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Band 07: Medien (2010)

Prof. Dr. Eun-Jeung Lee, Dr. Werner Pfennig

Titel
Band 07: Medien
Verfasser
Prof. Dr. Eun-Jeung Lee, Dr. Werner Pfennig
Mitwirkende
Hae-Won Choi, Hye-Jin Choi, Sugeen Park, Alexander Pfennig, Richard Pfennig / Christian Schulten, Hoon Jung
Schlagwörter
Medien, Kultur


Medien

Einige durch die Wiedervereinigung veränderte Bedingungen

 

Werner Pfennig

 

 

 

„Ich glaube, noch nie und auch nicht in den demokratischsten und freiheitlichsten Staaten der Welt, hat es sowas gegeben, was jetzt bei uns passiert.“

(Aus einem Leserbrief an die Ostsee-Zeitung vom 2. November 1989)

 

 

Verglichen mit Korea war die Situation in Deutschland völlig anders. Schon seit den 1950er Jahren strahlte der Sender RIAS (Rundfunk im Amerikanischen Sektor) mit Sitz in Berlin-West durch eine starke Sendeanlage in Hof (nördliches Bayern) in den Süden der DDR Programme aus. Die DDR bemühte sich jahrzehntelang, Sendungen des Westens zu stören und durch Kampagnen den Empfang zu unterbinden (z.B. gegen die Anbringung von Antennen, um West-Fernsehen empfangen zu können), sie war damit letztlich aber nicht erfolgreich: 80 % der Bevölkerung hörten und sahen regelmäßig westliche Medien. Über Entwicklungen in der DDR informierten sich deren Bewohner auch durch diese Medien. Der Führung der DDR war dies bewusst und sie hatte sich darauf eingestellt: Politisch wichtige Mitteilungen wurden nie zur Hauptnachrichtenzeit von „Westsendern“ verkündet.

 

 

I. Übergangsphase

 

Ähnlich wie in anderen Problembereichen, so gab es auch was Medien anbelangt in der Übergangs- und Umbruchphase der DDR (1989-1990) mindestens sieben verschiedene Stadien:

 

1.      Unentschlossenheit

        Der ältere Teil der Führung litt an Realitätsverlust und war nicht willens, Reformen auch nur zu diskutieren. Die sowjetische Gewerkschaftszeitung „Trud“ schrieb dazu am 22. Oktober 1989, die DDR-Führung habe „eine Mauer ohne Fenster und Türen“ zur Realität ihres eigenen Staates errichtet. Die Führungsebene darunter war sich der Lage besser bewusst, zögert aber mit personellen und sachlichen Konsequenzen. Andere wollten schlicht Zeit kaufen und waren mit taktischen Planungen beschäftigt. Jüngere, mehr kompetente Kader, gelangten angesichts der politischen und ökonomischen Lage der DDR und wegen ihrer Einschätzung von Vorgängen in osteuropäischen Staaten (Polen, ČSSR) zu der Meinung, dass Reformen unerlässlich seien, für die sie auch Pläne entwickelten.

 

2.      Mangelnde Reformbereitschaft

        Es kam zu personellen und inhaltlichen Veränderungen. Das Gefühl der Unsicherheit veranlasste die Führung zu weiteren Fehleinschätzungen und Überreaktionen, die aber oft eine gegenteilige Wirkung hatten. Eine Fülle von Zusammenschlüssen, Bürgerbewegungen, politischen Gruppierungen wurde aktiv und hoffte auf grundlegende Reformen, die aber den Systemrahmen nicht sprengen sollen; bei einigen ist dies eine Frage der Taktik und des vorsichtigen Abwartens, bei anderen der Überzeugung. Für Letztere blieb das Ziel eine reformierte, demokratische aber noch immer sozialistische DDR.

 

3.      Tempobeschleunigung

        Die Dynamik verstärkte sich, der Wunsch nach grundlegenden Veränderungen wurde drängender und die Lage veränderte sich mit immer größerer Geschwindigkeit. Es kam zu einer Vielzahl von öffentlich diskutierten und propagierten Ideen, Vorschlägen sowie Initiativen, wobei die Konzepte immer konkreter wurden.

