Dossier zur NS-Kunstpolitik und ihren Auswirkungen auf private Sammlungen moderner Kunst
Im Zusammenhang mit Rückgabeforderungen von Werken aus ehemaligen Privatsammlungen moderner Kunst zeigen sich immer wieder Unklarheiten in der Bewertung der historischen Vorgänge. Aus diesem Grund haben wir dieses Dossier verfaßt, das einige einführende Bemerkungen sowie eine Chronologie der wichtigsten Ereignisse enthält. Für Rückfragen und weiterführende Auskünfte stehen wir gern zur Verfügung.
1933 besteht innerhalb der NS-Führungsriege noch keine Einigkeit über den künftigen kunstpolitischen Kurs. Es bildet sich eine kunstpolitische Opposition, die insbesondere den Expressionismus als „deutsche Kunst“ verteidigt. Auch wenn sich diese nicht durchzusetzen vermag, gibt es in den folgenden Jahren immer wieder Aktivitäten für die Moderne: So wird die Zeitschrift „Kunst der Nation“ von 1933 bis 1935 zum Sprachrohr liberaler Tendenzen. Ausstellungen in Kunstvereinen und Privatgalerien werden bis 1937 und vereinzelt auch darüber hinaus veranstaltet. Museen erwerben noch bis 1936 gelegentlich Werke moderner Künstler (so erhält das Folkwang Museum in Essen 1935 vom Museumsverein eine fast vollständige Sammlung der Graphik Emil Noldes). Parallel finden Aktionen zur Diffamierung der Moderne statt (s. u.) und trennen sich vereinzelt Museen durch Tausch oder Verkauf von moderner Kunst. Wichtig ist, daß Privatsammler durch diese Ereignisse oft stark verunsichert sind, aber meist unbehelligt bleiben, weil der private Besitz „entarteter Kunst“ nicht verfolgt wurde. Bedeutende Sammlungen moderner Kunst wie etwa von Ida Bienert (Dresden), Hermann Lange (Krefeld), Martha und Paul Rauert (Hamburg) und Felix Weise (Halle) überstehen die NS-Zeit in Deutschland unbeschadet. Manche Sammler erweitern ihre Bestände bzw. beginnen ihre Sammeltätigkeit erst nach dem Erlebnis der Ausstellung „Entartete Kunst“ von 1937 (Beispiel Bernhard Sprengel). Das Schicksal jüdischer Sammlungen und Sammler wird von der Judenverfolgung bestimmt, die sich in den Kriegsjahren bis zum Genozid steigert.
Chronologie
1929-1931:
Infolge der Weltwirtschaftskrise und der anschließenden Bankenkrise geraten auch zahlreiche Privatsammler in wirtschaftliche Not und sind schließlich zu Kunstverkäufen gezwungen. Z. B. werden im Berliner Auktionshaus Graupe am 21./22. März 1932 889 Werke aus den Sammlungen Rudolf Ibach (Wuppertal) und Ismar Littmann (Breslau) versteigert.
Die Preise auf dem Kunstmarkt fallen.
8. Dezember 1931:
Einführung der „Reichsfluchtsteuer“ („4. Verordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen zum Schutze des inneren Friedens“): Bei einer Emigration müssen 25 Prozent aller Vermögen über 200.000 Reichsmark an den Staat abgegeben werden. Dadurch wurden Kunstsammler gezwungen, Teile ihrer Sammlung zu veräußern.
Diese Steuer wurde unter den Nationalsozialisten zu einem Instrument des systematischen Vermögensentzugs auswandernder Juden ausgebildet.
30. Januar 1933:
Machtübernahme durch die Nationalsozialisten
März 1933:
Eine Auktion der Galerie Flechtheim in Düsseldorf wird vom „Kampfbund für Deutsche Kultur“ gewaltsam unterbrochen. Ähnliche Aktionen schädigen auch andere jüdische Kunsthändler und veranlassen sie, ins Exil zu gehen.
1. April 1933:
Der Boykott jüdischer Geschäfte und Unternehmen fügt auch zahlreichen Kunstsammlern schweren Schaden zu.
7. April 1933:
Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ ermöglicht die Entlassung von Beamten, wenn sie „nichtarischer Abstammung“ sind oder „nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten“. In der Folge werden zahlreiche Beamte und Angestellte an Museen, Kunstakademien und Universitäten beurlaubt, entlassen oder zwangspensioniert.
Parallel dazu werden Juden aus bestimmten Berufen ausgeschlossen – Anwälte, Ärzte u.a. –, zu denen traditionell auch Kunstsammler gehören.
