Band 26: Militär – Nationale Volksarmee (2012)
Prof. Dr. Eun-Jeung Lee, Dr. Werner Pfennig
Militär / Nationale Volksarmee (NVA)
Werner Pfennig
In Zusammenarbeit mit Arne Bartzsch, Jung Hoon, Alexander Pfennig und Florian Schiller
„Zur Geschichte der NVA gehört, dass sie lange vor der Wende, wozu damals noch Mut gehörte, der politischen Führung der DDR klar machte, dass sie sich nicht gegen das Volk einsetzen lassen würde.“[1]
(Egon Bahr)
Die widerstandslose Auflösung der Nationalen Volksarmee (NVA) der Deutschen Demo-kratischen Republik (DDR) gehört zu den erstaunlichsten und erfolgreichsten Ereignissen des deutschen Einigungsprozesses; sie war bereits Thema des Bandes Nr. 3 und die darin gesammelten Informationen sollen hier nicht wiederholt werden.
Es gab durchaus Pläne, die NVA auch im Innern, d. h. gegen Demonstranten, einzusetzen. Eine Strukturreform schuf neue Gliederungen, „Hundertschaften“, die dafür vorgesehen waren. Vom Oktober bis November des Jahres 1989 wurden rund 20.000 NVA-Soldaten für solche Einsätze in Bereitschaft gehalten. Dass es nicht dazu kam, hat weniger mit der Einsicht der alten DDR-Führung zu tun, sondern lag mehr an dem Mut der vielen friedlichen Demonstranten und am Mentalitätswechsel in den Streitkräften selbst. In den Jahren 1989 und 1990 handelten sie als Armee des Volkes und nicht als Armee gegen das Volk.[2]
In dem vorliegenden Band haben wir uns auf Materialien aus dem Parlament, dem Deutschen Bundestag, konzentriert, weil dort zum Beispiel in den Fragestunden ein breites Meinungs-spektrum deutlich wird.
1. Übernahme, keine Vereinigung beider Streitkräfte
Am 3. Oktober 1990 gab es keine Vereinigung der beiden deutschen Streitkräfte und es kam auch zu keiner kompletten Integration der NVA in die Bundeswehr; lediglich Teile von ihr (Personal, Material und Liegenschaften) wurden übernommen. Schon vorher war in der DDR durch Reformen die Mannschaftsstärke der NVA reduziert worden und in der Übergangsphase des Jahres 1990 waren zahlreiche Soldaten desertiert und viele junge Menschen dem Einberufungsbefehl nicht gefolgt.
Schlagworte:
Deutschland, Wiedervereinigung, Bundeswehr, Nationale Volksarmee
Es gab mehrere Ideen für eine Übergangszeit, so zum Beispiel für ein zeitlich begrenztes Neben-einander von zwei deutschen Armeen. Hier war an einen Zeitraum von etwa zwei Jahre gedacht, in dem ein Austritt dieser Armeen aus ihren jeweiligen Bündnissystemen (NATO und Warschauer Pakt) vorgesehen war. Aus diesen beiden Bündnissen sollte später ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem entstehen, mit einem vereinten Deutschland als Mitglied. Solche Überlegungen waren erledigt, als Michail Gorbatschow Mitte Juli 1990 einer freien Bündniswahl des vereinten Deutschlands zustimmte.
In dieser Einleitung werden in Ergänzung zum Band 3 Themen angesprochen, die von besonderer Bedeutung waren: der Abbau von Personal, die Überprüfung derjenigen, die in die Bundeswehr übernommen wurden, Fragen der Weiterbeschäftigung, des Umgangs mit NVA-Beständen und Liegenschaften, Bemühungen, ein größeres Maß an Gleichbehandlung zu erreichen sowie Bestrebungen, die innere Einheit auch in der Bundeswehr zu erreichen. Im Schlusskapitel wird mit aller gebotenen Vorsicht auch der Frage nachgegangen, in wieweit dies auch für Korea relevant sein könnte.[3]
2. Abbau von Personal
Der gravierendste Einschnitt war die Reduzierung der Truppenstärke. Abgesehen von einer kurzfristigen Weiterverwendung auf Beraterbasis wurden kein General und kein Admiral der NVA übernommen. Diese Entscheidung wurde in ausführlichen persönlichen Gesprächen begründet, die eigentliche Entlassung erfolgte aber in einer Weise, die die Betroffenen als unwürdig empfanden (feierlich ernannt hatte sie einst das Staatsoberhaupt, die Entlassungs-urkunde erhielten sie schlicht von einem Staatssekretär.) Viele der hohen NVA-Offiziere wären wahrscheinlich ohnehin aus grundsätzlichen Erwägungen nicht bereit gewesen, in der Bundeswehr zu dienen und kaum jemand in der Bundeswehr war willens, dem Befehl eines ehemaligen hohen NVA-Offiziers Gehorsam zu leisten. Erst im Sommer 1995 wurden einige ehemalige NVA-Offiziere zu Bataillonskommandeuren in der Bundeswehr befördert, ab dem Jahre 2008 diente eine Generalärztin in der Bundeswehr, die eine „NVA-Vergangenheit“ hatte.
Vorbehalte gab es auf unterschiedlichen Ebenen: westdeutsche Vorgesetzte hielten in der Regel wenig von ihren „neuen“ Offizierskollegen aus dem Osten und Soldaten aus dem Westen hatten Mühe, diese Offiziere zu akzeptieren. Wie aber die ehemaligen NVA-Angehörigen ihr neues berufliches Umfeld einschätzten, darüber ist wenig bekannt.
Ältere Offiziere, Politoffiziere und Angehörige des militärischen Aufklärungsdienstes der NVA mussten nach dem 3. Oktober ihre Arbeit einstellen, sie wurden nach sechs Monaten unter Fortzahlung eines geringen Gehalts entlassen. Vorruhestand und Entlassung brachten in fast allen Fällen auch Probleme mit der sozialen Absicherung und der Krankenversicherung. (Dokument 47). Wie andere Stützen des ehemaligen DDR-Systems fühlen sich viele Berufs-soldaten der NVA als Verlierer der Wiedervereinigung.
Es war Teil internationaler Vereinbarungen, dass die Bundeswehr nach der deutschen Einigung verkleinert wurde. Eine große Zahl von NVA-Soldaten hatte sich aber, schon aus finanziellen Gründen, eine Übernahme in die Bundeswehr erhofft, was allerdings aufgrund eines schnellen Abbaus von Personal nicht erfolgte.
Am 3. Oktober 1990 hatte die Bundeswehr eine Gesamtstärke von 585.000 Mann, davon waren 90.000 ehemalige Angehörige der NVA: 50.000 Berufs- und Zeitsoldaten und rund 40.000 Wehrpflichtige. Innerhalb kurzer Zeit, d. h. vom Oktober 1990 bis zum Februar 1991, waren 58 Prozent der Berufssoldaten und 67 Prozent der Offiziere entlassen worden. Wie zu erwarten, war die Reduktion bei den Offizieren am größten. Die NVA hatte ca. 32.000 Offiziere, davon 2.110 im Rang eines Generals, Admirals oder Oberst. Am 3. Oktober 1990 waren es 23.354 Offiziere. Von den insgesamt 14.022 Offizieren des Heeres blieben letztlich nur 1.749 übrig.