 

4.      Reformen ohne Langzeitwirkung

        Im Zeitraum vom Frühjahr bis Spätsommer 1990 wurden einige der Vorschläge Realität und es kam zur Implementierung zahlreicher Reformen.

 

5.      Ziel Wiedervereinigung

        Ab dem Sommer 1990 (Währungsunion; anhaltende Abwanderung) wurde fast allen deutlich, dass eine Wiedervereinigung gewünscht und möglich sei und dass sie schneller kommen werde als erwartet. Es gab auf fast allen Gebieten und Handlungsebenen eine enorme Tempobeschleunigung; der Eindruck entstand, die Lage ändere sich fast täglich. Zeit für grundlegende Diskussionen und sorgfältiges Planen gab es nicht, Aktionen waren fast immer nur ein Reagieren auf neue Sachzwänge.

 

6.      Systemübertragung statt Versuch einer Synthese

        Eine längere Übergangsphase hatte keine Chance. Der Versuch einer Synthese von Bewahrenswertem aus der reformierten DDR und Bewährtem aus der Bundesrepublik (z.B. durch eine neue Verfassung) wurde nicht unternommen. Es kam zu keiner wechselseitigen Systemangleichung, sondern zu einer Systemübertragung; die DDR trat der Bundesrepublik bei.

 

7.      Enttäuschung

        Es dominierten Verwunderung, Suche nach Orientierung, Veränderungsdruck und teilweise auch Begeisterung wegen der neuen Verhältnisse; erst später war dann Zeit über versäumte Chancen nachzudenken, was zu Enttäuschung und Frustration führte. Ein Grund für die Enttäuschung und die nicht eingetroffenen Erwartungen ist der zur Anwendung kommende Vergleichsmaßstab: Die Bevölkerung der ehemaligen DDR vergleicht ihre Situation nicht mit der der Bevölkerung z.B. in Polen, sondern mit der im Westen Deutschlands und fühlt sich ungleich behandelt.

 

II.1 Phasen der Entwicklung im Medienbereich

Eine genauere Betrachtung der damaligen Ereignisse könnte zu einer ausführlicheren Einteilung kommen, aber die hier genannten Etappen zählen wohl zu den wichtigsten. Eine ähnliche Entwicklung ist auch bei den Veränderungen im Medienbereich der DDR erkennbar (Dokument 7). Was den partiellen Kontrollverlust anbelangt, so ist festzustellen, dass der direkte Einfluss der SED auf die Medien der DDR bereits ab September 1989 nachließ. Vorher waren Zensur bzw. Selbstzensur ständige Praxis, ein Artikel im „Neuen Deutschland“, dem Organ der SED, wurde meist von 15 verschiedenen Personen gelesen und geändert, all das unter Beibehaltung des ursprünglichen Verfassernamens.

 

Im Oktober 1989 forderte der Journalistenverband der DDR, dass überholte Denk- und Arbeitsweisen schnell überwunden werden müssten, um das Werk der sozialistischen Erneuerung und Verteidigung des gemeinsamen Hauses DDR voranzubringen. Die Arbeit aller solle ein Wettstreit sein, um:

·         Aktualität,

·         hohen Informationswert,

·         ehrliche Informationen,

·         Verständlichkeit,

·         nachgeprüften Wahrheitsgehalt,

·         sprachliches Vermögen

·         und stilistische Mannigfaltigkeit.

 

Es sollte das Amt eines Regierungssprechers geschaffen werden und auch die neue Parteiführung (Krenz, Schabowski) sprach sich für Veränderungen aus. In dieser Phase ging es um Reformen und um Appelle an die Gemeinsamkeit („Arbeit aller“, … „Gemeinsames Haus DDR“), aber es war eine stimmte Art von Reformen gemeint, nämlich solche innerhalb des vorgegebenen Systemrahmens. Dem teilweise noch etwas diffusen Gefühl, es müsse sich etwas ändern, folgte dann eine Phase der vorsichtigen Konkretisierung. CDU-Journalisten präsentierten Anfang November 1989 einen Entwurf für ein Mediengesetz (Dokument 19, S. 124f) und nannten darin Kriterien für Pressefreiheit in der DDR:

·         Ungehinderter Zugang zu allen verfügbaren Informationsquellen,

·         Förderung des Meinungspluralismus,

·         rechtliche Sicherheit für Journalisten,

·         materielle und finanzielle Voraussetzungen für Meinungsvielfalt durch die Regierung,

·         Sicherung einer am Leserinteresse orientierten Auflagenhöhe.

