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12 Thesen zur Hochschulpolitik aus Sicht dreier Nachwuchswissenschaftlerinnen

 

Berliner Erklärung -

7 Forderungen zur Hochschulpolitik aus Sicht der

Postdocs

 

Dr. Lidia Guzy

Dr. Anja Mihr

Dr. Rajah Scheepers

 

Die derzeitige Hochschulpolitik eröffnet dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu wenige Chancen. Sie ist nicht dazu geeignet, langfristige Perspektiven aufzuzeigen.

Deswegen haben wir 7 dringende Forderungen an die Hochschulpolitik – ehe es in Deutschland keinen qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchs mehr geben wird.

 

Diese Forderungen sind während eines von der VolkswagenStiftung geförderten Symposions von und für Postdocs im Leibnizsaal der Berlin-Brandenburgischen Akademie in Berlin erarbeitet worden.

Die Forderungen wurden im Rahmen des Ende September stattfindenden Symposions u.a. mit Dr. Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung, Prof. Dr. Jutta Allmendiger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, Prof. Dr. Dr. h. c. Gerhart von Graevenitz, Rektor der Universität Konstanz, Dr. Beate Scholz, Direktorin Wissenschaftlicher NachwuchsDeutschen Forschungsgemeinschaft, Prof. Dr. Jörg Steinbach, Vizepräsident Technische Universität Berlin, Prof. Dr. Rolf Kreibich, Wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Berlin, und Dr. Christiane Gaehtgens, Generalsekretärin der Hochschulrektorenkonferenz diskutiert (Moderation: Alfred Eichhorn, Inforadio Berlin-Brandenbung):

 

1) Die Zukunft der Universitäten ist ihr wissenschaftlicher Nachwuchs!

Situation: Die AssistentenInnen-Stellen wurden abgeschafft, eingerichtet wurden von den im Jahr 2002 zugesagten 6.000 Juniorprofessuren bislang 786. Eine bessere Planbarkeit wurde durch die wenigen Stellen ebenfalls nicht erreicht, da nur die wenigsten mit einem tenure track ausgestattet sind. Auch die Ausstattung der Professuren lässt zu wünschen übrig. Diese – wenigen – Stellen reichen zur Ausbildung des Wissenschaftlichen Nachwuchses nach der Promotion nicht aus. Auch die Abschaffung der Habilitation wurde keinesfalls erreicht.  

Wir fordern von den Universitäten die Einrichtung von Stellen nach der Promotion, die eine sinnvolle akademische Weiterbildung ermöglichen. D.h. konkret mindestens eine Laufzeit von 6 Jahren, Bezahlung mindestens entsprechend BAT IIa und nicht mehr als 4 Stunden Lehre. Wir fordern von den Stiftungen die Nachhaltigkeit von Forschungsförderung, d.h. die Möglichkeit einer Anschlussfinanzierung an laufende Förderungen.

 

2) Frauenquote!

Situation: Je wichtiger eine Position an der Universität, desto seltener ist sie von einer Frau besetzt. Während bei den StudienanfängerInnen das Verhältnis zwischen Frauen und Männern noch ungefähr ausgewogen ist, nimmt der prozentuale Anteil der Frauen pro Qualifikationsstufe rapide ab. Die C4-Professuren werden zu 9,2 Prozent von Frauen – oder zu 90,8 Prozent von Männern – besetzt.[1]

Wir fordern: Jede 2. zu besetzende Professur soll zukünftig mit einer Frau besetzt werden! Zusätzlich muss an jeder Universität ein Mentoring-Programm für den weiblichen Postdoc-Nachwuchs eingerichtet werden, wie es etwa an den Berliner Universitäten schon geschehen ist.

 

3) Die Zukunft der Universität liegt in Europa!

Situation: Zunehmend mehr hoch qualifizierte NachwuchswissenschaftlerInnen wandern in das (außer-) europäische Ausland aus. Zwar kommt ein Großteil der Ausgewanderten wieder zurück, aber wer länger fort ist, bleibt in der Regel auch im Ausland. Im Gegenzug kommen kaum internationale WissenschaftlerInnen nach Deutschland.

