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Band 02: Vergangenheitsbewältigung (2010)

Prof. Dr. Eun-Jeung Lee, Dr. Werner Pfennig

Titel
Band 02: Vergangenheitsbewältigung
Verfasser
Prof. Dr. Eun-Jeung Lee, Dr. Werner Pfennig
Mitwirkende
Hae-Won Choi, Hye-Jin Choi, Sugeen Park / Hanmin Chen, Christian Schulten
Schlagwörter
Justiz, Politik, Verwaltung, Vergangenheitsaufarbeitung


Vergangenheitsaufarbeitung

Der lange Schatten der „Staatssicherheit“ und die Problematik einer juristischen Aufarbeitung.

 

Werner Pfennig

 

 

„Wir müssen alles wissen.“

Erich Mielke, Minister für Staatssicherheit der DDR

 

„Erstaunlich ist im Nachhinein die Feststellung, dass den Behörden der Staats-sicherheit die Situation im Lande bekannt war, sie haben ihre Erkenntnisse aber offen-bar nicht ernst genommen. Es existierte auch in der Armee ein genaues Lagebild. Doch die alten Männer an der Spitze dieses Staates waren wohl so verbohrt, dass sie von der Fortdauer ihrer Herrschaft überzeugt waren."

Werner E. Ablaß, Staatssekretär im Ministerium für Abrüstung und Verteidigung der DDR

 

 

1. Wie funktionierte der Kontrollapparat der DDR?

 

Die „Staatssicherheit“ (Stasi) der DDR hatte einen Doppelcharakter:

 

·         Eine Privatorganisation der Staatspartei SED („Schwert und Schild der Partei“).

·         Eine staatliche Institution in Form des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.

 

Die Stasi war eine große, kostspielige und im ökonomischen Sinne unproduktive Institution, die letztlich nicht die ihr gestellte Aufgabe erfüllen konnte, die Sicherheit des Staates durch Kontrolle und Einschüchterung seiner Bevölkerung zu gewährleisten.

 

Größenordnungen

Das Ministerium für Staatssicherheit hatte Ende 1989 einen Personalbestand von rund 91000 hauptamtlichen  und 173000 informellen Mitarbeitern (IMs).

Die Abteilung für Spionage (HVA) verfügte über rund 1550 Bundesbürger als IMs und war über Vorgänge in der BRD bis in die höchsten Kreise gut informiert (Dokument 10).

Die Stasi hatte außerdem:

das Wachregiment Feliks Dzieržyňski,

124.593 Pistolen,

76.592 Maschinenpistolen und Gewehre,

Panzer und Flugabwehrgeschütze.

 

Stärken und Schwächen

Die Stasi war über einen langen Zeitraum, was Überwachung und Einschüchterung anbelangte, sehr erfolgreich. Ihr Wirken veranlasste aber viele, sich nicht in dem ihnen möglichen Maße zu engagieren und viele Intellektuelle sowie Künstler verließen die DDR, was sich neben anderen Gründen (internationale Isolierung, mangelnde Finanzen) negativ für das Geistesleben des Staates auswirkte.

 

Die Stasi hatte einen Strukturdefekt, der erst spät seine Wirkung zeigte, als der Bevölkerung vermehrt alternative Informationsquellen zu Verfügung standen, es in den Nachbarstaaten Reformen gab und Demonstrationen in der DDR eine Größe annahmen, der sich die Stasi nicht mehr gewachsen fühlte. Wegen des Mottos „wir müssen alles wissen“ war der Geheimdienst zu sehr mit dem Sammeln von Informationen beschäftigt, als in der Lage, objektive Analysen an die Führung zu liefern, bzw. sollte sie solche geliefert haben, folgten ihnen keine Maßnahmen. Misstrauen der Bevölkerung und dem eigenen Apparat gegenüber führte zu einem Ausufern der Tätigkeit. Dies bewirkte eine Einschränkung der Wirksamkeit der Kontroll- und Unterdrückungsorgane, was wiederum, auch durch die Größe der Demonstrationen, die Furcht der an ihnen Teilnehmenden reduzierte.

