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Band 50: Landwirtschaft II (2016)

Prof. Dr. Eun-Jeung Lee

Titel
Band 50: Landwirtschaft II
Verfasser
Prof. Dr. Eun-Jeung Lee
Mitwirkende
Werner Pfennig / Arne Bartzsch, Daniel Schumacher, Alexander Pfennig, Birgit Wienand, Marvin Martin, Hoon Jung
Art
Text

Landwirtschaft

Werner Pfennig

in Zusammenarbeit mit Arne Bartzsch, Daniel Schumacher,

Alexander Pfennig, Birgit Wienand und Marvin Martin

 

 

 

 

 

Land- und Forstwirtschaft werden in Deutschland nicht nur unter Nutzaspekten (Nahrungs-mittel, Holz) betrachtet, sie sind wichtig für die Landschaftspflege insgesamt und bilden einen bedeutenden Teil deutschen Kulturverständnisses. Land- und Forstwirtschaft sind langfristig angelegte Erwerbszweige, die eine örtliche Verbundenheit über Generationen bewirken können. Deshalb ist auch die Vorgeschichte der Landwirtschaft in Ostdeutschland seit 1945 wichtig, um Entwicklungen nach der Wiedervereinigung, also ab 1990, besser einschätzen zu können.

 

Schwerpunkte in der Zeit von 1945 bis 1989 waren:

·         Wiederaufbau der Landwirtschaft,

·         Enteignung von Großgrundbesitzern durch die sowjetische Militärverwaltung,

·         Kollektivierung und (zwangsweiser) Zusammenschluss der Einzelhöfe in Landwirt-schaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG),

·         Bemühungen um Mechanisierung und Spezialisierung.

 

Schwerpunkte der Umbruchphase ab 1990 waren:

·         wegbrechende Nachfrage,

·         drastische Reduzierung der Beschäftigtenzahl,

·         Rückgängigmachung von Enteignungen; Privatisierung,

·         Umstrukturierung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) in neue Rechtsformen,

·         Beibehaltung großer Betriebsgrößen.

 

Zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung sind im europäischen Vergleich:

·         Betriebsgrößen in Ostdeutschland am größten

·         und ist der Anteil an individuell bewirtschafteter Fläche am niedrigsten.

 

Verglichen mit der Industrie hat sich der Agrarsektor in den neuen Bundesländern schneller und besser angepasst (einen Überblick über die Entwicklung ab 1990 geben Band 13/Doku-mente Nr. 27, 28). Erwartungen, es würde sich mehr individuelle Bauernwirtschaft entwickeln, er­füllten sich nicht, was aber zur wirtschaftlichen Stabilität beitrug. Wenig ertrag­reiche Böden, Schwierigkeiten mit der individuellen Landwirtschaft und andere Gründe führten dazu, dass in Ostdeutschland vielfach innovativ vorgegangen wurde: Es entstanden Bauernhöfe mit touris­tischen Aktivitäten, Biolandwirtschaft mit eigener Vermarktung der Produkte und es wurden Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energie, d.h. in erster Linie Biogas und Wind­kraft (mit Schwerpunkten in Brandenburg und Sachsen-Anhalt), errichtet.

 

Probleme der Betriebsgrößen und der Rückgängigmachung der Landreform hat Lothar de Maizière wie folgt zusammengefasst:

 

„In der Land- und Forstwirtschaft vereinbarten wir, die ‚rechtliche Gleichstellung aller Eigentumsformen in Land- und Forstwirtschaft‘ zu gewährleisten. Uns war klar, dass wir den Prozess der Konzentrierung der Produktion in der Landwirtschaft, so wie er durch die Maß­nahmen des so genannten sozialistischen Frühlings auf dem Lande im Jahre 1960 in Gang gesetzt worden war, nicht in vollem Umfang würden rückgängig machen können. Allen war klar, wie hoch der Unrechtsgehalt bei diesen Maßnahmen war und wie verbittert manche der Bauern damals dagegen gekämpft hatten, in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossen­schaft (LPG) eintreten zu müssen. Gleich­wohl hatte sich das Wirtschaften auf Großeinheiten bewährt. Künftig sollte den Bauern freigestellt werden, in welcher Form sie in der Land­wirtschaft tätig sein wollten, ob in Agrargenossenschaften, in Agrar-GmbHs oder als Einzelbauern, als so genannte Wiedereinsetzer. Zum Erstaunen der Westdeutschen machten aber nur relativ wenige Landwirte von der Möglichkeit, Wiedereinrichter zu werden, Gebrauch. Die Tradition einzelbäuerlicher Wirtschaften war überwiegend in Thüringen und Sachsen, auch in Teilen Sachsen-Anhalts historisch gegeben, nicht aber in Mecklen-burg und in Branden­burg, wo bereits seit dem Dreißigjährigen Krieg im Wesentlichen in wirtschaftlichen Großeinheiten, in Rittergütern, in Staatsgütern oder in Kirchen-gütern Landwirtschaft betrieben worden war. Landwirtschaft in Großeinheiten zu betreiben, hatte auch unmit­telbar seine Ursache in der Bodenfruchtbarkeit. Findet man in der Magdeburger Börde Böden mit Bodenwert- oder Ackerzahlen von 90 bis 94 in der Skala bis 100, also sehr hochwertige Flächen, so haben die guten Böden in Brandenburg eine Bewertungsziffer von 30.“[1]

 

 

1. Was kennzeichnete die Landwirtschaft in der DDR?

 

Nach dem Krieg stand die Versorgung mit Nahrungsmitteln oben auf der Liste der schnell zu lösenden Probleme. Zusätzlich zu der eingesessenen Bevölkerung und den Besatzungstruppen mussten auch Millionen von Flüchtlingen ernährt werden. Die sowjetische Militärverwaltung führte eine entschädigungslose Enteignung von Großgrundbesitz durch; Land wurde an Einzel­bauern verteilt. Die DDR machte diese Landverteilung durch eine Kollektivierungs-kampagne rückgängig und bemühte sich gleichzeitig um eine Mechanisierung sowie Moder-nisierung der Landwirtschaft im arbeitsteiligen Rahmen des „sozialistischen Lagers“.

 

Enteignung

1945 erfolgte in der Sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR, die Enteignung von Landbesitz von Großgrundbesitzern, Adligen, Kriegsverbrechern und aktiven Anhängern des Nationalsozialismus. Landbesitz von mehr als 100 ha wurde vollständig und ohne Entschä­digung enteignet; insgesamt 3,5 Millionen ha landwirtschaftliche Fläche und Forsten. Ca. 200.000 neue Siedler erhielten Land mit einer durchschnittlichen Größe von 8 ha; bei 122.000 Bauern wurden die bereits vorhandenen Flächen vergrößert. Rund eine Million ha enteigneten Landes blieben Staatsbesitz. Die Besitzer von übertragenem Land hatten Nutzungsrecht, konnten das Land aber nur vererben, wenn es weiterhin landwirtschaftlich genutzt wurde; ein Verkauf war nicht möglich.

