Bartholomäus Sastrow
Bartholomäus Sastrow
1.1. Name, Tätigkeiten und Positionen
Bartholomäus Sastrow
Jurist; ksl. Notar; frei praktizierender Rechtsanwalt und Notar; Stadtschreiber, Ratsherr, Bürgermeister; luth.; verh.
1.2. Geburts- und Todesjahr und -ort
* 21. 08. 1520 Greifswald
† 07. 02. 1603 Stralsund
1.3. Herkunft, Lebensbeschreibung, Konfession
Vater Nikolaus Kaufmann (Großvater begann Handel), betrieb auch Landwirtschaft und Brauerei, Einheirat in vermögende Patrizierfamilie: Mutter war eine Nichte des Stralsunder Bürgermeisters Nikolaus Smiterlow II.; wuchs einige Jahre ohne Vater auf, dieser war wegen aus Notwehr begangenen Totschlags nach Stralsund geflohen; Lateinschule in Greifswald und Stralsund, Eltern prot., dann Univ. Rostock 1538 und Greifswald 1541; 1542 Abbruch des Studiums wegen kostspieligen Rechtsstreits des Vaters, um mit dem älteren Bruder Johannes in Speyer am Reichskammergericht die Interessen der Familie wahrzunehmen; Schreiberposten und jur. Ausbildung in Speyer bei zwei Speyerer Juristen; 1544 jur. Diplom als ksl. Notar; 1544 in der Kanzlei des Mgf. Ernst v. Baden und Hochberg in Pforzheim; 1545 während des Reichstags Aufenthalt in Worms, dann im Dienst des Rezeptors und Komturs des Johanniterordens Christoph v. Löwenstein; Arbeit f. Adlige bis 1546, dann Tod des Bruders und Reise nach Rom zur Übernahme der Hinterlassenschaft; in Rom lebte er einige Monate als Gehilfe eines Geistl., bis es ihm als Deutschen und Protestanten dort zu gefährlich wurde; 1546 nach seiner Heimkehr nach Stralsund Eintritt in die Kanzlei Hz. Philipps I. v. Pommern in Wolgast; er wurde bald als Sekretär einer Gesandtschaft hzl. pommerscher Räte an den Ks. zugeteilt, dabei in Böhmen und Sachsen und 1547/48 während des „geharnischten“ Reichstags in Augsburg; nach einer Reise in die Niederlande bestellten ihn die Herzöge Philipp I. und Barnim XI. v. Pommern zu ihrem Sollizitator (Geschäftsträger) am Reichskammergericht in Speyer, wo er im Dienst dieser beiden Fürsten und anderer Parteien bis 1550 blieb, zahlreiche Reisen; 1551 Heirat mit Katharina Froböse (bzw. Frubosin), Schwester des Greifswalder Ratsherrn und später auch Bürgermeisters Peter Froböse, mit dem seine einzige überlebende Schwester verh. war, in dieser Ehe einen Sohn und zwei Töchter, Praxis als Rechtsanwalt und Notar in Greifswald: bedeutende Klientel aus Bürgertum und Landadel; zur Weiterbildung Besuch der Greifswalder Univ.; 1554 Ernennung zum Ersten Stadtsekretär der Stadt Greifswald; 1555 Posten des Stadtschreibers in Stralsund; 1562 ebd. im Rat, 1578-1603 Bürgermeister; als Ratsherr und v.a. als Bürgermeister gelangte BS zu beträchtlichem Vermögen; 1598 (o. bereits 1596) starb seine Frau, kurz danach ging er eine zweite Ehe ein, mit seinem Dienstmädchen Anna Hasemeiers (bzw. Haseneier), was Aufsehen und Ärgernis erregte
1.4. Literatur zur Person
ADB 30 (1889) 398-408 (Th. Pyl); Herbert Ewe (Hg.), Geschichte der Stadt Stralsund. (= Veröffentlichungen des Stadtarchivs Stralsund 10). Weimar 1984, 108-136; August Nitschke, Die Stellung des Kindes in der Familie im Spätmittelalter und in der Renaissance. In: Alfred Haverkamp (Hg.), Haus und Familie in der spätmittelalterlichen Stadt. (= Städteforschung A 18). Köln/Wien 1984, 215-243: 223 Anm. 50; Andrea Kammeier-Nebel, Die Sastrows. Familienleben in Greifswald und Stralsund im 16. Jahrhundert. In: Beiträge zur deutschen Volks- und Altertumskunde 26 (1991) 43-61; Ralph Frenken, Die Kindheit von Bartholomäus Sastrow (*1520). In: Martin Rheinheimer (Hg.), Subjektive Welten. Wahrnehmung und Identität in der Neuzeit. Neumünster 1998, 51-75; Karl-Reinhart Trauner, Identität in der Frühen Neuzeit. Die Autobiographie des Bartholomäus Sastrow. (= Geschichte in der Epoche Karls V., 3). Münster 2004, 40-80
