Band 00: Kosten der Einheit (2010)
Prof. Dr. Eun-Jeung Lee, Dr. Werner Pfennig
Preiswerte Einheit
Werner Pfennig
Die Wiedervereinigung einer geteilten Nation ist teuer, die Aufrechterhaltung der Teilung aber nicht unbedingt billiger. Das Wort „preiswert“ kann billig und günstig bedeuten, aber es drückt auch aus, eine Sache sei ihren Preis wert. Die Wiedererlangung der nationalen Einheit und deren Vervollkommnung schließen sowohl materielle als auch immaterielle Komponenten ein, was eine buchhalterische Bilanzierung erschwert. Wer auch immer mit dem Saldo der Kosten der deutschen Einheit (ab 1989) aufwartet oder mit solchen Zahlen argumentiert, darf die Kosten der Teilung nicht unberücksichtigt lassen. Drei Bereiche sind zu beachten:
· Kosten der Vereinigung,
· Nutzen der Vereinigung,
· Kosten der Teilung.
Bei politischen Debatten gibt es meist eine Konzentration auf den ersten Bereich. Dieter Brümmerhoff ist der Frage nachgegangen, warum diese Diskussionen so einseitig sind. Er nennt eine Reihe von Vermutungen und stellt an die erste Stelle: „Eine Vermutung könnte sein, dass sich der Nutzen jeder vernünftigen Quantifizierung entzieht. Gerade die größten Nutzen der Wiedervereinigung dürften in Freiheit und Freizügigkeit, also intangiblen Größen bestehen.“[1] Wegen unterschiedlicher Berechnungen gibt es zwangsläufig stark differierende Angaben für die Summe der Kosten der Einheit. Transferleistungen für die neuen Länder werden oft pauschal den „Kosten der Einheit“ zugeschlagen, ohne ihre positive Wirkung auf zum Beispiel Wachstum, Einkommensverteilung und Konsum zu berücksichtigen. Es sind Ausgleichszahlungen (Zuschüsse) wie sie in der Bundesrepublik auf Grund von bundeseinheitlich geltenden Rechtsvorschriften geleistet werden; nach dem Beitritt gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes finden sie auf die neuen Länder Anwendung, allerdings mit dem bedeutenden Unterschied, dass dort wegen geringerer Einnahmen und höherer Ausgaben die Beträge höher sind. Die Kosten in diesem Bereich sind hoch, die positiven Auswirkungen beachtlich. Klaus Schroeder resümierte: „Zwanzig Jahre nach den Mauerfall liegt das BIP je Einwohner im Osten bei etwa zwei Drittel des westdeutschen Niveaus, die Produktivität in etwa bei drei Viertel. Dennoch hat sich das materielle Lebensniveau weiter Bevölkerungskreise in Ost- und Westdeutschland dank kontinuierlich fließender Transfers in etwa angeglichen.“[2]
Wer alle nur erdenklichen Kosten zusammenrechnet könnte auf eine Zahl von rund 1,7 bis 2 Billionen Euro (€) kommen, die die deutsche Vereinigung von 1990 bis 2010 gekostet habe. Das ist eine umstrittene Bruttogröße, die in den Medien und bei politischen Diskussionen gern genannt wird. Sie beinhaltet Transferzahlungen, die nicht eigentlich zu den reinen Einheitskosten zählen. Die Ausgaben für Aufbauleistungen (z. B. Infrastruktur) dürften bei etwa 500 Milliarden € liegen. Wer sich ein einigermaßen realistisches Gesamtbild über Kosten der Wiedervereinigung machen will, wird alle drei oben genannten Bereiche berücksichtigen müssen.