 

Der nächste Schritt beinhaltete die Präzisierung von Vorschlägen, und dies nicht nur im Sinne von Inhalt, sondern auch bezogen auf organisatorische Veränderungen. Im Dezember 1989 wurde angeregt, eine unabhängige wissenschaftliche Gesellschaft für Kommunikationsforschung und Medienwissenschaft zu bilden (Dokument 19, S. 131f). Ende desselben Monats erfolgte dann in einem gemeinsamen Vorschlag von Berufsverbänden eine Präzisierung des Begriffs „Freiheit“:

 

·         Übereinstimmung mit Grundrechten, die in der Verfassung festzuschreiben sind, und dazu müssen gehören: Recht auf Information, freie Meinungsäußerung, Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Freiheit der Medien.

·         Die Freiheit der Medien ist durch Gesetz zu garantieren. Staatliche Eingriffe sind unzulässig.

·         Die Medien müssen wahr informieren (Dokument 19, S. 133f).

 

Dieser Vorschlag ähnelt einer Passage im „Leipziger Programm“ des Demokratischen Aufbruchs, ebenfalls vom Dezember 1989. Dort steht bezüglich Medien u.a.: für Öffentlichkeit, gegen Zensur, für freien Zugang zu Informationen.

 

Die bereits erwähnte Phase der Tempobeschleunigung erstreckte sich dann auf alle Bereiche, sie brachte eine größere Informationsfülle, was sich auch auf Initiativen und Vorschläge auswirkte, denn das vermehrte Wissen bewirkte noch mehr und noch konkretere Vorschläge. Mitte Januar 1990 teilte der Minister für Post- und Fernmeldewesen der DDR mit, dass bald Westzeitungen und -zeitschriften verfügbar sein würden.

 

Der „Runde Tisch“ verhinderte die Beibehaltung der SED-Kontrolle über die staatliche Nachrichtenagentur ADN. Dennoch dominierten trotz grundsätzlich freierer Berichterstattung vielfach nach wie vor linientreue Journalisten die Medien, was eine Zeit lang ein Vorteil für die SED war. Im Januar 1990 forderten daher 46 Pfarrer und Pastoren des Kirchenbezirks Dresden-Mitte in einem Offenen Brief die Zurückdrängung der SED/PDS-Mitglieder aus den Massenmedien. Ihnen wurde vorgeworfen, die Medien für einen einseitigen Wahlkampf zu nutzen. Westmedien waren deshalb für die Bürgerbewegungen sehr wichtig.

 

Die damalige Situation, sich verstärkende Forderungen nach Reform und teils offene, teils verdeckte Bemühungen um Machterhalt, hat Günter Schabowski in einem Interview anschaulich beschrieben: „Generell blieben nach unserem Abgang die Modrow-Leute auf ihren Posten und versuchten, bis zu den Wahlen im März Weichen für die Zukunft zu stellen. Eine Koalitionsregierung sollte aus Personen aufgebaut werden, die mehr oder weniger mit der Stasi verbunden gewesen waren […]. Medienpolitisch versuchten die retardierenden Kräfte, nachdem der Führungsanspruch der Partei aufgegeben worden war, diesen Verlust durch die geschickte Placierung loyaler Personen zu ersetzen. In einer formal pluralistischen DDR sollte ein System der latenten Bindung bestehend aus Einflussagenten etabliert werden. Doch dieses Vorhaben scheiterte durch die Ergebnisse der März-Wahlen. Ein Teil des gedachten Netzes dürfte auch danach noch existiert haben.“[1]

 

Tempobeschleunigung war nun nicht mehr lediglich ein Zeitfaktor, sondern die Bewegung insgesamt wurde „flächendeckender“, umfangreicher. Die Veränderungen im Bereich der Printmedien hatten Auswirkungen auf Rundfunk und Fernsehen. Am 12. Januar 1990 konstituierte sich ein „Runder Tisch“ mit ca. 20 Personen (Vertreter von verschiedenen Organisationen) zum Thema: Chancengleichheit in den einzelnen Rundfunkprogrammen. Ende Januar 1990 (25./26.) tagte ein Außerordentlicher Kongress des Journalistenverbandes der DDR, dessen Delegierte rund 9.100 Mitglieder vertraten. In einer Erklärung des Kongresses ist u.a. zu lesen:

