Band 27: Beauftragter für die neuen Bundesländer (2012)
Prof. Dr. Eun-Jeung Lee, Dr. Werner Pfennig
Beauftragte der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer
Werner Pfennig
In Zusammenarbeit mit Arne Bartzsch, Alexander Pfennig und Florian Schiller
Es ist ein Verfassungsgebot und politisches Prinzip der Bundesrepublik Deutschland, die Lebensverhältnisse in ihren Bundesländern möglichst anzugleichen. Seit 1950 wurden institutionalisierte Bemühungen unternommen, schwächere Regionen zu unterstützen. Die Schwächen waren zum Beispiel durch naturräumliche Ausstattung, die Integration von 12 Millionen Flüchtlingen bzw. Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg, strukturellen Wandel an Küsten und in Industriegebieten und durch politische Entwicklungen begründet. Besondere Förderung erhielten wegen ihrer „politischen Lage“ Berlin (West) und die Gebiete, die an die DDR grenzten (Zonenrandförderung). Staatliche Unterstützung mit dem Ziel, die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse zu fördern gab, es also bereits seit vielen Jahren, aber mit der Erlangung der deutschen Einigung erhielt diese Aufgabenstellung unerwartet völlig neue Dimensionen, was Größe, Kosten und Dringlichkeit anbelangt.
Die mit der Einheit ab 1990 zu bewältigenden Probleme sind ohne Beispiel in der neueren deutschen Geschichte. Es gab nur einen Fall, wo ein größeres Territorium Teil der Bundesrepublik Deutschland wurde, das geschah im Jahre 1955 durch das Saarland. Dieses Gebiet im Südwesten Deutschlands stand seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges unter der Oberhoheit Frankreichs. Es hatte aber für rund elf Jahre ein Westdeutschland bereits recht ähnliches politisches sowie ökonomisches System, und es gab für die Eingliederung Hilfsmaßnahmen im Wirtschafts- und Sozialsystem. Die DDR hatte hingegen über rund 40 Jahre ein völlig anderes System, was die Angleichung an das der Bundesrepublik und den Beitritt zu ihr im Jahre 1990 viel schwieriger machte.
1. Beauftragte der Bundesregierung und anderer Institutionen
Beauftragte der Bundesregierung gibt es seit längerer Zeit und für eine Vielfalt von Politikfeldern, auch Landesregierungen und Ministerien haben Beauftragte. Wenn ein neues Politikfeld wichtig wird, aber auch um einem Bereich bzw. einer Persönlichkeit verstärkte Aufmerksamkeit und damit Mitwirkungsmöglichkeit zu geben, dann werden Beauftragte ernannt. In einigen Bundesländern und großen Städten gibt es zum Beispiel Beauftragte für Migrationsfragen.
Bezüglich ihrer Einwirkungsmöglichkeiten hängt viel von der jeweiligen Persönlichkeit der Beauftragten ab. Eine Rolle spielen auch ihr bisheriges Tätigkeitsfeld, ihr Bekanntheitsgrad und ihr politischer Einfluss; wichtig ist ebenfalls der politische sowie gesellschaftliche Stellenwert des Aufgabengebietes. Beauftragte haben meist einen eigenen Arbeitsstab, aber es existieren große Unterschiede bei der personellen und finanziellen Ausstattung.
Es gibt zum Beispiel Bundesbeauftragte für:
· Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten
· Kultur und Medien
· Informationstechnik
· Nachrichtendienste des Bundes
· Unterlagen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi) der DDR; (im Jahre 2012 etwa 1600 Mitarbeiter, eine Zentrale in Berlin und 14 Außenstellen sowie ein Jahresetat von rund 100 Millionen Euro.)
· Datenschutz und für Informationsfreiheit
Das Auswärtige Amt hat einen Beauftragten für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe.
Als eine der Folgen des deutschen Einigungsprozesses kam es auch zum Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin. Den Beschluss hatte das Parlament am 20. Juni 1991 gefasst, das Berlin/Bonn-Gesetz wurde am 26. April 1994 verabschiedet und der Umzug vollzog sich in Etappen, hauptsächlich im Jahre 1999. Zur Koordinierung dieser Aufgabe wurde ein Beauftragter der Bundesregierung für den Berlin-Umzug und den Bonn-Ausgleich ernannt. Der frühere Parlaments- und Regierungssitz war Bonn und wegen des Umzugs wurde diese Stadt durch eine Fülle von Maßnahmen kompensiert, deshalb „Bonn-Ausgleich.“
2. Unterschiedliche Einschätzung der Bedeutung der Wiedervereinigung
Die Bewertung der Bedeutung der deutschen Einigung und ihrer Tragweite war und ist von Beginn an in Ost- und Westdeutschland unterschiedlich. Im Osten war sie durch eine friedliche Revolution, eine Bürgerbewegung, also durch eine Selbstbefreiung und eine grundlegende Demokratisierung möglich geworden. Im Westen wurden diese Entwicklungen mit Staunen und Freude verfolgt und der Beitritt dann von vielen als große finanzielle und administrative Herausforderung angesehen.
