Teilprojekt B6. Topografien des Flüchtigen. Choreographie als Verfahren
Leitung
Prof. Dr. Gabriele Brandstetter
Wissenschaftliche MitarbeiterInnen
Dr. Maren Butte / Kirsten Maar, M.A.
Studentische Hilfskräfte
Projektbeschreibung
Standen zuvor Übertragungen in der Entgrenzung zwischen Choreographie, Architektur und Landschaft unter dem Gesichtspunkt von Kinästhesie als spezifischer Erfahrungsform von Körper-Raum-Relationen im Zentrum, so soll nun der Fokus auf Choreographie als Verfahren gerichtet werden, das die Bewegung von Körpern in Raum und Zeit organisiert durch Übertragungen, die einem Set von Regeln, Anweisungen, Matrices folgen und Bewegungsverläufe – ein ’ephemeres Produkt’ generieren. Dabei wird besonderes Augenmerk auf die Funktion von Anordnungen gelegt, die – sowohl als Notat oder Regel als auch in der (räumlichen) Positionierung von bewegten und stillen Körpern – die Hervorbringung und ästhetische Erfahrung von Choreographien konstituieren. Choreographische Verfahren im Sinne von ’Anordnung’ zielen dabei nicht nur auf Tanz, sondern sind auch Modi der Übertragung und Entgrenzungen in andere Künste, sie bestimmen inwiefern diese als Voraussetzung und Effekt des Urteilens auch die Erfahrung von Künsten steuern.
Unterprojekt 1: Choreographische Verfahren als Spiel mit dem Unvorhersehbaren:
Kontingenz und Improvisation
(Prof. Dr. Gabriele Brandstetter)
Das Projekt dient als Verknüpfungs-Modul für alle Unterprojekte. Es stellt übergreifende Fragen nach der Implikation von Verfahren, die Improvisation, Zufallsprozeduren und Kontingenzpraktiken einschließen. In einzelnen Fallstudien werden Modellanalysen erarbeiten (z.B. zum Umgang mit aleatorischen Konzepten im Postmodern Dance, wie etwa bei Merce Cunningham und Yvonne Rainer und im zeitgenössischen Tanz, wie z.B. in Thomas Lehmens Schreibstück oder Xavier Le Roys Projekt), deren Ergebnisse sowohl zur Theorie von „Choreographie als Verfahren“ als auch zu den Modi der Rezeption der ästhetischen Erfahrung beitragen sollen. Darüber hinaus reflektiert das Projekt die Meta-Ebene von Choreographie als Verfahren, d.h. die Frage nach Konzepten von ’Anordnungen der Anordnung’. In diesem Zusammenhang lassen sich die Fragen nach Entgrenzungen der Künste erneut öffnen: sowohl im Blick auf choreographische Verfahren in anderen Künsten und auf neue Spielräume ästhetischer Erfahrung als auch in der grundsätzlichen Infragestellung von Grenzen zwischen (tradierten) Kunst-Genres und Kunst/Nicht-Kunst.
Unterprojekt 2: Choreographie und Installation: Re-Lektüren des Postmodern Dance
(Kirsten Maar, M.A.)
Ausgehend von den Choreograph/innen der Judson-Church, die wie selten zuvor die Entgrenzungen zu anderen Kunstformen und zum Alltag gesucht haben, wird das Projekt die Verfahrenstransfers zwischen Choreographie und Installation untersuchen. Dabei sollen sowohl die Entfaltungen choreographischer Verfahren in der Installation untersucht werden – die raum-zeitlichen Organisationen, welche die Relationen zwischen Objekten und Rezipienten bestimmen, wie auch der umgekehrte Transfer von installativen Anordnungen in choreo-graphische (Regel-)Verfahren. Diese Übertragung wird selbst als Verfahren betrachtet, das Prozesse der Aufteilung und Teilhabe bestimmt. Unter der Hypothese, dass in der Auseinandersetzung mit diskursiven Ansätzen, ökonomischen und politischen Fragestellungen sowie spezifischen künstlerischen Techniken neue Produktionsweisen entstehen, in denen theoretisches und praktisches Wissen einander gegenseitig hervorbringen, sollen die Verfahren der Anordnung auf ihr Potential befragt werden, dynamische Prozesse zu generieren und alternative Ordnungen zu lancieren.
Unterprojekt 3: Über Reste. Eine Phänomenologie des Bleibens
(Dr. Susanne Foellmer)
Ausgehend von der Beobachtung, dass Reste als solche im Grunde nicht existieren, da sie rasch wieder in neue, andere Bedeutungszusammenhänge eingebunden werden, richtet das Projekt den Fokus auf das Bleibende des Transitorischen, das sich in den performativen Künsten in einer neuen Verfasstheit ergibt: Was vormals als Präsenz erzeugendes, transitorisches und mithin kritisches Geschehen postuliert wurde, wird nun in re-enactments und ‚Aufbewahrungs‘-Perfomances versucht, zu speichern – eine Wendung von der Präsenz der Performance hin zu einer (Selbst-) Archivierung, die auch Fragen der Vermarktung berührt. Rückstände, Erinnerungsstücke, Reliquien oder verbleibende Dokumente sind immer häufiger Bestandteile in Tanz, Performance und Ausstellungen. Jenen Übrigbleibseln eignet eine Ambivalenz von ‚Über-Flüssigkeit‘: von restloser Unbestimmtheit und zugleich sich neu generierenden Sinnzusammenhängen. Inwieweit restituieren und brechen sich in solchen nachgeordneten Anordnungen die Ideen der Präsenz und des Anordnens selbst? Und inwiefern lassen sie das Abscheiden und Wieder-Verwerten von Resten als performative Kulturtechnik hervortreten?
Unterprojekt 4: Choreographische Anordnungen bei Jan Fabre, Christina Caprioli und Bruce Nauman
(Dr. Maren Butte)
Das Projekt widmet sich den Arbeiten von Jan Fabre und Cristina Caprioli, die zwischen Theater, Choreographie und Installation changieren. Fokussiert wird auf die Verfahren choreographischer Anordnung zwischen konzeptueller Anweisung und Konstellation im Sinne eines In-Verhältnis-Setzens von Bewegung, Raum, Sprache und Objekten. Es wird gefragt, welche relationale und flüchtige ästhetische Erfahrung hierbei jeweils für die ZuschauerInnen generiert/choreographiert wird. Als ein Werkzeug zur Beschreibung dient das theoretische Konzept der Rauheit im Sinne Roland Barthes‘, das hier tanzspezifisch gewendet werden soll, um die Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Raum- und Bewegungseindrücken zu bestimmen. In einem zweiten Schritt soll der Verfahrenstransfer zum Video untersucht werden, der die ephemeren Erfahrungsräume ins bewegte Bild erweitert. Für die Analyse der Bild- und Situationsverfahren soll aus dieser Perspektive erneut auf historische Bewegungsexperimente der 1960er und 70er Jahre zurückgeblickt werden (Bruce Nauman, Merce Cunningham).