 

„Wir sind nur der Öffentlichkeit, der Wahrhaftigkeit und unserem Gewissen auf der Grundlage geltenden Rechts und humanistischer Ideale verpflichtet. Wir wollen mit unserer Arbeit die Kultur des politischen Streits entwickeln und zur demokratischen Meinungs- und Willensbildung in der Gesellschaft beitragen. Wir distanzieren uns von jeder Bevormundung, dem Entstellen und Verschweigen von Tatsachen, wie sie bis zum Herbst 1989 alle Medien unseres Landes beherrschten.“ (Dokument 19, S. 149)

 

Dieses Zitat ist aus mehreren Gründen typisch für die damalige Stimmung in der DDR:

·         Der Kontroll- und Unterdrückungsapparat hatte stark an Wirkung eingebüßt.

·         Bei Diskussionen wurde nun oft die Grenze zwischen systemimmanenten Reformvorschlägen und systemverändernden Konzepten überschritten.

·         Es wurde nicht mehr wie meist bisher versucht, die Grenzen des Verbotenen herauszufinden und zu testen; es ging jetzt darüber hinaus, denn nicht nur Grenzen des Notwendigen und Machbaren, sondern des Vorstellbaren wurden diskutiert.

·         Eine starke Betonung lag auf Eigeninitiative und Eigenverantwortung.

 

Eine solche politische Stimmung kann verschiedene wichtige und weitreichende Konsequenzen haben, so u.a.:

·         Sie beflügelt zu Initiativen und Experimenten.

·         Sie vermittelt das Gefühl der Selbstbefreiung und Selbstbestätigung.

·         Sie sensibilisiert für Bevormundung.

 

In dem Zitat findet sich bereits das Wort „Bevormundung“. Die kritisierte und durch Selbstbefreiung überwundene Bevormundung durch die SED ist anderen Charakters als die sich bald abzeichnende und dann tatsächlich einstellende Dominanz westlicher Medienkonzerne. Der psychologische Effekt allerdings ist ähnlich: Dem mutigen Akt der Selbstbefreiung folgte in vielen Fällen ökonomische Fremdbestimmung, von der andere den Nutzen haben. Individuell werden die Fälle unterschiedlich sein, die dadurch bewirkte politische Stimmungslage wird viele erfassen und nachhaltig beeinflussen; ein Aspekt, der bei einer wie auch immer gearteten Entwicklung in Korea beachtet werden muss.

 

Zur Phase „Reformen ohne Langzeitwirkung“ gehören Veränderungen, bei deren Implementierung bereits vermutet wurde oder gar schon feststand, dass sie nur vorübergehender Natur sein werden.

 

·         Egon Krenz hatte ein neues Mediengesetz angekündigt, was aber verschleppt wurde (Dokument 4). Den oppositionellen Mitgliedern der Arbeitsgruppe „Medien“ des „Runden Tisches“ gelang es, am 5. Februar 1990 einen Beschluss der Volkskammer „über die Gewährleistung der Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit“ mit Gesetzescharakter zu erwirken: Freie Meinungsäußerung wird garantiert und Zensur untersagt. Am 13. Februar 1990 konstituierte sich ein „Medienkontrollrat“, bestehend aus Partei-, Massenorganisationsvertretern sowie Delegierten demokratischer Gruppen. (Dokument 2)

·         Vielen war der provisorische Charakter der Reformen vermutlich bewusst; einige ahnten vielleicht auch bereits die Konsequenzen, die diese Veränderungen bringen würden und die bald eintreten sollten. Der Medienkontrollrat schlug Ende März 1990 vor: erst Stabilisierung und Reorganisation, dann später Übergang zum dualen System (wie es in der Bundesrepublik praktiziert wird.) Die letzte Sitzung des Kontrollrats fand am 19. September 1990 statt.