Die deutsche Einigung bedeutete, verallgemeinert ausgedrückt:
Für Westdeutschland |
Für Ostdeutschland (ehemalige DDR) |
Vergrößerung der Bundesrepublik. Fortsetzung des Bewährten mit einigen neuen Institutionen, Instrumenten und Verfahren. |
Völlige Veränderung des eigenen Lebens, Ende der DDR. Übernahme eines gänzlich anderen Systems, enormer Anpassungsdruck, große Anpassungsleistung, |
Deshalb: Kontinuierliche Routine mit Flexibilität, (Fortführung der Treuhand Anstalt, Einführung des Solidaritätszuschlags, einer „Wiedervereinigungssteuer“, Programm „Aufbau Ost“, Ausweitung des Länder-finanzausgleichs). Keine Sonderwirtschaftszone für die Neuen Bundesländer, auch nicht vorübergehend ein besonderes Rechtsgebiet. |
Deshalb: Wunsch nach einem Neuanfang durch eine veränderte Bundesrepublik. Zentrale Berücksichtigung der besonderen Lage der Neuen Länder, zumindest symbolische Maßnahmen, wie zum Beispiel eine neue Zählung des Parlaments (1. Gesamtdeutscher Bundestag) und Berlin als Regierungssitz. |
Seit 1949 gab es ein dem T’ongilbu etwas ähnliches Ministerium in der Bundesrepublik, das für „Gesamtdeutschland“ zuständig sein sollte, es hieß „Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen“ und wurde 1969 in „Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen“ umbenannt. Diese Namensänderung stand im Zusammenhang mit der neuen „Ostpolitik“ des Bundeskanzlers Willy Brandt, der in seiner ersten Regierungserklärung von der Existenz zweier deutscher Staaten sprach, die „füreinander aber nicht Ausland“ seien.
Trotz der Existenz dieser Ministerien wurde die Deutschlandpolitik in erster Linie vom Bundeskanzleramt bestimmt und durchgeführt. Nach der deutschen Einigung im Oktober 1990 hätte eigentlich das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen ein zentrales Ministerium für den Einigungsprozess sein können bzw. müssen. Aber dieses Ministerium, mit damals 350 Mitarbeitern, wurde aufgelöst. Es hatte keine Pläne für eine mögliche deutsche Wiedervereinigung erarbeitet, und es gab auch keine Pläne für die Abwicklung bzw. Weiterverwendung des Ministeriums; Rechtsnachfolger wurde das Bundesministerium des Innern. Wie zuvor dominierte das Bundeskanzleramt, und es wurde für Belange der Neuen Bundesländer auf die Institution von Sonderbeauftragten zurückgegriffen.
Die Idee, das Ministerium für innerdeutsche Beziehungen in ein starkes Ministerium für den „Aufbau Ost“ umzuwandeln, ist vermutlich im Jahre 1990 diskutiert worden. Eine geeignete Person aus den neuen Bundesländern schien für den Ministerposten nicht zur Verfügung zu stehen, wenn auch der Wunsch nach einer starken „Ostrepräsentation“ deutlich war. Im ersten Kabinett nach der gesamtdeutschen Wahl vom Dezember 1990 gab es keine auf Dauer herausragende Persönlichkeit aus den neuen Bundesländern (siehe Vereidigung der neuen Minister, Dokument Nr. 1). Einige Minister schieden aus unterschiedlichsten Gründen frühzeitig aus (Günther Krause und Rainer Ortleb), die bedeutende Ausnahme war die spätere Bundeskanzlerin Angela Merkel, die im ersten gesamtdeutschen Kabinett das Ressort „Frauen und Jugend“ leitete. Bundeskanzler Kohl wollte dem Wunsch nach dieser Art von Repräsentation dennoch entsprechen und schlug den damaligen Justizminister von Sachsen als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten vor. Steffen Heitmann war von dieser Entwicklung überrascht, agierte nicht immer sehr geschickt und wurde von den Medien teilweise unfair behandelt. Auch diese Entwicklung trug dazu bei, dass es nicht zu einem wichtigen Ministerium für den Aufbau Ost mit einer Person aus dem Osten an der Spitze kam.
Abgesehen davon waren wohl auch sachliche Gründe und vor allem das Beharrungsvermögen und die erfolgreiche Besitzstandswahrung etablierter Ressorts ausschlaggebend, denn ein solches neues Ministerium hätte von anderen wesentliche Zuständigkeitsbereiche übernehmen müssen, was einigen als nicht machbar erschien. Wichtig waren Bundeskanzler Kohl und der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Der erste Koordinator für die neuen Bundesländer beispielsweise, Johannes Ludewig, hatte nicht zuletzt deshalb eine starke Stellung, weil bekannt war, dass er in engem Einvernehmen mit dem Bundeskanzler sein Amt ausführte; er handelte in dessen direktem Auftrag. Gerade in der Anfangsphase der deutschen Einigung gab es regelmäßig Treffen des Bundeskanzlers mit Parlamentariern, die aus den neuen Bundesländern stammten. Diese Zusammenkünfte diensten nicht nur Diskussionen von Problemen, die im Osten Deutschlands zu lösen waren, sie erfüllten auch einen „politisch-pädagogischen“ Zweck, denn die Abgeordneten waren fast alle neue Parlamentarier und kaum jemand von ihnen war Berufspolitiker. Auch 22 Jahre nach der deutschen Einigung gibt es noch Gremien, in denen sich Mitglieder des Bundestages aus den neuen Ländern treffen, und auch Zusammenkünfte der Ministerpräsidenten dieser Länder, sowie ähnliche Gesprächsrunden.
