechsel angezeigt

2.3. Literatur zur Quelle bzw. Edition

Jancke (2002) 198f. (Rezeptionskreise)

2.4. weitere Editionen; Auszüge, Übersetzungen

Auszug: Wiborada Fluri: Auszug aus ihrem Rechenschaftsbericht, etwa 1538. In: Quellen zur Gesch. der Täufer in der Schweiz. 2. Bd.: Ostschweiz. Unter Benutzung der v. Leonhard v. Muralt + begonnenen Materialslg. hg. v. Heinold Fast. Zürich 1973, 707-710 (= Meier ed. [s.o. 2.1.] 24-28, zu Täufern)

3.1. Abfassungszeit

wohl 1524-1538

3.2. AdressatInnen

unklar; Kloster selbst?

3.3. Funktion der Quelle

Selbstverteidigung, Anklage v. Rat und Einwohnern (nicht explizit)

3.4. Medium (hsl.; gedr.); Überlieferung; Ort der Hs.

hsl. (eigenhd.); Abschrift 1819 durch Georg Leonhard Hartmann; Ort: Vadiana St. Gallen, Nr. 195 (Orig.), Nr. 196 (Abschrift)

4.1. Berichtszeitraum

21. 06. 1524-21. 05. 1538

4.2. Sprache

dt.

4.3. Form der Quelle

meist Wir-Form, gelegentlich Ich-Form; Prosa; 28 Bll. 4 (22,5 x 17 cm), in Pergamenturkunde als Umschlag geheftet; Ego-Dok.?

4.4. Inhalt

Konflikte des Klosters mit Rat und Einwohnern der Stadt um das Existenzrecht der Gemeinschaft − den Frauen sollen Besitz und Lebensweise genommen werden: materielle Lebensgrundlage sowie die rel., soziale und ökonomische Identität werden ihnen nach und nach entzogen; Angriffsziele des Rates: Verwaltung des Besitzes (Einsetzung v. Vögten, Einziehung der Besitzurkunden), kath. Glaubenspraxis (Messe, Beichte, Bilder in der Kirche, Recht auf Almosen, Habit, Beratung v. Einwohnern in Glaubensfragen wie letzte Ölung und Beichte)

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