 

Eine zweite Enteignungswelle gab es zwischen 1949 und 1953, also nach Gründung der DDR. Etwa 620.000 ha Land und 23.000 Bauern wurden enteignet, so genannte Großbauern mit einer Anbaufläche von über 20 ha.

Im Dezember 1952 erfolgte der Beschluss zur Kollektivierung der Landwirtschaft, eine Bewegung, die in den Jahren 1958–1960 ihren Höhepunkt erreichte; kleine, individuell bewirtschaftete Felder wurden zu Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) zusammengeschlossen. Dies geschah erst auf mehr oder weniger freiwilliger Basis, ab 1958 durch Zwang. Am 25. April 1960 verkündete Walter Ulbricht den Abschluss der Kollek­tivierung, rund 400.000 Bauern waren betroffen. Die Kollektivierung bewirkte eine Flucht-welle von Bauern, was u.a. zu Versorgungsproblemen führte. Diese Entwicklung war einer der Gründe, derentwegen sich die Führung der DDR zum Bau der „Mauer“ im August 1961 entschloss.

 

Fluchtbewegungen aus der DDR und Berlin-Ost

Zeitraum

Flüchtlinge

1959

143.917

1960

199.188

Juni-Juli 1961

ca. 50.000

Januar bis Mitte August 1961

207.026

 

In den 1970er Jahren kam es zu fortschreitender Mechanisierung (und Industrialisierung) der Landwirtschaft. Es entstanden nicht nur „Maschinen-Traktoren-Stationen“ (MTS), sondern es gab auch strukturelle Veränderungen und Spezialisierungen. Die bisher kleinen Kooperativen wurden zu größeren Verbänden zusammengeführt, die mehrere Dörfer mit einer durch­schnitt-lichen Größe von 5.000 ha umfassten; es gab spezialisierte Produktionseinheiten, zum Bei-spiel bei der Viehzucht.

 

Rückübertragung

Enteignung, Besitzerwechsel und Rückgabe gibt es fast überall; sie sind grundsätzliche Pro-bleme. Der Philosoph Immanuel Kant hat die bleibende Rechtsposition schön in einem Satz beschrieben: „Ich mag immer ein ehrlicher Besitzer desselben (possessor bonae fidei) sein, so bin ich doch nur ein sich dünkender Eigentümer (dominus putatis), und der wahre Eigentümer hat das Recht der Wiedererlangung.“[2]

 

Das Rechtsprinzip ist eine Sache, Machtverhältnisse und Durchführbarkeit der Rückgabe sind eine andere. Das Verfahren kann formal korrekt sein, aber dennoch das Gerechtigkeitsgefühl der Betroffenen tief verletzen. Die Frage der Rückübertragung war in Deutschland nicht nur für den Bereich der Landwirtschaft (Enteignung, Kollektivierung) wichtig, sondern von zentraler Bedeutung überhaupt.

 

Bei Beginn der Verhandlungen um den Einigungsvertrag stand bereits fest, dass die in der Zeit der sowjetischen Militärverwaltung (1945–1949) erfolgten Enteignungen nicht rück-gängig gemacht werden können.[3]

 

Für in der DDR durchgeführte Enteignungen generell gab es aber unterschiedliche Positionen bezüglich dessen, was Priorität haben sollte:

·         Entschädigung vor Rückgabe oder

·         Rückgabe vor Entschädigung.

 

Die DDR unter Ministerpräsident de Maizière wollte grundsätzlich ein Entschädigungsprinzip anwenden, konnte sich mit ihrer Haltung aber nicht durchsetzen. An diesem Problembereich zeigte sich eine weitere Schwierigkeit des Einigungsprozesses, nämlich die Unkenntnis des Umfangs des Problems, was Konsequenzen für dessen praktische Beseitigung hatte, d.h. ob ab einer gewissen Größenordnung die gewählte Strategie überhaupt machbar ist. Als im Sommer der westdeutsche Finanzminister den ostdeutschen Ministerpräsidenten fragte, um wie viele Fälle von Entschädigungsforderungen es sich denn handeln könne, da schätzte dieser den Umfang auf 500.000 Fälle; tatsächlich wurden es dann 1,2 Millionen. Die mate-riellen Forderungen auf Entschädigung wären wohl kaum bezahlbar gewesen, auch deshalb kam es zu der Strategie Rückgabe vor Entschädigung. Die Treuhandanstalt übernahm rund zwei Millionen ha Ackerland und zwei Millionen ha Wälder, im Jahre 1994 hatte sie 1,4 Millionen ha Ackerland, das zu pachten war. Zu dieser Zeit wurden 600.000 ha von Personen beansprucht, die 1949 enteignet worden waren.

 

Nach Meinung von Lothar de Maizière verlieh dieses Verfahren „Rückgabe vor Entschädi­gung“ dem Einigungsprozess:

·         einen stark restaurativen Charakter,

·         es behinderte viele Aufbaumaßnahmen im Osten Deutschlands,

·         und führte zu vielen Gesetzen, Gesetzesänderungen sowie Gerichtsverfahren.

 

Wie bereits erwähnt, konnten die in der Zeit der sowjetischen Militärverwaltung (1945–1949) erfolgten Enteignungen nicht rückgängig gemacht werden. Allerdings gibt es ein kompli-ziertes Ausnahmeverfahren. Angehörige, d.h. Erben der Enteigneten, können in Russland beantragen, dass der damalige politische Grund der Enteignung, z.B. Unterstützung des Natio-nal­sozialismus, nicht mehr gilt, wenn das Gegenteil nachgewiesen werden kann. Unter Adligen und anderen Grundbesitzern gab es Gegner des Nationalsozialismus und auch aktiv am Widerstand Beteiligte.

 

Das langwierige Verfahren und ganz allgemein Probleme der Rückübertragung haben sich als gravierendes Investitionshemmnis erwiesen. Das Ausscheiden von Genossenschaftsmit­gliedern aus einer LPG und die Regelung von Vermögensansprüchen war ein kompliziertes und sehr zeitraubendes Verfahren. Bei den Streitfällen gibt es eine durchschnittliche Verfah-rens­dauer von fünf bis acht Jahren; es wird noch Jahrzehnte dauern, bis jeder dieser Prozesse letzt­instanzlich entschieden ist (Band 13/Dokument Nr. 32, zur Position des Bundesverfas-sungs­gerichts siehe Band 13/Dokument Nr. 20). Im Sommer 1994 wurde ein Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG) verab­schiedet, das den Rückkauf von Land zu verbil-ligten Preisen ermöglicht (Band 13/Dokumente Nr. 19 und 34; zum Verfahren siehe Doku-ment Nr. 67). Spätere Beschwerden gegen die Bestimmungen dieses Gesetzes wurden durch das Bundes­verfassungs­gericht abgewiesen (Dokument Nr. 72). Um eine Privatisierung in größerem Rahmen zu ermöglichen, wurde der Verwertungsstopp für volkseigene Güter – die in der Endphase der DDR u.a. auch in das Eigentum von Ländern und Kommunen überge-gangen waren (Dokumente Nr. 32, 34) – aufge­hoben und es ergingen Regelungen (Band 13/ Dokument Nr. 18) bezogen auf:

·         Pacht und Kauf ehemaliger volkseigener Güter,

·         Sanierungsbedarf,

·         Kompetenzen der Treuhand.