3. Beauftragte der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer
Die Institutionalisierung eines Beauftragten für die neuen Bundesländer nahm erst nach und nach Form an, nachdem Fragen der persönlichen Repräsentanz (z. B. bei der Ernennung von ostdeutschen Ministern) oder der politischen Zuständigkeiten (z. B. bei der Entscheidung gegen ein zentrales Ministerium „Aufbau-Ost“) thematisiert und diskutiert wurden, und vor allem nachdem die Entwicklung in den neuen Bundesländern und die spezifischen Probleme deutlicher zu Tage traten.
Nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 wurde schnell klar, dass der Einigungsprozess, bzw. seine Folgen, schwieriger, kostspieliger, komplizierter und langwieriger sein würden, als erwartet. Unmittelbar vor dem 3. Oktober und auch später gab es zahlreiche Vorschläge, wie man dem begegnen sollte; so zum Beispiel:
· Der Ministerpräsident von Brandenburg, Manfred Stolpe, war für eine Sonderwirtschaftszone, die die Neuen Bundesländer und die an sie anschließenden Bezirke der (alten) Bundesrepublik, das frühere „Zonenrandgebiet“ umfassen sollten.
· Ein großes Problem für den schnellen Aufbau Ost waren lange Entscheidungswege und Genehmigungsverfahren, auch für dringend für notwendige Maßnahmen. Edmund Stoiber, Ministerpräsident von Bayern hatte deshalb die Idee einer Sonderrechtszone für kurze Entscheidungswege, was wohl rechtlich nicht oder nur schwer möglich gewesen wäre; evtl. aber sinnvoll.
· Der Ministerpräsident von Thüringen, Dieter Althaus, schlug vor, in jedem Ministerium einen Ostbeauftragten zu etablieren. Es kam nicht zur Realisierung, denn über die Abgabe von Kompetenzen an diese neuen „Ostbeauftragten“ hätte keine Einigung erzielt werden können.
Im Jahre 1990 gab es zu wenig Kenntnisse über die DDR im Westen Deutschlands und in der DDR gab es z. B. keine präzise Vorstellung über Zustand und Wert der eigenen Volkswirtschaft nach Marktpreisen; auf beiden Seiten allerdings gab es zu viele Illusionen. Spätestens 1992 setzte dann mehr Realismus ein: Probleme wurden als viel größer erkannt und die Lösungszeiten als viel länger.
Im Jahre 1990 existierten keine ausgearbeiteten Pläne für den „Aufbau Ost“ sowie den zukünftigen Verlauf der deutschen Einheit, es gab aber keine Zeit für umfassende, langfristig angelegte Versuche, denn schnelles Handeln war erforderlich. Es kam zur Anwendung von vorhandenen, erprobten Institutionen und Verfahren, d. h. zur Übertragung des etablierten Systems auf das nun erweiterte, um fünf Länder größere Territorium der Bundesrepublik Deutschland. Angesichts des ab 1991 schnell deutlich werdenden immer größeren Ausmaßes der zu lösenden Probleme gab dieses Vorgehen eine gewisse Sicherheit für Politik und Bürokratie.
3.1 Koordinierungsleistung und „Querschnittsaufgabe“
Zur Problemlösung schien es sinnvoll, auf die Institution eines speziellen Beauftragten zurückzugreifen. Für den Aufbau Ost ist durchgängig eine große Koordinierungsleistung erforderlich. Wichtig ist auch die kontinuierliche Information über diese Aktivitäten. (Dokumente Nr. 19 und Nr. 21). Johannes Ludewig und Rudi Geil, die als „Vorläufer“ der Beauftragten der Bundesregierung bezeichnet werden können, waren von 1991 bis 1998 im Bundeskanzleramt bzw. Bundesministerium für Wirtschaft tätig, wo jeweils wichtige Angelegenheiten der Wiedervereinigung besprochen und entschieden wurden. Die Bezeichnung der mit den Angelegenheiten der neuen Bundesländer beauftragten Personen veränderte sich im Laufe der Zeit: Koordinator, Sonderbeauftragter, Beauftragter der Bundesregierung. Es ist wohl charakteristisch für die von dieser Stelle erwartete Arbeitsleistung, dass am zeitlichen Beginn das Wort „Koordinator“ gewählt wurde. Im Zusammenhang mit der Tätigkeit von Rolf Schwanitz (als Staatsminister im Bundeskanzleramt) wurde im April 2000 betont: „Die Entscheidung der Bundesregierung für eine Koordination des Aufbaus Ost aus dem Bundeskanzleramt heraus macht deutlich: Die Angleichung der Lebensverhältnisse im vereinten Deutschland steht im Mittelpunkt der Politik und in der gemeinsamen Verantwortung dieser Bundesregierung.“ (Dokument Nr. 56)
Da es für diese Aufgabe kein eigenes Ministerium gibt, müssen zahlreiche Ministerien des Bundes und der Länder zusammenarbeiten, was, typisch für Bürokratien, immer wieder zu Schwierigkeiten bei einzelnen Kompetenzbereichen führt. Dennoch sollen diese Struktur und Arbeitsweise beibehalten werden. Die Bundesregierung antwortete im Mai 2007 entsprechend auf eine Anfrage von Abgeordneten: „In einem Großteil der Ressorts werden Belange der neuen Länder als Querschnittsaufgabe bearbeitet. Es ist auch zukünftig nicht beabsichtigt, Personal ausschließlich mit dem Thema neue Länder zu betrauen.“ (Dokument Nr. 107, S. 1, auch Dokument Nr. 109)
Das Wort „Querschnittsaufgabe“ erweckt einen plausiblen, vielleicht eher technischen Eindruck, es macht nicht die immense Dimension der erforderlichen Koordinierung (Information, Planung, Abstimmung, Entscheidung, Hilfe bei der Implementierung) deutlich. Sie lässt sich aus der Antwort der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen vom Juni 1993 und März 2007 ermessen:
· Es gab damals rund 165 Organisationseinheiten innerhalb der Exekutive, die mit Aufgaben betraut waren, die überwiegend die neuen Bundesländer und Berlin (Ost) betrafen.
