Vorislamisches Recht in Iran: Arbeiten zur Rekonstruktion der zoroastrisch/sasanidischen Jurisprudenz
Beschreibung des Schwerpunkts
Im Verlauf von rund eintausend Jahren hat sich, basierend auf dem Zoroastrismus, in Iran ein überaus komplexes Rechtssystem entwickelt, dessen Einfluß weit über die Grenzen Irans hinaus von Zentralasien im Osten bis nach Ägypten im Westen reicht. Seine deutlichen Spuren sind sowohl im jüdischen und im nestorianisch-christlichen als auch im späteren islamischen Recht zu erkennen. Doch trotz der fundamentalen Bedeutung der zoroastrisch-sasanidischen Jurisprudenz für die Entwicklung der genannten Rechtsschulen und obgleich die meisten zoroastrischen Rechtsquellen seit vielen Jahrzehnten bekannt sind, ist das iranische Recht nach einem ersten Versuch von Chr. Bartholomae zu Beginn des 20. Jhs. kaum erforscht worden. Der außergewöhnliche Schwierigkeitsgrad der Avesta- und Pahlavi-Quellen hat einen schnellen Zugang zu diesen Zeugnissen erster Ordnung lange Zeit behindert: die Texte bedienen sich einer in Vergessenheit geratenen juristischen Terminologie, die erst entziffert und gedeutet werden mußte, sind größtenteils in der schwerlesbaren Pahlavi-Schrift verfaßt und verwenden eine eigenwillige Syntax, die sich einer verkürzten, die Kenntnis juristischer Zusammenhänge voraussetzenden Ausdrucksweise bedient.
Die Iranistik an der FU hat einen weltweit einzigartigen Forschungsschwerpunkt auf diesem Gebiet, wobei es nicht nur darum geht, die Rechtszeugnisse philologisch zu bearbeiten, sondern die iranische Jurisprudenz in einen größeren historischen, sozialen und kulturellen Zusammenhang zu stellen, und seine Bedeutung für die Entwicklung der o.g. Rechtssysteme zu eruieren. Noch immer steht die Entzifferung der Quellen im Vordergrund, die zum großen Teil entweder gänzlich unbearbeitet sind oder in veralteten Editionen vorliegen. Die bisher geleistete Arbeit auf diesem Gebiet ist vor allem in zweierlei Hinsicht bedeutsam: sie läßt jetzt schon in Umrissen eine Gesellschaftsstruktur erkennen, die sich in vielerlei Hinsicht von der anderer antiker und mittelalterlicher Gesellschaften grundlegend unterscheidet. Die Arbeit an den iranischen Rechtsquellen ist zweitens aus der Perspektive der Sozial- und Rechtsgeschichte von zentraler Bedeutung. Wie bereits angedeutet, ist jetzt schon zu erkennen, daß die iranische Jurisprudenz großen Einfluß auf die Entwicklung des jüdischen Rechts (im Babylonischen Talmud), des nestorianisch-christlichen Rechts (syrische Rechtsquellen) sowie des islamischen Rechts ausgeübt hat. Signifikante Parallelen sind auch zwischen dem iranischen und dem byzantinischen Recht zu erkennen. Vergleichende Arbeiten auf diesen Gebieten befinden sich noch am Anfang, doch kann es keinen ernsthaften Zweifel geben, daß insbesondere das islamische Recht von allen o.g. Rechtssystemen stark beeinflußt worden ist, und seine Genese erst dann im größeren Umfang gewürdigt werden kann, wenn entsprechende rechtsvergleichende Arbeiten durchgeführt worden sind.
Projekte im Schwerpunkt
- Vidēvdād, Kapitel 5–8 (DFG, abgeschlossen). Informationen zum Projekt
- Tierrecht und Strafen im "Gesetz zur Abwehr der Dämonen" (Vidēvdād), Kapitel 13–15 (DFG, laufendes Projekt). Informationen zum Projekt
- The Penitential Sections of the Zand ī Xorde Awestā: Critical Edition of the Pahlavi Text with Transcription, Translation, Commentary and Glossary (DFG, laufendes Projekt). Informationen zum Projekt
- Die juristischen Nasks des Dēnkard (Forschungsprojekt Macuch). Informationen zum Projekt
- Das juristische Vokabular der Pahlavi-Texte; Enzyklopädie vorislamischer juristischer Termini (Forschungsprojekt Macuch; Beitrag zum Middle Persian Dictionary Project, Jerusalem)