2.1 Bundeswehr – Nationale Volksarmee
Personal und Übernahme von NVA-Angehörigen in die Bundeswehr
Im Zeitraum vom Oktober 1990 bis etwa zum Jahre 1994 verringerte sich die Zahl der ehemaligen NVA-Angehörigen drastisch. Es gibt eine Fülle von Angaben, die differieren und häufig auch etwas verwirrend sind, denn Zeitpunkt und Zeitraum werden nicht immer deutlich angegeben. Oft finden unterschiedliche Definitionen Verwendung. Das trifft auch für „Weiter-verwender“ zu, hier schwanken Zahlenangaben erheblich. „Weiterverwender“ waren meist militärisches Personal, das nach dem 3. Oktober bei der neuen Bundeswehr verblieb, es konnten aber auch Personen sein, die nur für einen sehr kurzen Zeitraum beschäftigt wurden, bezogen auf die Erledigung von konkreten Aufgaben.
Zum Zeitpunkt der Vereinigung hatte die NVA 23.354 Offiziere, im März 1991 waren es nur noch 12.700, von denen 6.056 in ein zweijähriges Probedienstverhältnis übernommen wurden.
Vereinfacht kann gesagt werden, dass von den im Oktober 1990 übernommenen ca. 90.000 Offizieren und Soldaten der NVA letztlich nur etwa 11.000 dauerhaft in die Bundeswehr übernommen wurden.
Sachstand/Vorgang |
Größenordnung |
Kriegsstärke der NVA |
330.000 |
Friedensstärke, der Grundwehrdienst dauerte 18 Monate |
180.000 |
NVA im April 1990, davon im Wirtschaftseinsatz |
170.000 55.000 |
Am 3. Oktober 1990 in die Bundeswehr übernommen, davon Berufs- und Zeitsoldaten, Wehrpflichtige. Zivilbeschäftigte. Am 3. Oktober 1990 vorhandene NVA-Waffen (Stückzahl) Am 3. Oktober 1990 vorhandene NVA-Munition (Tonnen) Kampfpanzer (Stückzahl) Kampf- und Transportflugzeuge sowie Hubschrauber (Stückzahl) Offiziere und Unteroffiziere der Bundeswehr (West), die am 3. Oktober 1990 in den Neuen Bundesländern tätig wurden |
90.000 50.000 40.000 47.000 1.700.000 300.000 2.300 700 1.200 |
Alle Offiziere und Berufssoldaten, die das 55. Lebensjahr erreicht hatten, wurden entlassen. Bis Januar 1991 entlassene Berufs- und Zeitsoldaten, davon auf eigenen Wunsch entlassen |
35.000 24.000 |
Antrag, als Soldat auf Zeit (SaZ 2) für zwei Jahre auf Probe übernommen zu werden: Offiziere als Antragsteller Unteroffiziere als Antragsteller Bewerber für Mannschaftslaufbahn |
11.700 12.300 1.000 |
Langfristig in die Bundeswehr übernommene ehemalige NVA-Angehörige Ende 1998 |
11.000
9.300 |
(Zusammenstellung von Alexander Pfennig und Werner Pfennig)
2.2 Weiterbeschäftigung und das Problem der „Versorgungslücke“
Im März 1991 fragte Hans Modrow, der vorletzte Ministerpräsident der DDR, im Bundestag nach der Situation ehemaliger Angehöriger der NVA und erhielt u. a. folgende Antwort:
Am 3. Oktober 1990 wurden ca. 50.000 ehemalige Berufs- und Zeitsoldaten der NVA in die Bundeswehr übernommen, davon sind z. Z. noch ca. 29.000 imDienst. Langfristig ist ein Bestand von 25.000 Längerdienern vorgesehen und für einen vorübergehendenZeitraum zusätzlich 5.000 Soldaten zur Wahrnehmung befristeter Aufgaben. Bisher haben sich ca. 23.000 ehemalige Berufs- und Zeitsoldaten der NVA um Übernahme als "SaZ 2" beworben, („SaZ 2“ bedeutet Soldat auf Zeit für zwei Jahre), bislang konnten 12.000 Bewerbungen mit einem positiven Ergebnis beschieden werden. DieÜbernahmen werden voraussichtlich Ende April 1991 abgeschlossen sein.
Die soziale Lage der im Dienst befindlichen und ausgeschiedenen Soldaten der ehemaligen NVA wird durch die im Einigungsvertrag festgelegten Maßnahmen bestimmt. Dabei geht es für Ausscheidende insbesondere um die materielle Sicherung und die Integration in das zivile Berufsleben. Von besonderer Bedeutung sind dabei die gesetzlichen Regelungen für das Übergangsgeld in Höhe von 70 % der durchschnittlichen letzten Bezüge zur Sicherstellung des laufenden Lebensbedarfs und die Leistungen für eine zivilberufliche Qualifikation.
Für ehemalige NVA-Soldaten, die nicht übernommen werden, ist im Einigungsvertrag festgelegt, dass für deren Eingliederung in das zivile Berufsleben die Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes gelten, insbesondere für Maßnahmen der beruflichen Ausbildung, Fortbildung und Umschulung. Dabei gewährt der Berufsförderungsdienst der Bundeswehr zusätzliche Hilfestellung. Die Betroffenen sind in vielen Informationsvorträgen über die Leistungen und Möglichkeiten dieser gesetzlichen Förderungsbestimmungen unterrichtet worden.
Zudem haben die Arbeitsämter und die Berufsförderungsdienste in den Bundesländern bereits in den wenigen Monaten seit dem Beitritt ein umfangreiches und differenziertes Qualifikationsangebot entwickelt, insbesondere auch für die ehemaligen NVA-Soldaten. Diese Angebote werden umfassend und auf allen Ebenen in Anspruch genommen (Dokument 10).
Ein großes Problem beim Personalabbau bestand in der Ungewissheit der Betroffenen. Lange Zeit war nicht klar, wer übernommen wird, wer nicht, welche Übergangsregelungen es für wen geben würde und wie sich bei einer Übernahme die Rückstufung im Dienstgrad gestalten könnte. Diese Unsicherheit kann vielleicht mit dem Mangel an Zeit und Planung erklärt werden, sie hat aber auf jeden Fall für eine negative Stimmung und für viele persönliche Probleme gesorgt. Noch im August 1990 war von rund 50.000 Soldaten in den Neuen Bundesländern die Rede, insgesamt wurden dann aber nur 11.000 ehemalige NVA-Soldaten in die Bundeswehr übernommen. In der Anfangsphase nach dem Oktober 1990 kam ihnen hauptsächlich die Aufgabe zu, Waffenbestände korrekt zu ermitteln, Waffen und Munition zu sichern. Die Bewachung von Militäranlagen und die sachgerechte Vernichtung von Munition waren mit hohen Kosten verbunden; für die Munitionsvernichtung im Zeitraum 1991-1993 rund 550 Millionen DM. Von der Gesamtmenge der wohl 300.000 Tonnen Munition konnten nur geringe Mengen von der Bundeswehr genutzt, bzw. an andere Staaten (z. B. Griechenland und Türkei) abgegeben werden, was höchstwahrscheinlich kostenlos erfolgte. Mit der Vernichtung wurden fachkundige Firmen beauftragt, möglichst solche, die in den Neuen Ländern ansässig waren.
Die Ungewissheit über die berufliche Zukunft bei der Übergangsphase 1990 war registriert worden und es gab dann Bemühungen der Bundesregierung, bei der Weiterbeschäftigung von Soldaten auf Zeit (SaZ) möglichst früh Klarheit zu schaffen über eine zeitlich befristete Verwendung oder in eine Übernahme als Berufssoldat. Nachstehend findet sich dazu die am 13. Mai 1991 erfolgte Antwort des Verteidigungs-Staatsekretärs Wimmer auf eine Anfrage im Bundestag, wo er gegen Ende auch auf die Überprüfung durch den „Unabhängigen Ausschuss“ hinweist sowie deutlich macht, dass wegen der Verkleinerung der Bundeswehr besonders für Offiziere geringere Chancen bestünden, auf Dauer übernommen zu werden.
