Nationalistische Geschichtsschreibung
Wie eingangs erwähnt, gibt es jedoch zahlreiche Interpretationen der Geschichte. Im Zuge der Unabhängigkeitsbewegung in der Kolonialzeit entwickelte sich als Reaktion auf die kolonialistische Geschichtsschreibung noch eine andere Darstellungsweise, die das koreanische Volk beziehungsweise die Nation ins Zentrum rückte.
Angestoßen durch nationalistische Vorstellungen aus Europa, die auch von Japan bereits Ende des 19. Jahrhunderts propagiert wurden, entwickelte sich in Korea unter der japanischen Kolonialverwaltung zunehmend ein nationalistisches Bewusstsein unter Koreanern. Mit der kolonialistischen Geschichtsschreibung hatten die Japaner bereits Versuche unternommen, eine Einheit der Koreaner zu konstruieren, deren Beherrschung durch ein Zugehörigkeitsgefühl untereinander und schließlich zu Japan vereinfacht werden sollte. Koreanische Intellektuelle griffen diese Ideen etwa Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts ebenfalls auf, entwickelten daraus jedoch ein unabhängiges Nationalbewusstsein, dass sich gegen die japanische Kolonialherrschaft richtete. Basierend auf den Vorstellungen eines Volksgeistes, der das Fundament der koreanischen Nation bildete, begründeten diese Intellektuellen die nationalistische Geschichtsschreibung (minjok sagwan). Obwohl der Volksgeist durch die Kolonialisierung geschwächt sei und gestärkt werden müsse, um die Unabhängigkeit Koreas herbeizuführen, so würde er dennoch nie gänzlich verschwinden. Für Historiker wie Sin Ch’ae-ho und Pak Ǔn-sik bestand die Aufgabe der nationalistischen Geschichtsschreibung deshalb darin, das Volk zu bilden, um den Volksgeist wieder zu stärken.
In zwei bedeutenden Geschichtswerken hob Sin Ch’ae-ho die Bedeutung der Tan’gun-Legende für das koreanische Volk hervor. Damit erhielt Korea nicht nur einen beinah ebenso langen Herrschaftsanspruch wie chinesische Dynastien; Sin Ch’ae-ho begründete damit außerdem einen von China unabhängigen Ursprung des koreanischen Volkes. Statt chinesischer Eroberungen der koreanischen Halbinsel, ging er vielmehr davon aus, dass koreanische Völker das chinesische Festland besiedelt hatten. Zudem lehnte er die sinozentrische Darstellung einer koreanischen Geschichtsschreibung ab, die sich nur auf die koreanische Halbinsel beschränkte. Da er unter anderem annahm, dass Koreaner und Mandschuren den gleichen ethnischen Ursprung besaßen, rückte er die Geschichten Koguryǒs und Parhaes stark in den Fokus der koreanischen Geschichtsschreibung. Er versuchte damit gleichzeitig die Stärke des koreanischen Volkes zu beweisen, die Gebiete bis weit ins nördliche China erobert und kontrolliert hatten und die Bedeutung einer gemeinsamen Abstammung oder Blutlinie, sowie Kultur hervorzuheben.
Daran lässt sich erkennen, wie stark seine Auffassungen von Geschichte von nationalistischen Theorien geprägt waren. Seine Vorstellungen von einem Volksgeist der Koreaner zeugen stark von den Ideen einer Gemeinschaft mit einer einheitlicher Kultur und einem ähnlichen Selbstverständnis. Auf Grund der Unabhängigkeitsbestrebungen und um die Vorstellungen der Japaner von einem gemeinsamen Ursprung zu negieren, wurde die Einzigartigkeit des koreanischen Volkes besonders hervor gehoben. Dieser Punkt wird zum Teil noch immer sowohl in Nord- als auch in Südkorea betont und im Zuge dessen oft von einer homogenen Ethnie gesprochen.
Zeit der Drei Königreiche | Zeit der Nördlichen und Südlichen Dynastie |
Wer war Sin Ch'ae-ho?
Sin Ch’ae-ho wurde 1880 in Ch’ungch’ong als Sohn einfacher Bauern geboren. Trotzdem erhielt er eine klassisch konfuzianische Bildung und besuchte von 1898 bis 1905 die Sunggyunkwan, die königliche Akademie in Seoul. 1907 trat er der Sinminhoe bei, die sich für eine Selbststärkung Koreas einsetzte und veröffentlichte einige Artikel in der Hwasǒng Sinmun und Daehan Maeil Sinbo. Nach der Kolonialisierung Koreas emigrierte er 1910 nach China. Er schloss sich der Unabhängigkeits-bewegung an, wurde jedoch 1928 verhaftet und zu zehn Jahren Haft verurteilt. Er starb 1936 in einem japanischen Gefängnis in Lushun (heute China). Zu seinen wichtigsten Werken zählen „Toksa Sillon“ (1908) und „Chosǒn Sanggosa“ (1930/31), in denen er die nationalistische Geschichtsschreibung begründete.