Simon Lemnius Emporicus
Simon Lemnius
1.1. Name, Tätigkeiten und Positionen
Simon Lemnius [Simon Lemnius Emporicus, Lemm nach der Mutter, Lemchen; eigtl. Margadant, Mercatorius, Pisaeus]
neulat. Dichter, Satiriker, Übersetzer; Lateinschullehrer
1.2. Geburts- und Todesjahr und -ort
* ca. 1511 Hof Guat bei St. Maria/Münstertal (Graubünden)
† 24. 11. 1550 Chur
1.3. Herkunft, Lebensbeschreibung, Konfession
entbehrungsreiche Jugend, kurzer Schulbesuch in Chur, dann Augsburg; Studium ab etwa 1530 in München, 1533 Ingolstadt und April 1534 Wittenberg, 1535 ebd. Mag.; als Schüler Melanchthons verkehrte er in dessen Haus und wurde v. ihm gefördert; 1538 Konflikt mit Luther wg. seiner zwei Bücher Epigramme, die er Ebf. Albrecht v. Mainz gewidmet hatte, Disziplinarverfahren und Relegation v. der Univ., Flucht aus Wittenberg; 1539 Lateinlehrer in Chur, 1542 wg. der Veröffentlichung seiner vier Bücher Amores entlassen; 1543 in Bologna poeta laureatus; ab Sommer/Herbst 1544 erneut Lehrer in Chur bis zu seinem Tod an der Pest; übers. u.a. die Odyssee und die griech. Weltgeographie des Dionysius Periegetes, verfasste ein Heldengedicht auf den Schwabenkrieg
1.4. Literatur zur Person
Jöcher 2 (1750) 2359 [nichts zum autobiogr. Charakter einer Schrift]; ADB 18 (1883) 236-239 (Ferd. Vetter) [dto.]; NDB 14 (1985) 191 (Peter Ukena) [dto.]; LThK2 6 (1961) 942 (Oskar Vasella); LThK3 6 (1997) 810 (Fidel Rädle); RGG3 4 (1960) 313f. (Hans Volz); BBKL 4 (1992) 1412-1414 (Erich Wenneker); de Boor/Newald IV,2 (1973) 90. 209. 285. 291-293. 299. 309. 323; Paul Merker, Simon Lemnius. Ein Humanistenleben. (= Quellen und Forschungen zur Sprach- und Culturgesch der germanischen Völker 104). Straßburg 1908; Franz Wachinger, Lemnius und Melanchthon. In: ARG 77 (1986) 141-157; Mundt (s.u. 2.1.) 1; v. Höfler ed. (s.u. 2.4. [b]) (Analyse des Konflikts zw. SL sowie Luther und Jonas, Abdruck versch. Quellen: Luthers Anklage, SLs auf den Streit bezogene Epigramme)
2.1. Quelle: benutzte Edition
Lothar Mundt, Lemnius und Luther. Studien und Texte zur Geschichte und Nachwirkung ihres Konfliktes (1538/9). Teil 1: Studien. Teil 2: Texte. (= Arbeiten zur Mittleren Dt. Lit. und Sprache 14, 1+2) (= Europäische Hochschulschriften I 612). Bern/Frankfurt, M./New York 1983, darin (a) Querela: Bd. 2, 153-171 (lat. Text und dt. Übers.), Bd. 1, 265-268 (Komm.); (b) Apologia: Bd. 2, 173-255 (lat. Text und dt. Übers.), Bd. 1, 269-284 (Komm.)