·         Im März 1990 gab sich der Rundfunk der DDR ein neues Statut, das freien Informationsaustausch betonte; ähnliche Regelungen ergingen ebenfalls für das Fernsehen. Auch andere Veränderungen verdienen Aufmerksamkeit. Durch eine Umbenennung wurde der Übergang zwischen den Phasen „Reformen ohne Langzeitwirkung“ und „Ziel Wiedervereinigung“ deutlich: Das „Fernsehen der DDR“ änderte seinen Namen und hieß nun „Deutscher Fernsehfunk.“ Ähnlich war auch die Entwicklung bei der "Stimme der DDR" - sie nannte sich ab Februar 1990 wieder wie von 1926 bis 1971 „Deutschlandsender“ (ab Mai 1990 "Deutschlandsender Kultur", ab 1994 DeutschlandRadio Berlin und seit 2005 "Deutschlandradio Kultur"). Auch Zeitungen gaben sich neue Namen.

 

Die Systemübertragung wurde erst im Sommer 1990 deutlich und die Phase der Enttäuschung kam später, aber negative Konsequenzen waren bereits absehbar bzw. bereits eingetreten:

 

·         Der Konkurrenzdruck stieg schnell und Zeitungen der DDR hatten massive finanzielle Probleme; ihre Auflagenhöhe reduzierte sich teilweise dramatisch (siehe Tabelle 1). Nach Angaben der DDR-Post verloren die Printmedien in den Monaten Februar-März des Jahres 1990 etwa 3,6 Millionen Abonnenten. Im Juli 1990 stellt die Soldatenzeitschrift „Armeerundschau“ ihr Erscheinen ein.

·         Ab März 1990 etablierten Westverlage eigene Vertriebssysteme. Im April klagten Zeitungsverleger der DDR, dass das Vertriebssystem nicht richtig funktioniere und westdeutsche Verlage unter weitgehender Missachtung geltender Gesetze und Verordnungen ihre eigenen Vertriebssysteme in der DDR aufbauten. Die Zustandsbeschreibung kulminierte in der Feststellung: „Wir werden kolonialisiert.“

·         Am 30. März 1990 endete die staatliche Förderung der Medien und es entstand unmittelbar ein Finanzierungsproblem. Die Situation verschärfte sich für Zeitungsverlage der DDR auch durch die Konkurrenz mit nun frei verfügbaren Westmedien. Die Zeitungen der Blockparteien überlebten nicht. Die Treuhand hatte bereits bis Mitte Mai 1991 alle früheren SED-Bezirkszeitungen an westdeutsche Großverlage verkauft. Es kam zu einem drastischen Verdrängungs- und Konzentrationsprozess; die Zahl der Zeitungen und die der Redaktionen nahmen rapide ab (Dokument 9).

 

Tabelle 1

Auflagenhöhe und Abbestellungen von Printmedien (August/September 1990)

 

Name

Postauflage

Abbestellungen

Berliner Zeitung

333.500

 

Junge Welt

283.700

- 85 %

Neues Deutschland

234.600

- 80 %

Sportecho

83.500

- 68 %

Landblatt

52.600

- 66 %

Morgen

51.800

- 23 %

 

Bei der Postauflage konnten in dieser Übergangsphase die traditionellen Regionalzeitungen ihre Stellung gut behaupten:

Freie Presse (Chemnitz)         603.200 Exemplare

Mitteldeutsche Zeitung          528.000 Exemplare

Sächsische Zeitung                523.000 Exemplare

 

 

II. Anzahl der Medien und Arten ihrer Kontrolle in der DDR

 

Nach der zusammenfassenden Darstellung von Entwicklungen in den Jahren 1989-1990 sollen in einem kurzen Rückblick nun Charakteristika der DDR-Medienlandschaft geschildert werden, wie sie vor der Übergangsphase bestanden.

 

Medien (Printmedien, Rundfunk, Fernsehen) waren in der DDR reglementiert und streng kontrolliert. Die SED bestimmte die Themenwahl und die staatliche Allgemeine Deutsche Nachrichtenagentur (ADN) hatte das Monopol für die Auslandsberichterstattung. Das „Neue Deutschland“, das Zentralorgan der Partei, unterstand einem Sekretär des Zentralkomitees; Bezirkszeitungen unterstanden ebenfalls dem ZK und der jeweiligen Bezirksleitung der SED. Die Art der Ausbildung im Medienbereich bot auch Gewähr dafür, dass die Parteilinie eingehalten wurde. Zwei Drittel der Journalisten studierten an der Sektion Journalismus der Karl-Marx-Universität Leipzig, eine Institution, die den Spitznamen „Rotes Kloster“ hatte (Dokument 8).

