DFG-Projekt Alemanno
In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entwickelte der jüdische Gelehrte Yohanan Alemanno (ca. 1435 – nach 1504) ein von der humanistischen Kultur Italiens zutiefst beeinflußtes Gedankengut. Der von ihm vertretene Weisheitsbegriff stellt ein herausragendes Zeugnis der neuen Idee einer universalen Sophia dar, die für die Renaissancekultur insgesamt prägend ist: Nach Alemanno erlangt der Mensch, sofern er nur die verschiedenen Disziplinen des mystischen Wissens zu meistern imstande ist, Einsicht in das Geheimnis der Schöpfung und damit letztlich die Unsterblichkeit der Seele. Damit näherte sich Alemanno dem neuplatonisch gefärbten Humanismus seiner Zeit an und war mehr als die meisten jüdischen Gelehrten seiner Zeit mit dem Ideal einer Harmonie zwischen verschiedenen Traditionen und Disziplinen vertraut, ein Ideal, das zuvor von dem christlichen Universalgelehrten Giovanni Pico della Mirandola (1463–1494) theoretisiert worden war. Wenngleich der von Alemanno entwickelte Weisheitsbegriff in der christlichen Gelehrtenwelt sein Vorbild hat, sollte doch sein Verständnis von Weisheit (hebr. Hokhma) die ganze Kraft ihrer Autonomie, eben einer in der jüdischen Weisheitstradition wurzelnden Autonomie, erkennen lassen.
Ziel des geplanten Forschungsvorhabens ist es, anhand der Untersuchung von einem der wichtigsten Werke Alemannos, das ohne Titel in dem Manuskript Paris, Bibliothèque Nationale de France, hébr. 849 (im folgenden MS Paris 849), einem Autograph Alemannos, überliefert ist, die jüdische Entsprechung des universalen Menschen der Renaissance zu thematisieren und die Interaktion zwischen dem jüdischen und dem von der christlichen Umweltkultur geprägten Humanismus zu beleuchten. Die Handschrift beinhaltet eine Enzyklopädie mystischer, magischer, kabbalistischer und philosophischer Schriften, mit der Alemanno gleichsam das hebräische Gegenstück zu Marsilio Ficinos Corpus Hermeticum geschaffen hat. Ziel des Projekts ist es, MS Paris 849 vollständig zu edieren, zu übersetzen und zu kommentieren.