Hauptseminar (13192): Gesundsein und Kranksein in der Moderne
B.A. Modul 5
Donnerstag, 10-12 Uhr, Koserstr. 20, A 336
Gesundsein und Kranksein sind unwidersprochen zentrale Aspekte des Lebens. Sie bestimmen unsere Lebenszustände, unsere Mobilität, unser Gemüt, unsere Ernährung, nicht weniger unsere Freizeit und unsere Beziehungen zur Gemeinschaft und regen an zu Fragen nach Körperlichkeit und Sinnzusammenhängen. Aber Gesundheit und Krankheit sind nicht allein individuelle, sondern auch soziale und politische Phänomene. Bestimmte Krankheiten wie beispielsweise AIDS oder Cholera können die Entwicklung betroffener Gesellschaften und Gruppen maßgeblich beeinflussen, indem Abwehrreaktionen bis dahin undenkbare Veränderungen ermöglichen; Krankheiten wie etwa Neurasthenie oder Burn-out geben Auskunft über die kollektiven Befindlichkeiten der Menschen und ihre Bedürfnisse; gleichzeitig wird mittels Krankheiten darüber entschieden, wer Teil einer sozialen Gemeinschaft ist und wer nicht. Wer sich mit Gesundheit und Krankheit beschäftigt, kommt nicht umhin, zugleich über die Welt und die Gesellschaft nachzudenken.
Im Seminar widmen wir uns einem Zeitraum (ca. 1870 bis 1930), in dem sowohl die Medizin als auch die soziokulturelle und politische Bedeutung von Gesundsein und Kranksein einen entscheidenden Wandel durchgemacht haben. In den Seminarsitzungen werden wir die verschiedenen Themen deshalb jeweils unter individuellen, soziokulturellen und politischen Aspekten betrachten. Je nach Interesse der Studierenden beschäftigen wir uns neben theoretischen Ansätzen (Foucault, Sontag, Kleinman etc.) mit der Disziplin- und Sozialgeschichte der Medizin, mit einzelnen Krankheiten und ihren Repräsentationen (Cholera, Tuberkulose, Neurasthenie etc.), der Entstehung der Psychoanalyse und psychischen Krankheiten (Wahnsinn, Liebeskummer, Heimweh etc.) und mit der "Erfindung" der Homosexualität, aber auch mit Fragen zu Suizid, Reformbewegung und Eugenik. Innerhalb dieser Bereiche sollen auch die Beziehungen der Medizin zum Krieg, zu den Kolonien, zur Stadt und zur Umwelt thematisiert werden. Dieses Seminar stellt zugleich eine Einführung in die Medizingeschichte dar, in dem zentrale Konzepte, Grundbegriffe und methodische Ansätze vorgestellt und angewandt werden.
Voraussetzungen: Voraussetzung zur Teilnahme ist die Bereitschaft, kleinere Aufgaben zu übernehmen (keine klassischen Referate) und regelmäßig wöchentlich ein größeres Lesepensum zu bewältigen, das auch fremdsprachige Texte und Quellenmaterial einschließt. Die Teilnehmerzahl ist auf 30 begrenzt. Wir werden zudem die e-Learning-Plattform Blackboard (http://lms.fu-berlin.de) intensiv nutzen. Das genaue Seminarprogramm wird in der ersten Sitzung vorgestellt und anschließend auf die Interessen der Teilnehmenden abgestimmt. Entsprechende Vorschläge sind ausdrücklich willkommen.
Literaturhinweise: Wolfang U. Eckart u. Robert Jütte: Medizingeschichte. Eine Einführung, Köln 2014; Roy Porter (Hg.): The Cambridge History of Medicine, Cambridge 2006; Susan Sontag: Krankheit als Metapher, München 1978; Michel Foucault: Die Geburt der Klinik, Frankfurt 1976; Claudine Herzlich u. Janine Pierret: Kranke gestern, Kranke heute. Die Gesellschaft und das Leiden, München 1991; Alfons Labisch: Homo Hygienicus. Gesundheit und Medizin in der Neuzeit, Frankfurt 1992.