Nach der Erklärung des Staatssekretärs Wimmer verfolgte der Bundesminister der Verteidigung das Ziel, den ehemaligen NVA-Soldaten, die als Soldaten auf Zeit übernommen wurden, frühzeitig die Entscheidung über die Verlängerung ihrer Dienstzeit als SaZ bzw. ihre Übernahme als Berufssoldat bekanntzugeben, um ihnen ausreichend Zeit für eine solide Lebensplanung zu geben. Daher wurde den Unteroffizieren ohne Portepee,[4] den Unteroffizier-anwärtern und den länger dienenden Mannschaften bereits jetzt die Möglichkeit eröffnet, sich nach einer Dienstzeit von sechs Monaten im Status des SaZ 2 weiter zu verpflichten. Bei diesen lebensjüngeren Soldaten kann auf eine längere Probezeit verzichtet werden.
Bei den Offizieren und Unteroffizieren mit Portepee muss - auch im Hinblick auf die an diesen Personenkreis zu stellenden Anforderungen - anders verfahren werden. Bei der Über-nahme bzw. Verlängerung der Dienstzeit kann wegen des § 3 Soldatengesetz auf die Vorlage und Auswertung von Beurteilungen nicht verzichtet werden. Da die neuen Gliederungen im Bereich der Bundeswehr Ost erst ab 1. April 1991 eingenommen werden und die Soldaten vornehmlich in ihren neuen Funktionen zu beurteilen sind, bedeutet dies, dass die ersten als SaZ 2 übernommenen ehemaligen NVA-Soldaten, deren Dienstzeit Ende Januar 1993 enden würde, im August/September 1992 mit einer Entscheidung rechnen können. Da die meisten SaZ 2 erst nach dem Januar 1991 übernommen wurden, wird für sie ein größerer Zeitraum zwischen dem Ende der Dienstzeit als SaZ 2 und einer Entscheidung über die Übernahme bzw. Verlängerung der Dienstzeit liegen. Auf Grund der heute bekannten haushaltsmäßigen Rahmenbedingungen werden nahezu alle Unteroffiziere mit Portepee, die sich in den zwei Jahren auf ihrem Dienstposten bewähren und die persönliche Eignung mitbringen, als Soldat auf Zeit weiterverpflichtet oder als Berufssoldat übernommen werden können.
Bei den Offizieren stellt sich die Chance der Dienstzeitverlängerung weniger günstig dar, da nur für etwa zwei Drittel aller SaZ 2-0ffiziere ein langfristiger Bedarf besteht. Darüber hinaus ist der „Unabhängige Ausschuss“ vor der Übernahme als Berufsoffizier zu hören (Dokument 10, auch Dokument 119, S. 20).
2.3 Finanzielle Auswirkungen
Die Höhe der Rente hängt in Deutschland generell von der Höhe des früheren Lohns und der Dauer der Beschäftigung ab und es gibt einen Unterschied zwischen Rente und Pensionen, Versorgungsbezügen, wie sie Beamte (Offiziere) erhalten. Da die Dienstzeiten in der NVA nur rentenrechtlich auf die Dauer der Beschäftigung angerechnet wurden, entstand für viele Soldaten nach ihrem Ausscheiden, zum Beispiel nach zwei Jahren als Soldat auf Zeit, eine Versorgungslücke. Eine Rente wird generell ab dem 65. Lebensjahr gezahlt, eine Versetzung in den Ruhestand ist aber bereits ab dem 52. Lebensjahr möglich und eine Überbrückungs-zahlung erfolgte erst zum 60. Geburtstag. Wenn es jemandem, der aus der Bundeswehr ausschied, nicht gelang, eine neue (zivile) Anstellung zu bekommen, dann trat also eine „Versorgungslücke“ ein. In solchen Fällen gab es eine einmalige, steuerfreie Übergangshilfe, aber die Notwendigkeit, eine neue Beschäftigung zu finden war dennoch groß und besonders für ältere Personen war dies nur sehr schwer möglich. Im Jahre 1998 erfolgte eine Reform, die etwas finanzielle Verbesserung bewirkte. Eine Nachzahlung gab es im Jahre 2011 (Dokument 188).
Die vorstehenden Darstellungen wirken vielleicht etwas abstrakt, die konkreten finanziellen Auswirkungen waren aber durchaus beträchtlich. Bei etwa gleicher Länge der Dienstzeit erhielt jemand, der ausschließlich bei der Bundeswehr war im Vergleich zu jemandem, der sowohl in der NVA als auch später in der Bundeswehr gedient hatte dann 30 Prozent höhere Versorgungsbezüge (Dokument 111). Nicht nur diese Bezüge waren bei ehemaligen NVA-Angehörigen niedriger, sie durften auch als Rentner weniger hinzuverdienen als ihre west-deutschen „Kameraden.“ (Zur Altersversorgung ehemaliger NVA-Angehöriger in der Bundeswehr siehe auch Dokument 143.)
Im Bundestag existierte ein Unterausschuss „Streitkräftefragen in den neuen Bundes-ländern“ des Verteidigungsausschusses, der sich auch mit dieser Problematik beschäftigte, ebenfalls der Petitionsausschuss (Dokument 144).
Im Gegensatz zum Militär war die Zahl der weiterbeschäftigten Übernommenen bei den Grenztruppen größer. Es gab keine innerdeutsche Grenze mehr und am 3. Oktober 1990 wurden rund 3.600 Angehörige der ehemaligen DDR-Grenzschützer und 1.050 Pass-kontrolleure in den Bundesgrenzschutz übernommen. Von diesen insgesamt 4.650 Personen verblieben nach den Überprüfungsverfahren im Frühjahr 1991 rund 4.040 im Bundesgrenz-schutz Ost. Bei „Vorliegen der entsprechenden beamtenrechtlichen Voraussetzungen“ war für Juli 1991 die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe vorgesehen (Dokument 11).
Große Veränderungen gab es im März 1995 durch das Schengener Durchführungsabkommen und dann im Mai 2004 durch die Osterweiterung der EU, in deren Rahmen zehn ost- und mitteleuropäische Staaten Vollmitglied der Union wurden. Dadurch veränderten sich Visa-formalitäten und die Außengrenzen der EU, folglich wandelte sich das Aufgabengebiet des Bundesgrenzschutzes erheblich.
3. Politische Zuverlässigkeit
Neben der fachlichen Eignung spielten die Überprüfung der politischen Zuverlässigkeit und eine etwaige Verwickelung in das Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) der DDR eine große Rolle. Generelle Vorbehalte im Westen gegenüber dem System der DDR sollten kein Argument sein, es ging um individuelle Einschätzung, was sich schwierig genug gestaltete, denn in vielen Fällen waren Personalakten vernichtet worden. Zur Weiterverwendung von Personal wurde im August 1990 im Bundestag gesagt, dass es „differenzierte Einzel-prüfungen“ geben solle (Dokument 3). Die Überprüfungsverfahren bestanden aus der Beantwortung eines umfangreichen Fragebogens und einem persönlichen Gespräch.
Ehemaligen NVA-Angehörigen wurde angeboten, in die Bundeswehr auf Zeit, d. h. zunächst für zwei Jahre, übernommen zu werden. 11.700 Offiziere und 12.300 Unteroffiziere stellten einen solchen Antrag.