 

Neben inhaltlicher Überwachung stand der Partei durch die Kontrolle der Papierversorgung ein weiteres Steuerungsinstrument zur Verfügung. Die 39 Tageszeitungen hatten eine Auflagenhöhe von 9,7 Millionen Exemplaren; durch staatliche Subventionierung wurde ein niedriger Preis für Käufer und Abonnenten erreicht. Von diesen 39 Tageszeitungen wurden 16 von der SED herausgegeben; auch die Blockparteien hatten eigene Zeitungen. SED-Bezirkszeitungen machten mehr als 80 % der gesamten Auflage aus, ein überwältigendes Monopol (Dokument 13).

 

Tabelle 2

Zeitungen, Mitteilungsblätter, Zeitschriften in der DDR (Stand 1988)

 

Presseerzeugnisse insgesamt

1.812

Tageszeitungen

39

Betriebszeitungen der SED

667

Zeitschriften

508

Zentrale Mitteilungsblätter

176

Regionale Mitteilungsblätter

354

Kreiszeitungen

4

Wochenzeitungen und Zeitschriften

34

 

Wie die Printmedien, so waren auch Rundfunk und Fernsehen staatlich, zentralistisch organisiert und von der SED kontrolliert. Kontrolle und inhaltliche Vorgaben der Partei machten die DDR-Medien monoton und für die meisten Konsumenten uninteressant.

 

Die Auflösung der Funk- und Fernsehorganisationen der DDR war im Einigungsvertrag vorgesehen. Nach der Aufhebung der bisherigen politischen Kontrolle kam es noch in der DDR, im September 1990, zur Einleitung föderaler Strukturen, dann wurden regionale Rundfunkanstalten auf Länderebene gegründet. Es gab einen massiven Personalabbau. Der Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland vom 31. August 1991 schuf den Rahmen für das duale Rundfunksystem.

 

Seit Januar 1998 gibt es in Deutschland zehn öffentlich-rechtliche Landesrundfunkanstalten (d.h. Radio und Fernsehen), in vier von ihnen ist das ehemalige Sendegebiet der früheren DDR aufgegangen:

 

Tabelle 3

Landesrundfunkanstalten, die Gebiete der ehemaligen DDR einschließen,

(seit Januar 1998)

 

Name

Hauptsendegebiet

Norddeutscher Rundfunk, NDR

Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern,

Niedersachsen, Schleswig-Holstein

Mitteldeutscher Rundfunk, MDR

Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen

Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg, ORB

Brandenburg

Sender Freies Berlin, SFB

Berlin

 

 

Tabelle 4

Zeitungen, die von westdeutschen Verlagen übernommen wurden

 

Ort

Name der Zeitung

Auflage

Verlag

Chemnitz

Freie Presse

607.000

Medien Union Ludwigshafen

Cottbus

Lausitzer Rundschau

215.000

Saarbrücker Zeitung

Dresden

Sächsische Zeitung

527.000

Rheinische Post/

Westdeutsche Zeitung

Erfurt

Thüringische Allgemeine

370.000

Westdeutsche Allgemeine

Zeitung

Frankfurt/Oder

Märkische Oderzeitung

185.000

Südwest Presse Ulm

Gera

Ostthüringische Nachrichten

207.000

Westdeutsche Allgemeine Zeitung

Halle

Mitteldeutsche Zeitung

530.000

DuMont

Magdeburg

Volksstimme

440.000

Bauer Verlag

Neubrandenburg

Nordkurier

185.000

Kieler Nachrichten/Augsburger Allgemeine/Schwäbische Zeitung

Potsdam

Märkische Allgemeine

280.000

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Rostock

Ostsee Zeitung

284.000

Lübecker Nachrichten

Schwerin

Volkszeitung

190.000

Burda GmbH

Suhl

Freies Wort

160.000

Coburger Neue Presse

 

 

 

III. Fazit

 

Zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung lässt sich bezüglich der Medien feststellen:

 

·         Die Übergangszeit 1989-90 war eine Zeit der Verunsicherung, dann der Experimente, der Hoffnungen, des Aufbruchs und gewiss eine in ihrer Spontaneität und Vielfalt spannende Zeit der Medien.