 

Zahlen zur Ausgangslage bei der Wiedervereinigung im Jahre 1990

Seit dem Bau der „Mauer“ (1961) gab es kaum Abwanderungsmöglichkeiten und durch Preis­reformen hatte sich die Lage der Landwirtschaft in der DDR in den 1980er Jahren stabilisiert.

 

Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung im Jahre 1990 gab es:

·         5,3 Millionen ha landwirtschaftliche Anbaufläche,

·         928.000 in der Landwirtschaft tätige Personen (bei einer damaligen Gesamtbevölkerung der DDR von 16,7 Millionen),

·         1.162 LPGen (mit etwa 900.000 Mitgliedern, von denen 600.000 im Agrarbereich tätig waren),

·         199 Gartenbaukooperativen,

·         2.696 Tierzucht-LPGen,

·         2 Millionen Kühe,

·         12 Millionen Schweine,

·         2,6 Millionen Schafe,

·         25 Millionen Legehennen,

·         465 Staatsfarmen (Volkseigene Güter/VEG), die 450.000 ha bebauten.

 

Außerhalb des Rahmens der Kollektive gab es:

·         2.300 Gärtner,

·         50 Farmen, die im Besitz von Kirchen waren, und

·         rund 600.000 Kleinbauern, die ca. 10 Prozent der Tierproduktion der DDR bewerk-stelligten.

 

 

2. Was passierte während der Übergangs- und Umbruchphase?

 

Probleme waren früh erkennbar, Lösungsbemühungen standen unter enormem Zeitdruck und waren von größeren Rahmenbedingungen abhängig, so z.B. Währungsunion, EG-Bestim­mungen, Zusammenbruch traditioneller Märkte (zur Anpassungskrise der Land­wirtschaft siehe Band 13/Dokument Nr. 7). So machte der Ausschuss für Ernährung, Land- und Forst­wirtschaft der Volkskammer Ministerpräsident de Maizière auf die „komplizierte Lage“ aufmerksam, „die nur durch entschlossenes Handeln der Regierung beherrscht werden kann“ (Band 13/Dokument Nr. 5).

 

Anfängliche Bemühungen, den Umbruch als Chance auch dahingehend zu nutzen und Landwirtschaft sowie Umweltschutz „notwendigerweise den gleichen Stellenwert beizu­messen“, konnten nur sehr beschränkt fortgeführt werden (Band 13/Dokument Nr. 6).

 

Auch für den Bereich Landwirtschaft und Ernährung bedeutete der Umbruch im Jahr 1990 enormen Zeitdruck sowie große Veränderungen, die vor allem durch die Währungs-, Wirt-schafts- und Sozialunion (WWSU) und die Übernahme bundesdeutscher sowie europäischer Vorschriften bewirkt wurden.

 

Am 11. Juni 1990 hatte das Ministerium für Ernährung, Land- und Forstwirtschaft eine Bera-tung durch­geführt, die die anstehenden Aufgaben verdeutlichen und der Vorbereitung und Durchführung der WWSU im Bereich von Land- und Ernährungswirtschaft dienen sollte (Band 13/Dokument Nr. 2). In einem ähnlichen Zusammen­hang entstand auch ein Text des Ministerrats der DDR, ebenfalls von Mitte Juni 1990. Staatssekretär Günther Krause, der Verhandlungsführer der DDR für den Einigungsvertrag, informiert hier über neue Aufgaben, neue Kompetenzfelder und finanziell-steuerliche Aspekte bei Landwirtschaftsbetrieben und zwar bezogen auf den Übergang von der sozialistischen Planwirtschaft zur Sozialen Markt-wirt­schaft (Band 13/Dokument Nr. 3).

Auch dieses Dokument sowie andere Anleitungen für die praktische Umsetzung auf Arbeits-ebenen machen zwar das Problembewusstsein, aber vor allem den Zeitdruck deutlich; die betroffenen Institutionen und Personen konnten fast nur reagieren und kaum selbst-bestimmt agieren.

 

Bei der Umbruchphase lassen sich drei große Problembereiche unterschieden:

·         Die Veränderung genereller Rahmenbedingungen,

·         Preisverfall, Verlust von Märkten,

·         die Umstrukturierung der LPGen.


 

Folgende besondere Schwierigkeiten gab es:

·         Mit Einführung der WWSU am 1. Juli 1990 war die DDR offen für Produkte des EU-Agrarbereichs (zum Zusammenhang mit der WWSU siehe Band 13/Dokument Nr. 9 und zur Problematik von Eröffnungsbilanzen Band 13/Dokument Nr. 10).

·         Ab 01.07.1990 waren Agrarrichtlinien der EU anzuwenden, was z.B. die Preisstruk-turen veränderte. So verloren tierische Produkte in der DDR 30 Prozent ihres ursprünglichen Werts, bei Feldfrüchten waren es 40 Prozent.

·         Übergangsregelungen mussten schnell geschaffen und angewandt werden (zum Beispiel die Lage von Tierärzten und Veterinäringenieuren siehe Band 13/Dokument Nr. 4).

·         Vorgaben des Einigungsvertrages für die Agrar- und Ernährungswirtschaft mussten beachtet werden (Band 13/Dokumente Nr. 15 und 9).

·         Ab 03.10.1990 galten Rechtsvorschriften der Bundesrepublik auch in Ostdeutschland (zum Beispiel des Pflanzenschutzgesetzes siehe Band 13/Dokument Nr. 8).

·         Der traditionelle Markt (Osteuropa, Russland) brach zusammen (das ganz konkrete Problem einer LPG schildert Band 13/Dokument Nr. 32).

·         Maschinen und Herstellungsverfahren bei der Nahrungsmittelproduktion der DDR erwiesen sich als veraltet und nicht konkurrenzfähig,

·         frühere Planungs- und Marketingprozesse waren obsolet.

·         Es stand keine ausreichende Zeit zur Verfügung, eigene Marktorganisationen zu schaffen (Band 13/Dokument Nr. 12).

