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Die Große Grube von Estenfeld, Kr. Würzburg – Abfallentsorgung oder strukturierte Deponierung? Untersuchungen zur Taphonomie, Chronologie und Funktion einer Befundgattung des Mittelneolithikums Über 200 Befunde verschiedener Zeiten wurden dokumentier

Die Große Grube von Estenfeld, Kr. Würzburg – Abfallentsorgung oder strukturierte Deponierung? Untersuchungen zur Taphonomie, Chronologie und Funktion einer Befundgattung des Mittelneolithikums

Projektteam: Prof. Dr. Wolfram Schier, Dr. Kirsten Gebhard. SHK: Rhea Priel und Franca Steinfeld, B.A.

Projektbeginn: 01.01.2024, Laufzeit 36 Monate

Förderung durch die DFG, Projektnummer ...

Projektbeschreibung

Idee und Fragestellung

Bei den Untersuchungen zur Nutzungsgeschichte und Taphonomie der beiden nordbayerischen mittelneolithischen Kreis­graben­anlagen von Ippesheim und Hopferstadt im Rahmen des DFG-Projekts Gebautes Wissen von 2012 bis 2019, wo jeweils neben verfüllten Gräben auch Gruben­komplexe angetroffen wurden, konnten rituelle Praktiken bei der intentionellen Verfüllung der Kreisgräben nachgewiesen werden. Dies warf die Frage auf, ob es sich bei den im süddeutschen Mittelneolithikum in Siedlungen wiederholt angetroffenen sogenannten Großen Gruben wirklich stets um Entnahmestellen für Baulehm handelt, die sekundär zur Entsorgung von Abfall genutzt wurden, wie gemeinhin von der Forschung angenommen bzw. postuliert wird.

Bei der Suche nach regionalen Vergleichen konnten zwei rezent gegrabene und gut dokumentierte Fund­komplexe aus „Großen Gruben“ in der näheren Umgebung identifiziert werden, deren erste Durchsicht bereits erhebliche Unterschiede in Qualität, Quantität und Taphonomie des enthaltenen Fundstoffes erkennen ließ.

 Untersuchungsobjekt

Im Fokus steht dabei die Große Grube von Estenfeld nahe Würzburg in Unterfranken. 2011 wurde beim Neubau der Ortsumgehungsstraße auf einem flachen Sporn am Rand der Niederterrasse im Seitental eines Mainzuflusses mit mächtigen äolischen Lößauflagen eine Fläche von 0,5 ha untersucht. Über 200 Befunde verschiedener Zeiten wurden dokumentiert, wobei allerdings der bedeutendste und sensationelle Fund zweifellos die Entdeckung der Großen Grube der „Rössener Kultur“ ist. Mit einer angenommenen Größe von 500m² hat die „Grube“ enorme Ausmaße (Mindestgröße 12 x 31 m) und erreicht mit 3,10 m eine exorbitante Tiefe, womit der Befund zu einem der größten vergleichbaren Fundkomplexe des 5. Jtsd. in Süddeutschland gehört. Vergleichbar mit den sogenannten Lehment­nahmegruben bilden unzählige einzelne Ausbuchtungen und Vertie­fungen die Grubensohle. Der Grubenkomplex wird von einer kompakten dunkelbraunen bis schwarzen extrem fundreichen Schicht überlagert.

Damit reiht sich der Befund von Estenfeld in die bereits bekannten „Großen Gruben“ des Mittelneolithikums ein. Verbindende Elemente sind z. B. wie bei der schon 1902 entdeckten Großen Grube von Heidelberg-Neuenheim oder der 2006 untersuchten Großen Grube von Wenig-Umstadt im Landkreis Aschaffenburg die ungewöhnlichen Ausmaße und die reichhaltigen und gut erhaltenen Keramikinventare.

