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Kim Jong-il, requiescat in pace

Stichpunkte zum Tod des „Lieben Führers“ von Nord-Korea

Werner Pfennig

Autoritäre Regime erwecken oft nach außen den Eindruck, als stünde an ihrer Spitze ein alleinherrschender  „Großer Vorsitzender“ (Mao Zedong in China) oder ein  „Lieber Führer“ (Kim Jong-il in Nord-Korea). Das plötzliche Ableben solcher Personen ist stets mit Fragen verbunden: wie wird die Nachfolge funktionieren, gibt es einen Politikwechsel? In China hat die Nachfolge nicht funktioniert und es gab einen grundlegenden Politikwechsel. Nord-Korea macht die Beantwortung dieser Frage besonders schwierig, weil es ein extrem informationsunwilliges Regime ist, vermutlich wird dort die Nachfolge funktionieren und es wird keinen plötzlichen Politikwechsel geben.

Vermeintliche Machtfülle autoritärer Herrscher

Die Nachfolge ist geklärt, Kim Jong-un, der dritte Sohn des Verstorbenen wird in öffentlichen Verlautbarungen wie sein Vater und Großvater als großartiger Führer bezeichnet, der die Politik seiner Vorgänger weiterführen und vollenden werde.  Das äußere Erscheinungsbild, von der Propaganda fleißig gefördert, erweckt bei autoritären Regimen den Eindruck, als stünde an ihrer Spitze ein Alleinherrscher. Das ist falsch, auch wenn es sich im Fall von NordKorea um ein ganz besonderes System handelt. Alle diese Führer mussten mehr oder weniger auf einen kollektiven Entscheidungsprozess Rücksicht nehmen, selbst wenn sie diesen dominierten. Kim Jong-un, ein junger Mann Ende Zwanzig, ist erst seit rund drei Monaten ein Vier-Sterne-General, allerdings ohne Militärkarriere, ein politisch-dynastischer Nachfolger ohne eigene nachweisliche Erfolge. Er steht nun formal an der Spitze, weil der Vater und einflussreiche Personen ihn dazu ausgewählt haben, weil der Vater gestorben ist, weil niemand sonst für die Führung zur Verfügung steht und weil er die Politik von Großvater und Vater fortsetzen soll. Seine überwiegende, wenn nicht alleinige Qualifikation ist erbbiologischer Natur,  Enkel und Sohn. Es wird auf die Dauer aber nicht ausreichen, nur Nachfolger zu sein. Vermutlich wird ihn, zumindest für eine Übergangszeit, ein Gremium aus Verwandten und hochrangigen Kadern aus Partei und Armee beraten. Hier dürften seine Tante, Kim Kyong-hui und deren Mann, Jang Song-thaek eine wichtige Rolle spielen. Kim Jong-un hat wenig Spielraum für eine neue Politik und wenig Ressourcen, um sich Loyalität zu besorgen. Der Winter ist hart in  Nord-Korea, die Ernte war schlecht, die Versorgung ist nicht ausreichend und dennoch werden große Anstrengungen unternommen, im kommenden April den Hundertsten Geburtstag des legendären Führers, Kim Il-sungs, zu feiern. Vermutlich dürfte sich an der Führungskonfiguration und der von ihr betriebenen Politik bis zum Sommer wenig bis kaum etwas ändern. Erste Anzeichen für eine mögliche neue Akzentsetzung und eventuelle Eigenständigkeit des neuen Führers könnten bei der Beerdigung und der Trauerkundgebung am 29. Dezember zu erkennen sein. Eine Trauerperiode von drei Jahren, wie sie sein Vater nach dem Tod des Großvaters (1994) einhielt, die steht dem Enkel gewiss nicht zur Verfügung.