2.2. Beschreibung der Edition, Bemerkungen
vollst. krit. Ed., mit Komm.; Abdruck nach den Orig.-Ausgabe, Editionsprinzipien angegeben; Einteilung in Abschnitte durch den Hg.; erstmals alle einschlägigen Schriften des Lemnius (Epigramme, Querela, Apologia, Monachopornomachia) ed., übers., komm. und lit. analysiert; dazu sind die wichtigsten zeitgenöss. Quellen zusammengefasst
2.3. Literatur zur Quelle bzw. Edition
v. Höfler ed. (s.u. 2.4. [b]) 99-110; J. Georg Schelhorn, Notitia librorum quorumdam rariorum VI. In: ders., Amoenitates historiae ecclesiasticae et literariae. Frankfurt, M./Leipzig 1737 (ebd. auch vier Seiten des Schlusses abgedr.); Gotthold Ephraim Lessing, Werke 3: Frühe kritische Schriften. Hg. v. Herbert G. Göpfert, bearb. v. Karl S. Guthke. München 1972, 282f. 286; Beyer-Fröhlich 4 (1931) 7 (in der Apologie erzähle SL einen großen Ausschnitt aus seinem Leben, Hinweis auf Hausen ed. 1, gekürzt [s.u. 2.4.] [b]); Mundt ed. 2 (s.o. 2.1.) VIII-X. XVIIIf. XXIIII (Querela); 1, 42. 44; 2, X-XII. XIX. XXIII (Apologia); Jancke (2002) 107-109. 112. 118. 129-131. 136f. (Patronage)
2.4. weitere Editionen; Auszüge, Übersetzungen
(a) Orig.-Druck Querela: in der zweiten Ausgabe der Epigramme (um das dritte Buch Ep. und die Querela erweitert, einzige Ausgabe der Querela und letzte der Ep.): M. Simonis Lemnii Epigrammaton libri III. Adiecta est quoque eiusdem Querela ad Principem. o.O. 1538 [Sept.; wahrsch. Leipzig]
(b) Orig.-Druck: Apologia Simonis Lemnii, Poetae Vitembergensis, contra decretum, quod imperio et tyrannide M. Lutheri, et Iusti Ionae Viteb. vniuersitas coacta iniquissime et mendacissime euulgauit. Coloniae ap. Io. Gymnicum [1539]; vollst. ND: Die Schutzschrift des Dichters Simon Lemnius (Lemchen) gegen das gewaltsame Verfahren der Wittenberger Akademie wider ihn 1538. Zum ersten Male vollst. hg. und eingel. v. Constantin Ritter v. Höfler. (= Sitzungsberichte der kgl. böhmischen Ges der Wissenschaften Jg 1892). Prag 1892, 79-147, Apologie 113-146 (wimmelt v. Abschreibfehlern, f. wissenschaftliche Zwecke nicht zu gebrauchen: Mundt ed. 2 [1983] XII [s.o. 2.1.]); gekürzt in: Karl Renatus Hausen, Pragmatische Gesch. der Protestanten in Deutschland. 1. Teil. Halle 1767. Urkunden-Anhang 1-72; Georg Theodor Strobel, Neue Beyträge zur Litteratur besonders des sechszehnten Jahrhunderts. 5 Bde. Nürnberg/Altdorf 1792. Bd. 3, 1. Stück, 3-156: Leben und Schriften Simonis Lemnii
3.1. Abfassungszeit
(a) Juli-Sept. 1538
(b) Frühjahr 1539
3.2. AdressatInnen
(a) Kardinal Albrecht v. Mainz (Widmungsempfänger, explizit angesprochener Adressat); lesendes gelehrtes Publikum der Epigramme
(b) candidus lector (Mundt ed. 2 [1983] 174 z. 11f. [s.o. 2.1.]), homines honestissimi et prudentissimi (z. 17), darunter auch Lutheraner; honestatis et veritatis amator (178 z. 6); doctores ac literati homines (178 z. 22); als Gegner adressiert: Luther, Jonas, Wittenberger Univ.