· Insgesamt gab es in diesen Organisationseinheiten für diese Aufgaben 2.395 Planstellen.
· Die überwiegende Zahl dieser Planstellen, nämlich 2.194, war nach dem 9. November 1989, bzw. dem 3. Oktober 1990 geschaffen worden.
· Von den Inhabern dieser Stellen hatten 1.335 Personen im November 1989 ihren Wohnsitz in der DDR. (Dokument Nr. 8)
· Solche Zahlenangaben sind immer auch Definitionssache. Die Auflistung zur Beantwortung einer Anfrage vom März 2007 ist, was den personellen Aspekt anbelangt, weniger detailliert, hier werden rund 80 Personen genannt, die „ausschließlich oder überwiegend mit ostdeutschlandspezifischen Vorgängen“ befasst sind. (S. 2)
· Die Antwort auf diese Anfrage enthält eine tabellarische Darstellung von zahlreichen Treffen auf Bundes- und Länderebenen, die diesen Vorgängen gewidmet sind. (S. 3f) (Dokument Nr. 106)
Neben der Koordinierung ist die Erfassung des „Bedarfs“ und die Bereitstellung der erforderlichen finanziellen Mittel eine kontinuierliche Herausforderung geblieben. Auch hier wurde auf bereits praktizierte Instrumente zurückgegriffen, bzw. neue wurden an diesen orientiert. Damit ist vor allem der Länderfinanzausgleich gemeint.
Die Finanzierung des Aufbaus Ost vollzog sich auf staatlicher Seite in erster Linie durch drei Schritte:
1. Fonds Deutsche Einheit. Ein Sonderfonds (1990 bis 1995) für den Aufbau und die Sanierung der Neuen Länder, vor allem auch im sozialen Bereich; eine Art besonders großer Länderfinanzausgleich, dessen Volumen mehrfach erhöht werden musste.
2. Solidarpakt I für den Zeitraum von 1995 bis 2004 (94,5 Milliarden Euro); ein Förderinstrument im Rahmen des Länderfinanzausgleichs. Auch hier wurde schnell deutlich, dass die Mittel nicht ausreichten; der Bund musste direkt helfen, hauptsächlich mit Transferzahlungen im Sozialbereich.
3. Solidarpakt II bis 2019 vorgesehen (156,5 Milliarden Euro). Durch dieses Instrument hat es sehr viel positive Entwicklung bei der Wirtschaft in Ostdeutschland gegeben, wenn auch in vielen Bereichen niedrigere Produktivität und die im Vergleich zum Westen doppel so Arbeitslosigkeit noch immer Probleme sind. Diese Schwierigkeiten gilt es zu reduzieren, möglichst zu beseitigen, denn wenn im Jahre 2019 der Solidarpakt II auslaufen und die Förderung durch die EU wegfallen sollte, dann müssen vorher Strukturen und Instrumente geschaffen werden, müssen sozio-ökonomische Rahmenbedingungen existieren, die sich von selbst tragen. Über diese Arbeit soll auch in den Berichten zum Stand der deutschen Einheit bis zum Jahre 2019 informiert werden (Dokument Nr. 87)
Bei allen drei Schritten ging, bzw. geht es um die Erhöhung der Summen wegen korrigierter Bedarfsermittlungen und neuer Schwerpunktsetzungen, um Veränderungen bei den Einzelbeträgen, die die Gesamtsumme der Fördermittel ausmachen, wie diese aufgebracht werden (Veränderung bei Steuern) und um die langfristige Schuldentilgung (Verteilung der Schuldenlast).
