Kommentar zur Währungsreform in Nordkorea
Eric J. Ballbach, M.A.
Institut für Koreastudien (Freie Universität Berlin)
Grundlagen der Währungsreform
Am 30. November 2009 implementierte die nordkoreanische Regierung eine Währungsreform, welche die erste Reform dieser Art in Nordkorea seit 17 Jahren darstellt. Neben der gegenwärtigen führte Nordkorea ähnliche Währungsreformen bereits in den Jahren 1959, 1979 und 1992 durch. Hauptbestandteil der gegenwärtigen Reform ist die Neubewertung, nicht die Ersetzung des nordkoreanischen on im Verhältnis 1:100, d.h. dass 1000 „alte nordkoreanische Won“ zu 10 „neuen nordkoreanischen Won“ gewechselt werden. Nach ersten Informationen soll es den Bürgern gestattet sein, einen Maximalbetrag von 100.000 bis 300.000 Won pro Person umwechseln zu dürfen. Dies entspricht nach inoffiziellem Wechselkurs etwa 50 bis 150 Euro, wodurch natürlich die Gefahr besteht, dass die restlichen monetären assets der Bevölkerung wertlos werden. Nach Angaben von Beobachtern trafen die Reformen die nordkoreanische Bevölkerung völlig unvorbereitet. Nach Angaben der NGO „Good Friends“ benutzt die nordkoreanische Regierung vor allem kommunale Propagandakanäle und insbesondere das sog. „Third Broadcasting“, also direkt übertragene Anweisungen in die Wohnzimmer der Bürger, um diese über die Reform zu informieren.
Mögliche (Hinter-)Gründe der Währungsreform
Ein wesentlicher Unterschied zu früheren Währungsreformen in Nordkorea besteht also in der Tatsache, dass Nordkorea bis dato weder in einer offiziellen Bekanntgabe, noch in Berichten in seinen staatlichen Medien (Hinter-)Gründe für die Durchführung der Währungsreform genannt hat. Vor diesem Hintergrund wollten südkoreanische Behörden die Reform im Norden bislang auch noch nicht offiziell bestätigen. Über frühere Reformen dieser Art wurde hingegen in der Regel noch am Tag der Reform im Organ der Arbeiterpartei Rodong Shinmun berichtet. Dieser Hintergrund erschwert eine endgültige Bewertung der Reformursachen. Nichtsdestotrotz werden die Hintergründe verständlicher, wenn man diese Reformmaßnahme nicht isoliert, sondern im Kontext der gesamtwirtschaftlichen Krise, der politischen Reaktionen auf diese Krise sowie der sich durch die ökonomische Krise tatsächlich ergebenden Veränderungen im gesellschaftlichen Gefüge Nordkoreas betrachtet. Nordkoreas ökonomische Krise ist eine langfristige, strukturelle Krise, für die letztlich eine Reihe von z.T interdependenten Ursachen verantwortlich sind: allen voran sind hier die strukturellen Mängel der sozialistischen Planwirtschaft sowie die weitreichenden ökonomischen Folgen für Nordkorea durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und der kommunistischen Staaten Osteuropas sowie die wirtschaftliche Neuorientierung Chinas zu nennen. Hinzu kamen eine Reihe von ernsten Naturkatastrophen Mitte der 90er Jahre sowie der Tod des Staatsgründers Kim Il-Sŏng im Juli 1994. Die sichtbarsten und schwerwiegendsten Auswirkungen dieser Wirtschaftskrise zeigten sich in vier großen Mängeln, welche das ökonomische System seither nachhaltig belasten: Kapitalmangel, Energiemangel, Nahrungsmittelmangel und Gütermangel. Die nordkoreanische Regierung sah sich angesichts des Ausmaßes der Krise zu einer Reaktion gezwungen. Gleichzeitig stehen die Machthaber in P’yǒngyang jedoch vor einem grundsätzlichen Dilemma: eine ausgreifende Öffnung für marktwirtschaftliche Elemente bedeutet immer auch eine potentielle Gefahr für das Regime. Vor diesem Hintergrund scheint sich die nordkoreanische Regierung auch mehr auf eine Strategie der staatlich kontrollierten ökonomischen und politischen Anpassung denn auf umfassende wirtschaftliche Reformen festgelegt zu haben. Bruce Cumings verweist darauf, dass nordkoreanische Ideologen in diesem Zusammenhang gerne das Bild des Moskitonetzes benutzen, um den Ausweg aus diesem Dilemma zu beschreiben: Es lässt frische Brisen durch und verhindert doch gleichzeitig das Durchdringen von Moskitos, also von kapitalistischen Ideen. Die ökonomischen Anpassungsmaßnahmen, die von zaghaften politischen Maßnahmen wie bspw. spezifischen Änderungen in der Verfassung begleitet wurden, fanden ihren sichtbarsten Ausdruck im Rahmen der