2012. „Ndakaru“ und „Wild Wild Animal“: Zwei Knet-Animationen im Vergleich
Von Craniv Boyd
Ibrahima Niang „Ndakaru“
„Ndakaru“ und „Wild wild Animal“: Zwei Knet-Animationen im Vergleich
Dieser Bericht befasst sich mit zwei zeitgenössischen Videokunstwerken, welche 2012auf der zehnten Dak'art Biennale in Dakar, Senegal, ausgestellt wurden. In meinem Aufsatz werde ich einen zeitgenössischen senegalesischen Künstler und eine zeitgenössische schwedische Künstlerin miteinander vergleichen. Beide haben auf der Biennale ein Videokunstwerk ausgestellt. Diese sind einerseits Ibrahima Niang, 1976 in Senegal geboren, welcher an der Hauptausstellung der zehnten Dak’art Biennale teilnahm, und andererseits Natalie Djurberg, eine 1979 geborene Schwedin, die ihr Werk im Rahmen der Ausstellung Rabbit Hole, dem ersten sogenannten nordischen Pavillon auf der Dak’art, ausgestellt hat. Es hat mich überrascht, dass im Rahmen der Biennale gleich zwei Videokunstwerke vorgelegt wurden, die mittels Stop-Motion-Animation in Verbindung mit Knetanimation erschaffen wurden. Der Grund für gerade diesen Vergleich ist die ungewöhnliche Wahl der Kunstform. Diese beiden Künstler der gleichen Generation haben trotz unterschiedlicher Nationalität und Geschlechts entschieden mit Stop-Motion-Technik und Animation von Tonfiguren zu arbeiten. Es ist außerdem bemerkenswert, dass beide Videoarbeiten Menschen und Tiere prominent darstellten und zur Interaktion von Mensch und Tier Stellung genommen haben.
Die meisten Leute kennen Animationsfilme mit Tonfiguren aus der Mainstream-Popkultur, z.B. Kinderprogrammen wie Gumbi oder Trickfilmen wie Wallace und Gromit. Der Arbeitsvorgang ist leicht zu meistern, denn er basiert auf Standphotographie mit Stativ. Mit einer Kamera in fester Position werden Bilder gemacht, der Animator verändert die abgebildeten Objekte in kleinen Schritten und photographiert jede Veränderung. Am Ende werden die zahlreichen Aufnahmen der Reihe nach abgespielt wie Einzelbilder in einem Film, wodurch die Illusion von Bewegung entsteht. Einer der Vorteile von Stop-Motion-Animation ist, dass der Kreativität des Künstler wenig Schranken auferlegt sind, denn die Animation lässt eine große Bandbreite von Erscheinungsbildern zu. Dazu kommt, dass solche Animationen relativ kostengünstig herzustellen sind, obwohl sie zeitaufwändig und arbeitsintensiv sind. Unter diesen Bedingungen kann ein einzelner Künstler oder Künstlerin eine Knetanimation in einem kurzen Zeitrahmen und bei minimalen Produktionskosten fertigstellen. Es bleibt den Künstlern überlassen, wie schnell sie arbeiten, wie viele Mitarbeiter sie anstellen und letztendlich wie lang die Animation wird. Stop-Motion-Animation ist die bevorzugte Animationsmethode des renommierten südafrikanischen Künstlers William Kentrige. Genau wie Kentrige erstellen sowohl Niang als auch Djurberg ihre Animationen ohne fremde Hilfe.
Ausstellungsraum. Foto: Craniv Boyd
Senegal: Das Video, das Ibrahima Niang unter dem Titel „Ndakaru“ auf der Biennale ausgestellt hat, wurde auf die dem Zuschauer gegenüberliegende Wand projiziert. Es wurde in ein einer abgesonderten Kabine auf dem oberen Stockwerk der Hauptausstellungshalle des IFAN gezeigt. Niang hat entschieden sein Videowerk im Rahmen einer Installation aus vorgefundenen Objekten und Rohstoffen zu präsentieren. An den Wänden der Ausstellungskabine mit seinem Videowerk waren Lokalzeitungen und Titelseiten von Zeitschriften an einer Wäscheleine aufgehängt. Autoreifen lagen auf dem Boden, der zudem mit Sand und Laub bedeckt war. Das Video bestand aus einer Fernaufnahme aus der Vogelperspektive und zeigte ein Straßenbild aus der Soumbedioune Bucht, einem Küstenbezirk in Dakar. Die Sonne geht gerade auf, junge Männer kehren in bemalten Booten zurück ans Land um Fisch auf dem Markt zu verkaufen. Leute am Strand bringen zum Tagesanfang ihre Schafe zum Markt. Ein Laut ertönt und Schaulustige drängeln sich um die Ursache zu sehen. Eine Menschenmenge bildet sich aber geht nach kurzer Zeit wieder auseinander.