Autobiogr. Quelle: Nicolaus Gentzkow, Tagebuch ed. Zobel 12/II (1846) 4. 14. 20. 26. 28. 29. 33. 50. 51. 53; 13/I (1847) 118. 134. 139. 141. 144. 147. 151. 164. 165. 166; 19/I (1861/63) 181. 186; 19/II (1863) 133. 135. 137. 139. 149. 151. 152. 160. 161. 162. 163. 164. 168. 178. 179. 181. 190. 195. 196. 197. 199. 200. 202. 203. 209. 211. 217. 226; 20/I (1864/65) 1. 16. 22. 47. 51. 53. 56; 20/II (1865) 88. 89. 90. 91. 94. 95. 97. 107. 111f. 112. 114. 116. 117. 121. 123. 125
2.1. Quelle: benutzte Edition
Bartholomäi Sastrowen Herkommen, Geburt und Lauff seines gantzen Lebens, auch was sich in dem Denckwerdiges zugetragen, so er mehrentheils selbst gesehen und gegenwartig mit angehoret hat, von ihm selbst beschrieben. Aus der Hs. hg. und erläutert v. Gottlieb Christian Friedrich Mohnike. 3 Teile. Greifswald 1823/24
2.2. Beschreibung der Edition, Bemerkungen
erstmals gedr., vollst. (4. Teil nicht vorhanden: nicht mehr geschrieben oder von Nachkommen beiseite geschafft; Mohnike verdächtigt die Schwiegersöhne, beide Ratsherren, der Vernichtung); einzige vollst. und wissenschaftliche Ausgabe; geringfügige Änderungen von Orthographie und Interpunktion, zahlreiche lokalhist. und philol. Erläuterungen
2.3. Literatur zur Quelle bzw. Edition
Mohnike ed. (s.o. 2.1.) IIIff.; Misch IV/2 (1969) 582. 595a. 603a. 616. 619f. 621; Werner Mahrholz, Deutsche Selbstbekenntnisse. Ein Beitrag zur Geschichte der Selbstbiographie von der Mystik bis zum Pietismus. Berlin 1919, 69-77; Wenzel 2 (1980) 210-216 (Lit.); Ingrid Schiewek, Zur Manifestation des Individuellen in der frühen deutschen Selbstdarstellung. Eine Studie zum Autobiographen Bartholomäus Sastrow, 1520-1603. In: Weimarer Beiträge 13 (1967) 885-915; Ursula Brosthaus, Bürgerleben im 16. Jahrhundert. Die Autobiographie des Stralsunder Bürgermeisters Bartholomäus Sastrow als kulturgesch. Quelle. (= Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgesch Ostdeutschlands 11). Köln/Wien 1972; Lorna Susan Bloom, German Secular Autobiography. A Study of Vernacular Texts from circa 1450 to 1650, Ph. D. thesis Univ. of Toronto 1983, 299-328; Stephan Pastenaci, Erzählform und Persönlichkeitsdarstellung in deutschsprachigen Autobiographien des 16. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur historischen Psychologie. (= Literatur − Imagination − Realität 6). Trier 1993, 27-48; Anette Völker-Rasor, Bilderpaare − Paarbilder. Die Ehe in Autobiographien des 16. Jahrhunderts. (= Rombach Wissenschaft. Reihe Historiae 2). Freiburg 1993; Hans Rudolf Velten, Das selbst geschriebene Leben. Eine Studie zur dt. Autobiographie im 16. Jahrhundert. (= Frankfurter Beiträge zur Germanistik 29). Heidelberg 1995, 122-130; Rainer Postel, Warumb ich disse Historiam beschrieben. Bürgermeister als Chronisten. In: Peter Johanek (Hg.), Städtische Geschichtsschreibung im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. Köln/Weimar/Wien 2000, 319-332 (u.a. zu Muffel, W. Pirckheimer, Sastrow, Spittendorff); Jancke (2002) 199f. (Rezeptionskreise); Ruth Kersting, Teufelsküche und Schlaraffenland. Aspekte der Esskultur in der Autobiographie des Stralsunder Bürgermeisters Bartholomäus Sastrow (1520-1603). In: Rheinisch-westfälische Zeitschrift f Volkskunde 47 (2002) 15-40; Karl-Reinhart Trauner: Identität in der Frühen Neuzeit. Die Autobiographie des Bartholomäus Sastrow. (= Gesch in der Epoche Karls V., Bd. 3). Münster 2004 (Rez.: Gabriele Jancke in: Zeitschrift für historische Forschung 34,1[2007] 132-134)