Reformmaßnahmen vom 1. Juli 2002. Nordkoreas Führung setzte eine Preis- und Lohnreform durch und verfolgte das Ziel einer Monetisierung der nordkoreanischen Wirtschaft. Durch solche Maßnahmen sollten letztlich die ökonomischen Transaktionen auf eine realistischere Basis gestellt werden. Darüber hinaus beschloss P’yǒngyang die Etablierung von Sonderwirtschaftszonen, von denen insbesondere der Kaesǒng Industriepark besondere Bedeutung und nachhaltige Relevanz besitzt. Da die Preise durch die Juli-Reformen massiv anstiegen, die entsprechende Lohnreform diese Preissteigerungen jedoch nicht auffangen konnte, wuchs die Zahl der sog. Bauern- und auch der Schwarzmärkte rasant. Allein in P’yǒngyang sollen zeitweise über 2.000 solcher Märkte aktiv gewesen sein. Deren Bedeutung stieg durch das zunehmend ineffektivere staatliche Rationierungssystem weiter an. Letztlich war eine zentrale Folge dieser Entwicklungen, dass sie zu einem massiven Anstieg der Inflationsrate führten. Darüber hinaus kam es zu deutlich wahrnehmbaren Verschiebungen im sozialen Gefüge der nordkoreanischen Gesellschaft. Rüdiger Frank spricht in diesem Zusammenhang gar von einer „neuen Mittelschicht“, die in Nordkorea entstanden sei. Zweifelsohne haben die Reformen vom Juli 2002 zu einer größeren Autonomie der Unternehmer geführt, die somit ein direktes Interesse an einer Fortsetzung der Reformen haben. Darüber hinaus waren auch die Geschäftstätigkeiten auf den sich rapide ausdehnenden Bauernmärkten kaum mehr kontrollierbar. Vor diesem Hintergrund kann die gegenwärtige Währungsreform durchaus als Maßnahme verstanden werden, einerseits die gestiegene Inflation zu drücken. Andererseits dürfte dieser Schritt jedoch gleichermaßen auch dazu dienen, die staatliche Kontrolle über die offizielle Wirtschaft wieder herzustellen. Durch die Reformen versuchen die nordkoreanischen Behörden das Schwarzgeld aus den Schwarzmärkten wieder herausziehen sowie die Bedeutung der Bauernmärkte zu reduzieren. An dieser Stelle wird der politische Aspekt der Währungsreform deutlich und die Reform kann somit als politische Kontrollmaßnahme verstanden werden. Denn eine Regierung kann sowohl durch politische Apparate als auch durch ökonomische Maßnahmen Kontrolle ausüben. Eingangs wurden bereits drei zentrale Punkte genannt, die eine Erklärung für die Reform im Kontext der politischen Kontrolle liefern: 1) Die Nutzung „kommunaler Propagandakanäle“, 2) die hastige Natur der Reform, welche die Bevölkerung „unvorbereitet“ traf und 3) die Begrenzung des Umtauschvolumens. Es soll m.a.W. also wieder in der Hand der Regierung liegen, wer wie viel besitzt. Die nordkoreanische Führung reagiert also auf eine für sie sehr typische Weise, indem sie versucht, die für sie nicht ungefährliche Lage wieder unter direkte staatliche Kontrolle zu bekommen.
Mögliche Auswirkungen der Währungsreform
Es ist sicherlich noch zu früh, an dieser Stelle die mittel- bis langfristigen (Aus-)Wirkungen der nordkoreanischen Währungsreform vorauszusagen. Einige wesentliche Punkte müssen nichtsdestotrotz und insbesondere von den mit Nordkorea Handel treibenden Regierungen der Nachbarländer bedacht werden, denn die Reform könnte letztlich Auswirkungen auf die innerkoreanische Wirtschaftskooperation sowie den Handel Nordkoreas mit China haben. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass Nordkorea nach dem Abschluss der Reformimplementierung die Wechselkurse gegenüber dem US-Dollar und dem Euro neu festlegen wird. Insofern gilt es abzuwarten und sich darauf vorzubereiten, welche Auswirkungen dies bspw. für die Löhne der nordkoreanischen Arbeiter im gemeinsamen Industriepark Kaesǒng haben wird bzw. ob und wenn ja, wie diese geändert werden. Wichtig ist es nun, dass die Währungsreform von weiteren Schritten begleitet wird. Ansonsten kann die Währungsreform zu einer starken Belastung für die nordkoreanische Bevölkerung werden und letztlich den wirtschaftlichen Abschwung sogar weiter verschärfen. Das Regime ist sich der Gefahr, die insbesondere in der gegenwärtigen Zeit von einer radikalen Reform ausgehen kann, sicherlich bewusst. Aber Eigendynamiken im Falle von fehlerhaften Implementierungen sind nicht immer kontrollierbar.