Es gibt noch immer Diskussionen über Geschwindigkeit und Kosten des deutschen Vereinigungsprozesses; viele sind der Meinung, eine lange Angleichungsphase wäre besser und auch kostengünstiger gewesen. Auch hier trifft die Überschrift einer Arbeit von Immanuel Kant zu: „Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis.“[3] Langsamer, sorgfältiger und sparsamer wäre vielleicht sinnvoll gewesen, aber ob ein solches Vorgehen politisch machbar und im Ergebnis letztlich besser gewesen wäre, das wird wohl noch für längere Zeit Diskussionsstoff bleiben. Diese Diskussionen könnten bzw. sollten sich vom letzten Satz des Aufsatzes von Kant leiten lassen: „Was aus Vernunftgründen für die Theorie gilt, das gilt auch für die Praxis.“[4]
1. Warum so schnell?
Für den Erklärungsversuch der Geschwindigkeit gibt es mehrere innere und äußere Gründe, die in Deutschland, vor allem in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und im internationalen Umfeld zu finden sind. Zu den wichtigsten gehören:
· Die Zeit von der Öffnung der Mauer (November 1989) bis zur Wiedervereinigung (Oktober 1990) war gekennzeichnet durch spontane, sich beschleunigende Entwicklungen und steigende Erwartungen der Bevölkerung, der die Politik entsprechen musste. Die friedliche Revolution in der DDR traf die Politik in Ost und West völlig unvorbereitet und gab ihr das Tempo an. Innerhalb weniger Monate (vom Herbst 1989 zum Frühjahr 1990) wurde die politische Forderung „Wir sind das Volk“ zu einer nationalen Forderung „Wir sind ein Volk.“ Die erste freie und zugleich auch letzte Parlamentswahl der DDR fand am 18. März 1989 statt, mit einer Wahlbeteiligung von über 93 Prozent. Gewonnen wurde sie von der „Allianz für Deutschland“, einem Parteienbündnis, das für eine schnelle Wiedervereinigung eintrat. An der politischen Aussage des Wahlergebnisses konnte kein Zweifel bestehen, mit überwiegender Mehrheit war für ein Ende der DDR und für eine Vereinigung mit der Bundesrepublik votiert worden. Die Erwartungshaltung der Mehrheit der Bevölkerung war unrealistisch hoch, konnte aber aus politischen Gründen nicht ignoriert werden. Die Forderung nach schneller materieller Angleichung wurde immer stärker und äußerte sich in der Absicht: „Kommt die D-Mark nicht zu uns, gehen wir zu ihr.“ Dies war für viele keine leere Absichtserklärung, denn auch nach freien Wahlen und der Währungsunion im Sommer 1990 gab es massive Abwanderungen von jungen, qualifizierten Menschen aus der DDR in den Westen Deutschlands. Schnelles Handeln Richtung Wiedervereinigung schien wegen der emotionalen Erwartungshaltung und aus objektiven Gründen geboten.
· Die wirtschaftliche Lage der DDR war viel schlechter als angenommen, auch deshalb wurde schnelles Handeln als notwendig erachtet. Am 30. November 1989 hatte der Chef der Staatlichen Plankommission, Gerhard Schürer, dem Politbüro der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands eine Einschätzung der Wirtschaftslage vorgelegt, in der er betonte, dass ein Stoppen der Verschuldung im Jahre 1990 eine Senkung des Lebensstandards um 25 bis 30 Prozent erfordern und die DDR unregierbar machen würde. Bei der Produktivität, so Schürer, liege die DDR um 40 Prozent hinter der Bundesrepublik zurück und sie sei hoch verschuldet, mit einer Schuldendienstrate von 150 Prozent drohte der DDR Zahlungsunfähigkeit. Für Lothar de Maizière, den ersten demokratisch gewählten und letzten Ministerpräsidenten, wurde die düstere Prognose von Schürer dann Realität. Im Rückblick schrieb er: die DDR stand im Frühjahr 1990 „kurz vor der Zahlungsunfähigkeit auf den Außenmärkten und, was noch viel schlimmer war, die Stabilität noch viel mehr gefährdend, kurz vor der Illiquidität des Staatshaushalts im Inneren. D. h., im Juli/August hätten wir nicht mehr die Löhne und Gehälter von Lehrern, Ärzten, Schwestern, den Angehörigen des öffentlichen Dienstes allgemein bezahlen können.“[5]
· Auch das internationale Umfeld befand sich in radikalem Umbruch. Es gab die Befürchtung, dass sich die Lage in der Sowjetunion schnell verschlechtern könnte und es daher galt, die Gunst der Stunde für eine deutsche Wiedervereinigung zu nutzen. Der Putschversuch gegen Gorbatschow im August 1991 und andere Ereignisse zeigten, dass diese Befürchtungen durchaus Berechtigung hatten.
