Ljiljana Heise
Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung
NS-Täter/innen/schaft in transnationaler und geschlechterreflektierter Perspektive. Die Ravensbrück-Prozesse 1946-1948 und ihre Wahrnehmung in britischen und deutschen Medien
In meiner Dissertation widme ich mich erstmals den sechs Ravensbrücker Folgeprozessen, die sich ab November 1947 dem ersten Ravensbrück-Prozess, dem Main Trial, anschlossen. Durchgeführt von einem britischen Militärgericht mussten sich bis Juli 1948 22 Angeklagte als Kriegsverbrecher/innen – acht Männer und vierzehn Frauen – im Hamburger Curiohaus verantworten.
Wie üblich in herrschenden Kriminalitätsdiskursen, entsprach auch in diesen Fällen der strafrechtlich angenommene Normalfall einer hauptschuldigen Delinquenz männlichen Geschlechtsstereotypen, weshalb wir es mit prägenden Geschlechterdiskursen innerhalb des NS-Verbrechensdiskurses zu tun haben.
In meiner Arbeit gehe ich den Fragen nach, welche Rolle die Kategorie Geschlecht bei der Be- und Entschuldung der Angeklagten als auch in der Wahrnehmung der Prozesse spielte. Ich werde analysieren, wie die Be- und Entschuldungsstrategien und dabei die Männlichkeits- und Weiblichkeitskonstruktionen zur Herleitung und Begründung bzw. Abwehr von NS-Täter- und -Täterinnenschaft innerhalb der einzelnen Prozesse ausfielen und wie sie sich im Kontext aller britischen Ravensbrück-Prozesse entwickelten. Dabei gehe ich davon aus, dass sich – ebenso wie im ersten Ravensbrück-Prozess und auch im Bergen-Belsen-Prozess – die Irritationen, die die Kriegsverbrecherinnen vor Gericht als auch in der Öffentlichkeit auslösten, in den Minors fortsetzten und somit NS-Täterinnenschaft in besonderer Weise hergeleitet und bewertet wurde.
Ein weiterer Punkt wird die Untersuchung der öffentlichen Reaktion auf die Prozesse sein. Die Analyse der Prozessberichterstattung soll Aufschluss darüber geben, welche Profile der NS-Täter und -Täterinnen durch die Medien der Öffentlichkeit vermittelt wurden und ob die im prozessualen Diskurs entwickelten Ansätze sich gesellschaftlich fortsetzten oder andere und weitere Deutungen zum Tragen kamen. Wie stand es um die Akzeptanz dieser Prozesse und inwiefern legten die britischen Ravensbrück-Prozesse einen Grundstein für den gesellschaftlichen Umgang mit NS-Täter/innen/schaft?
Abstract
My dissertation project analyses for the first time the five Ravensbrück Minors Trials, which followed the Main Trial from November 1947 onwards. They were held by the British military authorities in the Curiohaus in Hamburg. Until July 1948, 22 defendants were charged as perpetrators – eight men and fourteen women.
As is generally the case in the prevailing crime discourses, the normal penalty case of culpability corresponded here to male gender stereotypes, too. As a result, we have to deal in these Trials not only with national socialist crime discourses but also with formative gender discourses.
I will ask which role the category of gender has played for the exculpation and accusation of the accused as well as for the perception of the Trials. I will analyse how the self and the external interpretation of Nazi-Perpetratorship developed during the Trials. Which were the strategies of exculpation and accusation and which concepts of masculinity and femininity were applied for justification and defence of Nazi-Perpetratorship in each case? How did they develop during the Trials? I am assuming that in these cases – just like in the first Ravensbrück Trial or the Bergen Belsen Trial – the female war criminals caused irritations on Trial as well as in public.
On the basis of news coverage I will further analyse the reaction of the public. What were the profiles of male and female perpetrators mediated through newspapers? Did the procedural discourses continue among the public or did different ones develop? Furthermore I am asking what the public acceptance of the Trials was like and how did they influence the perception of national socialist perpetration by German post-war society.
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