Tilmann Wesolowski
Verlagspolitik und Wissenschaft. Der R. Oldenbourg Verlag in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
"Anfang Oktober des unglücklichen Inflationsjahres 1922 wurde mir eines Tags ein Herr Oberth gemeldet, der mich wegen eines Verlagsangebots zu sprechen wünsche. Ich liess ihn in mein Büro bitten und war nicht wenig verblüfft, als er mir [...] eröffnete, er habe ein Buch über die Konstruktion einer Rakete geschrieben, die es Menschen ermögliche, in den Bereich der Stratosphäre vorzudringen und Himmelskörper wie z.B. den Mond zu erreichen. Diese Worte, die an die Phantasie des seligen Jules Verne erinnerten, erfüllten mich zunächst mit tiefem Misstrauen und ich fürchte, dass ich bei den Ausführungen meines Besuchers ein mitleidiges Lächeln nicht unterdrücken konnte. Der Mann, der vor mir sass, machte mit seinem etwas scheuen Blick und mit seinem linkischen, eckigen Gehabe eher den Eindruck, als ob er vom Mond herabgefallen wäre, nicht aber als ob es ihm gelingen könnte, bis zu ihm vorzudringen." So schrieb der Verleger Wilhelm Oldenbourg über seine erste Begegnung mit dem Pionier der Raketentechnik.
Als im April 1929 die dritte und überarbeitete Auflage von "Wege zur Raumschiffahrt" im Verlag Oldenbourg erscheinen sollte, wollte der Autor dieses seinem Verleger in Dankbarkeit für sechs Jahre Förderung widmen: In diesen Jahren ignorierte der Verleger den geringen Gewinn an dem Projekt. Er nahm ein populärwissenschaftliches Buch zur Verkaufsförderung in seinen Verlag auf und bemühte sich, finanzielle Unterstützung für die Raketenversuche Hermann Oberths von Unternehmen, Militär u.a. einzuwerben. Auch half er ein Filmprojekt mitzuvermitteln und versuchte, bekannte Ingenieure der Flugtechnik von ihren Vorbehalten gegenüber der neuen Technik abzubringen.
Der Oldenbourg Verlag profilierte sich verstärkt in einer Zeit, in der die für den deutschen Buchhandel Goldenen Jahre des späten Kaiserreichs vorbei waren. Neben den technischen Fachzeitschriften im Gas-Wasser-Fach und Ingenieurswesen sowie der "Historischen Zeitschrift", schafften es die Verleger, sich durch finanziell aufwendige aber abgesicherte Großprojekte einen Ruf zu erarbeiten beziehungsweise auszubauen, der es ihnen erlaubte, auf Konkurrenzangebote anderer Verlage in der Regel nicht eingehen zu müssen. Dieses elitäre Selbstbewusstsein gepaart mit dem Selbstverständnis als Geschäftsmann und Kulturschaffender erhielt sich auch über den Krieg hinaus - trotz Rohstoff- und Personalmangels sowie den finanziellen Einbußen der Kriegs- und Nachkriegsjahre. Mit diesem Selbstbewusstsein übte der Verleger Einfluss auf die Wissenschaften aus, deren Vertreter nun auch wirtschaftlich stärker auf Erträge aus Publikationen angewiesen waren. Der Raketentechnik ebnete Oldenbourg den Weg zur anerkannten Wissenschaft ebenso, wie den naturphilosophischen Schriften Edgar Dacqués, die großen Einfluss auf das Verlagsprogramm ausübten.
Den Versuchen Anfang der 1930er Jahre, neue Trends in den Wissenschaften im Verlagsprogramm aufzunehmen, wurde jedoch durch die Nationalsozialisten und deren 'Gleichschaltung' ein Ende gesetzt. Der Verlag galt als katholisch, im nationalsozialistischen Sinne unzeitgemäß und hatte sich zudem die Feindschaft des Reichsschriftleiters zugezogen. Finanziell waren die eigenen Möglichkeiten durch die Schließung der Bayerischen Staatszeitung GmbH und Einbußen im Schulbuchverlag – beide bis dahin das wirtschaftliche Rückgrat des Verlages – gering. Nur ein persönlicher Kontakt des Verlagsleiters zum Stab des Führers und später die Entlassung eines politisch verdächtigen Teilhabers und Verlagsspartenleiters sicherten das auch von Druckaufträgen abhängige Überleben. Oldenbourg war als Verlag der "Historischen Zeitschrift" und der Literaturzeitschrift "Corona" ein Beispiel, dass auch im Nationalsozialismus noch 'gediegene Wissenschaft' möglich war.
Die Dissertation will die Geschichte des renommierten Wissenschaftsverlages R. Oldenbourg in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts darstellen, wobei die Verlegerpersönlichkeiten im Vordergrund der Untersuchung stehen. Anhand des Oldenbourg Verlages wird untersucht, in wie weit politische und persönliche Präferenzen, wirtschaftliche Überlegungen, Kontakte zu Autoren und Herausgebern die Verleger und Lektoren bei der Zusammenstellung des Verlagsprogramms beeinflussten und welche wissenschaftsspezifischen, welche politisch-kulturellen und welche sozialen Bedingungen sich dafür benennen lassen, dass die Verleger an Einfluss gewannen bzw. ohnmächtig erscheinen.
Wie die Dissertation zeigen wird, ist dies für die Verleger Oldenbourg durchaus zutreffend, wenn auch stets eingeschränkt durch die eigene Fachkompetenz und wirtschaftliche Überlegungen, sowie die unterschiedlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zwischen Jahrhundertwende und nationalsozialistischer Herrschaft.
Erschienen als
Dr. phil. Tilmann Wesolowski: Verleger und Verlagspolitik. Der Wissenschaftsverlag R. Oldenbourg zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus (= Studien zur modernen Verlagsgeschichte und Wissensproduktion, Bd. 1), München 2010.Kontakt
mceumelly[at]hotmail.com