Nuklearwaffen

Im Ausland wurde nach Bekanntgabe der Todesnachricht oft und schnell die Frage gestellt, was das nun für die atomare Bewaffnung  Nord-Koreas bedeuten könne? Das Land hat Nuklearstatus, aber keine einsatzfähige Nuklearstreitmacht.  Es hat eine risikofreudige, eine risikoerprobte, aber keine verrückte Führung. Die Tests sollten primär politisch in Richtung USA wirken, sind als Überlebensversicherung gedacht und Teil der Bemühungen, zumindest auf der Ebene formaler Gleichrangigkeit mit den USA Verhandlungen zu führen. Es wurden im Ausland Befürchtungen geäußert, zur Stabilisierung seines Herrschaftsanspruchs könnte Kim Jong-un einen erneuten nuklearen Test durchführen lassen begleitet von Raketenstarts. Tests  dieser Art  bedürfen der längeren Vorbereitung, verschlingen Ressourcen und bergen immer die Gefahr des Fehlschlags. Es ist unwahrscheinlich, dass solche vermeintliche  achtdemonstrationen stattfinden werden.

Unsicherheit aber auch Chancen

Was mag das Ableben von Kim Jong-il für die inner-koreanischen Beziehungen bedeuten? Der Tod des „Lieben Führers“ könnte eine Chance sein. Nord-Korea hat keine ausländischen Delegationen zu der Trauerfeier eingeladen. Aber beide koreanischen Staaten betrachten einander nicht als Ausland. Zur Trauerfeier von Kim Dae-jung kam eine Delegation aus dem Norden nach Seoul und wurde auch vom amtieren Präsidenten der Republik Korea empfangen. Da Kim Dae-jung damals nicht mehr im Amt war, hatte  der Kondolenzbesuch primär privaten Charakter; aber alles was zwischen diesen beiden Staaten geschieht ist mehr oder weniger politischer Natur. Weil es keine diplomatischen Beziehungen gibt, musste der Süden keine offizielle Beileidsbekundung publizieren, muss keine Sympathie äußern, hat aber in geeigneter Weise der Bevölkerung des Nordens sein Verständnis gegenüber zum Ausdruck gebracht, ihren Führer verloren zu haben. Sollte Pyongyang es akzeptieren, dann könnten in privater Funktion Persönlichkeiten aus dem Süden an der Trauerfeier teilnehmen, solche, die damals Kim Dae-jung im Sommer 2000 zu dem Gipfeltreffen mit Kim Jong-il begleitet hatten.

Zukunftsvermutungen

Immer stellt sich bei dem Ableben eines Diktators die Frage nach Kontinuität und Stabilität. Im vorliegenden Fall gibt es auf der koreanischen Halbinsel, bei den Nachbarn und den USA eindeutig den Wunsch nach Stabilität, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Besonders Partei- und Militärführung in der Volksrepublik China dürften sich schon seit einiger Zeit über einen Wechsel an der Spitze Nord-Koreas Gedanken gemacht haben; vielleicht sogar im Gedankenaustausch mit der Führung der USA.

Vermutlich wird es also zu keinen plötzlichen Veränderungen in Nord-Korea kommen, wenn auch koreanische Politik generell kaum sicher vorhersagbar ist. Alle entscheiden Akteure haben ein Interesse an Stabilität. Der neue Führer in Pyongyang wird erkennbare Leistung erbringen müssen und hierin liegt eine Chance, denn am erkennbarsten sind solche Leistungen im materiellen Bereich. Sie können eintreten, wenn sich die Beziehungen auf der koreanischen Halbinsel verbessern: der Norden müsste die Chance erkennen, sie ergreifen und der Süden müsste sich in geeigneter Weise aufgreifen. Großvater und Vater Kim haben sich immer als Wahrer gesamtkoreanischer Werte verstanden und der Enkel wird als politischer Testamentsvollstrecker präsentiert. Sollte der Wille vorhanden sein und werden geeignete Wege und Symbole gefunden, so könnte der Tod von Kim Jong-il positive Entwicklungen ermöglichen.  Wenn es aber in der Führung und Elite des Nordens  (und anderswo)  Kräfte gibt, die an einem Scheitern des Nachfolgers Interesse haben, so ist mit schwierigen Zeiten zu rechnen. So oder so: die Krise besteht aus zwei Komponenten, der Möglichkeit der Gefahr und der Chance durch neue Optionen.