Teilprojekt C9. Ästhetische ‚Lebendigkeit’: Vergegenwärtigung - Präsens - Präsenz
Leitung
Prof. Dr. Winfried Menninghaus
Wissenschaftliche Mitarbeiter
Dr. Armen Avanessian / Dr. Jan Völker
Studentische Hilfskräfte
Projektbeschreibung
In der vorigen Förderperiode haben wir die Begriffe ‚Leben’ und ‚Lebendigkeit’ des Ästhetischen im Ausgang von Kant und mit Blick auf die poetologische Fragestellungen des 19. und 20. Jahrhunderts untersucht. In der aktuellen Projektphase untersuchen wir die moderne Transformation einen besonderes Verfahren lebendiger Darstellung: der ‚Vergegenwärtigung’. Diese rhetorische Figur wird in der Frage nach Präsens und Präsenz in Philosophie, Literaturtheorie und Literatur problematisch. Ästhetische Erfahrung wird in einer Konfiguration mit grammatischem Präsens und ästhetischer Präsenz untersucht.Derridas Kritik an Husserls Begriff der Vergegenwärtigung ist ein Fokus der Arbeit, der Präsensroman des 20. Jahrhunderts (seit Beckett, Weiss, Hildesheimer) der andere. Letzterer, so die Hypothese, transformiert überlieferte Verlebendigungsstrategien, indem die ästhetische Präsenz über die grammatische Zeitform (das Präsens) neu gedacht und konfiguriert wird. Bei Derrida, so die zweite leitende Hypothese, führt gerade die Kritik der Präsenzmetaphysik und der „lebendigen Erfahrung“ bei Husserl auf die Frage nach einer Literatur, in der der Begriff der Vergegenwärtigung neu zu bestimmen ist.
Unterprojekt 1: Präsenz der Literatur in der Dekonstruktion Derridas
(Dr. Jan Völker, EA; Prof. Dr. Winfried Menninghaus, GA)
Das Unterprojekt verfolgt mit der Untersuchung von Derridas Kritik der „Vergegenwärtigung“ zwei Ziele: die Herausstellung einer ästhetischen Grundgeste der Dekonstruktion und den Aufweis einer sich dieser Geste entziehenden Grundstruktur der Literatur in der Dekonstruktion selbst. Die Bestimmung einer literarischen Erfahrung soll als Präsenz der Literatur in der Philosophie gefasst werden: Als eine Erfahrung in und von Literatur, welche die dekonstruktive Philosophie zentral motiviert und zugleich der postulierten Ununterscheidbarkeit von Literatur und Philosophie gegenläufig ist. Das Unterprojekt folgt erstens Derridas früher Kritik des Präsentischen der Erfahrung bei Husserl und verbindet diese Diskussion mit dem ästhetischen Urteil. Zweitens werden in den Literaturlektüren Derridas die Nachwirkungen dieser Kritik untersucht, um drittens die Frage zu verfolgen, inwiefern die Dekonstruktion Literatur in einer Weise thematisiert, die eine über die Dekonstruktion hinausweisende Unterscheidung von Philosophie und Literatur impliziert.
Unterprojekt 2: Die Revision der Vergegenwärtigung in der Präsens-Narration
(Dr. Armen Avanessian, EA; Prof. Dr. Winfried Menninghaus, GA)
Das Unterprojekt 2 widmet sich einer literaturtheoretischen Untersuchung ästhetischer Lebendigkeit in den im Tempus Präsens geschriebenen Romanen des 20. Jahrhunderts. Die zugrundeliegende Arbeitshypothese lautet, dass der Lebendigkeitstopos „Vergegenwärtigung“ in frühen Präsensromanen Mitte des 20. Jahrhunderts zunächst problematisiert wird und das Präsens in der Folge eine andere, zunächst temporale und dann historisierende Bedeutung annimmt: In den letzten Jahren (bei Pynchon, Simon, Beyer etc.) lassen Präsensromane auch geschichtlich vergangene Gegenwarten wieder aufleben. Zu untersuchen sind also einerseits literaturtheoretische Positionen, in denen der Topos „Vergegenwärtigung“ Prominenz gewinnt. Andererseits ist danach zu fragen, inwiefern diese literaturtheoretischen Reaktualisierungen des Lebendigkeitstopos in Spannung zu der gleichzeitig entstehenden literarischen Präsensprosa stehen. Für letztere sind exemplarische Lektüren vorzunehmen, an denen die systematisierende Analyse ansetzen kann und bereits vorliegende Beobachtungen und Hypothesen zu verifizieren sind.Zu den tempustheoretischen Aspekten des Themas ist eine Monographie in Arbeit, die in Ko-Autorschaft mit Anke Hennig (TP A4) entsteht. Zudem besteht eine Kooperation mit dem Zentrum für Erzählforschung (ZEF).