Im Bereich des Heeres (also ohne Luftwaffe und Marine) waren bis zum April 1991 rund 4.000 Anträge bearbeitet worden. Das Verteidigungsministerium hatte für diesen Bereich zahlenmäßige Vorgaben gemacht, endgültig sollten in das Heer übernommen werden: 1.150 als Berufssoldaten, 700 als Zeitsoldaten und 600 als Fachdienstsoldaten. Nach den Über-prüfungen wurden dann 862 Offiziere, 425 Zeitsoldaten und 462 Fachdienstoffiziere eingestellt, also beträchtlich weniger als vom Ministerium vorgesehen.
Die Überprüfung erfolgte durch eine Kommission, die jeden Fall einzeln behandelte. Es handelte sich um ein mehrstufiges Verfahren, denn vor der Anhörung waren die Bewerbungen schon vom Militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr und der Behörde des Bundes-beauftragten für die Stasi-Unterlagen auf der Basis schriftlicher Unterlagen geprüft worden.
Von den Unteroffizieren, die sich beworben hatten, wurden 90 Prozent übernommen. Nach einer Vorauswahl mussten sich die bereits erwähnten 1.740 Offiziere des Heeres einem weiteren Prüfungsverfahren unterziehen, an dessen Ende rund ein Prozent von ihnen abgelehnt wurde. Das Gremium bestand aus Vertretern politischer Parteien, der Gewerk-schaften, der Wirtschaftsverbände und anderer sozialer Gruppen; nach der „fach-lichen“ Überprüfung durch die Bundeswehr also eine bewusst „zivile“ Überprüfung durch Personen aus dem Bereich von Nichtregierungsorganisationen. Wenn später, durch neue Erkenntnisse und neues Material festgestellt wurde, dass jemand in den Verfahren die Unwahrheit oder nur Teilwahrheiten gesagt hatte, kam es zur sofortigen Entlassung, die in der Regel ohne Zahlung einer Pension oder anderer Versorgungsbezüge erfolgte.
Kündigungen wurden generell entsprechend dem Einigungsvertrag geregelt, (Anlage I, Kapitel XIX, Sachgebiet A, Abschnitt III, Nr. 1, Absatz 5):
Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung ist insbesondere dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer
1. gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat, insbesondere die im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 gewährleisteten Menschenrechte oder die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 enthaltenen Grundsätze verletzt hat oder
2. für das frühere Ministerium für Staatssicherheit/Amt für nationale Sicherheit tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint.
Für alle, die übernommen wurden und später auch für die neu Einberufenen war nicht nur die allgemeine Orientierung in einem neuen politischen und ökonomischen System eine Heraus-forderung, sondern was die Bundeswehr anbelangt, die Eingewöhnung in ein anderes System der inneren Führung, mit dem Ideal des „Bürgers in Uniform“ und die Beherrschung der englischen Sprache. Zur Verbesserung des Kenntnisstandes und auch als Hilfe, einen neuen Beruf zu finden, gab es eine Fülle von Fortbildungsmaßnahmen (staatsbürgerkundliche Seminare, Sprachkurse, Umschulungsprogramme).
4. Bemühungen um zügigen Aufbau und innerdeutsche Integration
In der Bundesrepublik ist die Bundeswehr nach Teilstreitkräften aufgebaut, mit unterschied-lichen Befehlshabern. Um eine schnellere Umgestaltung in den Neuen Ländern zu ermöglichen fand dieses Strukturprinzip dort zunächst keine Anwendung und der Befehls-haber des „Territorialkommandos Ost“ hatte größere Befugnisse. Diese Übergangsregelung half bei der Auflösung der alten NVA-Verbände und dem Aufbau der Bundeswehr in den Neuen Ländern.
Besonders viel und schnell musste Arbeit in zwei Bereichen geleistet werden:
· Sicherung sowie Vernichtung von Munition bzw. Waffen, (siehe auch 4.4 Weiter-verwendung)
· Verbesserung der Infrastruktur.
Im Vergleich zu Korea war die Informationslage in Deutschland immer besser, aber letztlich stellte sich im Einigungsprozess heraus, dass die Informationen über die DDR dennoch nicht ausreichten. Die Zahl der Waffen und die Mengen an Munition waren unterschätzt worden. Es gab aber auch Bereiche, z. B. fabrikneue Bekleidung, Decken, usw. wo eine Weiter-verwendung relativ problemlos und sinnvoll war.
Staatssekretär Wimmer antwortete auf eine entsprechende Anfrage im Bundestag: So wurden beispielsweise auch die verschiedenen Bekleidungs- und Ausrüstungsstücke der NVA auf ihre Weiterverwendbarkeit in der Bundeswehr überprüft. Artikel, die das äußere Erscheinungsbild der Bundeswehr nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen, werden auf Dauer weitergenutzt und aufgebraucht.
Das in der Bundeswehr nicht weiter nutzbare Material wird verwertet, und zwar aufgrund der Bestimmungen über das Aussondern und Verwerten von Material der Bundeswehr (AVB) durch Verkauf, den die VEBEG GmbH, Frankfurt/Main, vornimmt, aufgrund vertraglicher Vereinbarungen durch Verkauf an die VEMIG, Verwertungsgesellschaft militärischer Ausrüstungsgüter mbH, mit Firmensitz in 0-3504 Tangermünde, durch Abgaben an Kommunen in den neuen Bundesländern, durch Abgaben im Rahmen von NATO-Verteidigungshilfen und Materialhilfen, durch Abgaben für humanitäre Zwecke. Eine Vernichtung der übernommenen Bestände an Bekleidung ist nicht vorgesehen (Dokument 30).
4.1 Herstellung der deutschen Einheit in der Bundeswehr[5]
Bis zum Anfang 1993 waren nach den entsprechenden Auswahlverfahren 4.900 Berufs- und 5.900 Zeitsoldaten der früheren NVA in die Bundeswehr endgültig übernommen worden. Die Zahl verringerte sich. Im Jahre 2002 waren es insgesamt rund 7.000 ehemalige NVA-Soldaten, die als Soldaten auf Zeit oder Berufssoldaten in der Bundeswehr dienten. Im Vergleich zur Gesamtstärke war das ein relativ kleines Kontingent, aber noch zwölf Jahre nach Erlangung der formalen deutschen Einheit gab es Probleme mit der Integration, der Anerkennung. Sie wurden im April 2002 in einem Antrag der Fraktion der PDS im Bundestag angesprochen, der in einigen Aspekten wohl überzeichnet, aber dennoch die verbliebenen Schwierigkeiten und damit verbundenen das bei vielen ehemaligen NVA-Angehörigen vorhandene Gefühl der Zurücksetzung deutlich macht. Deshalb wird hier aus ihm zitiert:
Die dem historischen Erfordernis und dem Geist des Grundgesetzes einzig angemessene Grundeinstellung, durch politisches Handeln zu versöhnen anstatt zu spalten, wurde 1990 nur ansatzweise zur Handlungsmaxime. Takt und Richtung der Zusammenführung beider Armeen waren nicht immer von Fairness mit dem vermeintlich Unterlegenen geprägt. Das Ergebnis war und ist insgesamt ein Status der Zweitklassigkeit der aus der NVA übernommenen Soldaten und ihrer ehemaligen Angehörigen. Dies spiegelt sich in den Bestimmungen des Einigungsvertrages zum Rechtsstatus, bei der Besoldung und bei der Versorgung bis hin zu den Regelungen für den Krankheitsfall wider.