 

In dem mit dem ersten in ursächlichem Zusammenhang stehenden zweiten Bereich waren Privatisierung und die Verringerung der Beschäftigtenzahl große Probleme. In einer LPG der DDR gab es durchschnittlich dreimal so viele Angestellte pro ha als bei einem bäuerlichen Familienbetrieb im Westen. Es kam zu einem drastischen Abbau von Arbeitsplätzen im Osten, der neben anderen Problemen auch die Landflucht von Jugendlichen gravierend verschärfte (Band 13/Dokument Nr. 25).

 

Im März 1990 entschied die Volkskammer die Rückgabe der Eigentumsrechte an Empfänger von Land (etwa 300.000), das diese durch die Landreform erhalten, aber im Rahmen der Kollektivierung wieder verloren hatten (Dokument Nr. 7). Es gab Regelungen

·         für die Rückgabe von Waldflächen,

·         für Kredite und deren Übernahme durch die neuen Bundesländer

·         und Regelungen für Ansprüche bezogen auf Schadens- und Wertausgleichsansprüche (Band 13/Dokument Nr. 33).

 

Auch hier waren Auseinandersetzungen über Eigentumsfragen unvermeidbar. Es wurden Pilot­verfahren zur gerichtlichen Regelung vorgeschlagen und angestrebt.

 

Um die Privatisierung der Landwirt­schaft bewerkstelligen zu können, wurde auch eine Satzung für eine Treuhand Land- und Forstwirtschaft entworfen (Dokument Nr. 30). Ihr oblag die „Verwertung“ (d.h. die Verpachtung bzw. der Verkauf) volkseigenen Vermögens (Dokumente Nr. 32, 33, 45). Die gesamtdeutsche Treuhandanstalt (THA), die diese Aufgabe nach der Vereinigung übernahm, hatte Mitte Dezember 1990 ca. 2,1 Millionen ha landwirt-schaftlicher Nutzflächen zu verwalten, hinzu kamen 0,5 Millionen ha an zu privatisierenden, forstwirt­schaftlichen Flächen (Dokument Nr. 52). Erst Ende 1992 lag ein Konzept zur Verwertung ehemals volkseigener landwirtschaftlicher Flächen vor: In einer ersten Phase sollte das Land vorerst verpachtet werden (i.d.R. für zwölf Jahre), anschließend würde dem vormaligen Pächter der Erwerb der bewirtschafteten Fläche ermöglicht. Schließlich würde die THA bzw. deren Nachfolgerin, die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG), die Verwertung der Restflächen übernehmen (Dokumente Nr. 59, 62, 64).

 

Das Landwirtschaftsanpassungsgesetz (LwAnpG, Band 13/Dokument Nr. 11) bewirkte eine Indivi­dualisierung der Landwirtschaft. Mitglieder einer LPG konnten nun frei entscheiden, ob sie:

·         das ihnen zurückgegebene Land selbst bewirtschaften,

·         es verkaufen,

·         es an neue Institutionen der Zusammenarbeit verpachten wollten.

 

Die Privatisierung bot also die Möglichkeit des Austritts aus einer LPG, was prinzipiell ein kaum zu lösendes Problem schuf.

·         Einerseits standen den Austretenden Zahlungen zu, entsprechend dem, was damals enteignet wurde; hier musste ein aktueller Wert ermittelt werden (Band 13/Dokument Nr. 24, S. 16 ff.).

·         Andererseits kollidierte dieser berechtigte Anspruch mit der Notwendigkeit, den Erhalt des LPG-Kapitals zur Überlebensfähigkeit und Weiterentwicklung leistungs-fähiger Betriebe zu sichern.

Die LPGen hatten eine Rechtsform nach dem Rechtssystem der Bundesrepublik anzunehmen; sie konnten sich auflösen, sich aufteilen oder auch mit anderen zusammenschließen (Band 13/Dokument Nr. 13). Diese Umgestaltung war problemgeladen:

·         Es gab einen Mangel an Zeit; in 18 Monaten, bis Ende 1991, sollte der Prozess abge-schlossen werden.

·         Es gab einen Mangel an Sachverstand.

·         Es fehlten Gesetze, Verwaltungsvorschriften und Institutionen, die für die rechtlichen Veränderungen erforderlich waren.

·         Die Entwicklung kam überraschend, vieles veränderte sich so schnell, dass oft Gesetzes­vorlagen erst diskutiert wurden, wenn die Probleme bereits akut waren. Ein Beispiel dafür ist das Gesetz über Gruppenbetriebe in der Landwirtschaft, das Rege-lungen für die neue Rechtsform enthielt und für Nachfolgeorganisationen der LPGen gedacht war (Band 13/Dokument Nr. 16).

 

Das LwAnpG trat am 13. September 1990 in Kraft und verlor wegen des Einigungsvertrages am 3. Oktober 1990 seine Gültigkeit. Es gab zu wenig Rechtsanwälte, Ökonomen und Buch­halter, die sowohl die Gesetze der früheren DDR kannten, als auch die Interessen der alten bzw. neuen Konfliktparteien durchschauten. In drei neuen Bundesländern gab es Überwa-chungs­kommissionen, die aber überfordert waren, in den beiden anderen Bundesländern wurde nur bei Beschwerden untersucht. Die offiziellen Zahlen über Einsprüche und Überprü-fungen lassen das tatsächliche Ausmaß der Streitfälle nicht erkennen (Band 13/Dokument Nr. 24).

 

Die Umstrukturierung (Privatisierung) brachte große Probleme, und viele Streitfälle mussten vor Gericht entschieden werden. Die Konfliktparteien waren einerseits frühere Mitglieder der LPG, andererseits das Management der neuen Kooperative – meist die alten Kader, die jetzt als juristische Personen firmierten. Es war sehr schwierig den Wert des Kapitals bzw. den Wert der LPG zu ermitteln. Wenn sich die Mitglieder entschlossen aus der LPG auszutreten oder diese aufzulösen, verlor der Kapitalstock an Wert, und es waren Abfindungszahlungen zu leisten. Wurde die Kooperative in neuer Rechtsform weitergeführt, entstand auch ein Wert-verlust, der den Neuaufbau erschwerte.


 

Wirtschaftliche Probleme und Lösungsversuche

Anfang 1990 war die Versorgungslage in der DDR unbefriedigend, die Landwirtschaft hatte aber zugleich mit starken Absatzproblemen zu kämpfen (Dokumente Nr. 5, 6, 11, 18). Diese Situation führte zu starker Verunsicherung in den Genossenschaften und veranlasste den Ministerrat u.a. dazu, die landwirtschaftliche Produktion durch Anpassung des Preisrechts (Streichung von Subventionen, Erhöhung bzw. Senkung von Er­zeugerpreisen für bestimmte Produkte, Möglichkeit individueller Preisvereinbarungen zwischen Lieferer und Abnehmer) stärker am Bedarf zu orientieren (Dokument Nr. 1). Bereits Mitte Februar des Jahres wurde dann ein Konzept zur Eingliederung der DDR-Landwirtschaft in den Agrarmarkt der Europäischen Gemeinschaften (EG) beschlossen: Die Voraus­setzungen hierfür sollten in einer mehrjährigen Übergangsphase geschaffen werden, indem die Umwandlung von LPGen in verschiedene, gleichrangige und selbständig wirt­schaftende Unternehmensformen umge-setzt sowie ein Produktionsmittel- und Absatzmarkt geschaffen würden (Dokument Nr. 4).