 

 

2. Welche Probleme gibt es mit Vergangenheitsbewältigung?

 

Voraussetzungen

Für eine möglichst unvoreingenommene Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des eigenen Volkes, des eigenen Staates, sind einige Voraussetzungen unerlässlich, so z. B.:

·         Lernfähigkeit

·         Lernbereitschaft

·         Zugang zu (überprüfbaren) Informationen

 

Vergangenheitsbewältigung ist ein in Deutschland oft benutzter Terminus. Er bedeutet letztlich, sich der eigenen Vergangenheit und Verantwortung ehrlich und ohne Selbstmitleid bewusst zu sein und damit auch den Versuch zu unternehmen, sie quasi abzuschließen. Da Vergangenheit aber oft in die Gegenwart hineinwirkt, somit auch Bestimmungsfaktor für zukünftige Entwicklungen ist, kann sie nicht „bewältigt“ werden im Sinne von „abgeschlossen/erledigt“ sein. Das gilt besonders für die Geschichte der DDR, wo vieles noch ungeklärt und unbewältigt ist, so u. a. auch die Langzeitwirkung der Aktivitäten des Ministeriums für Staatssicherheit, der „Stasi.“

 

Vergangenheitsaufarbeitung und Geschichtsinterpretation

Die friedliche Revolution in der DDR ist Teil der mittel- und osteuropäischen Protest/Reform-Bewegung. In Deutschland wurde der revolutionäre Schwung schnell von der Exekutive übernommen. Wichtig für die Konsolidierung und demokratische Weiterentwicklung wird auch die Interpretation der Ereignisse sein.

 

Die Revolution gegen

·         Mauer,

·         politisch-ökonomische Stagnation,

·         Unterdrückungssystem/Stasi,

wurde zur Revolution für

·         Freiheit,

·         Reformen,

·         und Einheit.

Der revolutionäre Schwung und seine bis dahin bewirkten Ergebnisse gingen ab dem Sommer 1990 weitgehend in die Hände von Politikern und Beamten der Bundesrepublik über, was vielfach zu der ernüchternden Erkenntnis führte, die Wiedervereinigung

·         war mehr Beitritt

·         als Vereinigung.

 

Befreiung/Selbstbefreiung

Von Bedeutung für das Selbstverständnis ist, dass die Entmachtung der Stasi und die Sicherung der Akten wesentlich von der Bürgerbewegung in der DDR vorangetrieben und von der Volkskammer beschlossen wurde. Am 24. August 1990 verabschiedete die demokratisch gewählte Volkskammer das erste Gesetz über Stasi-Akten. Joachim Gauck war in der letzten Volkskammer der Vorsitzende des Sonderausschusses zur Stasi-Auflösung, er wurde dann für 10 Jahre erster Leiter der Behörde „Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik.“ Für Gauck besteht ein untrennbarer Zusammenhang zwischen drei Komponenten der Aufarbeitung von DDR-Zeit:

·         politische,

·         juristische,

·         historische

Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit.

 

Bundeskanzler Kohl sagte dem US-Präsidenten Bush sen., die Hauptschwierigkeiten der deutschen Vereinigung lägen nicht in Wirtschafts- und Finanzfragen, sondern bei der Verwundung der Seelen durch 40 Jahre Stalinismus.[1] Diese Äußerung kann so interpretiert werden, die Bevölkerung der DDR sei durch die Bundesrepublik befreit worden, die Bürgerbewegung und der überwiegende Teil der Bevölkerung der früheren DDR ist hingegen wohl der Meinung, sie seien damals schon erwachsen gewesen und es habe sich um einen Akt der Selbstbefreiung gehandelt.


 

Freigabe der Akten

Das Ministerium für Staatssicherheit hatte Akten anlegen lassen, deren aneinandergereihte Länge etwa 178 Kilometer ausmacht.

Ab Dezember 1989 besetzten Bürgerkomitees „Stasibüros“, auch um Aktenvernichtung zu verhindern. (Dokument 1)Am 8. März 1990 beschloss der Ministerrat der DDR, die 109 000 inoffiziellen Mitarbeiter (IM) des Staatssicherheitsdienstes von ihren Verpflichtungen zu entbinden.

Am 15. Januar 1990 wurde die Zentrale der Staatssicherheit in Berlin (Ost) gestürmt. Aktenvernichtung gab es nicht nur bei der Stasi, sondern bei der Staatspartei, der SED. Viele ehemalige Büros und auch Gefängnisse der Stasi wurden in Museen und Gedenkstätten umgewandelt, die ein breit gefächertes Bildungsprogramm durchführen.

 

Der Zugang zu den Akten bleibt umstritten. Politiker waren meist dagegen; im Westen Kohl und Schäuble, sie sprachen sich für Verwahrung im geschlossenen Archiv oder gar Vernichtung aus; im Osten befürchtete Lothar de Maizière „Mord und Totschlag“, sollten Bespitzelte Einblick in ihre Akten bekommen. Die BürgerrechtlerInnen der DDR waren für freien Zugang und sie setzten sich weitgehend durch.