· Die Zusammenführung beider Armeen zur „Armee der Einheit“ ging einseitig zu Lasten der Soldaten der NVA. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass wegen der unterschiedlichen Ausbildungsgänge und Personalstrukturen,
· der Offiziersanteil betrug 35 Prozent in der NVA und 9 Prozent in der Bundeswehr,
· eine quantitativ völlig ausgewogene Reduzierung beider Armeen für die Zielstruktur nicht möglich war. Der Verfassungsgrundsatz, wonach jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte haben muss (Artikel 33 Abs. 2 Grundgesetz), blieb jedoch auf der Strecke.
· Die „alte“ Bundeswehr brachte in das auf der Grundlage der deutsch-sowjetischen Vereinbarung entwickelte „Personalstruktur-Modell 370000“ 95 Prozent, die ehemalige NVA 5 Prozent der Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten ein.
· Für gleiche Funktionen werden in Ost und West noch immer unterschiedliche Gehälter bezahlt. Soldaten mit Dienstposten in den neuen Ländern erhalten für die Dauer von Auslandseinsätzen „Westbesoldung“, weil sie dem Heeresführungs-kommando in Koblenz unterstellt sind und nach Rückkehr an den Dienstort wieder „Ostbesoldung“.
· Bis heute wird gegen Artikel 36 des Grundgesetzes verstoßen, der bestimmt, dass Staatsdiener aus allen Bundesländern in den obersten Bundesbehörden in angemessenem Verhältnis zu verwenden sind: In der Bundeswehr dient noch kein Offizier im Generals-/Admiralsrang, der seinen militärischen Weg in der NVA begann, im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) gibt es bis heute weder einen Spitzenbeamten noch einen Militärdienstrang aus den neuen Ländern in heraus-gehobener Funktion.
· Auch nahezu zwölf Jahre nach der staatlichen Einheit empfinden manche ehemalige Angehörige der NVA ihren Rechtsstatus als entwürdigend. Der Bundesminister der Verteidigung interpretiert ihn als „gedient in fremden Streitkräften“ und gewährt beispielsweise diesem Personenkreis nur dann militärische Ehren nach der Zentralen Dienstvorschrift 10/8, wenn er Inhaber oder Träger von Tapferkeitsauszeichnungen des Zweiten Weltkriegs vom „Ritterkreuz an aufwärts“ ist und damit in einer Armee gedient hat, die Instrument des nationalsozialistischen Staates im größten Vernichtungskrieg der Geschichte war.
· Den ehemaligen Dienstgrad mit dem Zusatz „außer Dienst“ zu führen wird lediglich geduldet.
· Ungerecht ging es auch zu bei den wegen Personalmangels zunächst auf Zeit über-nommenen Sanitätsoffizieren. Ein rundes Dutzend dieser Ärzte ist zwar in verantwortungsvollen Positionen tätig, wartete jedoch vergeblich auf die in Aussicht gestellte Übernahme zum Berufsoffizier. Sie sehen wegen ihrer mangelhaften Versorgung im Alter einem materiellen Leben entgegen, das weder ihrer Lebens-leistung noch ihrer hohen Qualifikation angemessen ist.
· In der NVA erworbene Bildungsabschlüsse werden nur unzureichend anerkannt.
· Vordienstzeiten in der NVA werden nicht anerkannt, was zu Laufbahnnachteilen führt.
· Für die Berechnung der Versorgungsbezüge wird nur die Dienstzeit in der Bundes-wehr zugrunde gelegt. Die Vordienstzeit in der NVA wird lediglich rentenwirksam, noch dazu auf einem niedrigeren Niveau, während die Dienstjahre der Soldaten, die ausschließlich in der Bundeswehr gedient haben, auf höherem Niveau pensions-wirksam sind (Dokument 119).
Für die parlamentarische Aussprache zu dem Antrag der PDS-Fraktion war an einem Freitag-nachmittag eine halbe Stunde vorgesehen; dem Antragsteller wurden fünf Minuten zugebilligt. Es sprach ein Abgeordneter der PDS, alle anderen hatten ihre Redebeiträge zu Protokoll gegeben. Ohne weitere Aussprache wurde die Vorlage an zuständige Ausschüsse überwiesen.
4.2 Forderungen nach Gleichbehandlung
Das Thema „Gleichbehandlung“ blieb auf der Tagesordnung und sorgte fortgesetzt für Diskussionen, denn es ging nicht nur um Fragen des persönlichen Prestiges, sondern oft ganz konkret um Fälle von Fairness, so zum Beispiel bei Forderungen nach Gleichbehandlung bei Opfern von Strahlungen an Radargeräten in der Bundeswehr und der NVA (Dokumente 125, 128, 156, 166). Es handelte sich um Strahlen, die von Radargeräten der Bundeswehr bis 1986 und von denen der NVA bis 1990 ausgingen; Gutachten belegten, dass diese Strahlung Krebs und auch andere Krankheiten verursachen kann (Dokument 156).
Je länger die Ungleichbehandlung andauerte, desto mehr gab es parteiübergreifende Forderungen nach Änderungen, also nicht nur von Abgeordneten der PDS, weil zahlreiche Politikerinnen und Politiker damit in ihren Wahlkreisen direkt konfrontiert sind. Eine Parlamentarierin aus der CDU/CSU-Fraktion stellte im Juni 2006 im Bundestag fest, die ungleiche Besoldung sei eine Belastung für die innere Einheit der Bundeswehr.
„Die unterschiedliche Besoldung ist auch durch nichts gerechtfertigt, denn Soldatinnen und Soldaten leisten qualitativ Vergleichbares – ob in München oder Dresden, ob in Mainz oder Neubrandenburg. Wie soll ich einem Soldaten in Thüringen erklären, dass sein bayerischer Kamerad, der nur circa 20 Kilometer weiter westlich stationiert ist, statt seiner 92,5 Prozent die vollen 100 Prozent Besoldung erhält, also 7,5 Prozent mehr Sold, was je nach Alter bis zu 200 Euro monatlich ausmachen kann“ (Dokument 125).
Bei der hier angesprochenen Differenz im Sold handelt es sich um eine andere Kategorie von Unterschieden, die nichts mit der früheren Tätigkeit in der NVA zu tun hat; es gibt einen geographischen Grund. Im „Tarifgebiet Ost“, d. h. wenn der Arbeitsplatz in den Neuen Ländern liegt, wird bei gleicher Arbeit noch immer weniger verdient. Diese Differenz ist seit Erlangung der deutschen Einigung im Oktober 1990 zwar kontinuierlich verringert worden, gänzlich aufgehoben ist sie noch immer nicht, was gerade von jungen Menschen schwer zu akzeptieren ist.