 

Anfang Mai 1990 verfasste der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Land­wirtschaft und Forsten eine Stellungnahme mit ordnungspolitischen Grundsätzen, die für einen erfolgreichen Übergang der DDR-Landwirtschaft in ein marktwirtschaftliches System von Bedeutung sein würden (Dokument Nr. 12). Diese Überlegungen dürften auch in den bald darauf beginnenden Verhandlungen zur WWSU von Bedeutung gewesen sein (einen Einblick geben Dokumente Nr. 14 und 15).

 

Mit der WWSU wurden ab Juli 1990 im Osten die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse, für Saatgut, Dünger, usw. in kürzester Zeit denen des Westens angeglichen, was die Produk-tion verteuerte und erhebliche negative Konsequenzen auf die Nachfrage hatte (Dokumente Nr. 25, 27, 31, 38, 39, 42). Dem versuchte man mit einer vermehrten Ausfuhr oder zumindest mit einer Weiter­verarbeitung von in der DDR selbst kaum mehr absetzbaren Erzeugnissen zu begegnen (Dokumente Nr. 35, 38, 44, 46). Verschärft wurde die prekäre Lage der Genossen­schaften noch dadurch, dass deren als Wirtschaftsvorrat und Kreditsicherheit angelegten Saatgutbestände ihren Wert verloren. Banken waren nicht länger bereit, diese Vorräte – die sich auch nicht mehr anderweitig absetzen ließen – als Sicherheiten zu akzeptieren (Doku-ment Nr. 28).

 

Die Regierung gewährte sogenannte ­An­passungs­­hilfen, zumeist in Form von Krediten, um die Liquidität der LPGen zu erhalten und zu deren Entschuldung beizutragen. Diese reichten jedoch schlicht nicht aus bzw. wurden aufgrund unklarer Kommunikation sowie der großen Unsicher­heit in den Betrieben teilweise gar nicht in Anspruch genommen (Dokumente Nr. 36, 40, 43).

 

Die Landwirtschaftsministerien beider deutscher Staaten begannen, eine gemeinsame Reihe von Informationsschreiben herauszugeben, die den Betrieben die veränderte rechtliche Lage verständlich und sie auf verfügbare Fördermittel aufmerksam machen sollten (Dokumente Nr. 37, 41). Darüber hinaus entsandte das DDR-Ministerium für Ernährung, Land- und Forst­wirtschaft (MELF) Mitarbeiter in Agrarbetriebe, die mit der Belegschaft vor Ort über Probleme und Lösungs­ansätze diskutierten. Dabei zeigte sich u.a., dass man in den Betrieben mit der Umwandlung in neue Rechtsformen vollkommen überfordert war (Dokument Nr. 47). Industrie und Landwirtschaft insgesamt waren einer gravierenden Umstruk­turierung ausge-setzt. Im Agrarbereich kam es zu schweren Erlösausfällen, Produktions­rückgang und einer drastischen Abnahme der Beschäftigten.

 

Im Westen Deutschlands hatte es ebenfalls eine solche Abnahme von Beschäftigten gegeben. Sie erstreckte sich über einen Zeitraum von vierzig Jahren – im Osten Deutschlands waren es nur drei Jahre. Von 1989 bis 1993 reduzierte sich die Zahl der Beschäftigten von über 900.000 auf 187.400. Diese Reduktion hatte auch Auswirkungen auf die Situation von Land-frauen (Band 13/Dokument Nr. 30) und sie beschleunigte die Landflucht von Jugendlichen (Band 13/Dokument Nr. 25). In Mecklenburg-Vorpommern waren, bezogen auf 1989, zwölf Jahre später nur noch zehn Prozent der ehemals landwirtschaftlich tätigen Arbeitskräfte in diesem Sektor beschäftigt.

 

EG-Agrarmarktintegration

Die Europäischen Gemeinschaften (EG; ab November 1993 übergehend in die Europäische Union/EU), beschlossen spezielle Bestimmungen für den Agrarbereich der neuen Bundes-länder, vor allem, was Quoten für Milch und Prämien für Rindfleisch und Schafe anbelangte. Vorgegebene Begrenzungen für Finanzhilfe, wie sie für andere EG-Länder galten, fanden keine Anwendung. Ab 1991 gab es ein Förder­instrumentarium der EG wie die Sonderbestim-mungen zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes.

 

Die Hilfe für individuelle Bauern wurde verdoppelt und Kooperativen (frühere LPGen) erhielten Zuschüsse entsprechend der Anzahl ihrer Angestellten. Alle neuen Bundesländer wurden in das Programm der EG für regionale Entwicklung integriert. Für diesen Zweck stellte die EG 7,3 Milliarden DM (über einen Zeitraum von sechs Jahren) zur Verfügung, von dieser Summe waren 20 Prozent für den Agrarsektor bestimmt. Im Zeitraum von 1990 bis 1993 kamen aus dem Etat der Bundesrepublik 14 Milliarden DM für die Überwindung von Anpassungs­problemen im Landwirtschaftsbereich. Der Agrarsektor profitierte auch von den anderen Förderprogrammen, so z.B. der Verbesserung der Infrastruktur. Nationale Förderpro-gramme müssen aber immer mit der Marktordnung der EG vereinbar seien (Band 13/Doku-ment Nr. 21).

 

Die komplizierte rechtliche Lage in der Zeit zwischen Inkrafttreten der WWSU und dem endgültigen Beitritt der DDR zur BRD (und damit zum gemeinsamen Wirtschaftsraum der EG) beschäftigte noch bis zur Jahrtausendwende den Europäischen Gerichtshof (EuGH) (Dokumente Nr. 29, 48–50).

 

Bundesdeutsche Unternehmen für Verarbeitung bzw. Handel von landwirtschaftlichen Produkten begründeten neue oder verstärkten ihre bestehenden geschäftlichen Aktivitäten in der DDR (Dokument Nr. 24), was in der Volkskammer durchaus kritisch kommentiert wurde (Dokument Nr. 31). Einige Geschäfts­leute ver­suchten dabei, das komplizierte EG-System der (Einfuhr-) Abschöpfungen und (Ausfuhr-) Erstattungen gewinnbringend auszu­nutzen. Dies geschah, indem etwa ursprünglich aus der DDR stammende Erzeugnisse – für die dort bereits Erstattungen für den Export gewährt worden waren – nach erfolgter Weiter­verarbeitung in der BRD als Produkte mit EG-Ursprung in Drittländer ausgeführt wurden, um so nochmals Erstattungen von der BRD verlangen zu können (Dokument Nr. 70).