2. Warum so teuer?
Die Antwort auf diese zweite Frage steht im Zusammenhang mit der Antwort auf die erste: Es war so teuer, weil es so schnell ging, bzw. so schnell gehen musste.
Obwohl die Informationslage über die jeweils andere Seite in Deutschland viel besser war, als sie es in Korea ist, stellte sich nach der Wiedervereinigung sehr schnell heraus, das die Wirtschaftskraft der DDR, der Zustand der Infrastruktur, von Fabriken, von Bauten und der Umwelt völlig überschätzt worden waren. Es gab für keinen Bereich realistische Zahlen, deshalb wurden im Jahre 1990 die Kosten der Einheit und des Aufbaus sowie die Dauer der Zahlungen völlig unterschätzt. (Auch die DDR-Führung hatte keine realistische Vorstellung über den wahren Zustand ihres Staates.)
Wirtschaftsleistung und Produktivität waren in der DDR viel niedriger als in der Bundesrepublik, das bedeutete geringeres Steueraufkommen und geringe Gewinne. Nach der Wiedervereinigung kamen stark steigende Ausgaben hinzu, die kompensiert werden mussten. Der interne Verrechnungskurs betrug 4,40 Mark der DDR für eine Deutsche Mark, dennoch wurden Löhne, Gehälter, Renten und Mieten im Verhältnis 1:1 angeglichen. Allein schon wegen des niedrigen Niveaus vieler Bereiche in der DDR wäre ein anderer, mehr ökonomisch realistischer Umtauschkurs politisch und moralisch nicht machbar gewesen. Wie bei solchen Umbrüchen unvermeidbar gab es Gewinner und Verlierer. „Zu den großen (materiellen) Gewinnern der Vereinigung bzw. der Sozialunion gehören die ostdeutschen Rentner. Statt 30-40 % des durchschnittlichen Arbeitseinkommens – wie in der DDR im Normalfall üblich – beziehen sie heute über 80 %, mitunter sogar über 100 %, als gesetzliche Rente. Am Vorabend der Vereinigung liegt das Einkommen ostdeutscher Rentnerhaushalte nur bei etwas mehr als einem Drittel ihrer westdeutschen Altersgenossen.“[6]
Gerhard A. Ritter hat die Zwangslage zusammengefasst: „Die Schwäche der DDR-Position lag darin, dass sie angesichts des Erwartungsdrucks ihrer Bürger keine Alternative zum Beitritt zur Bundesrepublik hatte, dass der Prozess ihrer inneren Auflösung unaufhaltsam war und dass sie vor allem finanziell, aber auch beim Aufbau der Arbeitsverwaltung und der Sozialversicherung auch personell, immer mehr von der Bundesrepublik abhängig wurde.“[7]
Der Vereinigungsprozess in Deutschland ist u. a. deshalb so teuer wegen:
· extrem hoher Erwartungshaltung der DDR-Bevölkerung, die auf eine schnelle Wiedervereinigung und materielle Angleichung drängte,
· einem Mangel an realistischen Alternativen, so jedenfalls aus Sicht der damals wichtigsten politischen Akteure,
· einer Überschätzung der Wirtschaftslage in der DDR,
· einer Unterschätzung der Kosten der Einheit,
· einer sofortigen Übernahme des Wirtschafts- und Sozialsystems sowie einem politisch bestimmten Währungsumtausch.