Der Aspekt gemeinschaftlichen Handelns hatte noch eine andere Bedeutung. Bei der Unterrichtung des Bundestages durch die Bundesregierung über den Aufbau Ost wurde oft der Zusammenhang zwischen deutschen Bemühungen und europäischer Hilfe betont: „Aufbau Ost – Chancen und Risiken für Deutschland und Europa“, denn viele Maßnahmen erhielten Unterstützung durch Beihilfen und Mittel aus Fonds der EU. (Dokumente Nr. 26 und Nr. 28)
3.2 Schwerpunktsetzungen
Koordinierung und Schwerpunktsetzung bleiben wichtige Aufgaben. Abgesehen von objektiven Notwendigkeiten und der Lösung von Engpässen sind Schwerpunktsetzungen immer auch eine politische Angelegenheit und deshalb im Kontext mit der Zusammensetzung der jeweiligen Bundesregierung zu sehen. Die Diskussion um Schwerpunkte beim „Aufbau Ost“ ist eines der durchgehenden Merkmale der Entwicklung. (Siehe z. B. Dokumente Nr. 22 bis 24, Nr. 29, Nr. 69) Selbstverständlich ist auch die Tätigkeit des Beauftragten immer wieder Thema für Diskussionen im Bundestag und anderswo. (Siehe z. B. Dokument Nr. 57)
Im Jahre 2004 wurde eine Runde der Staatssekretäre der Förderressorts für die Neuen Länder ins Leben gerufen, deren Besetzung auch bei neuen Ressortverteilungen Berücksichtigung findet. Ihre Sitzungen werden jeweils durch Arbeitsgruppen auf Beamtenebene vorbereitet. Was den „Aufbau Ost“ anbelangt, so stehen von Beginn an zumindest die folgend genannten Bereiche im Zentrum:
· Diskussion über die Hierarchie (Vorrang des Kanzleramtes) und über die zu erbringende Koordinierungsleistung, die natürlich von der Kooperationsbereitschaft anderer Institutionen und Personen abhängt,
· Finanzierungsmöglichkeiten und Schwerpunktsetzungen,
· die Betonung auf den Sozialbereich und Infrastruktur, damit Chancengleichheit in den Neuen Ländern hergestellt werden kann,
· die Bedeutung des Solidaritätszuschlags („Wiedervereinigungssteuer“) und des Finanzausgleichs zwischen den einzelnen Bundesländern als ganz wichtige Instrumente,
· die realistische Erfassung des tatsächlichen Bedarfs in den Neuen Ländern.
· Bemühungen, nicht nur den Bedarf zu ermitteln, sondern auch den für eine Angleichung der Lebensverhältnisse erforderlichen Zeitraum, der im Laufe der Jahre als immer länger eingeschätzt wird.
· Beachtung der regionale Differenzierung in Ostdeutschland (so z. B. Unterstützung der Errichtung von 25 Modellregionen in Ostdeutschland) und der demographischen Veränderungen.
3.3 Die Beauftragten für die Neuen Bundesländer
Name |
Zeitraum |
Funktion |
Frühere Ämter |
Rolf Schwanitz* |
1998-2002 |
Staatsminister im Bundeskanzleramt |
Mitglied der letzten Volkskammer und des Bundestages |
Manfred Stolpe* |
2002-2005 |
Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen |
Ministerpräsident von Brandenburg |
Wolfgang Tiefensee* |
2005-2009 |
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung |
Oberbürgermeister von Leipzig |
Thomas de Maizière |
2009-2011 |
Bundesminister des Innern |
Regierungsämter in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, Chef des BKamtes. |
Christoph Bergner* |
ab März 2011 |
Parlamentarischer Staatssekretär im BMI. |
Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt |
(*: stammt selbst aus den neuen Bundesländern.)
„Vorgänger“, d. h. Staatssekretäre, Beauftragte mit ähnlicher Funktion
Name |
Zeitraum |
Funktion |
Frühere und spätere Ämter |
Walter Priesnitz |
1985-1991
1991-1996 |
Staatssekr. im BM für innerdeutsche Beziehungen. Staatssekr. im BMI, dort Leiter des Arbeitsstabes „Neue Länder.“. |
Ministerialbeamter, von 1996 bis 1999 bei der BVVG, einer Nachfolgeorganisation der THA und Tochter-gesellschaft der BvS |
Johannes Ludewig |
1991-1995
1995-1997 |
Im BKamt zuständig für Koordination der neuen Bundesländer, Staatssekr. im BMWi und Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundes-länder. |
Bundesbeamter . Von 1997-1999 Vor-standsvorsitzender der Deutschen Bahn. |
Rudi Geil |
1997-1998 |
Staatssekr. im BMWi Sonderbeauftragter der Bundesregierung für den Aufbau Ost. |
Landesminister |
BKamt Bundeskanzleramt
BM Bundesministerium
BMI Bundesministerium des Innern
BMWi Bundesministerium für Wirtschaft
BvS Bundesanstalt für vereinigungsbedingte
Sonderaufgaben
BVVG Bodenverwertungs- und –verwaltungs GmbH
Staatssekr. Staatssekretär
THA Treuhandanstalt
Was die Beauftragten der Bundesregierung anbelangt, so gibt es von Beginn an zumindest vier zentrale Aspekte:
1. Institutionelle Verankerung der Position
2. Persönlichkeit des Beauftragten, politisches Gewicht, Ausstattung der Stelle
3. Zugang zu Informationen und generelle Mitwirkungsmöglichkeiten (Rolf Schwanitz war bei Haushaltsberatungen anwesend)
4. Notwendige und erbrachte Koordinierungsleistung
Wegen der Bedeutung des weiteren Aufbaus in den Neuen Bundesländern und der notwendigen Koordinierung zwischen Bund und Ländern wurde durch Organisationserlass des Bundeskanzlers am 27. Oktober 1998 (Dokument Nr. 41) aus dem bis dahin zuständigen Geschäftsbereich im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie das Amt eines Beauftragen der Bundesregierung für Angelegenheiten der neuen Länder geschaffen. Der Name wurde dann geringfügig geändert in „Beauftragten der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer.“ Nach eigenem Anspruch geht es um die „verlässliche Fortsetzung und Optimierung der Förderpolitik für die Neuen Bundesländer“ und dies in Zusammenarbeit mit den Neuen Ländern und anderen Bundesministerien. Unterschiede sind auch zwanzig Jahre nach der deutschen Einigung noch deutlich: die Neuen Bundesländer entwickeln nur 70 Prozent der Wirtschaftskraft im Vergleich zu Westdeutschland, und im Osten ist die Arbeitslosenzahl fast doppelt so hoch, wie im Westen. Es wird auch in der Zukunft noch einen Bedarf an Unterstützung geben, der wahrscheinlich bei rund 50 Milliarden Euro pro Jahr liegt. Trotz aller Schwierigkeiten und noch zu lösender Probleme soll hier kurz hervorgehoben werden, dass von 1990 bis 2010 die durchschnittliche Lebenserwartung in Ostdeutschland um sieben Jahre gestiegen ist.