 

Auch für die gesamtdeutsche Bundesrepublik ergaben sich juristische Konsequenzen. So stellte der EuGH noch im Juni 2000 fest, dass die BRD ihre nationalen Zollbestimmungen im Handel mit der DDR unter Verstoß gegen EG-Recht verfrüht abgeschafft und damit ihre Pflicht zur Erhebung von Abschöpfungen umgangen habe (Dokument Nr. 71).

 

Rückgang bei Beschäftigung und Produktion

Von den 680.000 Beschäftigten, die zwischen 1989 bis Juni 1993 aus dem landwirtschaft-lichen Bereich ausschieden, wurden:

·         200.000 Frührentner oder Rentner,

·         240.000 Berufswechsler,

·         100.000 Teilnehmer an Weiterbildungskursen oder anderen Bildungsmaßnahmen,

·         135.000 Arbeitslose.

 

Auch im Bereich der Tierzucht waren die Rückgänge drastisch (1989 bis Sommer 1993):

·         bei Rindern auf 49 %

·         bei Milchkühen auf 52,6

·         bei Schweinen auf 32,9%

·         bei Schafen auf 24,4 %

 

Die Übergangsphase mit ihren gravierenden Veränderungen war 1994 weitgehend abge-schlossen und die Arbeitsproduktivität in der Landwirtschaft hatte in diesem Jahr etwa das Niveau westeuropäischer Länder (zum Entwicklungsstand im Jahre 1994 vgl. Band 13/Doku-ment Nr. 33). Betriebe im Osten konnten wegen der großen Mengen mit gleicher Qualität bessere Preise bei Pflanzenprodukten erzielen.[4] Entscheidend in dieser Phase war auch eine Veränderung des Konsumverhaltens: Die Nachfrage nach heimischen Produkten stieg deutlich an (Struktur­wandel und Transformationsprozesse werden beschrieben in Band 13/ Dokument Nr. 26).

 

Altschulden der LPGen

Schulden waren den LPGen früher oft von der DDR-Regierung zugewiesen worden mit der Auflage, Infrastrukturleistungen zu erbringen (z.B. Bau oder Unterhalt öffentlich genutzter Wege, Entwässerungsanlagen, Energieanlagen u.ä.). Zudem waren viele Genossenschaften gezwungen, nicht standortgerecht zu produzieren, was zur vermehrten Aufnahme von Krediten bei der staatlichen Bank für Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft der DDR führte. Die durch solche staatliche Willkür zustande gekommene, teils sehr hohe Kreditbe-lastung versuchte die Regierung der DDR im März 1990 durch Erlass eines LPG-Entschul-dungsgesetzes und Zurverfügung­stellung entsprechender Mittel zur Ablösung von Krediten zu reduzieren. Um zu vermeiden, dass absehbar nicht überlebensfähige Betriebe von dieser Hilfe profitierten, wurde die Vorlage eines Sanierungsplanes zur Voraussetzung für den Erhalt von Mitteln zur Ent­schuldung. Vermehrt zur Verfügung stehende Eigenmittel der LPGen mussten in Moderni­sierung und Erhöhung der Effizienz des Betriebes investiert werden (Dokumente Nr. 8, 13).

Die spätere Überleitung von Verbindlichkeiten aus der DDR-Zeit war erforderlich, weil die LPGen Rechtsformen des Bürgerlichen Rechts der Bundesrepublik angenommen hatten. Altschulden der LPGen sind zwar nicht Schulden im Sinne des Rechts der Bundesrepublik Deutschland, sie haben aber dennoch fortwirkende Verbindlichkeit (Dokumente Nr. 61, 68, 69).

 

Bis Ende August 2005 konnten bei Banken Anträge auf Ablösung von Altschulden gestellt werden, Grundlage hierfür war das „Altschuldengesetz“ (Band 13/Dokument Nr. 22). Die Höhe der zu zahlenden Ablösebeträge wurde durch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des betreffenden Unternehmens bestimmt. Für eine möglichst realistische Einschätzung der Zahlungsfähigkeit, also für Bewertung und Prognose, wurde von der BVVG eine Arbeitsricht-linie geschaffen (Band 13/Dokument Nr. 23).

 

Strukturelle Unterschiede

Zwischen den in Ost- und Westdeutschland in der Landwirtschaft tätigen Personen gab es wohl die größten Unterschiede, was Berufsgruppen anbelangt. Im Agrarsektor der DDR existierte große personelle Überkapazität. Durch die Umorganisation auf westdeutsche Produktionsver­hältnisse fielen 80 Prozent der Arbeitsplätze weg. Vielfach wurden alte LPG-Führungskader Agrarmanager und bewirtschafteten mit weniger Personal große Flächen (1997 ca. 35 Personen pro Betrieb mit einer durchschnittlichen Größe von 1.500 ha). Land-wirtschaftliche Flächen im Osten Deutschlands sind (durch die großflächigen ehem. LPGen) durchschnittlich dreimal größer als die Betriebe von Bauern im Westen.

 

Es entstanden nur wenige neue selbständige Höfe (Wiedereinrichter), obwohl man diese mit speziellen Förderprogrammen zu unterstützen suchte (Dokument Nr. 41). Viele Versuche scheiterten; im Jahre 1997 existierten rund 7.600 Einzelbetriebe mit selbständigen Haupt­erwerbslandwirten. Es gab rund 300 Personengesellschaften, d.h. Zusammenschlüsse von zwei oder mehr Einzelbetrieben. Nur wenige Bauern aus dem Westen gingen in den Osten Deutschlands, um dort einen Hof zu übernehmen oder aufzubauen.

 

Die ehemaligen LPGen hatten den Vorteil, als eingespieltes Team weiterzuarbeiten, und da die EU-Agrarordnung größere Betriebe tendenziell bevorzugt, sind sie im Konkurrenzkampf mit individuellen Produzenten eindeutig im Vorteil. Ein anderer Aspekt ist der, dass sie seit 2010 von rapide steigenden Landpreisen profitieren. Die Entwicklung der Landwirtschaft in Ostdeutschland erweckt den Eindruck, als habe hier die DDR einen späten Erfolg errungen (Band 13/Dokument Nr. 29).

