Das „sanfte Joch“ der Päpste – Apostolische Kammer und Kaufmannbankiers im Patrimonium Petri des 13. Jahrhunderts
Leitung: Prof. Dr. Matthias Thumser, Prof. Dr. Thomas Ertl
Doktoranden: Johannes Schulte, Eric Müller
English version below
Das Forschungsvorhaben untersucht das Zusammenwirken von Autorität und Autonomie in der päpstlichen Finanzadministration des 13. Jahrhunderts und ist in die neuere Forschung zur Andersartigkeit wie auch zur Finanzgeschichte hochmittelalterlicher Ordnungsgefüge einzuordnen. Als Untersuchungsgegenstand dient der weltliche Herrschaftsbereich des Papsttums, das Patrimonium Petri, das von Innozenz III. (1198–1216) einem iugum suave (Mt 11,30) – dem sanften Joch der Päpste – unterworfen wurde. Der Schwerpunkt der päpstlichen Administration, so die Hypothese, lag aufgrund fehlender Ressourcen weniger auf der politisch-territorialen Durchdringung des sogenannten Kirchenstaats als auf der Sicherung finanzieller Mittel für das Papsttum. Die päpstliche Finanzadministration wird dabei aus einer kulturgeschichtlichen Perspektive betrachtet, wobei nicht länger nach Behörden und Hierarchien, sondern nach der konkreten Verwaltungspraxis der handelnden Akteure, ihren Symbolen und Mechanismen zu fragen ist. Mit dem Blick auf die alternativen Strukturen der päpstlichen Finanzadministration soll dieser akteurszentrierte Ansatz anhand zweier Tiefenschnitte Anwendung finden.
Arbeitsmodul 1: Die Apostolischen Kammer und das Patrimonium Petri
Das von Johannes Schulte bearbeitete Teilvorhaben untersucht die Apostolische Kammer während des „langen 13. Jahrhunderts“, dessen Eckdaten durch die Kompilierung des Liber censuum (1192) und den Umzug der Kurie nach Avignon (1309) gebildet werden. Der räumliche Rahmen der Untersuchung umfasst die Provinzen des Patrimonium Petri und den auch von der Kammer gesteuerten Ausbau der Herrschaft in Mittelitalien, wo die von der Forschung bislang beschriebenen und nicht immer leicht voneinander zu trennenden Funktionsbereiche Finanzen, Administration und Jurisdiktion aufeinandertreffen und erstmals als Synthese beschrieben werden sollen. Schließlich bietet der Kirchenstaat aufgrund seiner umfangreichen lokalen Überlieferung die Möglichkeit, die kurialen Quellen umfassend zu ergänzen und so ein facettenreiches Bild dieser im 13. Jahrhundert noch schwer fassbaren Instanz mit ihren verschiedenen Akteuren zu zeichnen. In einem prosopographischen Verfahren werden Biogramme für das maßgebliche Personal der Kammer – Kämmerer, Kammernotare und Kammerkleriker – erstellt, um eine Zugriffsmöglichkeit auf seine Tätigkeiten und Arbeitsbereiche zu gewinnen. Dieser akteurszentrierte Zugang vermag einen tiefen Einblick in die rudimentär ausgebildeten Strukturen der Apostolischen Kammer des 13. Jahrhunderts zu geben und die Netzwerke und Beziehungsgeflechte des Personals auszuleuchten. Davon ausgehend, wird nicht nur nach dessen Interaktion mit anderen autonomen Kräften des Kirchenstaats wie Kaufmannbankiers und Kommunen sowie den entsprechenden Kommunikationsstrategien unter besonderer Berücksichtigung ihrer Symbolik, sondern auch nach den Ausgaben und Einnahmen im weltlichen Herrschaftsbereich des Papsttums und dem bislang kaum beachteten Prozess der institutionellen Verfestigung der Kammer gefragt.