· Es darf auch nicht verschwiegen werden, dass Korruption und Wirtschaftskriminalität eine Rolle spielten.
3. Was könnte für Korea relevant sein?
Diese Frage ist eigentlich nicht zu beantworten, denn es gibt keine verlässlichen Anhaltspunkte dafür, wann und wie sich eine Wiedervereinigung in Korea vollziehen könnte. Mehrere Szenarien sind denkbar: mit einer Spannweite von einer unvorhergesehenen, schnellen Entwicklung wie in Deutschland, bis hin zu einem Normalisierungsprozess über einen langen Zeitraum, einer Phase der Konföderation hin zu einem Bundesstaat, zu einem letztlich vereinten Korea. So verlockend es für Außenstehende sein mag, über solche Szenarien zu spekulieren, so unredlich wäre es unter Gesichtspunkten methodischer Redlichkeit. Dennoch soll versucht werden, Aspekte darzustellen, die für Korea relevant sind, entweder weil sie, wenn auch in veränderter Form, zutreffen können oder weil es Komponenten sind, die für Korea nur eine geringe bzw. gar keine Rolle spielen dürften.
Obwohl die weitere Entwicklung kaum zu prognostizieren ist, kann dennoch gesagt werden, was den Preis der Einheit angeht, es wird nicht so teuer wie in Deutschland. Zur Begründung nur einige Aspekte:
· Es wird in Korea wohl keine sofortige gemeinsame Währung und einen teilweisen Umtausch im Verhältnis 1:1 geben.
· Gleichfalls wird sich wohl keine sofortige Übernahme des Sozial-, Gesundheits- und Wirtschaftssystems des Südens durch den Norden vollziehen. Die hohen Transferleistungen, die in Deutschland anfallen, werden in Korea niedriger sein.
· Die Schaffung einer Währungs- und Sozialunion noch vor der Wiedervereinigung hing in Deutschland mit der großen Erwartungshaltung der überwiegenden Mehrheit der DDR-Bevölkerung zusammen. Ein Grund für diese Erwartungen waren Kenntnisse über den Lebensstandard im Westen. Es ist nicht möglich, etwas über eine vergleichbare Erwartungshaltung der Bevölkerung im Norden Koreas zu sagen, denn sie konnte sich bisher nicht frei artikulieren. Der dortigen Bevölkerung dürfte eine Wiedervereinigung wohl kaum eine realistisch vorstellbare Alternative sein, deshalb ist von einer geringen Erwartungshaltung, eher von abwartender Skepsis auszugehen. Diese Einstellung wird auch durch die mangelhafte Information über das Leben im Süden bewirkt. Sollte eine solche Einschätzung sich bewahrheiten, dann wird der Druck auf umfassende und schnelle materielle Veränderungen nicht so groß sein, wie er in Deutschland war, was der Politik einen größeren Spielraum ermöglichen könnte. In den Jahren 1989/90 war die Identifikation der Mehrheit der DDR Bevölkerung mit „ihrem“ Staat gering, im Norden Koreas dürften Identifikation und Nationalstolz wesentlich größer sein, was die Politik zu beachten hat.
· Keine sofortige Gültigkeit von Gesetzen des Südens im Norden, deshalb auch nicht Kosten, wie sie in Deutschland für die Umstellung des Systems und die teure Entlohnung von „Leihbeamten“ aus dem Westen entstanden.
· Keine Kosten, wie sie sich Deutschland mit zwei Regierungssitzen (Berlin und Bonn) noch immer leistet.[8]
· Da der Norden weniger wirtschaftlich entwickelt und international eingebunden ist, daher kann er theoretisch nicht so tief fallen wie die damalige DDR. (Im Jahre 1989 gab es rund 9 Millionen Beschäftigte in der DDR, fast alle diese Arbeitsplätze waren nach international üblichen Marktwirtschaftskriterien kaum bzw. nicht überlebensfähig.) Der Norden Koreas ist von Hilfe abhängig, die DDR war vom Handel abhängig, der fast über Nacht zusammenbrach.
