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Kommentar zum Tod von Präsident Roh Moo-Hyun

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Kommentar zum Tod von Präsident Roh Moo-Hyun

 

Von Prof. Dr. Eun-Jeung Lee

Freie Universität Berlin

 

Am 23. Mai 2009 ließ die Nachricht vom Tod von Präsident Roh Moo-Hyun alles in Südkorea still stehen. Während eines frühmorgendlichen Spaziergangs hat er sich von einem Felsen hinter seinem Haus gestürzt und erlag wenige Stunde später seinen Kopfverletzungen. Es wird behauptet, dass er sich damit der Anschuldigung von Korruption entziehen wollte. Aber dass es ihm bei seinem Freitod darum ging, das zu schützen, wofür er sein Leben lang stand und gekämpft hatte – moralische Integrität und demokratische Werte – ist noch wahrscheinlicher.

 

Wer war Roh Moo-Hyun?

Er war ein Kämpfer für die Demokratisierung. Während der Militärdiktatur hatte er sich als Anwalt der Menschenrechte und der Rechte der Arbeiter einen Namen gemacht und gegen Unterdrückung und Ausbeutung gekämpft.

Er war ein Politstar. Bei einer Anhörung der Hauptverantwortlichen der Militärherrschaft im koreanischen Parlament zog er 1988 durch seine scharfen Analysen und Fragen landesweit die Aufmerksamkeit auf sich.

Er war ein Politiker mit Prinzipien. Als Kim Young-Sam 1990 seine Partei mit der damaligen Regierungspartei Minjŏngdang, in der noch viele Mitglieder der letzten Militärregierung aktiv waren, fusionieren ließ, um bei der nächsten Wahl mehrheitsfähig zu werden, verweigerte Roh Moo-Hyun ihm die Gefolgschaft. Geheime Händel in Hinterzimmern um die Macht wollte er nicht mittragen. So blieben er und seine Partei in der Opposition.

Er war ein politischer Idealist. Wie Don Quijote kämpfte er allein und letztlich ohne größere Erfolge gegen den Regionalismus in der koreanischen Politik. Obwohl alle und er selbst wussten, dass er in Busan, der Heimatregion von Kim Young-Sam, als Mitglied von Kim Dae Jungs Minjudang keinerlei Chancen hatte, gewählt zu werden, trat er just in diesem Wahlkreis an. Auch wenn er immer wieder Wahlen verlor, wollte er seinen Traum von einer Politik ohne Regionalismus nicht aufgegeben.

Er war ein einsamer Streiter für die Pressefreiheit. Schon 2001 hatte er den Kampf gegen die größte Tageszeitung Südkoreas, die Chosun Ilbo, aufgenommen. Diese, wie auch die anderen beiden großen Zeitungen, schrieben gemäß der politischen Agenda ihrer Eigentümer gegen die Demokratisierung nach 1987 an, manipulierten die Berichterstattung und führten die Öffentlichkeit in die Irre. Obwohl vorhersehbar war, dass er diesen Kampf zwischen David und Goliat nicht gewinnen würde, hat er ihn nie aufgegeben.

Deshalb haben ihn viele Koreaner als Mensch und um sein Menschsein geachtet und verehrt und ihm den Kosenamen „babo“ (Dummkopf) gegeben. Er war der erste Politiker, dessen Bewunderer sich in einem Fanclub, Nosamo, zusammenfanden. 

2002 haben die Bürger diesen Politiker, der weder über eine finanzielle noch eine organisatorische Basis verfügte, zum Präsidenten des Landes gewählt. Er hat sich bei ihnen mit der mit ihnen unternommenen Überwindung der keineswegs geringen Überbleibsel der autoritären politischen Kultur bedankt. Die Bürger konnten in seinem Händen immer das Wirken von Artikel 1 der Verfassung spüren: „Das Volk ist der Souverän und die Gewalt geht vom Volk aus.“

Nach seiner fünfjährigen Amtszeit kehrte Roh Moo-Hyun 2008 in seine Heimat nach Bonghwa, einem kleinen Dorf im Süden des Landes, zurück. Dort hat er ein neues Kapitel seines Lebens aufgeschlagen. Er zeigte sich nun als nachdenklicher Bürger, der sich um den Zustand der Welt Sorgen machte. Anders als seine Vorgänger suchte er den Kontakt zu den Menschen und wurde, was er eigentlich immer war: zum netten Onkel von nebenan.

 

Warum musste sein Leben so ein tragisches Ende nehmen?