Arbeitsmodul 2: Die Kaufmannbankiers in der Finanzverwaltung des Patrimonium Petri
Das von Eric Müller bearbeitete Teilvorhaben untersucht die Rolle der italienischen Kaufmannbankiers (mercatores) in der Finanzverwaltung des Patrimonium Petri im 13. Jahrhundert. Als Ausgangspunkt dient ihre Amtstätigkeit als Thesaurare in den Provinzialverwaltungen in Mittelitalien und dem südfranzösischen Comtat Venaissin, wo sie sukzessive die finanzadministrativen Kompetenzen der Provinzrektoren übernahmen und mit der Einziehung verschiedenster Abgaben, der Abgeltung von Geldstrafen sowie der Rechnungsführung betraut waren. Mit Hilfe eines praxeologischen Zugangs wird hierbei nach den konkreten Abläufen sowie den Verrechnungs- und Kontrollpraktiken gefragt, welche die Einbindung der überwiegend toskanischen Kaufmannbankiers in die Strukturen des Patrimonium Petri zum Zweck einer Effizienzsteigerung der päpstlichen Finanzverwaltung motiviert haben könnten. Neben ihren Aufgaben als päpstliche Funktionsträger agierten die mercatores vor Ort zugleich als Vertreter ihrer jeweiligen Handelssozietät, die den vom Papsttum eingeräumten Handlungsspielraum nutzten, um ihre politischen und wirtschaftlichen Eigeninteressen durchzusetzen. Im Blickpunkt stehen daher ebenso die konkreten Erträge des Engagements der Kaufmannbankiers, die wirtschaftsstrategische Motivation ihrer Handelssozietäten sowie allgemein die Frage nach der Koinzidenz zwischen ihrer amtlichen Tätigkeit und der Verfolgung eigener Interessen als autonome Akteure auf dem Gebiet des Patrimonium Petri. Durch den Verlust der Provinzialarchive wird neben den Aufzeichnungen der päpstlichen Kammer insbesondere auf die lokale Überlieferung der Kommunen rekurriert und somit gleichsam die Perspektive der zahlenden Untertanen einbezogen. Chronologisch konzentriert sich das Teilvorhaben auf die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts bis zum Pontifikat Papst Clemens’ V. (1305–1314), der die Zusammenarbeit mit den toskanischen Handelssozietäten im Patrimonium Petri aufkündigte und das Amt des Provinzthesaurars fortan ausschließlich mit Klerikern besetzen ließ.
Literatur
Rusch, Borwin: Die Behörden und Hofbeamten der päpstlichen Kurie des 13. Jahrhunderts. Königsberg 1936 (Schriften der Albertus-Universität: Geisteswissenschaftliche Reihe 3)
Waley, Daniel: The Papal State in the Thirteenth Century. London 1961
Jamme, Armand: De la banque à la Chambre? Naissance et mutations d'une culture comptable dans les provinces papales entre XIIIe et XVe siècle. In: Offices, écrit et papauté (XIIIe-XVIIe siècle). Hrsg. von Armand Jamme und Olivier Poncet. Roma 2007 (Collection de l'École française de Rome 386), S. 97-251.
Thumser, Matthias: Kredite für den Krieg. Clemens IV., Karl von Anjou und die Finanzierung des negotium regni Sicilie. In: Die römische Kurie und das Geld. Von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zum frühen 14. Jahrhundert. Hrsg. von Werner Maleczek. Ostfildern 2018 (Vorträge und Forschungen 85), S. 373-402.
Schulte, Johannes: Kammerregister und Kollektoren. Zur Einbindung der Franziskaner in die päpstliche Finanzadministration des 13. Jahrhunderts. In: Frati mendicanti in itinere (secc. XIII-XIV). Atti del XLVII Convegno internazionale (Assisi - Magione, 17-19 ottobre 2019). Hrsg. von Enrico Menestò. Spoleto 2020 (Atti dei Convegni della Società internazionale di studi francescani e del Centro interuniversitario di studi francescani n.s. 30), S. 85-107.
Müller, Eric: Kaufmannbankiers und Römische Kurie. Die Rolle der mercatores im sogenannten Protokollbuch des Bassus de Civitate (1269-1276). In: Neuere Forschungen zum päpstlichen Universalepiskopat in der longue durée. Norm und Umsetzung. Hrsg. von Sabrina Blank und Caterina Cappuccio. Milano 2022, S. 141-160.
