2012. Kër Thiossane in der Villa pour l‘Art et le Multimédia
Gebäude Ker Thiossane im Viertel Liberté 2, Foto: Hanna Prenzel
Anders als die trubelige Medina von Dakar, ist Liberté 2 ein ‚unaufgeregtes‘, ruhiges Viertel im Herzen der Stadt. Beschauliche Straßen und kleine Lebensmittelläden an jeder Ecke prägen das Bild dieser Gegend. Hier fällt das gelbe Haus mit den bunten Graffitis an der Außenfassade und dem Schriftzug „Kër Thiossane“ (Wolof: „Das Haus der Tradition“) sofort auf. Ein Schild an der Eingangstür beschreibt den Ort: „Villa pour l‘Art et le Multimédia“. Folgt man dem Weg um das Haus herum, läuft man geradewegs auf sein Herzstück zu: Den Innenhof. Eine kleine Bar, der Schatten eines Mangobaums und ein großformatiges Mosaik – das Ergebnis eines partizipativen Künstlerprojekts – laden zum Verweilen ein und machen den Hof zu einem Treffpunkt für lokale wie internationale Kunst- und Kulturproduzenten, Interessierte und Nachbarn. In der oberen Etage des Hauses befinden sich Gästezimmer für eingeladene Residency-Künstler. Das Erdgeschoss beherbergt einen kleineren Ausstellungsraum sowie die Büros der MitarbeiterInnen.
Villa pour l´Art et le Multimédia, Foto: Hanna Prenzel
2002 von der Französin Marion Louisgrand gegründet und bis heute von ihr verantwortlich geführt, gehört Kër Thiossane zu einem der wenigen, ‚freien‘, nicht-staatlichen Kunsträume in Dakar, die seit vielen Jahren ein vielseitiges – oftmals von ausländischen Gebern subventioniertes Programm –organisieren. Inhaltlich stehen die sehr divers aufgefächerten Projekte der letzten zehn Jahre, wozu Festivals, Workshop-Reihen, Ausstellungen, Künstler-Residencies und mehrjährige (Süd-Süd) Kooperationen mit Partnerinstitutionen zählen, unter dem Oberthema der digitalen Medien. Das erklärte Ziel Kër Thiossanes ist es, das Potential neuer Medien und Technologien für eine gemeinschaftliche Wissensproduktion und für experimentelle künstlerische Praktiken im Senegal bzw. in Afrika fruchtbar zu machen. In seinem Selbstverständnis als Ressourcen- und Informationszentrum, richtet sich der Kunstraum insbesondere an jüngere KünstlerInnen aus dem Senegal und anderen Ländern des Kontinents, die keinen oder wenig Zugang zu Neuen Medien haben. Kër Thiossane ist fest in die lokale Kunstszene eingebunden und will Kunstpraxis mit gesellschaftsrelevanten Fragestellungen verschränken.
Knowledge-Sharing-System im Rahmen des Projekts "GIS-GISS 2050", Foto: Hanna Prenzel
Während der zehnten Dak´Art Biennale im Mai 2012 gehörte Kër Thiossane zu einem der Orte, an dem die Biennale-BesucherInnen ein vielseitiges Programm jenseits des offiziellen Biennale-Angebots erleben konnten. Wie bereits in den Jahren 2008 und 2010, veranstaltete Kër Thiossane auch in diesem Jahr im Rahmen des Off-Programms die mittlerweile dritte Edition des Afropixel-Festivals. Neben der Solo-Ausstellung des Residency-Künstlers Yassine Balbzioui (Marokko/Frankreich), fanden Konzerte, Video-Screenings im öffentlichen Raum, Workshops, Druckwerkstätten sowie Schreib-Ateliers statt. Im Zentrum des diesjährigen Festivals stand die Debatte um Urheberrechte in Bezug auf Digitale Kunst und Neue Medien in Afrika bzw. dem globalen Süden. In diesem Zusammenhang fand die kollaborative Schreibwerkstatt „GISS-GISS 2050“ statt, konzipiert und durchgeführt von Catherine Lenoble und Julien Maudet aus Nantes. Ziel war es, gemeinsam mit den TeilnehmerInnen alternative zukünftige Nutzung bekannter Orte und Institutionen in Dakar – etwa des Musée Théodore Monod (IFAN) oder eines (Musik-)Kiosks in der Nähe in Liberté 2 – zu imaginieren und auf diese Weise eine alternative Kartografie der Stadt zu entwerfen. Um sie einer allgemeinen Nutzung sowie Modifikationen zugänglich zu machen, wurden die Resultate des Workshops (futuristische Geschichten und kleinere Hörstücke) auf USB-Sticks an den entsprechenden Orten im Stadtraum platziert. Hinter dieser Form der gemeinschaftlichen und prozesshaften Weiterentwicklung von digitalen Dokumenten steht das so genannte „Dead Drop“-Prinzip, das 2010 von dem Berliner Medienkünstler Aram Bartholl als ein anonymes Knowledge-Sharing-System entwickelt worden ist (deaddrops.com). Hierbei werden USB-Sticks mit Informationen und Dateien im öffentlichen Raum versteckt; die Standorte der Datenträger können im Internet auf einem Stadtplan eingesehen werden. Mit Blick auf die Fragestellung des Afropixel-Festivals 2012 erhoffen sich die InitiatorInnen des Projekts eine Verbreitung des Prinzips „Dead Drop“ und somit eine offene, spielerische, internetlos funktionierende Zirkulation der Workshop-Resultate. Während des Festivalprogramms konnten BesucherInnen an einem Rundgang zu einem solchen „Dead Drop“-Spot teilnehmen. Wie es nach der Biennale weitergehen wird, bleibt abzuwarten und scheint fragwürdig. Denn so spannend das Projekt auch sein mag: Wie viele Personen in Dakar besitzen letztendlich das technische Equipment, um an dieser Form der digitalen Kommunikation teilzunehmen? Möchte man sich die Koordinaten der USB-Standorte im Blog heraussuchen, ist das Internet der einzige Weg – was trotz existierender Internetcafés in Dakar nicht für jede/n selbstverständlich ist.
Video-Projektionen "Intangibles" (2010/2011) von The Trinity Session, präsentiert in unmittelbarer Nachbarschaft Ker Thiossanes während der Biennale, Foto: Hanna Prenzel