3.3. Funktion und Zweck der Quelle
(a) Beschreibung seiner durch die Reaktionen Luthers etc. auf die erste Ed. seiner Epigramme in Wittenberg ausgelösten Flucht v. dort, Verweis auf die Epigramme als Anlass und insbesondere sein darin mehrfach formuliertes Lob des Kard. Albrecht v. Mainz als Fst. des rel. Ausgleichs in altgläubigen Verhältnissen und als Dichtermäzen; Aufforderung an Albrecht, weiterhin in diesen beiden Rollen aktiv zu sein; Darstellung seiner Verfolgung in Wittenberg als Unrecht, das er im Dienst Albrechts erleidet − Aufforderung an Albrecht zum Eingreifen
(b) Verteidigung gg. Luthers und Jonas’ Angriffe und die daraufhin ausgesprochene Relegation v. der Univ. Wittenberg; SL verlangte die Rückgabe seines Hausgerätes und seiner Bibliothek sowie die Aufhebung des Relegationsbeschlusses; Verteidigung seines eigenen Rufes und Schutz des Rufes seiner Familie vor Schande durch Schädigung seines pers. Rufes; Anlass: Ausschluss v. der Univ. Wittenberg
3.4. Medium (hsl.; gedr.); Überlieferung; Ort der Hs.
gedr. nach Absicht des Verf. (Querela, Apologia); anscheinend die meisten Exemplare des Druckes durch Lutheranhänger zerstört (Apologia)
4.1. Berichtszeitraum
(a) v.a. Juni 1538, nach Erscheinen der Erstausgabe der Epigramme am 09. 06. 1538
(b) 1534-1538
4.2. Sprache
(a) lat.
(b) lat.
4.3. Form der Quelle
(a) Ich-Form und Du-Anrede an den Widmungsadressaten, Verse; zusammengehörig mit drei weiteren Einzelschriften in einer Werkgruppe: Epigramme, Apologia, Monachopornomachia (alle ed./übers. bei Mundt ed. 2 [1983] [s.o. 2.1.], interpretiert ebd. nur Ep. und Mon.); diese Schriften enthalten zunehmende Polemik zunächst u.a., dann ausschließlich gg. Luther u.a. prot. WittenbergerInnen, daneben Fürstenpanegyrik an Kardinal Albrecht als Patron und weitere Mitglieder seiner Klientel in zeitl. geringer werdender Dichte, bis im letzten Werk Mon. die antiluth./antiprot. pers. verunglimpfende Polemik allein übrigbleibt
(b) Ich-Form, polemische Verteidigungsschrift, Prosa; über weite Strecken [s.u. 4.3. (b) Thema (1)] = mehr o. weniger komm. Liste v. Zeugen (Studienkollegen, Freunde, Hauswirte, Lehrer, Patrone); s.o. zu (a)
4.4. Inhalt
(a) Klage über Verfolgung und Vernichtung seiner Epigrammausgabe, über die Verfolgung seiner eigenen Person, Bericht über die Stationen seiner Flucht bis zum Kl. Lehnin/Brandenburg, Lob Albrechts und Aufforderung an ihn, sich weiterhin als kath. Fst. zu verhalten und sich u.a. f. den v. Protestanten verfolgten Lemnius pol. und finanziell einzusetzen
(b) drei Themen: (1) das große Maß an Hochachtung und Anerkennung, das ihm während seiner Wittenberger Zeit entgegengebracht wurde; (2) Darlegung, wie niederträchtig ihn einige Verleumder wg. seiner zwei Bücher Epigramme verurteilten; (3) Darlegung, wie sie ihn völlig rechtswidrig während seiner Abwesenheit v. der Univ. ausschlossen; am Schluss Ankündigung einer Rachedichtung mit sexuellen Enthüllungen über seine in Wittenberg tonangebenden Gegner (s. Monachopornomachia), falls diese ihm nicht seinen Hausrat und seine Bücher zurückgäben; Nennung v.a. Melanchthons als seines Wittenberger Patrons, zahlreiche Empfehlungsschreiben f. ihn, die SL nach Wittenberg mitbrachte; Erörterung der Üblichkeit, Tradition und Notwendigkeit v. Gelehrten- und Dichterpatronage