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Band 20: Gesprächsprotokolle (2010)

Prof. Dr. Eun-Jeung Lee, Dr. Werner Pfennig

Titel
Band 20: Gesprächsprotokolle
Verfasser
Prof. Dr. Eun-Jeung Lee, Dr. Werner Pfennig
Mitwirkende
Arne Bartzsch, Jörg Becker, Hae-Won Choi, Hye-Jin Choi, Alexander Pfennig, Richard Pfennig / Hoon Jung
Schlagwörter
Annex/Bibliographie/Reference


Vorwort

Werner Pfennig

 

 

Der „Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Dezember 1972“ (Grundlagenvertrag) markiert den Beginn des substantiellen Normalisierungsprozesses zwischen beiden deutschen Staaten.

Der deutsche Einigungsprozess begann in den Jahren 1989-90 und führte am 3. Oktober 1990 zum formalen Abschluss, er ist wegen der noch vorhandenen Unterschiede zwischen Ost und West sowie anderer Probleme inhaltlich bislang nicht vollendet.

 

Bei historischen Abläufen, zumal zeitgeschichtlichen, sind zwei Dinge von vorrangiger Bedeutung:

·         die Person

·         und das Dokument.

 

Beide, Person und Dokument, agieren bzw. entstehen in einem spezifischen Umfeld. Bei Dokumenten ist zu beachten, von wem, zu welchem Zweck und für wen hauptsächlich sie verfasst wurden. Unzweifelhaft gibt es zwischen Person und Dokument beachtenswerte Wechselbeziehungen.

 

Das Projekt wurde im Jahre 2010 durchgeführt, also zwanzig Jahre nach der formalen Vollendung der deutschen Einigung. Das Projektteam war bemüht, orientiert an dem großen Historiker Leopold von Ranke (1795-1886), zu erkennen, „wie es eigentlich gewesen“ ist. Dazu wurden Dokumente gesammelt sowie kommentiert und mit Zeitzeugen Gespräche geführt. Wir folgten dabei aber nicht von Rankes Meinung, die Vergangenheit nur aus sich heraus zu verstehen und sie nicht von der Gegenwart her zu werten. Mit dem Projekt ist die Hoffnung verbunden, dass es auch Orientierung für zukünftige politische Handlungsanleitungen geben kann, deshalb sind Lehren und Konsequenzen der Vergangenheit wichtig, und die sind durch individuelle Einschätzung der noch Lebenden geprägt.

 

 

Zeitlicher Abstand

Seit dem 3. Oktober 1990 sind zwanzig Jahre vergangen, das hat Nachteile, denn gerade Dokumente aus der Übergangszeit sind oft schwer zu finden, manches wurde nicht dokumentiert und einige Zeitzeugen leben nicht mehr.

 

Bei dem zeitlichen Abstand zu damaligen Ereignissen war u. a. zu beachten:

·         das Erinnerungsvermögen von Zeitzeugen ist sehr unterschiedlich;

·         wer damals besonders engagiert war oder in der Kritik stand, ist vielleicht auch zwanzig Jahre später noch um die Rechtfertigung seiner Handlungen bemüht;

·         andererseits hilft der Abstand, das damalige Agieren in einem größeren Zusammenhang zu sehen, der nicht mehr von tagespolitischer Aufgeregtheit und Zeitdruck geprägt ist;

·         zwanzig Jahre können also ein hilfreicher Abstand für die Einschätzung des eigenen Handelns sein;

·         zwanzig Jahre danach gibt es auch bessere Kenntnis über damalige Sachzwänge und die Motive anderer Akteure;

·         viel hängt davon ab, wer die Gesprächspartner sind; bei den Mitgliedern des Projektteams handelte es sich quasi um „unbeteiligte Nachgeborene“, die Informationen sammelten und die nie in Konkurrenz zu den damals Aktiven standen.

 

Die in diesem Band zusammengestellten Gespräche wurden alle im Jahre 2010 geführt. Außerdem gibt es noch einen Text von Generalleutnant a. D. Werner von Scheven; es handelt sich um das Manuskript einer Rede, die er im Jahre 1995 gehalten hat und in der er aus eigener Erfahrung Bilanz ziehen kann über die Bundeswehr im deutschen Einigungsprozess.

 

Wann immer möglich, so wurden zu einem Themenbereich mit mehreren Zeitzeugen Gespräche geführt. Die Verallgemeinerung einer Einzelmeinung ist nur sehr schwer einzuschätzen, äußern sich aber mehrere fast übereinstimmend oder zumindest sehr ähnlich, dann kann dies mit etwas mehr Sicherheit als generelle Erkenntnis/Aussage gerwertet werden. Ein gutes Beispiel sind die vier Gespräche über das Gesundheitswesen (Dokument 13, Hartmut Reiners; Dok. 14, Eckhard Bloch; Dok. 16, Rudolf Müller; Dok. 17, Herbert Mrotzeck) wo Interessenkollisionen erwähnt wurden und dass es sinnvoll gewesen wäre, mehr zu prüfen, welche Teilstrukturen des alten Systems hätten übernommen werden können. Letzteres ist eine Feststellung, die für den gesamten Einigungsprozess Gültigkeit besitzt. Alle vier Gesprächspartner waren der Meinung, dass Planung und Konzept des Gesundheitswesens der DDR durchaus positiv anzusehen seien, die mangelhafte technische Ausstattung und andere praktische Probleme dominierten aber den äußeren (negativen) Eindruck.