Von den bisherigen fünf Beauftragten stammen vier aus den Neuen Bundesländern, der fünfte, Thomas de Maizière, hatte in neuen Bundesländern über längere Zeit Regierungsämter inne. Ab März 2012 ist der Beauftragte Dr. Christoph Bergner, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium des Innern. Ihm steht für diese Aufgabe ein Arbeitsstab „Angelegenheiten der Neuen Bundesländer“ zur Seite, der in sieben Referate untergliedert ist:
· Wirtschafts- und Investitionsförderung
· Infrastruktur
· Hochschul- und Forschungswesen
· Gesundheitssystem
· Demographischer Wandel
· Stärkung der Demokratie
· Aufarbeitung von SED-Unrecht
Nach Auskunft des Bundesministeriums des Innern nutzt der Beauftragte für seine Einflussnahme und Mitwirkung im Interesse der Neuen Länder auch folgende Institutionen:
· Berichterstatter-Gespräche des Innenausschusses „Aufbau Ost“ des Bundestages
· Landesgruppen Ost (Bundestagsabgeordnete der ostdeutschen Länder und Vertreter/innen der ostdeutschen Landesvertretungen)
· Kommission „Aufbau Ost“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
· Sprecherrunde (ostdeutsche Landesgruppenchefs der CDU/CSU-Bundestagsfraktion )
· Regionalkonferenz der Regierungschefin und der Regierungschefs der ostdeutschen Bundesländer („Ministerpräsidentenkonferenz Ost“)
· Stiftungsrat des Instituts für Zeitgeschichte
· Stiftungsrat der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
· Lenkungsausschuss des Fonds „Heimerziehung in der DDR“
· Mittelstandsbeirat der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW)
Der seit März 2011 agierende Beauftragte ist Mitglied der CDU, war früher selbst Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt, einem der neuen Länder, und ist Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium des Innern. Es ist daher nicht verwunderlich, dass zu den oben erwähnten Institutionen die „Kommission Aufbau Ost“ und die „Sprecherrunde“ zählen, Gruppierungen, die aus Mitgliedern der CDU/CSU gebildet werden. Bemerkenswert ist es dennoch, denn der Aufbau Ost ist eine parteiübergreifende Herausforderung. Eine so zentrale Aufgabe wie die Entwicklung der Neuen Länder ist natürlich Streitpunkt zwischen Regierung und Opposition, so forderte die SPD im Jahre 1992 im Bundestag, diese Aufgabe als „Gemeinschaftsinitiative“ zu begreifen. (Dokumente Nr. 5 (12/2874) und Nr. 7 (12/107).
In eine ähnliche Richtung ging ein Antrag der Fraktion der LINKEN vom Dezember 2005, der die Errichtung eines Bundestagsausschusses für „Angelegenheiten der neuen Länder und für andere strukturschwache Regionen“ forderte. Damit sollte auf Entwicklungsdisparitäten in der gesamten Bundesrepublik reagiert werden. Der Antrag fand nicht die erforderliche Mehrheit, weil die vorhandenen Instrumentarien als ausreichend erachtet wurden. (Dokument Nr. 93 (16/130)
3.4 Die Berichte zum Stand der Deutschen Einheit
Eine wichtige Aufgabe des Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Länder ist es, Informationen über die neuen Bundesländer zusammenzustellen und diese dem Parlament sowie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zentral sind hier die „Jahresberichte zum Stand der Deutschen Einheit“, mit Informationen und Statistiken über Aspekte der Wiedervereinigung und die Verhältnisse in den neuen Bundesländern.
Die Herausgabe dieser Jahresberichte etablierte sich erst 1997, also sieben Jahren nach der Vereinigung 1990, und in etwa parallel zur Institution des Beauftragten. Sie war Gegenstand vielfacher Diskussionen im Parlament. Im September 1993 stellte die PDS den Antrag, die Bundesregierung solle die Durchsetzung des Einigungsvertrages durch einen „Bericht zur Lage der Nation im vereinigten Deutschland“ darlegen (Dokument Nr. 9 (12/5652). Im Februar 1994 legte der Bundesminister des Innern erstmals 610 Seiten starke „Materialien zur Deutschen Einheit und zum Aufbau in den neuen Bundesländern“ vor; in überarbeiteter Form dann zum 5. Jahrestag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1995 (Dokumente Nr. 11 und Nr. 14 (12/6854; 13/2280). Ebenfalls zum 5. Jahrestag präsentierte die Bundesregierung einen Bericht „Aufbau Ost - Die zweite Hälfte des Weges - Stand und Perspektiven“ (Dokument Nr. 15) Drucksache 13/2489; beachtenswert ist die optimistische Einschätzung, 1995 bereits die Hälfte der Wegstrecke erreicht zu haben). Daraufhin folgten im Bundestag diverse Anträge, die Berichterstattung zum Stand der deutschen Einheit in jährlichen Abständen fortzuführen, was vom Parlament am 09.05.1996 bestätigt wurde. (Dokumente Nr. 13, Nr. 16, Nr. 17, Nr. 20 und Nr. 21) Drucksachen 13/2227; 13/2572; 13/2586; 13/3643;Plenarprotokoll 13/104). Für das Jahr 1996 folgte dann im September allerdings vorerst nur der Regierungsbericht „Aufbau Ost - Chancen und Risiken für Deutschland und Europa“ (Dokument Nr. 26) (Drucksache 13/5657). Erst im September 1997 wurde der erste ordentliche „Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 1997“ herausgegeben (Dokument Nr. 31) (Drucksache 13/8450).