·         Der dramatische Rückgang bei Abonnenten, die Umstellung auf ein neues Vertriebssystem und Werbung sowie die Dominanz westdeutscher Verlage bewirkten finanzielle Probleme, erdrückende Konkurrenz und Arbeitslosigkeit, wenn auch wohl alle Journalistinnen und Journalisten der früheren DDR die jetzige Form der Pressefreiheit zu schätzen wissen. Ein Beispiel für Entlassungen: Ende Juni 1990 kündigt der kommissarische Rundfunk-Intendant an, dass 1.400 Mitarbeiter entlassen werden müssten; dem DDR-Rundfunk fehlten für das zweite Halbjahr 1990 rund 31,1 Millionen DM gegenüber dem angemeldeten Bedarf.

·         Die Lage stabilisierte sich erst ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre. Bemerkenswert ist die Stellung der früheren SED-Bezirkszeitungen. Es gab Besitzerwechsel, inhaltliche sowie personelle Veränderungen (rechtliche Stellung, Management, Redaktion) sowie Reduktionen der Auflage, dennoch erreichen diese Zeitungen in den neuen Bundesländern noch immer einen Markanteil von über 90 %, was in etwa dem früheren Stand in der DDR entspricht. Einstellungen gegenüber Medien sind langlebig; auch 20 Jahre nach dem Ende der DDR gibt es ähnliche Lesegewohnheiten und ein geographisches Zugehörigkeitsgefühl, beide sind besonders deutlich beim Bezug von Regionalzeitungen (Dokument 12).

·         Zeitungen und Zeitschriften aus dem Westen finden in den neuen Bundesländern kaum Absatz; sie erreichen im Osten im Schnitt nur 5 % ihrer Gesamtauflage, was am Preis, an der Aufmachung, dem Stil und den inhaltlichen Schwerpunkten liegt.

·         Bei der Presse gibt es eine starke Ost-West-Ausprägung und es dominieren Großverlage.

·         Die Linke (ehemals PDS) ist die einzige Partei in Deutschland, die mit dem „Neuen Deutschland“ über eine eigene Tageszeitung verfügt.

·         Rundfunk und Fernsehen sind eher integriert, sind aber immer stärker der Konkurrenz privater Anbieter ausgesetzt (was im Westen früher einsetzte) und zusätzlich dem sich ständig erweiternden Angebot im Internet.

 

Das Personal auf „Chefsesseln“ stammt aus dem Westen:

·         Keine öffentlich-rechtliche Anstalt der Bundesrepublik (Radio- und Fernsehstationen) hat einen Intendanten bzw. eine Intendantin aus dem Osten, also auch nicht der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR).

·         Es gibt keinen Chefredakteur einer überregionalen Zeitung, der aus dem Osten stammt. Selbst bei Publikationen, die fast ausschließlich im Osten gelesen werden (Berliner Zeitung, Berliner Kurier, SUPERillu), sind die Chefposten mit Personen aus dem Westen besetzt.


Veränderungen bei Medien in Ostdeutschland seit 1989-1990

 

Problembereich

Akteure

Lösungsstrategien

Konsequenzen

Umstrukturierungen

Privatisierung

Treuhand

Regierung der DDR

Landesregierungen

Landesrundfunk-

anstalten

Parteien

Medienkonzerne

Verkauf, Schließung, neues Presse-

recht, Umstrukturierungen

Neugründungen

Verkleinerungen

Zusammenlegungen

Neubesetzung von Redaktionen

 

 

Inhaltliche Neuausrichtungen,

aber weiterhin regionale Spezifika

 

 

 

Technische Modernisierung

(Rotationspressen, Kommunikations-

wesen)

Neues Vertriebssystem

Neue Kooperationsformen

Aufbau eines Anzeigenwesens

Werbekampagnen

Verlust von Abonnenten, Auflagenschwund,

finanzielle Probleme, Entlassungen, Bevormundung, Fremdbestimmung

 

Konzentrationsprozesse, Dominanz großer

Verlage aus dem Westen und von deren Personal

 

 

Verlust an Vielfalt, aber dennoch Beharrungs-

tendenzen, d.h. Beibehaltung regionaler

Dominanz bei Regionalzeitungen. Wenig

Verbreitung von Westmedien im Osten und umgekehrt.