 

Im Dezember 1991 beschloss der Bundestag das Stasi-Unterlagengesetz. (Dokument 2) Bis Ende 2009 haben über 2 Millionen Menschen aus Ost- und Westdeutschland Akteneinsicht genommen. (Dokument 12) In den Akten werden die IM mit ihren Tarnnamen genannt. Wer in der über ihn geführten Akte Hinweise auf Berichte und Denunziationen durch einen IM findet, kann beantragen, dass ihm der tatsächliche Name (Klarname) genannt wird. Dies ist in den meisten Fällen erfolgt, dennoch sind keine Racheakte bekannt geworden.

Mehr als 3 Millionen Menschen wurden an Hand der Akten überprüft. Die Behörde liefert nur eine Zusammenstellung der Informationen, über eine etwaige Entlassung entscheidet der jeweilige Arbeitgeber.

 

Der Bundestag lehnte 1991 eine Überprüfung aller Abgeordneten aus Ost und West ab, Überprüfungen gab es nur auf eigenen Wunsch oder bei konkreten Verdachtsmomenten auf Spitzeltätigkeit. Viele wichtige, führende SED Mitglieder wurden nicht überprüft.

Die bis 2002 laufenden Prozesse um Akten über Helmut Kohl bewirkten präzisere Vorschriften für den Umgang mit solchem Material. Es wurden Persönlichkeitsrechte von Bespitzelten gegenüber dem Forschungsinteresse gestärkt.

 

Der Umgang mit den Akten der Stasi war umstritten und er ist es noch immer. Das Eigeninteresse, d. h. Kenntnis der Akte, die die Stasi über eine bestimmte Person angelegt hat, kollidiert mit dem Forschungsinteresse, besonders wenn es sich um Prominente handelt.

Es geht um Persönlichkeitsrechte, sowohl der Betroffenen als auch der ehemaligen Mitarbeiter der Stasi

Abwägungen haben stattzufinden zwischen:

·         Schutz der Persönlichkeitsinteressen,

·         Aufarbeitungsinteresse der Öffentlichkeit.

 

Streit entsteht meist durch identifizierende Berichterstattung in den Medien. Das wird meist mit dem Interesse an Personen der Zeitgeschichte begründet, kann aber auch schlicht Sensationsinteresse von Medien sein. Es wird immer schwierig bleiben, genau zu definieren, wer eine Person der Zeitgeschichte ist.

Die Rechtsprechung scheint seit Anfang 2010 das Aufarbeitungsinteresse höher zu bewerten als Persönlichkeitsrechte.

 

Es ist noch nicht letztlich entschieden, wie die Stasi-Akten gelagert werden und wie der Zugang zu ihnen organisiert wird. Organisatorisch wäre eine Unterbringung beim Bundesarchiv sinnvoll. Dessen Hauptsitz ist in Koblenz, d. h. im Westen Deutschlands, für viele BürgerrechtlerInnen der ehemaligen DDR würde das eine Verbringung weit in den „Westen“ bedeuten. Eine sensiblere Regelung wäre eine Zweigstelle des Bundesarchivs in einem der neuen Länder. Im Jahre 2010 wird über die Leitung des „Bundesbeauftragten“ neu entschieden, die zehnjährige Amtszeit von Frau Birthler läuft dann ab und es ist zu vermuten, dass in diesem Zusammenhang alte Regelungen überprüft oder geändert werden.

(Neben der persönlichen und forschungsrelevanten Aussagekraft der Akten ist noch ein anderer Aspekt zu beachten: Es handelt sich um die weltweit größte Sammlung handschriftlicher Lebensläufe.)

 

Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Zwei Enquete-Kommissionen des Bundestages untersuchten zwischen 1992 und 1998 die SED-Diktatur und ihre Folgen für die deutsche Einheit. (Dokument 40)

Im Juni 1998 folgte der Deutsche Bundestag einer Empfehlung der Enquete-Kommissionen und verabschiedete ein Gesetz zur Errichtung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. (Dokument 42) Diese Stiftung soll der unbehinderten Vergangenheitsaufarbeitung dienen, um damit die kontinuierliche Beschäftigung mit der Geschichte der DDR zu fördern. Ihre Tätigkeit wird überwiegend aus dem Bundeshaushalt finanziert und das Stiftungskapital wird meist in Bundesanleihen angelegt.