Wir fordern: Die Universitäten müssen Stellen einrichten, die bei der Antragstellung für das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm behilflich sind! Die deutschen Universitäten müssen anfangen, sich als integrativen Bestandteil des Europäischen Hochschulraumes zu verstehen.

 

4) Die ideale HochschullehrerIn des Jahres 2012!

Situation: Bis vor wenigen Jahrzehnten reichte es für die Berufungsfähigkeit aus, promoviert und habilitiert zu sein. Fähigkeiten wie Rhetorik, soziale Kompetenz oder Management spielten keine Rolle. Akademische Macht wurde in Form von Herrschaft ausgeübt, nicht als Verantwortung.

Wir fordern: Die ideale HochschullehrerIn des Jahres 2012 sollte sozial kompetent sein, medienerfahren, Personalführung beherrschen und Drittmittel einwerben können! Der Wissenschaftler sollte die gesellschaftliche Relevanz seiner Forschung artikulieren können und sich seiner Verantwortung gegenüber der Gesellschaft bewusst sein. Die Universitäten sollen die WissenschaftlerInnen durch geeignete Trainings unterstützen, indem sie diese Module als Angebote in die Curricula der (Post-)Doc-Ausbildung aufnehmen!

 

5) Zur Notwendigkeit der Vernetzung mit außeruniversitären Institutionen!

Situation: LehrstuhlinhaberInnen an Universitäten und leitende WissenschaftlerInnen an außeruniversitären Einrichtungen arbeiteten bislang weitgehend isoliert.

Wir fordern: Die Zukunft der Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen kann nur in der Kooperation mit anderen wissenschaftlichen und wissenschaftsfördernden Einrichtungen wie etwa Akademien, Museen, Stiftungen, Forschungsinstituten liegen! Nur so kann eine Ausbildung garantiert werden, die einen Blick über den Tellerrand ermöglicht und eine Orientierung hin auf andere Berufsfelder erlaubt.

 

6) Die wissenschaftlichen Disziplinen müssen sich öffnen!

Situation: Interdisziplinarität ist ein wichtiges Zugpferd in der Drittmitteleinwerbung, Antragstellung und im (Nachwuchs-)wissenschaftlichen Curriculum Vitae. Tatsächlich existiert aber an der Universität nach wie vor jede Fakultät/Disziplin für sich.

Wir fordern: Anstelle von Interdisziplinaritäts-Kosmetik soll es zukünftig echte Interdisziplinarität geben – oder ein echtes Forschen außerhalb der Grenzen der Disziplinen! Diese Interdisziplinarität muss sich dann auch in den bisher disziplinär besetzten Gutachterkreisen und Ausschreibungen niederschlagen! Ebenso müssen sich auch die Strukturen in den Hochschulen ändern, damit es einen wirklichen Austausch zwischen den Disziplinen geben kann.

 

7)Mindestens 10.000 neue Postdoc-Stellen!

Situation: Auf die Hochschul-Politik kommen in den nächsten Jahren nahezu überwältigende Aufgaben zu. Dies wird dann, nach der Föderalismus-Reform, insbesondere Ländersache sein. Gefragt sind an dieser Stelle die Wissenschaftsminister der Länder – damit es bei Wikipedia unter Postdoc nicht mehr heißt, dass dieser in der Regel durch Drittmittel finanziert wird. Bei einer erwarteten Studierendenzahl von 2,7 Mio. Studierenden im Jahr 2012 sollte wenigstens auf 270 Studierende 1 „staatlicher“ Postdoc kommen.

Wir fordern: Mindestens 10.000 neue Postdoc-Stellen, obwohl das Fünffache notwendig wäre! Deutschland muss seine Bildungsausgaben auf den OECD-Durchschnittswert von mindestens 7% bringen!

 

Gezeichnet: Dr. Anja Mihr, Dr. Lidia Guzy, Dr. Rajah Scheepers



[1] Das geht aus den aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervor.

 

Mentoring
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