 

 

Probleme und anhaltende Schwierigkeiten

Bei aller Unterschiedlichkeit der Problemgebiete und der persönlichen Einschätzung wird aber dennoch durch die Gespräche deutlich, was schon in allen anderen Bänden des Projekts festzustellen war und was möglicherweise auch für zukünftige Entwicklungen auf der koreanischen Halbinsel von Relevanz sein mag:

·         Es gab einen erheblichen Zeitmangel und der Faktor Zeit hatte zwei Hauptkomponenten. Einerseits kam die Entwicklung unerwartet und plötzlich, es gab also zu wenig Zeit, andererseits dauert der Einigungsprozess im Sinne von aufholen und angleichen viel länger als erwartet und geplant; es wird also mehr Zeit benötigt.

·         Alle Beteiligten waren, wenn auch in unterschiedlichem Maße, zu wenig vorbereitet. Wesentliche Informationen waren nicht im erforderlichen Maße vorhanden, deshalb gestalteten sich realistische Wertfeststellungen und Eröffnungsbilanzen äußerst schwierig.

·         Kenntnisse über das jeweils andere System waren nur rudimentär vorhanden. Da sich in der DDR „fast alles“ änderte, hatten die mangelnden Kenntnisse schwerwiegende Konsequenzen. Zum Beispiel spielen in einem planwirtschaftlichen System Marketing und Auseinandersetzungen mit der Konkurrenz kaum eine Rolle und der Dienstleistungssektor ist unterentwickelt; im Jahre 1990 war die DDR hier zu einer fast sofortigen Umstellung gezwungen.

·         Psychologische Probleme spielten eine große Rolle, (Achtung, Selbstachtung, unrealistische Erwartungen, Bevormundung),

·         sie wurden, ebenso wie Kosten und Dauer des Vereinigungsprozesses, sehr unterschätzt.

·         Es musste viel improvisiert werden (Dok. 12, Dr. Brigitta Kauers, Norbert Rademacher).

·         Der gravierende Zeitmangel in der Übergangsphase 1989-90 erschwerte bzw. verhinderte das gründliche Suchen nach und Experimentieren mit alternativen Lösungen;

·         deshalb kam es fast immer zu einer Übernahme des Systems der Bundesrepublik, andere Alternativen waren nicht durchsetzbar. Die Dominanz dieses Systems war auch ein Grund, warum es nicht immer ein ausreichendes Verständnis und Entgegenkommen des Westens gab; zum Beispiel im Bereich der Fischerei bei der Anwendung von EU-Fangquoten (Dok. 7, Gerd Conrad). Der „Osten“ war zu einem Umdenken in viel stärkerem Maße gezwungen, als der „Westen“.

·         Während in der Übergangsphase 1989-90 Bürgerbewegungen eine wichtige Rolle spielten, war es dann aber ab dem Frühjahr 1990 (Volkskammerwahl in der DDR am 18. März 1990) die Stunde der Exekutive, ganz besonders der westdeutschen.

·         Es gab radikale Veränderungen sowie erhebliche Anpassungsschwierigkeiten, systemische und persönliche. Drastische Einschnitte wurden durch strukturelle Veränderungen (ökonomische Probleme, Strukturwandel) und politische Überprüfungen (Nähe zu bzw. Mitwirkungen bei dem Ministerium für Staatssicherheit) bewirkt. Fast 90 Prozent aller ostdeutschen Arbeitnehmer (wenn nicht inzwischen arbeitslos) haben eine andere Stelle –meist in einem anderen Bereich/Fach– als zur Wendezeit. (Dok. 12, Dr. Brigitta Kauers, Norbert Rademacher)

·         Aus einer Fülle von Gründen gab es nur wenig genuin gesamtdeutsche Projekte; interessante Ausnahmen sind hier der „Naturpark Harz“ und das „Grüne Band“, die Umgestaltung und Nutzung des ehemaligen Grenzstreifens, das sich zu einem europäischen Projekt entwickelt hat (Dok. 25, Arnulf Müller-Helmbrecht). Interessant auch deshalb, weil das „Grüne Band“ durchaus Relevanz für eine spätere Beschäftigung mit der „Entmilitarisierten Zone“ (DMZ) in Korea haben könnte.[1]


[1]Hierzu gibt es seit längerer Zeit wichtige Überlegungen und Diskussionen, siehe u. a. Kim, Chae-Han, ed.: The Korean DMZ –Reverting beyond Division. Seoul: Sowha Publishing Co., 2001.

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