Maßstäbe werden in „Ndakaru“ verzerrt, es gibt kaum Größenunterschiede zwischen Gegenständen, die in der Wirklichkeit enorm unterschiedlich sind. Die im Video gezeigten Menschen sind schematisch und anatomisch nicht korrekt denn sie sind klein genug um keine Gesichtszüge zu haben und ihre Arme und Beine sind kurz und dick. Im Vergleich zu den menschlichen Gestalten sind die Schafe größer als sie in Wirklichkeit wären; Autos sind hingegen viel kleiner, denn sie sind kleiner als die Menschen im gleichen Filmabschnitt. Die Boote, in welchen die jungen Männer ankommen, sind groß genug um sie zu befördern aber trotzdem nicht maßgenau. Die Figuren sind aus sehr sandhaltigem Ton, sie stehen an einem Strand mit echten Sand, genau wie dem der auf den Boden der Installation gestreut ist. Niang scheint den Ton für seine Animation von Grund auf gemacht zu haben.
Schweden: Die als „Rabbit Hole“ betitelte Ausstellung, der erste sogenannte nordische Pavillon auf der Dak’art, wurde an einem anderen Ort im Rahmen des „Off“ Programms der Biennale veranstaltet. Sie wurde in der Espace Culturelle Vema aufgebaut, einem Ausstellungsort am Hafen, direkt neben der Fähre zur Insel Gorée. Der Ausstellungstitel, „Rabbit Hole“ wurde dem Kinderbuchklassiker des britischen Schriftstellers Lewis Carroll, „Alice im Wunderland“, entnommen. Im Buch fällt Alice durch ein Kaninchenloch (auf Englisch „rabbit hole“), entdeckt dort eine Parallelwelt und macht eine Reise durch diese von surrealen Wesen bevölkerte Welt, um am Ende nach dem Missgeschick mit einem durch ihre Erfahrung veränderten Bewusstsein wieder nach Hause zurückzukehren. Die Kuratoren, Power Ekroth und Martia Muukkonen, haben diese Metapher des Kaninchenlochs für eine lebensverändernde Reise verwendet, in diesem Falle für die Reise einiger teilnehmender, skandinavischer Künstler nach Dakar um neue Werke für die Ausstellung zu schaffen. Einige der ausgestellten Kunstwerke waren neu, aber viele Teilnehmer, die nicht nach Senegal reisen konnten, waren stattdessen durch Werke vertreten, welche mit Westafrika verbunden sind.
Das Licht in Espace Culturelle Vema kombinierte Licht aus der Umgebung und auf die Kunstwerke an den Wänden gerichtetes Scheinwerferlicht. Das Video von Djurberg wurde mitten in diesem Raum ausgestellt. Anstatt in einer Kabine oder einem dunklen Raum abgesondert zu sein, war es in die übrige Ausstellung eingebunden. Eine lichtdurchlässige Leinwand hing an zwei Seilen von der Decke. Das projizierte Videobild konnte auf beiden Seiten der Leinwand gesehen werden aber nur auf einer Seite konnten die Betrachter den Vorspann und den Text richtig lesen.
Das Gebäude des Espace Culturelle Vema.
In dem Video „Wild, wild animal“ von Djurberg sind Formen reduziert, die Knetfiguren erscheinen vor einem unbestimmten schwarzen Hintergrund, was ihre Präsenz hervorhebt. Wegen dieses Informationsmangels kann der vermeintliche Schauplatz nur schwer festgestellt werden, doch die Handlung besteht darin, dass ein Mann bei lebendigem Leibe von Krokodilen und Nilpferden aufgefressen wird. In Djurbergs Werk ist die Kamera recht nahe am Geschehen, was eine Halbnahe ihres Motivs ergibt. Die Krokodile und das Nilpferd verkünden, dass sie „a wild, wild animal“ sind. Im Film sprechen die Tiere diese Worte nicht selber, vielmehr erscheint neben jeder Figur ein kleiner Papierfetzen mit der gleichen Funktion, die eine Sprechblase in einem Comic hat. Auf dem Papier sind die Worte „I am, a wild, wild animal.“ („Ich bin ein wildes, wildes Tier.“) in einer krakeligen Handschrift hingeschrieben. Wie die Figuren von Niang haben diejenigen von Natalie Djurberg keine gewöhnlichen menschlichen Proportionen aber gegenüber Niangs Figuren sind sie länglicher und im Verhältnis zu seinem Skelett sind die Hände und Füße des bärtigen Mannes übermäßig groß. Die übertriebenen Gesichtszüge ihrer Figuren werden besonders hervorgehoben. Die Tiere haben große, ausdrucksvolle Augen, der bärtige Mann hat große, rote Lippen und eine hervorstehende Nase. Der Reflex des Blinzelns wird auch animiert, was auf einen übertriebenen oder übermäßigen Detaillierungsgrad hinweist.
Anders als viele Künstler diverser afrikanischer Nationalitäten, welche für den Hauptteil der Biennale des IFAN ausgesucht wurden, wird Djurberg von Kunstgalerien auf beiden Seiten des Atlantiks in Mailand und New York vertreten. Als diese Ausstellung stattfand, hatte sie schon an der Biennale in Venedig teilgenommen und den heiß begehrten silbernen Löwen als beste Nachwuchskünstlerin erhalten.
