Narrative Strategien in der römischen Flächenkunst (Habilitationsprojekt)
Unter den aus der Antike erhaltenen Bildwerken nehmen Darstellungen narrativer Themen einen großen Anteil ein. Bilder mit Szenen aus mythologischen Erzählungen waren in Häusern und Gräbern verbreitet, sie zierten aufwendiges Tafelgeschirr ebenso wie Alltagsgegenstände wie beispielsweise Tonlampen. Darstellungen historischer Ereignisse finden sich insbesondere im Zusammenhang öffentlicher Ehrenmonumente. Trotz ihrer weiten Verbreitung in der Kunst der römischen Kaiserzeit hat sich die archäologische Forschung bei der Frage nach der formalen Umsetzung von Erzählstoffen in Bildern lange Zeit vornehmlich auf Erzeugnisse der griechischen Bildkunst konzentriert. IM Fokus stand dabei lange die Frage nach dem Aufkommen einzelner Darstellungsformen, wie beispielsweise der „distinguierenden“ oder der „kontinuierenden Darstellungsweise“. Die Fokussierung auf die griechische Kunst ist selbst für solche Untersuchungen charakteristisch, die dezidiert von Monumenten der römischen Kaiserzeit ausgehen (Wickhoff 1912; Weitzmann 1947). Diesem Ansatz liegt die – oftmals nur implizite – Prämisse zugrunde, dass kaiserzeitliche Bildwerke lediglich als Nachahmungen griechischer Originale anzusehen sind. Jüngere, ausschließlich auf die römische Kunst bezogene Arbeiten sind hingegen zumeist gattungsbezogen ausgerichtet (Sarkophage, Mosaiken, Wandmalerei) oder in Hinblick auf spezifische Kontexte konzipiert (Gräber, Häuser etc.). Dabei gerät das Phänomen aus dem Blick, dass die gleichen Bilder auf verschiedenen Bildträgern sowie in unterschiedlichen sozialen Kontexten vorkommen konnten. Die Berücksichtigung unterschiedlicher Gattungen bildet daher die notwendige Voraussetzung für einen systematischen Vergleich von Erzählformen und –strategien im Bild.
Abb. 1 Achills Klage um Patroklos (?). Sarkophag Ostia-Berlin, Gipsabguss Berlin (Foto: B. Emme)
Die forschungsgeschichtlich bedingte Konzentration auf das Aufkommen spezifischer Darstellungsverfahren in der griechischen Kunst hat darüber hinaus vielfach den Blick für ein zweites wichtiges Phänomen verstellt: Spätestens ab späthellenistischer Zeit verfügte die antike Kunst über ein breites Spektrum unterschiedlicher Verfahren zur Darstellung narrativer Inhalte (Hesberg 1988). Diese unterschiedlichen Möglichkeiten konnten zeitgleich sowie parallel innerhalb derselben Gattungen Anwendung finden, wie sich an Beispielen aus der kaiserzeitlichen Sarkophagproduktion sowie der Wandmalerei zeigen lässt. Gleichzeitig entwickelte sich eine Bildsprache, in der durch formale Rückgriffe auf Stilformen der vorangegangenen Epochen regelmäßig inhaltliche Aspekte zum Ausdruck gebracht wurden (Hölscher 1987). Vor dem Hintergrund dieses Phänomens liegt es nahe, auch die in der römischen Kunst verbreiteten unterschiedlichen Darstellungsmodi narrativer Inhalte als Instrument zur Formulierung und Akzentuierung inhaltlicher Aussagen zu verstehen. Die verhältnismäßig gute Überlieferungssituation der kaiserzeitlichen Bildkunst ermöglicht es dabei, verschiedene Varianten der bildkünstlerischen Umsetzung einer Erzählung in Hinblick auf ihre formale Ausgestaltung und die damit einhergehende Bildaussage miteinander zu vergleichen.
Abb. 2 Achills Aufbruch (?). Sarkophag Ostia-Berlin, Gipsabguss Berlin (Foto: B. Emme)
Darüber hinaus herrscht in der bisherigen Forschung keine terminologische Klarheit zum Begriff des `Narrativen´ beziehungsweise zu den Möglichkeiten und Grenzen bildlicher Darstellungen erzählerischer Inhalte. So wurde von Nikolaus Himmelmann in Hinblick auf die archaische Vasenmalerei der „Erzählwert“ einzelner Figuren hervorgehoben (Himmelmann 1967). In ähnlicher Weise betonte Mark Stansbury-O´Donnell die narrative Leistung einzelner Bildelemente (Stansbury-O´Donnell 1999). Im Gegensatz dazu wurde das erzählerische Potential von Bildern durch Luca Giuliani eher kritisch beurteilt. In Anlehnung an Lessing konstatierte Giuliani, dass Bilder in erster Linie deskriptiv konzipiert seien. Erst die Kenntnis des narrativen Zusammenhangs mache dem Betrachter ein Bild als Darstellung einer Erzählung verständlich (Giuliani 2004). Vor dem Hintergrund dieser stark divergierenden Ansätze zielt das Projekt nicht zuletzt darauf ab, Kriterien für die Bewertung der narrativen Leistung antiker Bildwerke anhand von Beispielen der römischen Kunst zu entwickeln.
Literatur:
Brilliant 1984 | R. Brilliant, Visual Narratives. Storytelling in Etruscan and Roman Art (Ithaca 1984) |
Giuliani 2003 | L. Giuliani, Bild und Mythos. Geschichte der Bilderzählung in der griechischen Kunst (München 2003) |
Hesberg 1988 | H. v. Hesberg, Bildsyntax und Erzählweise in der hellenistischen Flächenkunst, JdI 103, 1988, 309–365. |
Himmelmann 1967 | N. Himmelmann-Wildschütz, Erzählung und Figur in der archaischen Kunst, Abhandlungen der Geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse 1967 Nr. 2 (Wiesbaden 1967) |
Hölscher 1987 | T. Hölscher, Römische Bildsprache als semantisches System (Heidelberg 1987) |
Stansbury-O´Donnell 1999 | M. Stansbury-O´Donnell, Pictorial Narrative in Ancient Greek Art (Cambridge 1999) |
Weitzmann 1947 | K. Weitzmann, Illustrations in Roll and Codex (Princeton 1947) |
Wickhoff 1912 | F. Wickhoff, Römische Kunst (Berlin 1912) |