Die Entstehungsgeschichte der Jahresberichte der Bundesregierung verdeutlicht deren Überlagerungen mit dem Thema „Aufbau Ost“ allgemein. Diese Jahresberichte werden im Parlament zumeist zusammen debattiert mit Teil- und Sonderberichten, Anträgen der Oppositionsparteien (oft in Form von Grundsatzpapieren) und Nachfragen zum Stand oder zur Zukunft der Entwicklung in den Neuen Bundesländern. Fast durchgängig steht dabei der sozio-ökonomische Bereich im Zentrum kontroverser Diskussionen. Zehn Jahre nach der deutschen Einigung stellte die damalige PDS-Fraktion in der Begründung einer Großen Anfrage im Bundestag fest, dass trotz vieler Verbesserungen die Menschen in den neuen Ländern an sozialer Sicherheit verloren hätten. Denn der „wirtschaftliche Abstand zwischen Ost und West nimmt wieder zu. Die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland ist [2010] doppelt so hoch wie in den alten Bundesländern. Die Löhne und Gehälter liegen in den neuen Bundesländern bei 60 und 85% des westdeutschen Niveaus, die Preise und Mieten jedoch auf gleicher Höhe, z. T. sogar darüber.“ Wohl gebe es einen Finanztransfer von West nach Ost, aber auch einen Eigentumstransfer von Ost nach West. In einer umfangreichen Antwort auf diese Anfrage schildert die Bundesregierung Bemühungen um Verbesserungen, Fortschritte und ungelöste Probleme, sie erläutert auch, aus ihrer Sicht, Entstehungsgründe für die noch bestehenden Schwierigkeiten. (Dokument Nr. 53) 14/2622) Der Text einer weiteren Großen Anfrage der LINKEN „Zum Stand der Deutschen Einheit und der perspektivischen Entwicklung bis zum Jahr 2020“ und die Antwort der Bundesregierung darauf finden sich im Dokument Nr. 108. (16/5418). Die Fraktion der CDU/CSU fordert 1999 in ihrem Antrag „Aufbau Ost endlich wieder richtig machen“ die Bundesregierung auf, „in den aktuell geplanten bzw. bereits vorbereiteten Haushalts- und Steuergesetzen eine eindeutige inhaltliche Priorität zum weiteren Aufbau der neuen Länder und zur schnelleren Angleichung der Lebensverhältnisse zu setzen.“ (Dokument Nr. 43) Drucksache 14/1210). Ein Antrag der FDP 2004 lautet kämpferisch: „Ostdeutschland als Speerspitze des Wandels – Leitlinien eines Gesamtkonzepts für die neuen Länder.“ (Dokument Nr. 83) Drucksache 15/3202)
Gewiss spielen parteipolitische Interessen bei diesen Debatten eine Rolle, aber es ist wegen der Größe der Aufgabe unvermeidbar, dass immer wieder der notwendige Finanzbedarf und die Schwerpunktsetzungen diskutiert werden. Dies sind innerdeutsche Debatten, aber sie finden in veränderten Rahmenbedingungen statt, so zum Beispiel seit dem Jahre 2000 auch beeinflusst durch die sich verschärfende Krise um den Euro.
Im Tätigkeitsfeld des Beauftragten für die neuen Bundesländer zeichnen diese diversen Anfragen, Grundsatzpapiere, Teilberichte etc. zusammen mit den Jahresberichten ein recht umfassendes Bild der Politik bezüglich des Stands der Einheit Deutschlands.
4. Korearelevanz
Von Lothar de Maizière, dem letzten Ministerpräsidenten der DDR stammt die Feststellung, Teilung könne nur durch teilen überwunden werden. Bei aller Unterschiedlichkeit und der Unmöglichkeit, Entwicklungen vorauszusagen, wird das auch auf Korea zutreffen.
Wie bereits mehrfach erwähnt, geht es bei dem „Aufbau Ost“ in Deutschland und der Arbeit der Beauftragten um schwierige Koordinierungstätigkeit, Schwerpunktsetzung, Bündelung und Abgrenzung von Kompetenzbereichen und nicht zuletzt um den Einsatz von beträchtlichen Summen. Was Koordinierung anbelangt, so wird dies in Korea auch die Bereiche Politik und Wirtschaft betreffen müssen. Oft hat die Wirtschaft, haben einzelne große Firmen, durch Eigenmächtigkeit Sachzwänge für die Politik geschaffen.
