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Übung (13219): Die Zeit der Geschichte

M.A.-Modul 3

Dr. Alexander C.T. Geppert

Donnerstag, 10-12 Uhr, Koserstr. 20, A 127

Raum und Zeit, heißt es in Kants "Kritik der reinen Vernunft", seien Prinzipien der Erkenntnis a priori und gingen damit jeder Erfahrung voraus. Während sich die Geschichtswissenschaft seit dem "spatial turn" intensiv mit Fragen von 'Raum' und 'Räumlichkeit' auseinandersetzt, lässt sich ähnliches für die Kategorie 'Zeit' nicht behaupten. Das überrascht: Obwohl Historiker über nichts so sorgfältig nachdenken wie über mögliche Veränderungen in der Zeit, vermögen wir kaum zu sagen, was 'Zeit' selbst sein könnte, am wenigsten noch die so genannten Zeithistoriker selbst. Auch dieses Seminar wird das Rätsel 'Zeit' schlechterdings nicht lösen, bemüht sich allerdings um etwas mehr Klarheit und geht dabei in vier Schritten vor: In einem ersten, philosophisch-theoretischen Teil werden einschlägige Texte zum Problem von 'Zeit' und Zeitlichkeit gelesen, unter anderem von Georg Simmel, Norbert Elias, Martin Heidegger, Paul Ricœur und Reinhart Koselleck. Was könnte das sein, 'Zeit'? Warum ist es so schwierig, über sie zu sprechen, ohne dabei in räumliche und andere Metaphern zu verfallen? In einem zweiten, historiographisch-praktischen orientierten Schritt untersucht das Seminar solche begrifflichen Hilfskonstruktionen, mit denen Historiker für gewöhnlich operieren, um Zeit in handhabbare (Sinn-)Abschnitte zu unterteilen. Wie unterscheiden sich Zeitalter, Epochen und Perioden voneinander? Was bedeutet es, eine Zäsur zu setzen, von der "longue durée" zu sprechen, "the past is a foreign country" zu deklarieren oder die Standardfrage nach Kontinuität vs. Diskontinuität zu stellen? Im dritten Abschnitt des Seminars steht die Geschichte des historischen Umgangs mit der Zeit selbst zur Debatte; dazu gehören Techniken der Zeitmessung, Wandel von Zeitwahrnehmungen und -erfahrungen seit dem Mittelalter sowie Beschleunigung als zentrales Epochenmerkmal der Neuzeit (Paul Virilio). Der vierte und letzte Teil widmet sich schließlich der Geschichte "vergangener Zukünfte" im engeren Sinne; hier stehen historische Utopien, überkommene Zukunftsvisionen und geschichtliche Erwartungen für unsere Jetztzeit im Vordergrund.

Unabdingbare Voraussetzung zur Teilnahme ist die Bereitschaft, kleinere Aufgaben zu übernehmen (keine klassischen Referate) und regelmäßig ein größeres Lesepensum zu bewältigen, das auch fremdsprachige Texte einschließt. Die Teilnehmerzahl ist auf 30 begrenzt. Wir werden zudem die e-Learning Plattform 'Blackboard' (http://lms.fu-berlin.de) nutzen. Das genaue Seminarprogramm wird in der ersten Sitzung vorgestellt und anschließend auf die Interessen und Vorschläge der Teilnehmer abgestimmt.

Einführende Literatur:

Teil 1:
Norbert Elias, Über die Zeit, Frankfurt am Main 1984; Reinhart Koselleck, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt am Main 1989.

Teil 2:
Ulrich Raulff, Der unsichtbare Augenblick. Zeitkonzepte in der Geschichte, Göttingen 1999.

Teil 3:
Gerhard Dohrn-van Rossum, Die Geschichte der Stunde. Uhren und moderne Zeitordnungen, München 1992; Stephen Kern, The Culture of Time and Space, 1880-1918, Cambridge, MA 1983; Paul Virilio, Fluchtgeschwindigkeit, Frankfurt am Main 2001; Peter Galison, Einsteins Uhren, Poincarés Karten. Die Arbeit an der Ordnung der Zeit, Frankfurt am Main 2003; Peter Borscheid, Das Tempo-Virus. Eine Kulturgeschichte der Beschleunigung, Frankfurt am Main 2004; Hartmut Rosa, Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt am Main 2005.

Teil 4:
Wilhelm Voßkamp (Hg.), Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie, 3 Bde., Frankfurt am Main 1982/1985; Lucian Hölscher, Die Entdeckung der Zukunft, Frankfurt am Main 1999.

 

Geschichte und Gesellschaft
Arbeitsbereich Zeitgeschichte
Stadtgeschichte