In verschiedenen Städten finden erste Ausstellungen zur Diffamierung der Moderne, sogenannte „Schreckenskammern“, statt. Während die Bestände moderner Kunst in vielen Museen magaziniert werden, bleibt die moderne Abteilung der Berliner Nationalgalerie im Kronprinzen-Palais bis zum 30. Oktober 1936 öffentlich zugänglich.
1. September 1933:
In seiner „Kulturrede“ auf dem Nürnberger Parteitag polemisiert Hitler gegen „die Repräsentanten des Verfalls, der hinter uns liegt“.
22. September 1933:
Gründung der Reichskulturkammer mit sechs Einzelkammern, darunter die Reichskammer der bildenden Künste. Die dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unterstellte Reichskulturkammer dient der Gleichschaltung und Kontrolle des gesamten kulturellen Lebens. „Nichtarische“ oder aus anderen Gründen mißliebige Personen werden nicht aufgenommen bzw. können ausgeschlossen werden, was einem Berufsverbot gleichkommt. Wegen fehlender Parteizugehörigkeit wurde man allerdings nicht ausgeschlossen.
1934:
Steuervergünstigungen aller Art werden nur noch Nichtjuden gewährt.
18. Mai 1934:
Der Freibetrag für die Reichsfluchtsteuer wird auf 50.000 Reichsmark gesenkt.
1935:
Ab diesem Jahr sehen sich viele jüdische Sammler gezwungen, Teile ihrer Sammlungen zu versteigern oder zu verkaufen.
Februar 1935:
Im Auktionshaus Max Perl beschlagnahmt die Gestapo 81 Werke, hauptsächlich aus der Sammlung Ismar Littmann, als „entartete Kunst“ und übergibt sie 1936 an die Nationalgalerie. Diese wählt einige als „historisch wertvoll“ aus und verbrennt den Rest am 20. Mai 1936 auf Anweisung der Gestapo im Heizungskeller des Kronprinzenpalais. Beide Vorgänge sind ohne Parallele.
10. April 1935:
Die „Anordnung des Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste betr. die Veranstaltung von Kunstausstellungen und Kunstmessen“ legt fest, daß Kunstausstellungen und –messen von der Kammer genehmigt werden müssen.
15. September 1935:
Auf dem Reichstag während des Reichsparteitags in Nürnberg verkündet Hitler das „Reichsbürgergesetz“ und das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ („Nürnberger Gesetze“). Diese Gesetze bedeuten einen Bruch mit den Prinzipien des bürgerlich-liberalen Verfassungsrechts. Die Handhabung des „Reichsbürgergesetzes“ wird bis 1943 durch 13 Durchführungsverordnungen geregelt.
1936:
In diesem Jahr beginnt die verstärkte Ausschaltung der Juden aus der Reichskulturkammer.
26. Mai 1936:
Von den Mitgliedern der Reichskammer der bildenden Künste und der anderen Kammern der Reichskulturkammer wird ein Ariernachweis verlangt.
Juli/August 1936:
Klaus Graf von Baudissin, Direktor des Museums Folkwang in Essen, verkauft das Gemälde „Improvisation 28“ von Kandinsky (heute im Guggenheim Museum New York) an den Berliner Kunsthändler Ferdinand Möller. In der Essener National-Zeitung vom 24. September 1936 schlägt Baudissin vor: „Die ‚Spitzenleistungen’ der Verfallskunst müssen in privaten Schlupfwinkeln aufgesucht werden. Wir halten es für ein dringendes Bedürfnis, diese Erzeugnisse, wo sie noch anzutreffen sind, zu beschlagnahmen, ihre Abgabe zu verfügen und ihre vorherige Vernichtung unter Strafe zu stellen.“ Diese persönliche Meinung versetzt Sammler in Unruhe, bleibt aber ohne praktische Folgen.
November 1936:
Erziehungsminister Rust kündigt in der Akademie der Künste in Berlin die „Säuberung“ der Museumsbestände an.
27. November 1936:
Durch die „Anordnung des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda über Kunstkritik“ wird die Kunstkritik durch den „Kunstbericht“ ersetzt.
1937:
Die „Arisierung“ des jüdischen Kunsthandels in Deutschland ist weitgehend abgeschlossen, noch vor der systematischen „Arisierungswelle“ des Jahres 1938.
12. Januar 1937:
Die Mitglieder der Reichsschrifttumskammer werden aufgefordert, Verlagsunternehmen anzuzeigen, die Juden beschäftigen.
19. Juli 1937:
In München wird die Ausstellung „Entartete Kunst“ eröffnet, die eine massive Verschärfung des Kampfes gegen die moderne Kunst markiert. Zuvor ist ab Anfang Juli in einer ersten Beschlagnahmeaktion Museumsbesitz aus 23 Städten für diese Ausstellung requiriert worden. Ab August 1937 folgt eine zweite Beschlagnahme, der nahezu die gesamten Museumsbestände moderner Kunst zum Opfer fallen. Insgesamt sind fast 20.000 Werke aus 101 Museen und Sammlungen betroffen. In Einzelfällen gehören dazu auch in den Museen befindliche Leihgaben aus Privatbesitz.
