Dr. Meike Dreckmann-Nielen
Erinnern und Vergessen – Geschichtsbilder in der ehemaligen Colonia Dignidad
Erinnern und Vergessen – Geschichtsbilder in der ehemaligen Colonia (Arbeitstitel)
Im Süden Chiles, etwa 400 km südlich der Hauptstadt Santiago, betreibt eine Gruppe von etwa 100 Auslandsdeutschen einen Tourismuskomplex unter dem Namen „Villa Baviera“ (deutsch: bayrisches Dorf). Das zugrundeliegende bayerisch-folkloristisch gestaltete Hotel- und Freizeitkonzept bleibt seit Jahren Gegenstand kritischer Diskussionen. Denn der heutige Urlaubsort ist vor allem auch ein historischer Ort des Verbrechens: Im Jahr 1961 wanderte der Prediger Paul Schäfer aus Nordrheinwestfalen mit etwa 150 Anhänger*innen seiner selbst gegründeten Glaubensgemeinschaft nach Chile aus. Dort installierte er ein totalitäres Regime, welches von sexueller Gewalt an Kindern, Folter, Sklavenarbeit und absoluter Überwachung jedes*r Einzelnen geprägt war und bis zu seiner Festnahme im Jahr 2005 aufrechterhalten werden konnte. Unterstützung erhielt Schäfers Gemeinschaft vor allem ab 1973 auch von prominenter Stelle. Der chilenische Militärdiktator Augusto Pinochet hatte sich am 11. September an die Macht geputscht und ließ fortan Oppositionelle durch seinen Gemeindienst DINA auf dem Gelände der Colonia Dignidad foltern. Auch Deutschland trägt eine Mitverantwortung an den Verbrechen der Colonia: Das Auswärtige Amt hatte jahrzehntelang weggeschaut, obwohl sich auch einzelne Opfer Schäfers konkret und hilfesuchend an Botschaftsmitarbeiter*innen in Santiago de Chile gewandt hatten.
In der im Jahr 1988 auf den Namen „Villa Baviera“ umbenannten Siedlung erinnert heute noch wenig an die düstere Vergangenheit des Ortes. Aufarbeitungsmaßnahmen wie die Finanzierung eines Hilfsfonds für verschiedene Opfergruppen, die Errichtung eines Dokumentationszentrums mit Gedenkstätte und die juristische Aufarbeitung ungeklärter Verbrechen werden gegenwärtig von der Bundesregierung und dem Auswärtigen Amt diskutiert und sollen in diesem Jahr (2018) konkretisiert werden.
In ihrem Dissertationsprojekt erforscht Meike Dreckmann Geschichtsbilder in der heutigen Villa Baviera. Diese untersucht sie zum einen auf ihre historische Bedingtheit und zum anderen auf ihre Bedeutung für das strukturierte Erinnern und die Geschichtsvermittlung vor Ort in Chile.
Meike Dreckmann-Nielen, Jahrgang 1989, studierte Angewandte Kulturwissenschaften, Wirtschaftspsychologie und Public History in Lüneburg, Barcelona und Berlin. Zwischen Bachelor- und Masterstudium sammelte sie berufliche Erfahrungen in den Goethe-Instituten Thailand und Korea, sowie im Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in New York. Während des Masterstudiums arbeitete sie außerdem in der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur im Arbeitsbereich „Wissenschaft und internationale Zusammenarbeit“. Im Rahmen der Recherchen für ihre Masterarbeit über Erinnerungskulturen in Chile, reiste Meike Dreckmann auch in die ehemalige Colonia Dignidad. In diesem Kontext entstand ihr Dissertationsprojekt zum Thema „Erinnern und Vergessen -Geschichtsbilder in der ehemaligen Colonia Dignidad“, mit dem sie seit Februar 2018 von der Heinrich-Böll-Stiftung gefördert wird.
Hier ist die Dissertation veröffentlicht.
Meike Dreckmann: Rezension zu: Arellano Cruz, Fabiola: Politische Gewalt ausstellen. Nationale Erinnerungsmuseen in Chile und Peru. Bielefeld 2018, in: H-Soz-Kult, 04.05.2018, www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-28718.
Meike Dreckmann, „Colonia Dignidad“. Die Geschichte einer deutschen Sekte in Chile zwischen Erinnerung, Musealisierung und historischer Aufarbeitung, in: Zeitgeschichte-online, September 2016, URL: https://zeitgeschichte-online.de/kommentar/colonia-dignidad.
Meike Dreckmann und Maja Schubert: Scheinwelten und Publikationsverbot. Interview mit dem Berliner Fotografen Ludwig Rauch aus Anlass seiner Werkschau im Cottbusser Dieselkraftwerk im April 2014, in: Visual History, Online-Nachschlagewerk für die historische Bildforschung, URL: http://www.visual-history.de/2014/08/25/scheinwelten-und-publikationsverbot/.