Auch wenn die Ungleichbehandlung unstrittig ist, so scheitern Bemühungen, eine Lösung zu finden, oft an unterschiedlichen Rechtsgrundlagen, wie sie in der Bundesrepublik und der DDR herrschten und teilweise fortwirken. Dies wird bei Diskussionen um die Anerkennung von Verletztenrenten für Angehörige der Streitkräfte deutlich, die seit vielen Jahren geführt werden. Ein Beispiel dafür ist die Stellungnahme des Abgeordneten Paul Lehrieder (CDU/ CSU) aus dem Bundestag vom 2. Dezember 2010:
„Um zu verdeutlichen, worum es eigentlich geht, stelle ich noch einmal kurz die Ausgangslage dar – ein Grundproblem, wie es der Vereinigungsprozess häufiger mit sich gebracht hat –: Im komplexen Prozess der Überführung des nach Berufsgruppen differen-zierten Rentenversicherungssystems der DDR in das einkommensbezogene Rentensystem der Bundesrepublik gab es immer wieder auch Ungereimtheiten. Wie so oft bei der deutschen Einheit ergab sich auch hier die Frage, wie zwei unterschiedliche Systeme miteinander zu verbinden sind. Wehrdienstbeschädigungen bei Soldaten der Bundeswehr und der ehemaligen NVA sind auch in unterschiedlichen Rechtsgrundlagen geregelt. Bundeswehrsoldaten erhalten eine Versorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz. Ehemalige Angehörige der NVA sind im Rahmen der Rentenüberleitung aber nicht in diese Versorgung aufgenommen worden. Der Grund: Unfälle von Wehrpflichtigen der NVA waren in der DDR Arbeitsunfällen gleich-gestellt. Daher überführte der Gesetzgeber im Einigungsprozess ehemalige NVA-Angehörige, die eine Verletztenrente bezogen haben, wie andere Arbeitnehmer auch in die gesetzliche Unfallversicherung bzw. in den Geltungsbereich des SGB VII. Deshalb werden Unfälle von Zeit- und Berufssoldaten der ehemaligen NVA über einen Dienstbeschädigungsausgleich abgewickelt.
Diese unterschiedliche Behandlung hat Konsequenzen. Bei der Einkommensberechnung im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind die Unterschiede erheblich. Die Verletztenrente nach dem Soldatenversorgungsgesetz ist als Grundrente nach dem Bundes-versorgungsgesetz eingestuft. Sie stellt damit im Fall der Bundeswehr privilegiertes Einkommen dar, das nicht angerechnet wird. Die Verletztenrente eines ehemaligen NVA-Wehrpflichtigen dagegen ist als Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung keine Grund-rente im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes und wird auch nicht als zweckbestimmte Einnahme eingestuft. Deshalb wird sie angerechnet. So entsteht die Situation, dass Verletzten-renten aus nahezu vergleichbaren Sachverhalten unterschiedlich behandelt werden. Eine gerichtliche Anfechtung der Anrechnung scheiterte bislang; denn es bestehen unterschiedliche Rechtsgrundlagen und damit scheidet ein Gleichheitsverstoß aus“ (Dokument 158).
Bei den Bestrebungen, die deutsche Einheit auch in der Bundeswehr zu erreichen, bzw. zu verbessern, war die Versetzung von Personal Teil der Integrationsanstrengungen. In der Anfangsphase wurden rund 1.000 Offiziere in die Neuen Länder versetzt und 376 kamen aus dem Osten in den Westen Deutschlands. Auch bei Wehrpflichtigen wurde ab dem 1. Juli 1992 nach diesem Prinzip verfahren. Eine Nähe des Standorts zum Wohnort fand zwar Berück-sichtigung, aber es wurden bewusst Wehrpflichtige aus dem Westen in den Osten einberufen und umgekehrt.
Im Laufe der Zeit verringerten sich die oben aufgeführten Probleme, auch weil es vermehrt zu freiwilligen Meldungen zur Bundeswehr von Einwohnern aus den neuen Bundesländern kam, also eine stärkere „Durchmischung“ stattfand.
4.3 Die Bundeswehr als Arbeitgeber in den neuen Ländern
Bei Diskussionen von Schwierigkeiten bei der Integration ehemaliger NVA-Angehöriger in die Bundeswehr und Problemen sowie Ungleichbehandlungen ist aber auch die Rolle der Bundeswehr hervorzuheben, die sie als Arbeitgeber und Investor in den neuen Bundesländern spielt und damit zur wirtschaftlichen Entwicklung beiträgt. Im „Jahresbericht deutsche Einheit 2008“ finden sich dazu folgende Ausführungen:
Die Bundeswehr gehört zu den großen Arbeitgebern in den neuen Ländern. Derzeit sind insgesamt rund 32.900 Berufs- und Zeitsoldaten, 14.000 Grundwehrdienst- und freiwillig zusätzlichen Wehrdienst Leistende sowie rund 13.700 zivile Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aller Statusgruppen, im Bereich der Streitkräfte und der Bundeswehrverwaltung in den neuen Bundesländern beschäftigt. Darüber hinaus trägt die Bundeswehr zur wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen Bundesländern bei. Die Gesamtausgaben für die Erneuerung der Infrastruktur, einschließlich Wohnungsbau, Neubau und Instandhaltung von Kasernen, Anlagen, Einrichtungen sowie ihrer Bewirtschaftung, Bewachung und Unterkunftsausstattung, beliefen sich im Zeitraum von 1991 bis 2006 auf ca. 9,3 Mrd. Euro. Für militärische Beschaffungen hat die Bundeswehr in den Jahren 1991 bis 2007 im Rahmen der zentralen und dezentralen Beschaffung Aufträge im Wert von mehr als 5,3 Mrd. Euro mit wesentlichen Schwerpunkten in den Bereichen Wasserfahrzeuge, Straßenfahrzeuge, elektrotechnische Erzeugnisse, Mineralölerzeugnisse sowie Dienstleistungen erteilt. Die Bundeswehr ist bestrebt, für ihre Verpflegungsversorgung regionale Betriebe des Mittelstandes unter Berück-sichtigung der Vergaberichtlinien einzubinden und trägt auch gegenwärtig in erheblichem Umfang durch Infrastrukturprojekte zur weiteren wirtschaftlichen Förderung in den jeweiligen Regionen bei. Der Gesamtbaubedarf in den neuen Bundesländern beläuft sich noch auf ein Investitionsvolumen in Höhe von ca. 1,3 Mrd. Euro. Davon sind mittelfristig (2008 bis 2012) infrastrukturelle Maßnahmen im Umfang von insgesamt ca. 780 Mio. Euro geplant (Dokument 149).
4.4 Weiterverwendung
Die Bestände und Liegenschaften der NVA gingen am 3. Oktober 1990 automatisch in das Eigentum des Bundes über. Mit unterschiedlicher Dringlichkeit waren fünf Bereiche vorrangig zu beachten:
· Sicherung, d. h. Lagerung und Bewachung von Waffen, Munition und Treibstoffen, besonders Raketentreibstoffen,
· Prüfung der Weiterverwendung von Beständen (so zum Beispiel die zeitweise Übernahme von modernen Kampfflugzeugen sowjetischer Bauart),
· Kalkulation sowie Bereitstellung der Kosten für Sanierung und Modernisierung (z. B. Gebäude, Truppenübungsplätze),
· Verkauf, bzw. Schenkungen (zum Beispiel an NATO-Partner, andere Staaten, Friedenstruppen der Vereinten Nationen, an Museen),
· Verschrottung bzw. Vernichtung von Material.
Die Unterkünfte, insbesondere die hygienischen Einrichtungen und Küchen der Kasernen, befanden sich in einem äußerst schlechten Zustand, in den von der Sowjetarmee genutzten Kasernen noch schlechter als in denen der NVA. Hier musste schnell und mit großem Finanz-aufwand gehandelt werden. Am Beginn standen eine Bestandserfassung und Bedarfs-ermittlung für die Bundeswehr in den Neuen Ländern sowie auch Überlegungen zur späteren privaten Nutzung (Dokument 5). Die NVA hatte rund 2.100 Liegenschaften, die Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte etwa 1.300.