· Es wird in Korea hoffentlich keine so falsche Eröffnungsbilanz wie bei der „Treuhandanstalt“ in Deutschland geben, wo von 250 bis 300 Milliarden € an Werten ausgegangen wurde, die nicht existierten.[9] Statt erwarteter Erlöse wies die „Treuhand“ dann bei ihrer Auflösung im Dezember 1994 in der Schlussbilanz ein Defizit von über 105 Milliarden € aus.
· Es gibt keine fremden Truppen im Norden Koreas. Deutschland zahlte für die Rückführung sowjetischer Truppen und damit verbundene andere Ausgaben einen Betrag von ungefähr 7,3 Milliarden €.[10]
· Keine Wirtschaftskredite an die Sowjetunion.
· Die Bundesrepublik Deutschland übernahm teilweise die Tilgung von Schulden, die osteuropäische Länder bei Banken „im Westen“ hatten (so z. B. für Ungarn). Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Republik Korea Auslandsschulden des Nordens begleichen wird und selbst wenn, dann dürfte es sich um vergleichsweise geringere Summen handeln.
· Es wird weniger „offizielle“ Arbeitslose geben und Teile der Streitkräfte des Nordens könnten zur Verbesserung der Infrastruktur eingesetzt werden. Wegen der Größe der bewaffneten Kräfte des Nordens ist eine drastische Reduzierung nach der Wiedervereinigung unerlässlich und eine solche Demobilisierung wird Kosten verursachen, dennoch dürfte sich per Saldo in diesem Bereich eine positive Bilanz ergeben.
Die Wiedervereinigung in Deutschland wurde auch durch äußere Ereignisse ermöglicht, sie bewirkte ihrerseits auch Veränderungen im internationalen Rahmen: stärkere Integration der EU, Einführung einer gemeinsamen Währung, dem Euro. Eine Normalisierung auf der koreanischen Halbinsel und besonders ein wiedervereinigtes Korea werden auch Konsequenzen für Nordostasien haben. Neben Schwierigkeiten (z. B. die Rolle der USA) ist aber auch eine verstärkte Kooperation und Belebung der Ökonomien in der Region zu erwarten, all dies Entwicklungen, die schwer einzuschätzen sind, die aber in dem Bereich „Nutzen der Vereinigung“ als Gewinn verbucht werden könnten.
Wer Kosten einer möglichen Wiedervereinigung Koreas kalkuliert, sollte auch die Kosten der Teilung berechnen, was einfacher sein dürfte, denn diese Beträge sind konkreter und meist bekannt. Eine solche Gegenüberstellung wird nicht nur deutlich machen, was eine Vereinigung kosten, sondern auch, was durch sie eingespart werden kann. Ganz sicher wird es generell erhebliche Kostenreduzierungen in den Bereichen Verteidigung, Propaganda, Kontrollapparat und Personal geben. Zwischen Norden und Süden existiert keine Freizügigkeit, weder beim Informationsfluss, noch beim Personen- und Güterverkehr. Normalisierung wird Restriktionen erfordern, aber auch eine Fülle neuer Möglichkeiten eröffnen. Normalisierung wird Reisefreiheit bedeuten, aber sie kann in Korea für einen längeren Zeitraum nur mit begrenzter Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis praktiziert werden.[11] Wegen des fehlenden Transits durch den Norden ist der Süden quasi eine Insel, was Transportmöglichkeiten angeht. Eine Wiedervereinigung dürfte neben vielen anderen Möglichkeiten auch die Pläne für eine „Eiserne Seidenstraße“ realisieren helfen, einer schnelleren Güter- und Personenverbindung von Japan über Korea und China nach Europa, wie sie Kim Dae-jung vorgeschlagen hat, was sich ökonomisch und finanziell nicht nur für die koreanische Halbinsel, sondern für alle Beteiligten positiv auswirken sollte.[12]
Auch in Korea werden Theorie und Praxis, werden ökonomische Lehrmeinungen und politische Erfordernisse nicht immer miteinander übereinstimmen. Die Kostenfrage ist von großer Bedeutung und darf nicht, wie in Deutschland, unterschätzt werden. Wie in Deutschland werden auch in Korea viele Ausgaben politisch notwendig sein, selbst wenn sie rein ökonomisch zweifelhaft erscheinen. Aber mögliche Kosten einer umfassenden Normalisierung und eventuellen Wiedervereinigung sollten immer den tatsächlichen Kosten der Teilung gegenübergestellt werden; sie sind Investitionen in eine gemeinsame Zukunft. Auch für Korea wird die Feststellung von Lothar de Maizière gelten, dass die friedliche Überwindung einer Teilung nur durch teilen erreicht werden kann.