26. April 1938:
Die „Verordnung über die Anmeldepflicht jüdischen Vermögens“ bereitet das spätere Gewerbeverbot sowie die Enteignung vor.
31. Mai 1938:
Um die Voraussetzung zum Verkauf der beschlagnahmten Werke zu schaffen, wurde das "Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst” erlassen, in dem es heißt: „Die Erzeugnisse entarteter Kunst, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes in Museen oder der Öffentlichkeit zugänglichen Sammlungen sichergestellt […] sind, können ohne Entschädigung zugunsten des Reichs eingezogen werden, soweit sie bei der Sicherstellung im Eigentum von Reichsangehörigen oder inländischen juristischen Personen standen.“ Das Gesetz bietet die Grundlage für die nun einsetzende „Verwertung“ der „entarteten Kunst“, d. h. den Verkauf gegen Devisen oder den Tausch gegen ältere Kunstwerke.
Mit den Verkäufen werden hauptsächlich vier Kunsthändler betraut: Bernhard A. Böhmer, Karl Buchholz, Hildebrand Gurlitt und Ferdinand Möller. Diesen wird untersagt, die „Entartete Kunst“ im Inland zu verkaufen. Dennoch geben alle vier auch an inländische Sammler oder Händler beschlagnahmte Werke ab.
14. Juni 1938:
Die 3. Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“ schafft die Grundlagen für die geplante „Arisierung“ der noch bestehenden jüdischen Betriebe.
12. November 1938:
Mit der „Verordnung über die Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit“ werden die deutschen Juden kollektiv zur Zahlung von 1 Milliarde Reichsmark für die während der Reichspogromnacht am 9. November 1938 entstandenen Schäden verpflichtet.
3. Dezember 1938:
Die „Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens“ forciert die „Arisierung“ jüdischer Vermögenswerte einschließlich von Kunstgegenständen jeglicher Art. Die noch vorhandenen jüdischen Kunstsammlungen werden systematisch beschlagnahmt und „verwertet“.
20. März 1939:
Verbrennung des „unverwertbaren Rests“ der „Entarteten Kunst“ im Hof der Hauptfeuerwache in Berlin-Kreuzberg
30. Juni 1939
In der Auktion der Galerie Fischer in Luzern werden 125 Spitzenwerke aus deutschen Museen angeboten. Sowohl hier als auch bei anderen Schweizer Kunsthändlern werden Werke der „Entarteten Kunst“ auch an Sammler und Händler in Deutschland verkauft.
1. Oktober 1940:
Die „Anordnung gegen minderwertige Kunsterzeugnisse“ von Adolf Ziegler, dem Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste, ermöglicht den Zugriff auf Bestände moderner Kunst in Galerien und Privatsammlungen. Die Anordnung wird in einem Folgeerlaß vom 23. April 1941 nochmals bestätigt, jedoch wegen der Kriegsereignisse nicht oder nur zu einem sehr geringen Teil umgesetzt.
2. Mai 1941:
Die Reichskammer der bildenden Künste erhält per Verordnung als „Ankaufstelle für Kulturgut“ Entscheidungsbefugnisse über den Verkauf jüdischen Kunstbesitzes.
23. August 1941:
Die Reichskammer der bildenden Künste schließt Emil Nolde, Edwin Scharff und Karl Schmidt-Rottluff aus und untersagt ihnen „jede berufliche – auch nebenberufliche – Betätigung auf den Gebieten der bildenden Künste“. Dabei handelt es sich um die ersten Berufsverbote, die aus künstlerischen Gründen ausgesprochen werden.
25. November 1941:
Die 11. Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“ spricht allen im Ausland lebenden – also ausgewanderten oder deportierten – deutschen Juden die deutsche Staatsbürgerschaft ab und verfügt die Einziehung ihres Vermögens.
1. Juli 1943:
Die 13. und letzte Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“ stellt die noch überlebenden deutschen Juden außerhalb des Rechts. Das Vermögen der ermordeten Juden wird generell beschlagnahmt.
nach 1945:
Nach Kriegsende wird das „Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“ vom 31. Mai 1938 weder vom Alliierten Kontrollrat noch vom bundesdeutschen Gesetzgeber aufgehoben. Juristisch betrachtet sind die Beschlagnahmen rechtswirksam zustande gekommen, so daß auch die Folgeerwerber wirksames Eigentum an den Werken erlangen können (vgl. hierzu den Text von RA Carl-Heinz Heuer in der Informationsbroschüre der Forschungsstelle).
© Andreas Hüneke / Christoph Zuschlag