 

Hohe Kosten, Modernisierung bewirkt weitere

Entlassungen

 

Dominanz von Personal und Beratern

aus dem Westen, da den bisherigen

Mitarbeitern die erforderlichen Kenntnisse

und Erfahrungen fehlten.


IV. Was könnte für Korea relevant sein?

 

Wie schon bei den anderen Problembereichen, so ist es auch bezüglich Medien schwer, bei Vorgängen, die sich in Deutschland ereigneten, eine direkte Relevanz für Korea aufzuzeigen.

 

Die Demokratische Volksrepublik Korea ist ein informationsfeindliches und kontrollfreudiges System, in dem keine Medienfreiheit existiert. Abgesehen von meist aus China eingeschmuggelten Radios ist die Informationslage der Bevölkerung völlig unzureichend, dennoch wäre es wohl falsch, anzunehmen, Nordkoreaner „leben hinter dem Mond.“ Mit Sicherheit verfügt die Führung über die ihr notwendig erscheinenden Informationsquellen und sie dürfte sehr gute Kenntnisse über den eigenen Staat und das Ausland haben. Wie diese Informationen von der Führung interpretiert werden, und welche politischen Schlüsse sie daraus zieht, das ist eine andere Sache.

 

Nach einer Wiedervereinigung wird es wohl nur wenig Journalistinnen und Journalisten geben, außer Fotoreportern und anderen Spezialisten vielleicht, die in einer neuen Medienwelt beruflich überleben könnten. Das gilt auch für den überwiegenden Teil der vermutlich völlig überalterten technischen Ausstattung.

 

In der Übergangsphase wird ein schwieriger Balanceprozess zwischen staatlichen und privaten Medien notwendig sein. Die Reaktion der Bevölkerung im Norden auf eine neue Medienwelt ist kaum realistisch einzuschätzen, denn sie hat keine Erfahrung:

·         mit einem Überangebot an Medien,

·         mit einer reißerischen Aufmachung,

·         mit der im Süden florierenden Unterhaltungsindustrie

·         und hat bislang kaum Kriterien für eine Selektion von Nachrichten und deren Glaubwürdigkeit entwickeln können.

·         Außerdem wird es eine Frage finanzieller Möglichkeiten sein, ob und für wen dann ein Abonnement, ein Radiogerät und Fernsehapparat bezahlbar ist.

 

Das Bedürfnis nach Information wird im Norden groß sein und in der jüngeren Generation sicher auch das Interesse an einer beruflichen Betätigung im Medienbereich.

 

Medien waren in der DDR und sind in Nordkorea ein Instrument der Propaganda, Information, Desinformation und Kontrolle. In den Jahren 1990-1991 ist schnell und unsensibel der Mediensektor der DDR (Herstellung und Vertrieb) weitgehend von westdeutschen Verlagen übernommen worden; eigenständige Reformansätze und Experimente hatten keine Chance, die meisten neugegründeten Zeitungen konnten nicht lange existieren.

 

Über Informationsbedürfnisse und Mediengläubigkeit bzw. -skepsis der Bevölkerung im Norden ist mir so gut wie nichts bekannt, aber ich kann mir, nach anfänglicher Neugierde, durchaus negative Konsequenzen und Abwehrreaktionen einer plötzlichen Überschwemmung mit Medien vorstellen; auch in diesem Bereich ist der psychologische Aspekt unbedingt zu beachten.

 

Generell gilt, wenn es zu einer Übergangsphase kommen sollte, in der große Teile der Bevölkerung ein Gefühl der Selbstbefreiung entwickeln, dann sind psychologische Aspekte für die weitere Entwicklung umso wichtiger.


[1]Holzweißig, Gunter, (2008): Wandel der DDR-Medien durch die „Wende.“ In: Casper-Hehne, Hiltraud/Schweiger, Irmy, Hrsg.: Deutschland und die „Wende“ in Literatur, Sprache und Medien. Interkulturelle und kulturkontrastive Perspektiven. Göttingen: Universitätsverlag, S. 151f.

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