Insgesamt übernahm die Bundeswehr 173.000 Einzelpositionen, vom Großgerät bis zur Bekleidung und dem Kochgeschirr der Soldaten. Die Lagerung und Verwaltung erfolgte ab 1991 in 40 Depots durch eine dafür neue geschaffene Bundesbehörde, die Material Depot Service Gesellschaft (MDSG); die Kosten beliefen sich im Jahr 1994 auf 530 Millionen DM. Was das Erbe der NVA anbelangt, entstand, finanziell gesehen, eine ungleiche Situation: Lagerung und Verwaltung bezahlte das Verteidigungsministerium, Verkaufserlöse erhielt das Finanzministerium. Das Verteidigungsministerium war deshalb bestrebt, möglichst viele Bestände früher als geplant Privatfirmen zu überlassen, um Kosten zu sparen. Teilweise kam es zu Regelungen, wo das Verteidigungsministerium privaten Firmen hohe Beträge zahlte, damit diese die Verschrottung von Material durchführten. Im Vordergrund stand immer die Kostenseite; es wurde auch erwogen, die MDSG in eine private Firma umzuwandeln, wozu es allerdings nicht kam. Wegen des Kostendrucks gab es deshalb oft wenig optimale Lösungen (Dokument, ZEIT-Artikel vom 30.9.1994).
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass von Waffen und Munition der ehemaligen NVA kaum etwas abhandenkam, anders war es bei Beständen der in Deutschland stationierten sowjetischen Streitkräfte, wo viele Waffen auf dem Schwarzmarkt landeten.
Zusätzliche Probleme entstanden durch die zahlenmäßige Verringerung von Personal und Standorten in den Neuen Ländern, was sich negativ auf die Infrastruktur und die Beschäftigungsverhältnisse auswirkte. Hierzu sagte in einer Fragestunde des Bundestages im November 1990 ein zuständiger Staatssekretär: „Die Bundesregierung beabsichtigt derzeit nicht, in Regionen, die von einem Truppenabbau betroffen sind, ein Programm zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen aufzulegen. Falls es im Zuge von Standortschließungen zur Frei-setzung von Soldaten und zivilen Mitarbeitern kommt, ist ein umfangreiches Instrumentarium einschließlich der Möglichkeit von regionalen Fördermaßnahmen zur Flankierung verfügbar“ (Dokument 8). Besonders betroffen waren ohnehin bereits strukturschwache Gebiete, so zum Beispiel Orte an der Ostsee, wo Werften überwiegend von Aufträgen der NVA-Marine abhingen. Hier bemühte sich die Treuhandanstalt um Sanierungskonzepte (Dokument 45). Andererseits ergaben sich Möglichkeiten, die nicht vorhersehbar waren: Im Golfkrieg von 1991 hat die Bundeswehr Material aus NVA-Beständen abgegeben, im Gesamtwert von 780 Millionen DM, vorrangig an die USA und Groß-britannien (Dokument 9).
Was Kasernen und Flugplätze anbelangt, so war es in einigen Fällen möglich, hier später eine privatwirtschaftliche Nutzung zu erreichen. So wurden zum Beispiel in der Stadt Potsdam denkmalgeschützte Militärunterkünfte in begehrte Privatwohnungen umgewandelt und einige ehemalige Flugfelder werden durch Errichtung großflächiger Solarparks zur alternativen Energiegewinnung genutzt, in allen solchen Fällen sind aber zunächst große Investitionen erforderlich. Für die Verwaltung der Wohnungen waren nach dem 3. Oktober 1990 die dem Bundesministerium der Finanzen nachgeordneten Oberfinanzdirektionen und Bundes-vermögensämter zuständig. Zu den Wohnungen hieß es im Februar 1991 im Bundestag: „Die in das Eigentum des Bundes übergegangenen NVA-Wohnungen dienen – wie alle Wohnungen des Bundes – in erster Linie der Unterbringung von Bundesbediensteten und der zu ihrem Haushalt gehörenden Angehörigen. Soweit ein solcher Unterbringungsbedarf nicht besteht, wird sich die Bundesregierung darum bemühen, die entbehrlichen Wohnungen zu verkaufen“ (Dokument 41).
Es wäre hilfreich, wenn die Bestände der nordkoreanischen Streitkräfte bereits jetzt einigermaßen realistisch eingeschätzt werden könnten, um zumindest Vorüberlegungen anzustellen, welche Aufgaben durch Weiterverwendung, Modernisierung, Sanierungs-maßnahmen bzw. Vernichtung und Verschrottung entstehen.
4.5 Kriegsfolgen und Wiedervereinigung
Die Beseitigung von Kriegsschäden und damit auch das Auffinden und Entschärfen von Kampfmitteln (Bomben, Granaten, unterschiedliche Arten von Munition, usw.) bereiten vielen Ländern Schwierigkeiten und Kosten, auch noch Jahrzehnte nach Beendigung der Kampfhandlungen. In Deutschland besteht das Problem seit 1945, aber es gibt auch eine Entwicklung im Zusammenhang mit der deutschen Einigung seit 1990. Diese Veränderung bewirkte u. a. den fast sprunghaften Anstieg von Baumaßnahmen und in deren Zusammen-hang wurden Kampfmittel aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Beim Bau von Straßen, Bahntrassen, Gebäuden, usw., werden vermehrt Blindgänger (nicht detonierte Bomben) in Städten und der Nähe von Industrieanlagen gefunden. Viele solcher Funde gab es im Bundes-land Brandenburg, in dem zehn Prozent der Fläche betroffen sind, besonders das Umland von Berlin. Seit 1991 sind in Brandenburg 73.000 Brandbomben und 15.000 Sprengbomben mit einem Gewicht von über fünf Kilogramm geborgen und entschärft worden. Bergung und Entschärfung von Kampfmitteln ist kostenintensiv und die finanzielle Zuständigkeit regelt seit den 1950er Jahren das Allgemeine Kriegsfolgengesetz. Da die Bundesrepublik Deutschland die Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches angetreten hat, übernimmt sie die Kosten für die Beseitigung von Kampfmitteln der deutschen Wehrmacht; handelt es sich um Bomben der Alliierten Streitkräfte aus dem Zweiten Weltkrieg, müssen die betroffenen Ländern bezahlen. Nach der deutschen Einigung sind besonders den neuen Ländern durch diese Regelung hohe Kosten entstanden; allein für die Suche muss Brandenburg pro Jahr etwa 315 Millionen Euro ausgeben. Zusammen mit Niedersachsen bemüht sich Brandenburg um eine Gesetzes-änderung, der der Bundesrat (Zweite Kammer des deutschen Parlaments) bereits zustimmte, mit der sich der Bundestag allerdings noch nicht befasst hat; die Bundesregierung ist gegen eine neue Regelung.
5. Korearelevanz
Streitkräfte sind ein besonders sensibles Thema, hier kann von außen wenig gesagt werden. Mit Sicherheit werden aber in Korea bei einer Normalisierung und späteren Wieder-vereinigung ähnliche Probleme wie damals in Deutschland zu lösen sein: Sicherung der Waffen und Munitionsbestände, Verhinderung der unkontrollierten Weitergabe (Proliferation), Reduktion der Truppenstärke, Umschulungskurse mit dem Ziel, einen neuen Beruf ausüben zu können, politische Überprüfung, Fragen der Weiterverwendung, Umgang mit Polit-offizieren, usw. (Siehe Band 3, ab Seite 25). Trotz der großen Unterschiede zu Deutschland sollen hier dennoch stichpunktartig einige Probleme aufgelistet werden.
Viele Beispiele (Angola, Kongo, Nepal) zeigen, dass ein Nebeneinander von zwei Streit-kräften in einem Staat nicht praktikabel ist, sondern destruktive Auswirkungen hat. In Deutschland kam es im Oktober 1990 zu einer Übernahme, dennoch gab es über lange Zeit Integrationsprobleme.