Die Integration Ostdeutschlands in das politische, ökonomische und soziale System der Bundesrepublik und die beschleunigt-nachholende Entwicklung, der „Aufbau Ost“, das sind gesamtdeutsche Aufgaben, die nur parteienübergreifend, d. h. gemeinsam gelöst werden können. Es führt vermutlich zu einer anderen Herangehensweise, ob die Treuhandanstalt beim Finanzministerium oder dem Arbeits- und Sozialministerium angesiedelt ist; grob vereinfacht ausgedrückt: ob Zahlen oder Menschen im Vordergrund stehen. Trotz vieler Gemeinsamkeiten gibt es dennoch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen und die jeweiligen Bundesregierungen hatten unterschiedliche Prioritäten, die auch vom Fortschritt des Aufbaus Ost abhingen. In den vier Bundesregierungen, die seit der deutschen Einigung amtierten, hatten die „Beauftragten für die Neuen Länder“ einen unterschiedlichen Status, gehörten unterschiedlichen Parteien an und waren bei unterschiedlichen Institutionen angesiedelt, bzw. standen ihnen als Bundesminister vor.
Bundesregierungen und Beauftragte für die Neuen Länder
Bundeskanzler/Bundes- kanzlerin |
Koalition |
„Beauftragter“ |
Helmut Kohl 1982-1998 |
CDU/CSU-FDP |
Johannes Ludewig (CDU) Rudi Geil (CDU) |
Gerhard Schröder 1998-2005 |
SPD-Bündnis 90/Grüne |
Rolf Schwanitz (SPD) Manfred Stolpe (SPD) |
Angela Merkel 2005-2009 |
CDU/CSU-SPD |
Wolfgang Tiefensee (SPD) |
Angela Merkel 2009 - |
CDU/CSU-FDP |
Thomas de Maizière (CDU) Christoph Bergner (CDU) |
Es ist 22 Jahre nach Erlangung der deutschen Einigung schwer zu beurteilen, ob ein neues Ministerium, speziell für die neuen Bundesländer, die Aufgaben besser hätte leisten können. Auch hier wird Korea eigene Antworten auf die dann anstehenden Fragen finden müssen. Die in Deutschland gemachten Erfahrungen sind allerdings eindeutig: ein „Aufbau Nord“ und ein „Beauftragter für den Norden“ sollten in Korea beim Präsidenten angesiedelt sein. Die dann anstehenden Probleme dürften eine so umfangreiche Aufgabe sein, dass ein „Superministerium“ oder ein „Nebenpräsident“ für ihre Lösung erforderlich erscheinen. In Deutschland waren die ersten zwei Beauftragten Persönlichkeiten aus dem „Westen.“ Im Jahre 1998 übernahm mit Rolf Schwanitz jemand dieses Amt, der aus der ehemaligen DDR stammte. Ob in Korea nach einer Wiedervereinigung ein solches Amt eingeführt wird, ob und wann es dann von einer Person aus dem Norden ausgeübt wird, das kann nur in Korea selbst entschieden werden. Denkbar ist auch, dass, wie in der Vergangenheit, der Norden bei allen relevanten Institutionen eine paritätische Zusammensetzung verlangt.
Der Beauftragte in Deutschland kommuniziert und kooperiert bei seiner Tätigkeit für den Aufbau Ost mit zahlreichen Institutionen, die mit Personen aus den Neuen Ländern besetzt sind. Auch hier wäre zu überlegen, wann und ob solche Gremien im Norden Koreas zur Verfügung stehen, für eine Zusammenarbeit mit dem Süden. Diese Frage lässt sich aus der Ferne, aus Deutschland, nicht beantworten. Dass eine solche Zusammenarbeit notwendig sein wird, das erscheint allerdings gewiss zu sein.
Anfragen, oft von Abgeordneten aus den neuen Ländern, enthalten auch Vorschläge und es wird deutlich, wie dieselben Sachverhalte unterschiedlich beurteilt werden. Gründe dafür sind verschiedenartige Erwartungshaltungen und Interpretationen der Vergangenheit. Wegen der Sozialisierung in antagonistischen Systemen gibt es bezüglich dieser Vergangenheit einerseits deutliche Schulzuweisungen, andererseits oft auch sozialromantische Verklärungen. Bei aller Unterschiedlichkeit zwischen Korea und Deutschland ist leider zu erwarten, dass solche Differenzen in der Wahrnehmung in Korea noch größer und deshalb noch schwerer zu überbrücken sein werden. Die kontroverse Ursachenbewertung dürfte in allen gesellschaftlichen Bereichen eine große Rolle spielen.
Ein Bereich, der wohl mit Sicherheit auch in Korea eine Rolle spielen wird, ist der Sanierung von Altlasten, die nur durch gemeinsame Anstrengungen geleistet werden kann. Umweltschäden waren ein generelles Problem der DDR und nach 1990 wurden besonders im Bereich des Braunkohlebergbaus erhebliche Anstrengungen zur Sanierung unternommen. Hier war bzw. ist ein enges Zusammenwirken von Bund und den Ländern Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen erforderlich. Sie bilden einen Steuerungs- und Budgetausschuss für die Braunkohlesanierung (StuBA), der unter Vorsitz des Bundes tätig ist. Zur Sanierung der Altlasten wurden im Zeitraum von 1991 bis 2007 für eine Fläche von ursprünglich über 100.000 ha über 8 Milliarden Euro investiert, wobei der Bund ca. 75 Prozent übernahm.