Ist vielleicht die politische Kultur Südkoreas für den Tod Roh Moo-hyuns mitverantwortlich? Es ist eine Gesellschaft, in der sich die Grundprinzipien des Rechtsstaates in der Praxis nur bedingt durchgesetzt haben; eine Gesellschaft, in der die Einsicht, dass in einer Demokratie Toleranz und Respekt gegenüber Anderen und Minderheiten absolut notwendig sind, noch keinen rechten Platz gefunden hat; eine Gesellschaft, die sich im Wettbewerb zerfleischt und in der Sieger alles für sich beanspruchen darf. In einer solchen Gesellschaft hat sich noch keine gesunde demokratische politische Kultur entfalten können. In diesem Zusammenhang mangelt es an grundsätzlichem Respekt für die aus dem Amt scheidenden Präsidenten. Auch wenn in einem demokratischen System der Machtwechsel etwas Selbstverständliches ist, hat man auch nach der Übergabe der Macht an seinen Nachfolger nicht von der diffamierenden Polemik gegen seine eigene und die Regierungen von Kim Dae Jung ablassen können.

Die Staatsanwaltschaft ermittelte während der letzten sechs Monate gegen Roh Moo-Hyun. Der Vorwurf lautete, er hätte wissen müssen, dass seine Ehefrau und Kinder von einem Unternehmer sechs Millionen Dollar erhalten hatten. Um diese Frage zu klären, ließ man ihn wie einen Verbrecher zum Präsidium der Oberstaatsanwaltschaft nach Seoul kommen, anstatt zu ihm nach Bonghwa zu fahren, wo er sich nach dem Ende seiner Amtszeit niedergelassen hatte. Dabei gab sie jede kleine Information an die Medien weiter, um Verdachtsmomente zu schüren. Auch ohne klare Beweise und trotz seiner Unschuldsbeteuerungen sah man ihn bereits vor Gericht. Erst nach seinem Tod, erklärte die Staatsanwaltschaft, dass sie angeblich aufgrund der Beweislage ohnehin nicht vorgehabt hätte, gegen ihn Anklage zu erheben!

Eine der Wurzeln dieser politischen Kultur dürfte in der parlamentarischen Anhörung zur Aufklärung der Gräueltaten an den Bürgern von Gwangju durch die Militärdiktatur 1980 liegen. Dafür waren die Generäle und Präsidenten Chun Doo-Hwan und Rho Tae-Woo verantwortlich. In den 1990er Jahren kamen sie wegen Korruptionsvorwürfen von Aberhundertmillionen Dollar vor Gericht. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Roh Moo-Hyun, der durch die Anhörung zur Aufklärung des Gwangju Massakers im Parlament zu einem der bekanntesten Politiker Koreas geworden war, nun selbst zum Opfer einer solchen Abrechnung geworden ist. Diese beiden Fälle könnten allerdings gegensätzlicher nicht sein.

Während die parlamentarische Anhörung von Chun Doo Hwan große Zustimmung bei der Bevölkerung fand, wurde die Hetzjagd gegen Roh Moo-Hyun von oben inszeniert, was aber von den meisten Bürgern mit großer Skepsis betrachtet wurde. 1988 sprach Roh Moo-Hyun dem Volk aus der Seele, als er Chun Doo-Hwan vor laufenden Kameras als „Mörder“ anprangerte und zur Rede stellte.

Offenbar war das konservative Lager entschlossen, Roh Moo-Hyun wegen dieser Vorgeschichte und gerade auch als Symbol progressiver Politik vor Gericht zu stellen. Durchaus denkbar, dass dies auch im Sinne von Präsident Lee Myung-Bak war, der selbst schon mehrfach vor Gericht stehen musste (während seine Mitarbeiter meist die Schuld auf sich nahmen). War es etwa die Absicht, das hohe Ansehen, das Roh Moo-Hyun als Kämpfer für Demokratisierung und Menschenrechte genoss, zu beschädigen? Scheinen deshalb die Regierung, die Staatsanwaltschaft und die konservativen Medien deshalb an einem Strang?

Nicht allein diese Tragödie macht deutlich, dass eine solche Hexenjagd auf einen scheidenden Präsidenten auf keinen Fall fester Bestandteil der politischen Kultur der koreanischen Demokratie werden darf. Solche politisch motivierten juristischen Verfolgungen von demokratisch gewählten Präsidenten widersprechen dem demokratischen Geist.

In seinem Abschiedsbrief bat er seine Anhänger, ihn aufzugeben, denn er könne nicht mehr Symbol für Demokratie, Menschenrechte und den diesen zugrundeliegenden Werten sein. Er hat sich selbst aufgegeben, um zu verhindern, dass der demokratische Geist in Südkorea, für den er sein Leben lang gekämpft hatte, stirbt.

Das politische Vermächtnis von Präsident Roh Moo-Hyun ist die Notwendigkeit einer gründlichen Reform der politischen Kultur Südkoreas. In Leben und Tod hat er uns gezeigt, warum diese Reform so dringend ist.