 

Aktuelle Entwicklungen und eine neue Art von Landreform

Im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung kam viel Land in Bundesbesitz. Seit 1992 wurde dieses Land privatisiert; im Auftrag des Bundes schloss die BVVG Pachtverträge ab, von denen viele eine Laufzeit von 18 Jahren haben. Außerdem konnten Nachfolgeorganisa-tionen der LPGen und auch Alteigentümer Land zu Vorzugspreisen kaufen; eine Möglichkeit, die die EU im Jahr 2010 stoppte. Viele der Pachtverträge sind in den Jahren 2010 bis 2012 ausgelaufen. Bereits im Jahr 2010 wurde erkennbar, dass Fondsgesellschaften in großem Umfang Land aufkaufen; teilweise zu Preisen, die über 100 Prozent gestiegen sind.

 

Diese Entwicklung in den neuen Bundesländern ist Teil eines fast globalen Trends: Land wird aufgekauft, mit Land wird spekuliert. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen:

·         Wachsende Weltbevölkerung

·         Steigender Bedarf an Nahrungsmitteln

·         Erhöhter Fleischkonsum

·         Landkauf durch Staaten (z.B. durch die VR China in Afrika und Südamerika)

·         Nachfrage nach regenerativer Energie, z.B. Biogas, und deshalb großflächiger Anbau von ölhaltigen Pflanzen, Getreide und Mais

·         Wegen der Finanzkrise vermehrte Kapitalanlage in realen Werten (Land und andere Immobilien).

 

Diese und andere Gründe bzw. Investitionsstrategien stärken die Nachfrage nach großen Flächen; Landwirtschaft wird zum Rohstoffmarkt. Überproportional ist Ostdeutschland betroffen, denn hier gibt es große Betriebsgrößen (siehe Karte auf S. 20) und hier werden große Flächen verfügbar.

 

Wer profitiert? Die neuen Eigentümer und die alten LPG-Chefs?

Es wird wahrscheinlich zu einer fortschreitenden Flächenkonzentration kommen, zu einer „kapitalistischen Bodenreform“, und zu den Profiteuren werden vielfach die alten Chefs der früheren LPGen gehören.

 

Bei der damaligen Umwandlung der LPGen gab es viele Unregelmäßigkeiten. Die rund 750.000 LPG-Mitglieder erhielten nur einen Bruchteil der ihnen zustehenden Abfindungen. (Dokument Nr. 65). Nach einer Untersuchung der Universität Jena waren mehr als 95 Prozent der LPG-Umwandlungen fehlerhaft. Die LPG-Nachfolgebetriebe können nun bei großer Nachfrage mit hohem Gewinn verkauft werden. Ab 1992 wurde von der BVVG zu subven-tionierten Preisen Land gekauft (2.000–2.500 € pro Hektar), das inzwischen mit zehnfacher Steigerung verkauft werden kann. Im Rahmen einer Untersuchung einer Enquéte-Kommis-sion des Landtags Brandenburgs zur Transformation der DDR-Landwirtschaft nach 1989 bemängelte man eine teils „sittenwidrige Übertragung“ von Bodenreform-Flächen an das Land, „zweifelhafte Machenschaften“ einiger ehemaliger LPG-Leiter, eine „Entbäuer-lichung“ des ländlichen Raumes, sowie eine Agrargroßstruktur, die das „Landgrabbing“ durch nicht ortsansässige Investoren begünstigt. (Dokument Nr. 73)

 

Aus dem Bauernverband der DDR e.V. wurde als Nachfolgeorganisation die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB). Durch sie behielt der Bauernverband seinen Einfluss als Akteur der kollektiven Nachfolgebetriebe der LPGen, denn er vertritt seit 1990 hauptsächlich Großbetriebe, die aus den ehemaligen LPGen hervorgegangen sind. Diese Interessenver-tretung bewirkt zumindest in Brandenburg eine Behinderung von Kleinbauern.

 

Strukturwandel mit Folgen

Etwa 12 Jahre nach der Wiedervereinigung war im Agrarbereich eine deutliche Tendenz erkennbar, die sich beschleunigt fortsetzt, nämlich eine Art Agrarmonopolisierung: viel Land in wenigen Händen. Ursprünglich hatte es in der DDR noch Überlegungen gegeben, dies zu verhindern, indem man ausländische Investoren vom Landerwerb ausschloss. Dieser Schritt sollte Bodenspekulation unterbinden und gewährleisten, dass Bauern und Betriebe der DDR Chancen zum Kauf erhielten (Dokument Nr. 17). Die Auswirkungen dieses Trends werden indes nicht auf Ostdeutschland beschränkt bleiben.

 

In Mecklenburg-Vorpommern entstanden ca. 1.200 LPG-Nachfolgeorganisationen, von denen nach rund 12 Jahren nur 181 eingetragene Genossenschaften waren; von den insgesamt rund 5.000 Landwirtschaftsbetrieben dieses Bundeslandes waren nur 3,5 Prozent Genossenschaften. Uwe Bastian kommentierte diese Entwicklung: „Diese sogenannten Genossenschaften bestehen in der Regel nur noch aus einigen wenigen ehemaligen LPG-Vorstandsmitgliedern. Die Mitgliederzahlen wurden in den letzten Jahren erheblich reduziert. Das heißt, die wenigen LPG-Mitglieder, die übernommen wurden, werden systematisch eliminiert. Es besteht der Trend, die Genossenschaften in GmbH und andere Kapitalgesellschaften umzuwandeln und die Aneignung von immer größeren Flächen durch immer weniger Agrarindustrielle im Osten voranzutreiben“ (Band 13/Dokument Nr. 25, S. 5).

Ironischerweise hilft dieser Entwicklung auch die EU-Agrarpolitik nach, durch die flächen-bezogenen Subventionen. Bereits absehbare und mögliche zukünftige Folgen sind:

·         Flächengrößen werden zunehmen und so auch die Finanzkraft der wenigen, die sie besitzen bzw. betreiben.

·         Die Zahl der ehemaligen LPG-Mitglieder wird weiter zurückgehen, die Zahl der Genossenschaften wird ab- und die Zahl der Kapitalgesellschaften und Agrarfonds wird zunehmen.

·         Für Alteigentümer, Wiedereinrichter und Bemühungen um ökologischen Landbau werden die Bedingungen schwerer und tendenziell schlechter.

·         Fortschreitende Entvölkerung, mit negativen Auswirkungen auf die Gesellschafts­struktur in ländlichen Gebieten und die jeweilige Kommunalverwaltung.

·         Weiterer Abbau von Arbeitsplätzen.

·         Die Landkonzentration und das Engagement von Fondsgesellschaften haben Aus­wirkungen auf die Preisgestaltung landwirtschaftlicher Produkte, mit Konse­quenzen für die Landwirtschaft in Westdeutschland und Europa.