Allein schon die zahlenmäßige Größe der Streitkräfte, der Reserve und anderer bewaffneter Organe in der DVRK und deren notwendige Reduzierung wird eine Aufgabe sein, deren Lösung so schwer wie dringlich sein dürfte. Hinzu kommt, dass das Militär eine ganz spezielle Stellung innerhalb des Staates hat, an diese seit Jahrzehnten gewöhnt ist und sie als selbstverständlich und wohl auch als unveränderlich betrachtet. Es gibt ein festsitzendes Feindbild und die Offiziere gehören zu einer besonderen Kaste gehören. Die US-Army wird als ernstzunehmender Gegner betrachtet, die Meinung bezüglich der Streitkräfte der Republik Korea ist vermutlich nicht hoch.
Fast egal, zu welchen Veränderungen es kommen mag, dem Militär im Norden und auch vielen Angehörigen des Sicherheitsapparats müssen akzeptable Alternativen geboten werden. Es wird nicht nur um die Problematik gehen, wer muss zu welchen Bedingungen entlassen werden, sondern auch darum, mit wem muss zusammengearbeitet werden? Für das Militär in beiden koreanischen Staaten dürfte dies mit großen Schwierigkeiten verbunden sein, psychologisch und materiell. Eine solche Zusammenarbeit dürfte aber unvermeidbar und notwendig sein.
Es gibt Spezialkenntnisse, die gerade in der Anfangsphase unverzichtbar sind, so zum Beispiel beim Abbau von Grenzbefestigungen. Weil es hier um praktische Arbeit und militär-technisches Fachwissen geht, könnte, vorsichtig formuliert, eine Kooperation zwischen „Kollegen“ aus dem Süden und Norden eventuell weniger kompliziert sein.
Schon seit längerer Zeit werden die Streitkräfte der DVRK bei Bauprojekten eingesetzt. Bei der Lösung dringen notwendiger Infrastrukturmaßnahmen könnte in der Zukunft dieser Einsatz mit veränderten Bedingungen (Kapital, Material, Management) Berücksichtigung finden.
Die Reduzierung der Streitkräfte muss begleitet werden von einer Umschulung der Entlassenen, von Weiterbildungsseminaren und sozialen Maßnahmen. Diese Aufgabe wird nicht allein von staatlichen Stellen zu leisten sein, deshalb sind eine gut geplante Arbeits-teilung und eine sinnvolle Einbindung der Privatwirtschaft notwendig.
Bei der Beseitigung von Grenzbefestigungen (z. B. Bunker, Minenfelder) könnten in Deutsch-land gemachte Erfahrungen für Korea nützlich sein (siehe Dokument XI). Dies gilt auch für die spätere Nutzung des früheren Grenzstreifens, wo es nicht nur in Deutschland, sondern in Europa („Grünes Band“) interessante Modelle und Entwicklungen gibt.
5.1 Inner-koreanische und regionale Zusammenarbeit
Fragen der Kooperation haben nicht nur inner-koreanischen, sondern auch regionalen, inter-nationalen Charakter. Selbstverständlich werden die USA und die Volksrepublik China involviert sein. Die deutsche Einigung war nur im europäischen Rahmen möglich, eine Normalisierung auf der koreanischen Halbinsel und spätere Wiedervereinigung kann auch nur im regionalen Zusammenwirken gelingen und dauerhaft sein. Dazu werden eine neue Art der Zusammenarbeit und eine Sicherheitsarchitektur für Nordostasien gehören müssen. Wenn auch die VR China eine wichtige Rolle spielt, so sollte nicht übersehen werden, dass durch die erhofften Veränderungen auf der koreanischen Halbinsel sich die Position der USA in Nordostasien fast zwangsläufig wandeln wird. (Auf dem Territorium des Südens sind seit über hundert Jahren fremde Truppen stationiert, daraus sollte kein Gewohnheitsrecht werden.)
Umstrukturierungen, die Reduktion bei den Mannschaftsstärken, Übergangsregelungen, der Abbau von Grenzbefestigungen, usw. werden kostspielig sein, aber gerade hier wird sich schnell zeigen, dass eine hohe „Friedensdividende“ zu erzielen ist.
5.2 Eigentumserwerb und Investitionen
Bei der Umstellung von „Volkseigentum“ in Privateigentum ist die Versuchung groß, günstig Eigentum zu erwerben. Am 7. März 1990 verabschiedete das Parlament der DDR ein Gesetz über den Verkauf von volkseigenen Gebäuden und in einem kurzen Zeitraum wurden ca. 800 „NVA-Häuser“, oft mit Garten und sehr schön (teilweise an Seen) gelegen, an die damaligen Nutzer, hohe Offiziere, verkauft. Ein Offizier konnte in dieser Übergangsphase zu einem sehr niedrigen Preis seine Dienstvilla erwerben. Es ist durchaus denkbar, dass solche Transaktionen auch in der DVRK stattfinden, sollte sich dazu später einmal die Möglichkeit bieten.
Fast alle damaligen Verkäufe dieser Art verstießen gegen DDR Recht und die Zweite Durch-führungsverordnung zum Treuhandgesetz, denn Vermögen der NVA durfte nur noch der Treuhandanstalt übertragen werden. Die Kaufverträge wurden deshalb als ungültig betrachtet und es wurden Eigentumsübertragungen auf den Bund bewirkt. Es kam also zu einer interessanten Entwicklung: „Volkseigentum“ wurde illegal zu Privateigentum und dann wieder zu Staatseigentum und der Staat, nun die Bundesrepublik Deutschland, bemühte sich, es zu Marktpreise wieder zu verkaufen.
Wie in Deutschland, so wird es ganz allgemein auch in Nordkorea das Problem geben, dass erst nach erheblichen Investitionen eine gewinnbringende Privatisierung möglich ist. Eine Gesamtsumme für Sanierungen ist kaum zu ermitteln. Für die Sanierung von Liegenschaften, d. h. nicht nur der VBA, wurden im Zeitraum von 1991 bis 1997 mindestens 8 Milliarden DM aufgewandt. Rund 5,2 Milliarden DM waren bis Ende 1996 erforderlich, um die militärische Weiternutzung von Liegenschaften der NVA durch die Bundeswehr zu ermöglichen, danach folgten weitere Investitionen.
[1]So Egon Bahr in seinem Vorwort zu Giese, Hans-Joachim. 1992. Das unliebsame Erbe. Die Auflösung der Militärstruktur der DDR. Baden-Baden: Nomos Verlag, S. 10.
[2]Diese Veränderungen beschreibt Glaser, Günther. 2006. Neues Denken und Handeln in der NVA in der Umbruchphase der DDR. In: Deutschland Archiv, 39 (2006) 5, S. 814-823.
[3]Teile der Einleitung stützen sich auf einen Text von Generalleutnant a. D. Werner von Scheven und das Manuskript „Integrationsbemühungen nach der deutschen Wiedervereinigung – die Behandlung der beiden Armeen“ von Gerhard Michels, einem ehemaligen Leiter des Büros der Hanns-Seidel-Stiftung in der Republik Korea.
[4]Portepee ist eine Verzierung an der Uniform, die von höheren Unteroffizieren und Offizieren getragen wird; diese Dienstgrade sind in dem vorstehenden Text gemeint.
[5]Eine informative und kompakte Darstellung der Entwicklung seit Oktober 1990 und besonders der Bemühungen um eine gesamtdeutsche Bundeswehr bietet Dokument 171.