Fazit: Die Animation von Ibrahima Niang zeigt in glaubhafter Weise ein Ereignis in der Soumbedioune Bucht in Dakar. Das Stadtviertel erwacht zum Leben am Tagesanfang. Niang stellt eine gewöhnliche Interaktion zwischen Mensch und Tier dar. Männer tragen Fisch zum Markt um ihn dort zu verkaufen und Schäfer führen ihre Schafe in gleicher Absicht dorthin. Die Tonspur in seinem Video ergänzt die Handlung; mit Wellenrauschen, wenn ein Strand zu sehen ist, mit einer Klangcollage aus dem Stadtverkehr, wenn eine Straßenszene gezeigt wird, und wenn die Menschen im Video aufgeregt sind, hört man unverständliches Sprechen, das den dargestellten Streit unterstreicht. Niang zeigt diese Szene aus einiger Entfernung, sie wird von mehreren kommenden und gehenden Leuten bevölkert. Das Video von Natalie Djurberg zeigt eine Szene, die viel näher an den einzelnen Personen ist. Sie beinhaltet ein Ereignis das möglicherweise geschehen kann aber sehr unwahrscheinlich und phantastisch ist. Krokodile haben Menschen schon gefressen aber kein Mensch ist je von einem sprechenden Krokodil in Zusammenarbeit mit einem sprachbegabten Nilpferd gefressen worden. Die Tonspur in Djurbergs Werk wurde von ihrem Künstlerkollegen Hans Berg erstellt. Sie hat wenig mit der im Video gezeigten Handlung zu tun, denn es sind keine Schreie oder Geräusche vom Beißen des Krokodils zu hören. Dieses unwahrscheinliche Ereignis, dass ein Mann von afrikanischstämmigen Tieren verschlungen wird, findet an einem leeren, neutralen Ort statt. Wegen der schwarzen Umgebung gibt es kaum Hinweise auf die mögliche Lage. Djurberg zeigt den Menschen als schwach und den Angriffen von Raubtieren ausgesetzt. Im Gegensatz dazu wird der Mensch bei Niang als Herr der Natur dargestellt: Er verkauft seine Beute und hütet sein Vieh. Die Tonfiguren von Ibrahima Niang scheinen aus dem Sand von Dakar, also aus lokal verfügbaren Rohstoffen gemacht zu sein; dagegen ist der Ton in Djurbergs Animation glatt und sieht aus wie Ton der im Bastelladen verkauft wird. Nach dem Aussehen ihrer Werke zu urteilen hat sie regelmäßig Zugang zu industriell verarbeitetem Bastelmaterial. In diesem Falle besteht Djurbergs Werk nur aus dem Video selbst, welches elegant wenn nicht prominent über den Köpfen der Betrachter ausgestellt wurde und somit weit über anderen Kunstwerken in der Ausstellung, die in Augenhöhe präsentiert waren.
Niang stellt sein Werk in einen bescheidenen und leicht zu übersehenden Bereich am Rande der Ausstellung. Sein Video wurde hinter dunklen Vorhängen dargeboten, im Rahmen einer Installation, welche die auf der Leinwand gezeigte Gegend heraufbeschwört. Sand wird nicht nur in Niangs Video am Strand gezeigt, er liegt auch mit anderen Gegenständen auf dem Boden vor der Leinwand. Niang entwirft den Raum zwischen dem Betrachter und der Projektionsfläche so dass er mit seinen Autoreifen, Laub und aufgehängten Zeitungen dem Video ähnelt. Das einzige, was es in dieser Kammer zu sehen gibt, ist das Video und die Objekte in seiner Installation. Sein Werk ist von der Ausstellung so gut wie abgetrennt, denn die Betrachter müssen zuerst eine Türschwelle überschreiten und hinter einen Vorhang treten um es dort abgesondert ansehen zu können.
Die beiden Künstler aus der gleichen Generation haben innovative Ansätze gefunden um Interaktion zwischen Mensch und Tier in der bekannten Kunstform der Knetanimation darzustellen; jeder auf seine persönliche, für sein oder ihr Herkunftsland bezeichnende Weise. Niang mischt seinen Ton mit Dakars Sand, Djurberg modifiziert gekaufte Knetmasse mit Farben und Lacke und hat Zugang zu einer Menge von Künstlerbedarf in Westeuropa. „Ndakaru“ von Niang vermittelt den Eindruck von Ortsbezug, von einem bestimmten Strand zu einer bestimmten Tageszeit, wohingegen „Wild, wild Animal“ von Djurberg ein komisches Schreckensszenario ohne Ortsbezug enthüllt: Ein Mann wird in einer dunklen Weite wiederholt von Krokodilen und Nilpferden im Ganzen geschluckt. Niang verleiht den Tonfiguren eine menschliche Stimme oder das Blöken von Schafen und mit diesen Toneffekten schafft er eine plausible Geräuschkulisse, welche die Handlung untermalt. Djurbergs Mitarbeiter, der Musikproduzent und Klangkünstler Hans Berg, hat hingegen eine Tonspur komponiert, die das Unwirkliche am Geschehen im Video hervorhebt.