 

Vor 1945 gab es in Ostdeutschland große Agrarflächen, die sich in Händen nur weniger Grund­besitzer befanden. Die Agrarpolitik der sowjetischen Besetzungsmacht und DDR veränderte diese Besitzverhältnisse durch Enteignung und Kollektivierung. Die Umstruk-turierung der Landwirtschaft in der DDR im Vollzug der Wiedervereinigung revidierte Entwicklungen der sozialistischen Landreform. Diese Umstrukturierung ermöglichte dann rund 15 Jahre später eine Entwicklung, die erneut durch großen Landbesitz in wenigen Händen gekennzeichnet ist: nach der sozialistischen nun eine kapitalistische Landreform; eine Agrarmonopolisierung, deren Folgen noch nicht abzusehen sind (Vgl. auch Dokument Nr. 73).


 

 

3. Relevanz für Korea

 

Wie in anderen Bänden, so ist hier ebenfalls die Einschränkung zu machen, dass Entwick-lungen in Deutschland kein Modell sind und die Frage der Übertragbarkeit in jedem Einzelfall genau zu prüfen ist.

 

Innerhalb des großen Rahmens „Systemwandel“ lassen sich für den Bereich Land- und Forst­wirtschaft eine Reihe spezifischer Probleme erkennen. Sie beziehen sich auf Entwicklungen in Deutschland (speziell Sachsen-Anhalt), können aber wohl verallgemeinert werden (Band 13/Dokument Nr. 31).

 

Erschwert wurde die Umstrukturierung in diesem Sektor u.a. durch:

·         Fehlende unternehmerische Erfahrung in marktwirtschaftlichen Prozessen,

·         plötzliches Angebot attraktiver Konkurrenzprodukte (im koreanischen Fall dann vermutlich aus China und anderen Ländern),

·         Preisprobleme mit eigenen Produkten,

·         Schwächen bei der Infrastruktur,

·         Mangel an rechtlichen Bestimmungen,

·         einen großen kurzfristigen Investitionsbedarf,

·         geringe bzw. fehlende Eigenkapitalbasis,

·         einen hohen Pachtflächenanteil,

·         anfängliche Zurückhaltung der Banken.

 

Obwohl z.B. die Rolle der Banken kaum zu prognostizieren ist, so liegt doch die Vermutung nahe, dass auf Nordkorea nach einer Wiedervereinigung ähnliche Probleme zukommen werden.

 

Aber es stellt sich wahrscheinlich auch die Frage, ob ein (über eine unerlässliche Umstruk­turierung hinausgehender) Ausbau der Landwirtschaft im Norden überhaupt notwendig sein wird.

 

Der Norden Koreas ist auf Grund seiner naturräumlichen Ausstattung wenig geeignet für Landwirtschaft, während der Süden früher weitgehend agrarisch bestimmt war. Wegen der Rohstoffvorkommen und der Nähe zum Nordosten Chinas (Mandschurei) wurde der nörd-liche Teil der koreanischen Halbinsel von der japanischen Kolonialmacht als Industrieregion aufgebaut und ausgebeutet.

 

Wegen der Chuch’e-Ideologie versuchte das Regime in Nordkorea im Bereich der Nahrungs­mittelerzeugung autark zu sein, was nicht gelingen konnte. Der Koreanischen Demokra-tischen Volksrepublik ist jedoch ein historisch einmaliger Vorgang gelungen: die Rückver-wandlung einer Industriegesellschaft in eine Agrargesellschaft, die allerdings nicht in der Lage ist, die eigene Bevölkerung ausreichend zu versorgen.

 

Abgesehen von Gegenden, die sich dafür gut eignen, wäre es wohl wenig ratsam, nach einer Wiedervereinigung im Norden Landwirtschaft im großen Stil zu betreiben. Wegen der langen Zeit (japanische Kolonialzeit, Teilung des Landes sowie umfassende Landreform) könnte die Frage von Rückübertragungen besonderes kompliziert sein:

·         Identifizierung von Erbberechtigten,

·         Dokumentation der Ansprüche.

 

Rechtliche Bestimmungen müssen rechtzeitig vorhanden und das Personal ausgebildet sein; es muss schnell handelnde, unparteiische Kontrollinstanzen geben.

 

Vorbereitungen für einen Spontanbedarf an Lebensmitteln

Falls eine Wiedervereinigung plötzlich kommt und Strukturen im Norden noch weniger leistungsfähig sind als vorher, muss ein Plan ausgearbeitet und müssen Vorräte angelegt werden, um schnell die Grundversorgung der Bevölkerung im Norden zu sichern, auch um unzählige „Hungerflüchtlinge“ zu vermeiden oder zumindest, um deren Zahl möglichst gering zu halten.

 

Was Privatisierung und Rückübertragungen generell anbelangt, so könnte von Interesse, gar Relevanz sein, was am Anfang der Treuhand in der DDR diskutiert wurde. Es war die Suche nach einem dritten Weg; andere wollten eine „soziale und ökologische Marktwirt­schaft“ errichten. Diesem Konzept zufolge sollten wichtige Bereiche in Staatsbesitz bleiben, aber die meisten Firmen der DDR der ostdeutschen Bevölkerung übertragen werden, und zwar durch Anteilscheine („Volksaktien“).

 

Abgesehen von rechtlichen Erwägungen stellt sich die Frage, wie die Bevölkerung Nord-koreas Anteile erwerben könnte, wenn sie nicht über das dafür erforderliche Geld verfügt. Vielleicht sind diese Überlegungen dennoch nachdenkenswert für eine Übergangsphase in Korea.[5]


[1] de Maizière, Lothar: Ich will, dass meine Kinder nicht mehr lügen müssen. Meine Geschichte der deutschen Einheit. Freiburg im Breisgau: Herder Verlag, 2010, S. 149f. (Lothar de Maizière war der letzte und der erste frei gewählte Ministerpräsident der DDR.)

[2] Kant, Immanuel: Die Metaphysik der Sitten in zwei Teilen. In: Immanuel Kants Werke, Band VII, Berlin 1922, S. 108, Cassirer Ausgabe.

[3] Die Festschreibung dieser Enteignungen war anscheinend eine Bedingung der UdSSR für ihre Einwilligung in den 2+4-Vertrag, mit dem Deutschland seine Einheit und die volle Souveränität wiedererlangte. Inzwischen werden die Tatsache dieser Forderung bzw. ihre Unbedingtheit vielfach in Frage gestellt (sie war nie schriftlich fixiert worden).

[4] Das trifft auch heute noch zu, macht diese Betriebe aber stärker abhängig von Bestimmungen der EU, z.B. Quotenregelungen und Bestimmungen über Brachflächen.

[5] Zur Problematik der Privatisierung gibt es zahlreiche Studien. Vgl. Kelleher, David S. und Kim, Hak-Min: Post-Unification Privatization of North Korean Enterprises: Lessons from Transition Economies. Korea Observer, Vol. 36, No. 1, Spring 2005, S. 21–67. Es wird auch die Frage von Anteilscheinen (vouchers) angesprochen, S. 34 f.

Koreastudien