Koryŏ-Dynastie (Teil 1)
(918-1170): Aufbau eines Zentralstaates
Im Jahr 935 gliederte sich Silla, das einst die alten Königreiche auf der koreanischen Halbinsel vereint hatte, friedlich in den Königstaat Koryŏ ein. Dieser eroberte ein Jahr später das Spätere Paekche, das wegen innerer Kämpfe um die Thronfolge bereits kurz vor dem Zerfall stand. Damit vollzog das Reich Koryŏ, das sich 901, zunächst als Späteres Koguryŏ, vom vereinigten Silla abgetrennt hatte, die zweite Vereinigung der koreanischen Königreiche. Zudem kamen Flüchtlinge aus dem Gebiet des untergegangenen Parhae in der östlichen Mandschurei ins neue Reich, weil deren Heimat durch den Aufstieg der Kithan unruhig geworden war. Somit hatte die Vereinigung durch den Königstaat Koryŏ und die Gründung der Dynastie am Anfang des 10. Jahrhunderts eine besondere Bedeutung in der Geschichte Koreas: Koryŏ war der Einheitsstaat in der koreanischen Geschichte, der die früheren koreanischen Königreiche politisch wie auch kulturell integrierte und der sich seitdem kontinuierlich als eine koreanische Nation entwickelte. Geographisch gesehen blieb das nördliche Gebiet des ehemaligen Koguryŏ, die mandschurische Region, außerhalb der Reichsgrenzen und Korea hat, abgesehen von einer kleinen Erweiterung nach Norden in der Chosŏn-Dynastie, seine Form seit der Koryŏ-Zeit behalten.
Wie im königlichen Dekret des Gründers der Dynastie Wang Kŏn (Hunnyo 10 Cho) beschrieben, bemühten sich die ersten Könige der neuen Dynastie um eine Stabilisierung des Landes, das im vergangenen halben Jahrhundert durch Aufstände, Spaltungen und Kriege in Unruhe geraten war. In der ersten Zeit der Dynastie wurden daher harte politische und soziale Reformen durchgeführt. Sie erschienen notwendig, da die lokalen Machthaber, die in der letzten Phase des untergegangenen Silla mächtig geworden waren, als Gefahr für die Festigung der zentralistischen Dynastie erkannt wurden. Um dem entgegen zu wirken, ergriffen die ersten Könige politische Maßnahmen, wie u. a. die Überprüfung der Leibeigenschaft (956), die Einführung eines staatlichen Prüfungssystems (958) und die Neuverteilung des Ackerlandes (976). Ferner spielte der Konfuzianismus als ideologische Grundlage der Politik eine wichtige Rolle, die sich z. B. in der Ausarbeitung politischer Maßnahmen in 28 Artikeln (982) widerspiegelt.
Die gesellschaftliche Struktur der Dynastie bestand aus vier Klassen: die Aristokraten des hohen Beamtentums, die Mittelschicht der niedrigen Beamten und Provinzbeamten, das gemeine Volk der Bauern und Händler und schließlich die Niedrigsten: Hausknechte, Dienstpersonal im öffentlichen Bereich und Wanderkünstler. In der Gesellschaft wurde der Buddhismus als geistiger Halt besonders gefördert, indem buddhistische Tempel und Klöster errichtet und buddhistische Feste regelmäßig abgehalten wurden. Es herrschte dennoch eine Art der Glaubensfreiheit, sodass auch Schamanismus und Geomantik, die im alltäglichen Leben verbreitet waren, weiterhin praktiziert werden konnten.
Insgesamt dienten die anfänglichen Reformen der Dynastie in erster Linie dazu, die königliche Macht zu sichern und ein stabiles politisches System zu errichten. Die kulturellen Maßnahmen sollten dazu beitragen, dass die Menschen unterschiedlicher Herkunft für die neue, gemeinsame Dynastie gewonnen und in einer funktionierenden sozialen Atmosphäre kultureller Vielfalt zusammenfinden sollten. Letzteres erwies sich im Laufe der Zeit jedoch als kontraproduktiv und führte dazu, dass in der folgenden Chosŏn-Dynastie eine dogmatische konfuzianische Gesellschaft errichtet wurde.
In China war die erste Hälfte des 10. Jahrhunderts von Unruhe geprägt. Nach dem Untergang der Tang-Dynastie im Jahr 907 waren fünf verschiedene Dynastien entstanden und in der Region der Mandschurei stieg das Volk der Kithan auf. Es gründete 916 die Liao-Dynastie und wurde allmählich zu einer Bedrohung nicht nur für China sondern auch für die Koryŏ-Dynastie. Seit die Song-Dynastie 960 die chinesischen Reiche geeint hatte, versuchten beide, sich in einem Bündnis gegen die nördlichen Kithan zu positionieren. Deshalb lehnte Koryŏ die Annäherungsversuche durch die Liao-Dynastie ab, um die Beziehungen zur Song-Dynastie nicht zu gefährden. Dies führte zwischen 993 und 1018 zu drei Angriffen der Kithan auf Koryŏ, in deren Folge die beiden Dynastien offizielle Beziehungen eingingen.
Der Frieden mit den nördlichen Völkern war nicht von langer Dauer, da 1115 die Volksgruppe der Jurchen in der nordöstlichen Mandschurei das Chin-Reich gründete. Dieses eroberte 1125 die Liao-Dynastie der Kithan und stellte eine neue Gefahr für Koryŏ dar. Nun forderte die Chin-Dynastie der Jurchen, die von Korea früher als „Beschützter“ ihrer nördlichen Grenzen angesehen worden waren und die mittlerweile Gebiete der chinesischen Song-Dynastie erobert hatten, von Koryŏ die Anerkennung eines Vasallen-Verhältnisses, das Koryŏ schließlich akzeptieren musste.
Neben dem außenpolitischen Niedergang brachen seit dem beginnenden 12. Jahrhundert auch im Innern am Königshof Unruhen aus, die zur Instabilität der Dynastie führten. So versuchte im Jahr 1126 Yi Cha-gyŏm, ein Hofbeamter, dessen Töchter Gemahlinnen des Königs geworden waren, die Macht an sich zu reißen, was jedoch durch junge Beamten aus Sŏgyŏng, dem heutigen Pyŏngyang, vereitelt wurde. Danach versuchte jene Beamtengruppe unter ihrem Führer Myo Ch’ŏng, die Hauptstadt nach Sŏgyŏng zu verlegen, denn der bisherige Ort schien ihnen angesichts der Niederlage gegen die Chin-Dynastie und angesichts innerer Rebellionen nicht mehr haltbar zu sein. Der neue Standort im Norden hingegen sollte eine andere Politik gegenüber der Chin-Dynastie der Jurchen ermöglichen. Da der Forderung nach der Verlegung der Hauptstadt nicht nachgegeben wurde, gründete die Gruppe 1135 ein eigenes Reich in dieser Region, das jedoch bereits im folgenden Jahr durch einen Militärschlag der Regierungsmacht vernichtet wurde. Damit wurde die Nordpolitik der Koryŏ-Dynastie, die eine Rückeroberung des mandschurischen Gebiets des früheren Königreichs Koguryŏ zum Ziel gehabt hatte, endgültig aufgegeben.
Hee Seok Park