 

Juristische Aufarbeitung

Um dem Vorwurf der „Siegerjustiz“ zu entgehen, bzw. um ihn zu entkräften, ist es notwendig rechtsstaatlich Grundsätze zu beachten, so z. B. Rückwirkungsverbot (Dokument 20, 27), nulla poena sine lege, d. h. keine Strafe ohne Gesetz, Verjährungsfristen.) Bei der juristischen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit wurden diese Prinzipien befolgt (Dokument 20, 27). Die Strafverfahren können grob in zwei Gruppen aufgeteilt werden:

1.      „Politbüroprozesse“, Verfahren gegen Angehörige der DDR-Führung, (Dokument 28)

2.      „Mauerschützenprozesse“, Verfahren gegen Grenzsoldaten und ihre Vorgesetzten.

Insgesamt wurden Verfahren gegen rund 280 Personen durchgeführt, von denen die Hälfte mit Freispruch endete (Dokument 25, 27, 29).

 

Es gab etwa 135 Freiheitsstrafen und solche auf Bewährung, sie betrafen etwa:

·         10 Angehörige der Partei- und Staatsführung der DDR

·         42 führende Militärs

·         100 Grenzsoldaten.

 

Das Strafmaß für Todesschützen lag zwischen 6 bis 24 Monaten auf Bewährung, bei Befehlshaben war die Strafzumessung höher.

Zwei SED-Unrechtsbereinigungsgesetze wurden 1992 und 1994 verabschiedet, damit konnten Betroffene:

·         Unrechtsurteile aufheben lassen,

·         Haftentschädigungen sowie

·         Unterstützungsleistungen erhalten, (Dokument 34)

·         berufliche und rentenrechtliche Rehabilitierung erlangen (Dokumente 35, 36).

 

Die Vereinigung Deutschlands ermöglichte ebenfalls eine Beschäftigung mit dem in der Zeit des Nationalsozialismus (NS) begangenen Unrecht und Zahlungen an Kriegsgefangene. Es handelte sich hauptsächlich um:

·         Entschädigung für in osteuropäischen Staaten lebende NS-Opfer

·         Angleichung von ost- und westdeutschen Entschädigungsregelungen

·         Weiterführung der in der DDR gezahlten Ehrenpensionen für NS-Verfolgte auf bundesdeutscher Rechtsgrundlage (Entschädigungsgesetz von 1992)

·         Entschädigung (Heimkehrerentschädigungsgesetz von 2007) für damals in die DDR entlassene deutsche Kriegsgefangene/Spätheimkehrer, denn anders als in der Bundesrepublik hatte dieser Personenkreis keinerlei finanzielle Entschädigung erhalten.

 

Frühere hohe Funktionsträger der DDR, ehemalige Mitarbeiter der Stasi und auch andere sprechen von Siegerjustiz und kritisieren damit die juristische Aufarbeitung der DDR nach der Wiedervereinigung, andererseits führen sie die geringe Zahl der tatsächlich Verurteilten als Beleg dafür an, dass die DDR kein Unrechtsstaat gewesen sei, bzw. sie benutzen die populäre und eingängige Feststellung: „Es war nicht alles schlecht in der DDR.“

 

Der Nachfolgeorganisation der SED und anderen gelang eine Gleichsetzung:

Kritik an dem Machtapparat der SED und dem Regime der DDR generell wird als Kritik an der Lebensleistung von Individuen gleichgesetzt. Das beeinträchtigt das Verhältnis der Deutschen untereinander und macht eine rationale Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit schwer. Kritik an der DDR wird mit individueller Herabsetzung gleichgesetzt. Das ist parteitaktisch vorteilhaft für eine rationale Diskussion nachteilig.

Strukturelle Sachzwänge, wie sozio-ökonomische Veränderungen generell, Berufswechsel, ausbleibende Nachfrage, Arbeitslosigkeit, usw. werden als persönliche Strafe dargestellt und in vielen Fällen mit der Wiedervereinigung begründet. Generelle Unzufriedenheit mischt sich mit Verklärung der DDR-Vergangenheit und ist ein Instrument politischer bzw. parteipolitischer Auseinandersetzung. Der in der Bevölkerung vorhandene, beschönigende Rückblick auf die DDR wird oft mit „Ostalgie“ bezeichnet, eine spezielle Form der Nostalgie


 

3. Was könnte für Korea relevant sein?

 

Aus zahlreichen Gründen ist die Entwicklung in Deutschland seit 1989 kein Modell für die Zukunft Koreas, dennoch gibt es einige Aspekte, die für Korea relevant sein könnten.

Eine rechtliche Auseinandersetzung mit Stützen des Unrechtsregimes ist unvermeidbar, muss aber offen geführt werden und rechtsstaatlichen Prinzipien verpflichtet sein.