[1] Brümmerhoff, Dieter. 2000. Gibt es einen Nutzen der deutschen Wiedervereinigung? In: Ders. (Hrsg.): Nutzen und Kosten der Wiedervereinigung. Baden-Baden: Nomos, S. 10.
[2] Schroeder, Klaus. 2009. Ostdeutschland. 20 Jahre nach dem Mauerfall – eine Wohlstandsbilanz. Berlin: Forschungsverbund SED-Staat, Freie Universität Berlin, S. 4.
[3] Kant, Immanuel. 1964. Werke in zwölf Bänden. Band XI.Herausgegeben von Wilhelm Weischedel. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 127-172.
[5] de Maizière, Lothar. 1998. Some Critical Reflections on German Unity. In: Pfennig, Werner (Hrsg.), United We Stand – Divided We Are. Comparative Views on Germany and Korea in the 1990’s. Hamburg: Abera, S. 39.
[6] Schroeder, Klaus. 2009. Ostdeutschland 20 Jahre nach dem Mauerfall– eine Wohlstandsbilanz. Berlin: Forschungsverbund SED-Staat, Freie Universität Berlin, S. 43.
[7] Ritter, Gerhard A. 2007. Der Preis der deutschen Einheit und die Krise des Sozialstaats. München: Beck, S. 272.
[8] Auch 2009, d. h. fast 20 Jahre nach der Wiedervereinigung, arbeiteten noch immer mehr Personen für die Regierung in Bonn als in Berlin.
[9] Klinger, Fred. 1998. The Price of Unity: Economic and Social Consequences of German Unification. In: Pfennig, Werner (Hrsg.), United We Stand – Divided We Are. Hamburg: Abera, S. 111-138.
[10] Innerhalb von vier Jahren wurden 546 200 Personen zurückgeführt. Die sowjetischen Truppen hatten in der DDR 240 000 Hektar genutzt und neben anderen Einrichtungen 47 Militärflugplätze unterhalten, alle diese Flächen gingen in das Eigentum der Bundesrepublik über, waren aber teilweise stark kontaminiert.
[11] Von 1991 bis 2005 zogen 1,4 Millionen Deutsche von West nach Ost und 2,3 Millionen von Ost nach West. In Korea könnten solche Wanderungsbewegungen zu Ungunsten des Nordens noch weitaus größer sein.
[12] Kim Dae-jung hat mehrfach über diesen Plan gesprochen, siehe z. B. Kim Dae-jung. 2006. Inter-Korean Relations and the ´Iron Silk Road.´ Special Speech at the UN-ESCAP Asia-Pacific Business Forum on Transport and Logistics 2006. In: Kim Dae-jung Peace Center (Hrsg.): Road to Peace on the Korean Peninsula. Lectures and Press Interviews of Kim Dae Jung. Seoul, S. 64ff.