2.4. weitere Editionen; Auszüge, Übersetzungen
Teilabdruck: Bartholomäus Sastrow, Lauf meines Lebens. Ein deutscher Bürger im 16. Jahrhundert. Hg. und bearb. v. Christfried Coler. Berlin 1956 (versch. Umstellungen, Änderungen, Kürzungen); Teilabdruck bei: Gustav Freytag (Hg.), Bilder aus der dt. Vergangenheit. Bd. 2,2: Aus dem Jahrhundert der Reformation (1500-1600). Leipzig 171889, 140-160. 175-200 (nach Mohnike ed. 1 [s.o. 2.1.] 26ff.); Auszüge: Beyer-Fröhlich 5 (1932) 189-219 (nach Mohnike ed. [s.o. 2.1.]); Auszüge: [Alexander Heine (Hg.),] Max Goos (Hg.): Deutsches Bürgertum und deutscher Adel im 16. Jahrhundert. Lebens-Erinnerungen des Bürgermeisters Bartholomäus Sastrow und des Ritters Hans von Schweinichen. Teil 1. (= Bibliothek wertvoller Memoiren 2). Hamburg 1907 (ND Essen 1984), Text 21-173 (= ND: 15-169) (nach Mohnike ed. [s.o. 2.1.]); Teilabdruck bei: Wenzel 2 (1980) 217-242; Teilübers.: Social Germany in Luther’s Time. Being the Memoirs of Bartholomeo Sastrow. Transl. by Albert D. Vandam. New York n. d.
3.1. Abfassungszeit
1595-1603
3.2. AdressatInnen
Töchter, Schwiegersöhne und deren Kinder; Gott (als Adressat des Gebets); unspezifizierter „gonstiger Leser“
3.3. Funktion der Quelle
Unterricht, Lehre, Warnung, Trost, Danksagung und Gebet zum gnädigen Gott; eigenes Leben als Exempel; Apologie gegen den Vorwurf, er habe sich in Stralsund im Amt bereichert − dagegen argumentieren Teil 3 (vorhanden: er habe sein Vermögen bereits während seiner Greifswalder Amtszeit erworben) und Teil 4 (nicht vorhanden: er habe während seiner Stralsunder Amtszeit eher eigenes Geld investiert, vgl. Schluss von Teil 3 und Anfang v. Teil 3, Buch 2); zeitgesch. Berichterstattung
3.4. Medium (hsl.; gedr.); Überlieferung; Ort der Hs.
hsl. (Orig., Teile 1-3)
4.1. Berichtszeitraum
1490 (Geburt des Vaters: um 1488)-1555
4.2. Sprache
hochdt. mit einigen lat. Dokumentartexten und zahlreichen lat. Ausdrücken
4.3. Form der Quelle
Lebensgesch.; Ich-Form; Familienchronik bzw. allgemeine Chronik; Einteilung in Teile, Bücher und Kapitel; konnte wahrscheinlich auf ein Tagebuch aus früheren Zeiten zurückgreifen, für die Zeit ab Speyer ist die Verwendung früherer Aufzeichnungen nachweisbar, ebenso sammelte er die vielen der Autobiographie beigefügten Dokumente schon in früher Zeit; geplant waren vier Teile: T. 1 + 2 seine Gesch. vor der Ehe, T. 3 + 4 seine Gesch. im Ehestand; BS nutzte mehrere schriftl. Quellen: außer seinem eigenen Tagebuch z.B. Joh. Sleidanus, De statu religionis et reipublicae, Carolo Quinto, Caesare, Commentarii. Straßburg 1555, weiterhin Johann Berckmann, Stralsundische Chronik, ferner Thomas Kantzow, Pomerania, sowie Nik. Gentzkow, Tagebuch 1558-1567 (Mohnike ed. [s.o. 2.1.] IXff., zu Gentzkow LXXIII) [viele Jahre hindurch führte er die Stralsunder Stadtbücher in nd. Sprache: Mohnike ed. 1 [s.o. 2.1.] CXXXI)
4.4. Inhalt
Gott als legitimierende Instanz der eigenen Lebensgesch.; Zeitgesch., Familien- und Lebensgesch. samt Urkunden, Akten; porträtiert Karl V., König Ferdinand, Moritz v. Sachsen, Albrecht v. Brandenburg etc.