The “Easy Yoke” of the Popes – Apostolic Chamber and Merchant Bankers in 13th Century Patrimonium Petri
The research project examines the interaction of authority and autonomy in the 13th century papal financial administration and is placed in the context of recent research on the alternative structures as well as on the financial history of high medieval society. The object of study is the temporal domain of the papacy, the Patrimonium Petri, which was subjected by Innocent III (1198–1216) to a iugum suave (Mt 11,30) – the easy yoke of the popes. The papal administration, according to the project’s hypothesis, was focused on securing financial means for the papacy due to a lack of resources rather than being concerned with the political-territorial enforcement of the so-called Papal State. Papal financial administration is analysed from a cultural-historical perspective that no longer examines authorities and hierarchies, but rather the specific administrative practices of the actors involved, their symbols and mechanisms. In reference to the alternative structures of the papal financial administration, this protagonist-centred approach will be applied by means of two in-depth analyses: 1. on the personnel and functioning of the Apostolic Chamber, the ruling administrative authority for the patrimony of Saint Peter, and 2. on the autonomously operating Italian merchant bankers (mercatores).
Module 1: The Apostolic Chamber and the Patrimonium Petri
The sub-project undertaken by Johannes Schulte examines the Apostolic Chamber during the "long 13th century," defined by the compilation of the Liber censuum (1192) and the relocation of the Curia to Avignon (1309). The geographical scope of the investigation encompasses the provinces of the Patrimonium Petri and the expansion of papal authority in central Italy, which is also directed by the Chamber. Here, the functional areas of finance, administration, and jurisdiction, as described by previous research and not always easily separable, intersect and are to be synthesized for the first time. Furthermore, the Papal States, due to their extensive local documentation, provide the opportunity to comprehensively supplement the curial sources, thereby creating a multifaceted image of this elusive institution in the 13th century, along with its various actors. Through a prosopographical approach, biographies of the key personnel of the Chamber – chamberlains, chamber notaries and chamber clerks – will be compiled to facilitate access to their activities and areas of work. This actor-centred approach is capable of offering deep insights into the rudimentarily developed structures of the Apostolic Chamber in the 13th century and illuminating the networks and relationships of its personnel. From this basis, the study will investigate their interactions with other autonomous actors within the Papal States, such as merchant bankers and municipalities, along with the corresponding communication strategies with particular attention to its symbolisms. In addition, the expenditures and revenues in the secular domain of papal authority and the previously scarcely noticed process of institutional consolidation of the Chamber will be examined.
Module 2: Merchant bankers in the financial administration of the Patrimonium Petri
The sub-project being worked on by Eric Müller examines the role of Italian merchant bankers (mercatores) in the financial administration of the Patrimonium Petri in the 13th century. The starting point is their official function as treasurer in the provincial administrations of central Italy and the Comtat Venaissin in southern France, where they gradually took over the financial administrative powers of the provincial rectors and were entrusted with the collection of various taxes, the payment of fines and accounting. Using a praxeological approach, the study examines the precise processes as well as the accounting and control practices that may have motivated the involvement of the predominantly Tuscan merchant bankers in the structures of the Patrimonium Petri in order to increase the efficiency of the papal financial administration. In addition to their duties as papal functionaries, the mercatores also acted as representatives of their respective trading companies, which used the leeway granted by the papacy to pursue their own political and economic interests. Therefore the focus lies also on the specific returns of the merchant bankers' involvement, the economic strategy behind their trading partnerships and, in general, the question about the coincidence between their official activities and the pursuit of their own interests as autonomous actors in the provinces of the Patrimonium Petri. The loss of the provincial archives means that, in addition to the records of the papal chamber, particular recourse is made to the local records of the municipalities, thus also including the perspective of the paying subjects. Chronologically, the sub-project focuses on the second half of the 13th century up to the pontificate of Pope Clement V (1305–1314), who terminated the collaboration with the Tuscan trading companies in the Patrimonium Petri and henceforth only allowed clerics to hold the office of provincial treasurer.