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Teilprojekt B8. Ästhetische Reflexion im Spannungsfeld von Display und Situation

Richard Hamilton (together with Victor Pasmore), Exhibit 2, Installationsansicht Hatton Gallery, Newcastle upon Tyne, 1959, Courtesy der Künstler

Richard Hamilton (together with Victor Pasmore), Exhibit 2, Installationsansicht Hatton Gallery, Newcastle upon Tyne, 1959, Courtesy der Künstler

Leitung

Prof. Dr. Gregor Stemmrich

Wissenschaftliche MitarbeiterInnen

Fiona McGovern, M.A. / Marie-France Rafael, M.A. / Dr. Jörn Schafaff

Stundentische Hilfskräfte

Celina Basra / Tina Gebler

Projektbeschreibung

Im neueren Kunstdiskurs wird der Begriff des Displays für Präsentationsweisen in institutionellen, aber auch in kommerziellen und massenmedialen Kontexten verwendet. Er umfasst sowohl die Verfahren und technischen Mittel als auch das mit ihrer Hilfe konstruierte Anschauungsfeld, in dem die präsentierten Informationen und Objekte auf je bestimmte Weise angeordnet sind. Über das Display werden Kunst und Betrachter zueinander in Beziehung gesetzt, sie sind Bestandteile einer Situation, die durch ihre Anlage ein bestimmtes Verhalten nahelegt und so die ästhetische Erfahrung der Kunst prägt. Das Teilprojekt fragt, wie Kunst ästhetische Erfahrungen nicht bloß initiiert, sondern zugleich auf ihre eigene Situiertheit verweist, indem sie die Strategien und Strukturen des Initiierens und Verweisens selbst vorführt und damit Urteilsprozesse anstößt, die sowohl diese Strategien als auch die durch sie ermöglichten ästhetischen Erfahrungen betreffen. Die wechselseitige Perspektivierung der Begriffe „Situation“ und „Display“ steht dafür ein, dass sich die initiierte Erfahrung als Teil des ‚Werkes‘ (als Situation) erweisen kann, was eine Kritik am traditionellen objektzentrierten Werkverständnis einschließt.Bisher werden die Begriffe meist separat in einen thematischen Fokus gerückt und dabei jeweils eng auf besondere Kunstphänomene bzw. Phänomene im Kunstkontext bezogen. So wird etwa der in den 1960er Jahren entwickelte Situationsbegriff der Situationistischen Internationale völlig unabhängig vom zeitgleich im amerikanischen Kunstdiskurs entstandenen Situationsbegriff der Situational Aesthetics behandelt. Die im Teilprojekt zu untersuchenden Kunstentwicklungen seit den 1990er Jahren stehen jedoch in beiden Traditionen. Der Displaybegriff wird im Kunstkontext vor allem in Bezug auf das Ausstellungswesen diskutiert. Im Vordergrund steht dabei die kuratorische Praxis. Das Teilprojekt dagegen untersucht, wie sich eine künstlerische Praxis dazu in Beziehung setzt. Indem Künstler die Eigenschaften, Zuschreibungen und Effekte von Displays aufgreifen und verfremden, verfolgen sie nicht nur die ideologiekritische Absicht, den Suggestionscharakter von Displays – im Feld der Kunst und in anderen Bereichen der Kultur – zu erhellen. Sie nutzen zugleich deren verhaltenssteuerndes und bedeutungsstiftendes Potenzial, um selbst Erfahrungsangebote zu unterbreiten, Informationen zu vermitteln und Prozesse der Wissensgenerierung in Gang zu setzen. Eine solche Kunst, so die These, nimmt nicht einfach den Charakter eines Displays an, sondern konstruiert Situationen, die die Effekte von Displays betreffen und bewusst machen. Das künstlerische Display ist situativ in eine Leibperspektive gerückt und verweist gleichzeitig auf seine kulturellen Kodierungen.Der Schwerpunkt der Forschung liegt auf künstlerischen Projekten in den 1990er Jahren, als die institutionellen Bedingungen des Ausstellens unter den veränderten kulturellen, sozialen und politischen Verhältnissen erneut in den Mittelpunkt künstlerischen Interesses gerieten. Sie gilt es in eine genealogische Perspektive künstlerischer Displaystrategien und situativ angelegter Kunst seit Beginn des 20. Jahrhunderts, insbesondere aber seit den 1960er Jahren zu setzen.