Ganz wichtig und in Deutschland vernachlässigt, ist der psychologische Aspekt.

 

Wiedervereinigung

·         darf auf der individuellen Ebene nicht als persönliches Scheitern empfunden werden, zumal nicht für Menschen, deren Leben sich fundamental ändern wird.

·         muss das Zusammenwirken für eine gemeinsame Zukunft, die Wiederherstellung traditioneller staatlicher koreanischer Einheit sein.

·         darf –für die einen- nicht die erneute Niederlage im vor Jahrzehnten beendeten Bürgerkrieg oder –für die anderen- der verspätete Sieg im Bürgerkrieg sein.

 

Kontrolle bewirkt auch Orientierung

Spätestens seit der Mitte der 1990er Jahre ist Nordkorea eine Mangelgesellschaft. Immer war es eine repressive Überwachungsgesellschaft.

 

Kontrolle in diesem Ausmaß bewirkt:

·         eine Orientierungsfunktion im negativen Sinne, denn Kontrolle wird teilweise verinnerlicht, d. h. sie gibt den Menschen im negativen Sinn Sicherheit, sie wissen ziemlich genau, was verboten ist und richten ihr Leben danach ein;

·         dass Menschen kaum Erfahrung mit Freiräumen haben bzw. dem angstfreien Testen, wie weit sie gehen können;

·         Konformität, Misstrauen, Furcht und Gehorsam, aber auch Solidarität und Einfallsreichtum bei der Schaffung kleiner individueller Freiräume sowie Improvisationskunst bei der Lösung täglicher Probleme;

·         einen Mangel an Spontanität, angstfreiem gesellschaftlichem Engagement, Initiativen, Kreativität und Eigenverantwortung, d. h. es kann keine bzw. kaum eine dynamische sozio-ökonomische, sozio-politische Entwicklung geben.

 

Fallen Kontrollmechanismen plötzlich weg, führt dies, zumindest in einer Übergangsphase, auch zu Unsicherheit oder gar Orientierungslosigkeit bei einem Großteil der Bevölkerung.

 

Mangel an Erfahrungen und Problematik von Systemtransformation

Wenn die „Weimarer Republik“ (1918-1933) trotz allem eine Demokratie war, dann war Deutschland dies ab 1933 eindeutig nicht mehr. In der DDR gab es also mindestens zwei Generationen ohne Demokratieerfahrung. In Nordkorea hat aber keine Generation Demokratieerfahrung. Es gibt keine Erfahrung mit weitgehender Selbstbestimmung, Gewaltenteilung und einem Rechtsstaat, d. h. einklagbaren Rechten vor unabhängigen Justizeinrichtungen. Der Übergang zu einem anderen politischen System und dessen Verankerung werden daher sehr schwer sein, es sei denn, im Bewusstsein der Menschen erweist sich das bisherige Regime als unfähig und die Menschen erhalten die Möglichkeit, dieser Einschätzung entsprechend für Veränderungen zu wirken. Außerdem wird es notwendig sein, einer großen Zahl ehemaliger Stützen des Regimes eine realistische und halbwegs akzeptable Alternative zu bieten.

Historische Dimension/Kolonialzeit

Die deutsche Vereinigung ermöglichte auch Entschädigung für Opfer der NS-Zeit in Osteuropa, also für Vergehen, die mindestens 45 Jahre zurücklagen. Eine Normalisierung auf der koreanischen Halbinsel, besonders eine Wiedervereinigung Koreas wird in diesem Sinne auch Konsequenzen für Japan haben. Für den Norden hat es bislang weder auf staatlicher, noch auf individueller Basis Entschädigung für erlittenes Unrecht während der Kolonialzeit gegeben.

 

Vergangenheitsaufarbeitung als Bildungsaufgabe

Vergangenheitsaufarbeitung ist nicht nur eine Angelegenheit der Betroffenen, der Forschung und der Justiz, sondern vor allem auch eine Herausforderung für das Schul- und Bildungssystem. Diese Aufgabe wird in Korea auf nationaler Ebene zu lösen sein, sie bedarf aber auch der regionalen Zusammenarbeit in Nordostasien. Von Interesse könnten hier die Kooperation zwischen Frankreich und Deutschland (z. B. deutsch-französisches Jugendwerk) und die polnisch-deutsche Schulbuchkommission sein.


[1] Hanns Jürgen Küsters/Daniel Hofmann. 1998. Dokumente zur Deutschlandpolitik. München: R. Oldenbourg. S. 1127.

Koreastudien