Abb. 1. Estenfeld, Große Grube (Rehfeld  2011)

Abb. 2. Estenfeld, Große Grube, Profil (Rehfeld, Büro Heyse)

Abb. 3. Estenfeld, Gesamtprofil Große Grube (Rehfeld, Büro Heyse)

Der zweite Grubenkomplex, der dem Projekt zur Verfügung steht, stammt aus dem von Estenfeld 30 km entfernten Enheim, Gde. Martinsheim im Kr. Kitzingen. Hier wurden bei Ausbau der Staatsstrasse 2271 zwischen November 2009 und Juni 2011 auf einer Fläche von 1,7 ha 231 vorgeschichtliche Befunde entdeckt. Mit Befund 135 konnte erneut ein mittelneo­lithischer Grubenkomplex mit den Ausmaßen von 13,0 x > 8,5 m dokumentiert werden. Hier scheint das Konzept der Lehm­ent­nahmegrube plausibel, der einheitlich erscheinende Befund löst sich ab Planum 4 in 12 Einzelbefunde (Gruben) auf, außerdem ist die Keramik auffällig klein zerscherbt und deutlich schlechter erhalten, was eher an verlagertes Siedlungsmaterial denken lässt. Allerdings ist auch hier eine Art Ausgleichs­schicht über dem Gesamtkomplex zu beobachten, die ebenfalls mit reichlich Funden durchsetzt ist.

Methoden und Ziele

Das Projekt zielt darauf ab, durch eine detaillierte taphono­mi­sche Analyse aller Funde (Keramik, Steinmaterialien und Knochen) die Genese dieser Grubenverfüllungen zu rekonstruieren und mit den Verfül­lungs­vorgängen sowohl der Kreisgräben als auch regulärer Siedlungsgruben zu vergleichen.

Zusätzlich zum üblichen Dokumentationsprozess neolithischer Keramik soll neben der Quanti­fizierung des Fragmentierungs- und Abrundungsgrades, eine systematische Suche nach Anpassungen durchgeführt werden, die Aufschluss über Einfüllprozesse und Umlagerungen geben können.

 Außerdem ist zum einen die Untersuchung ausgewählter Keramikfragmente auf organische Reste der Inhalte in Kooperation mit dem Labor des Instituts für Geographie der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz (Prof. Sabine Fiedler, George Janzen M.A.) geplant. Während von der Tonmatrix absorbierten Lipide, Wachse usw. ein Palimpsest der Gefäß­nutzung widerspiegeln, könnten auf der Gefäßinnenseite anhaftende Sedimentreste (das Fundmaterial wurde nicht gewaschen) Aufschluss über Inhaltsstoffe (anlässlich Feasting, Libation o. ä.?) unmittelbar vor seiner Deponierung geben.

Rückstandsanalysen können so wichtige Hinweise liefern, dass es sich bei dem Estenfelder Grubenbefund nicht um entsorgten Abfall handelt, sondern um intentionell deponiertes, möglicherweise rituell zer­schlagene Artefakte.

Zum anderen soll aus dem umfangreichen Bestand offensichtlich mehrheitlich intentionell zerschlagener Reib- und Mahl­steine eine Probenserie der Untersuchung zu Phytholiten gewidmet werden, was in Zusammenarbeit mit Prof. Julia Meister vom Institut für Geographie der Julius-Maximilians Universität Würzburg durchgeführt werden kann. Dass in Poren der Arbeitsflächen von Reib- und Mahlsteinen häufig Phytolithen der verarbeiteten Pflanzen erhalten bleiben, wurde wiederholt nachgewiesen, was Rückschlüsse auf verarbeitete Gräser bzw. Getreide zulassen würde.

Nicht zuletzt sollen die in die stratifizierten Abhübe eingelagerten Tierknochen und/oder pflanzlichen Makro­reste 14C-datiert werden. Diese Datierungen sollen in ein Bayes’sches Modell Eingang finden, das stratigra­phische Vorinformation als a priori-Wahrscheinlichkeiten zur Eingrenzung der kalibrierten Alterswahr­scheinlichkeit nutzt, um die zeitliche Dynamik der Verfüllungsprozesse besser zu erkennen und aufzulösen.

Abb. 4. 

Literatur zu Großen Gruben

S. Alföldy-Thomas u. H. Spatz, Die „Große Grube“ der Rössener Kultur in Heidelberg-Neuenheim. Materialhefte Vor- und Frühgesch. Baden-Württemberg 11 (Stuttgart 1988).

M. Rehfeld u. U. Müller, Eine mittelneolithische große Grube aus Estenfeld, Lkr. Würzburg, Unterfranken. Das Arch. Jahr in Bayern 2011, 18-20.

F. Ziegler, Große Gruben – eine Fundstelle des Mittelneolithikums in Wenigumstadt, Markt Großostheim, Lkr. Aschaffenburg, Unterfranken. Das Arch. Jahr in Bayern 2006, 13-15.

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