Unterprojekt 1: Die Kunst der Oszillation: Display/Situationen als initiierte Selbstthematisierungen des Verhaltens

(Dr. Jörn Schafaff)

Künstler wie Liam Gillick, Philippe Parreno oder Rirkrit Tiravanija konstruieren in den 1990er Jahren Situationen, die durch diverse „framing devices“ letztlich bloß indiziert sind, so dass der ‚Betrachter‘ angehalten ist, ihre Bestimmung selbst herzustellen und sich entsprechend in und zu ihnen zu verhalten. Damit knüpfen sie an postminimalistische Diskurse an, erhalten gleichzeitig aber Anregungen durch das von der Situationistischen Internationale (SI) entwickelte, zu Beginn des Jahrzehnts intensiv rezipierte Konzept der „Konstruktion von Situationen“. Beide setzen sie mit den Erkenntnissen und Verfahren der Institutional Critique in Verbindung. Ein weiterer Bezugspunkt bilden die Strategien, mit denen sich die Pop Art der 1960er Jahre und die so genannten „Simulationisten“ in den 1980er Jahren kommerzielle und mediale Displayformate angeeignet hatten. UP 1 geht von der Frage aus, wie die zunächst völlig unterschiedlichen Konzeptionen und strategischen Optionen der SI und der Minimal Art in künstlerischen Positionen der 1990er Jahre eine Überkreuzung erfahren konnten, die zugleich die Kritik berücksichtigte, welche die Minimal Art in post-minimalistischen Entwicklungen und, forcierterter noch, in der Postmoderne-Debatte erfahren hatte. Darauf aufbauend soll untersucht werden, wie Elemente einer Diskursgeschichte und eines zeitgenössischen kulturellen Kontextes derart aufeinander zu beziehen sind, dass die als Kunst konstruierten Display/Situationen für die daran Teilhabenden zum Prüfstand für ihr eigenes Verhalten werden (können). Ein besonderer Fokus liegt auf der Frage, wie in den dabei initiierten Urteilsprozessen kulturelle Kontextbezüge und situationsbezogenes Verhalten ästhetisch aufeinander verwiesen erscheinen, so dass sich entfalten kann, was sich treffend als „Kunst der Oszillation“ (Vattimo 1982) bezeichnen lässt.

Unterprojekt 2: Kontextreflexive und mediale Displays in als Kunst konstruierten Situationen

(Fiona McGovern, M.A. und Marie-France Rafael, M.A.)

Künstlerische Displays zeitigen einerseits Effekte des Wiedererkennens kulturell geläufiger ‚Vorbilder‘, verfremden diese jedoch derart, dass sich der Rezipient in seinen Verständnisbemühungen irritiert sieht. So ist der Rezipient gehalten, seine Aufmerksamkeit auf die Situation zu richten, der das Display selbst angehört, und gleichzeitig zu fragen, welche Situationen durch das Display evoziert, kommentiert oder initiiert werden. UP 2 erforscht das daraus resultierende Spannungsverhältnis in Bezug auf zwei unterschiedliche Formen künstlerischer Praxis. Die erste beruht auf einer Verfremdung und inhaltlichen Neubesetzung des Displayformates der Kunstausstellung. Anhand der raumgreifenden Arbeiten Mike Kelleys, Martin Kippenbergers und Manfred Pernices wird untersucht, mit welchen rhetorischen Strategien Informationen und Objekte künstlerischer und nicht-künstlerischer Herkunft in Anlehnung an kuratorische Verfahren zu Ausstellungen und an Ausstellungen erinnernde Kunstwerke zusammengestellt werden (McGovern). Die zweite beruht auf dem Einsatz massenmedialer Displayformate, der die Ausstellungssituation mit Kunstaktivitäten in Beziehung setzt, die der Rezipient nicht direkt beobachten kann. Sie soll am Beispiel von Kunstwerken Pierre Huyghes, Rirkrit Tiravanijas und anderer Künstler untersucht werden, die in einer ersten Phase den Charakter von Reisen, Wegstrecken oder Explorationen hatten, welche mit Hilfe von Film und Video aufgezeichnet, narrativ aufbereitet und in die Ausstellung transferiert wurden (Rafael). Im ersten Fall befindet sich der Rezipient am ‚Ort des Kunstgeschehens‘, im zweiten ist er davon ausgeschlossen. In beiden Fällen aber sieht er sich durch ein künstlerisches Display darauf verwiesen, dass er seine gegenwärtige Situation nur verstehen kann, indem er diese zur Vorstellung anderer Situationen in Beziehung setzt. Untersucht wird, wie sich die strukturellen Momente des dabei entstehenden Spannungsverhältnisses zur Struktur der ästhetischen Erfahrung verhalten und wie sie die ästhetische Erfahrung auf ihre eigene Situiertheit verweisen.