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Diskussion über Unterbringung von Flüchtlingen auf dem Tempelhofer Feld

Artikel aus dem Tagesspiegel vom 18.06.2024, ob die Unterbringung von Flüchtlingen auf dem Tempelhofer Feld angesichts der Nutzung dieses Ortes in der Nazi-Zeit vertretbar ist.

News vom 26.06.2024

Erst Ende April hat das Abgeordnetenhaus durch eine Änderung des Tempelhof-Gesetzes den Weg dafür frei gemacht, dass östlich der Container-Siedlung auf dem Vorfeld des ehemaligen Flughafens Tempelhof weiter temporäre Unterkünfte für Geflüchtete errichtet werden können. Vor dem Beschluss des Landesparlaments wurde heftig darüber diskutiert, ob mit der Genehmigung für den neuen Standort das Tempelhof-Gesetz ausgehöhlt wird, das bisher eine Bebauung verbietet. Jetzt wird in Zusammenhang mit den temporären Unterkünften in der Öffentlichkeit und in der Politik als größte Sorge vor allem genannt, was aus den dortigen Sportanlagen wird. Ob dort weiter Baseball, Beachvolleyball, Basketball und anderes gespielt werden kann.

Susan Pollock und Reinhard Bernbeck sehen ein viel schwerwiegenderes Problem. Die beiden – inzwischen emeritierten – Archäologieprofessoren halten das avisierte Gelände für gänzlich ungeeignet, um dort zusätzliche Flüchtlingsunterkünfte zu schaffen. Denn auf diesem Areal, das sich am Columbiadamm östlich des langgezogenen Flughafengebäudes erstreckt, befanden sich in der Nazizeit große Zwangsarbeiterlager für den Flugzeugbau. Pollock und Bernbeck halten es für zynisch und „reinen Hohn, dorthin, wo schon ehemals die Deportierten zwangsweise untergebracht waren, jetzt Container für Fluchtsuchende hinzusetzen, die dann teils wieder deportiert werden“.

Die beiden Wissenschaftler haben zwischen 2012 und 2014 Ausgrabungen zu den Zwangsarbeiterlagern auf dem Flughafenareal unternommen. Das Team von der Freien Universität fand viele Spuren der Lager der beiden Unternehmen Weserflug und Lufthansa, die Kampfflugzeuge für die Luftwaffe herstellten, und der Bewohner. In einem der Lager waren Franzosen untergebracht, in anderen sowjetische Kriegsgefangene und Frauen. Die 20 rund 52 Meter langen und 12 Meter breiten Holzbaracken waren in zwei Reihen quer zum Columbiadamm angeordnet. Jede Baracke war für 200 Menschen ausgelegt. Ein weiteres Lager gab es südlich vom Flughafengebäude. Bereits 1933 hatten die Nazis ebenfalls am Nordrand des Flughafens ein Gestapo-Gefängnis und ein Jahr später ein KZ in einem zuvor nicht mehr benutzen Gefängnisbau eingerichtet. Dieser wurde aber bereits 1938 abgerissen.

Die Forscher stießen bei ihren Grabungen ab 2012 auf die gemauerten Fundamente der Waschräume, die Baracken an sich waren aus Holz. Im Boden zwischen den Baracken fand man Stacheldrahtrollen, mit denen eine Flucht verhindert werden sollte. Und auch Gegenstände der Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter wurden entdeckt: Essbesteck und Geschirr, ein alter Kamm, Reste einer Mundharmonika und eines Balalaika-ähnlichen Instruments beispielsweise und vor allem viele rostige, kaum zu identifizierende kleine Dinge. Insgesamt 90.000 Objekte wurden registriert, darunter 14.000 rostige Nägel. 13.000 dieser Nägel wurden vor drei Jahren der Berliner Künstlerin Sonya Schönberger für ein Kunstprojekt überlassen. Sie legte sie 2021 in einer Installation auf dem Boden des Schwerbelastungskörpers aus, dieses Betonmonstrums, mit dem die Nazis die Bodenbeschaffenheit für ihre gigantischen Bauten der von ihnen geplanten „Reichshauptstadt Germania“ testen wollten. Auch beim Bau des Schwerbelastungskörpers wurden einst Zwangsarbeiter eingesetzt.

Das Land Berlin hatte die archäologische Untersuchung der FU-Wissenschaftler in Auftrag gegeben, da zunächst die für 2017 geplante Internationale Gartenschau in Tempelhof stattfinden sollte und auch damals schon eine Randbebauung geplant war. Zudem sollte am südlichen Rand die neue Landeszentralbibliothek entstehen. Aus allen drei Projekten wurde nichts: Die IGA wurde nach Marzahn verlegt, und das Ergebnis des Volksentscheids von 2014 machte alle Bauambitionen zunichte. Die gefundenen Objekte kamen in einen Lagerraum in den Untergeschossen des Flughafengebäudes. Die Ausgrabungen wurden wieder zugeschüttet.

Vorstöße Pollocks und Bernbecks, wenigstens die Existenz der Lager sichtbar zu machen, waren nicht erfolgreich. Man hätte beispielsweise den Umriss eines Barackenteils mit einer Blumenpflanzung andeuten können, sagt Pollock. In dem für die historische Aufarbeitung am Flughafen zuständigen Gremium konnte jedoch keine Einigung dazu erzielt werden.

Heute erinnern Infostelen auf dem Tempelhofer Feld an die Lager und ihre verschleppten, ausgebeuteten Bewohner. Außerdem nahm man bei der Öffentlichkeitsarbeit und touristischen Vermarktung Abstand von der bis dahin immer wieder mal gebrauchten Bezeichnung „Tempelhofer Freiheit“ für das Flughafengelände. Angesichts des Leids und der Ausbeutung der zur Zwangsarbeit Verschleppten wurde dieser Name schließlich als unpassend empfunden.

Bei der Debatte um die geplanten zusätzlichen Flüchtlingsunterkünfte auf Landesebene spielte das Thema Zwangsarbeiterlager kaum eine Rolle. Immerhin haben die Grünen in Tempelhof-Schöneberg auf Bezirksebene einen Antrag eingebracht, wonach die historischen Spuren gesichert werden sollen. Pollock und Bernbeck hoffen, dass in der noch viel konfliktträchtigeren Diskussion um die Randbebauung, die in den kommenden Monaten weiter und an Schärfe zunehmen wird, der historische Aspekt berücksichtigt wird. Für sie kann es nur einen Schluss geben: Einen Wohnungsbau auf diesem Teil des Flughafenareals darf es dort nicht geben. „Das ist ein historisch vergifteter Boden“, sagt Bernbeck. „Man kann nicht sagen, das ignorieren wir einfach.“

  • Fotos: Sigrid Kneist (2), Landesdenkmalamt
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