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Eva Zimmermann


Baden-Baden
„Sommerhauptstadt Europas“

Entstehung und Wandel eines transkulturellen Raums (1830-1880)

Bereits in den 1980er Jahren machte der französische Historiker Paul Gerbod wiederholt auf die Relevanz des Themas der Kur- und Modebäder des 19. Jahrhunderts für die geschichtswissenschaftliche Forschung aufmerksam. Er bezeichnete sie als „soziale Mikrokosmen“, innerhalb derer sich Nationalitäten, soziale Kategorien, Generationen und Geschlechter temporär in einzigartiger Weise mischten. In ähnlicher Weise argumentieren die Verantwortlichen des derzeit unter dem Motto Great Spas of Europe laufenden Projektes einer transnationalen seriellen Bewerbung um die Anerkennung als UNESCO-Weltkulturerbe. Neben dem baulichen Erbe, berufen sie sich insbesondere auf die „immaterielle Bedeutungsebene der Kurstädte des 19. Jahrhunderts“, die sie als „Laboratorien der Moderne“ charakterisieren. Vor diesem Hintergrund verwundert es, dass das Potential einer transnationalen und interkulturellen Forschungsperspektive seitens der Geschichtswissenschaft bislang weitgehend ignoriert wurde und für die Bäderforschung mithin zutrifft, was der Kulturwissenschaftler Burkhart Lauterbach 2006 für die historische Tourismusforschung insgesamt festgestellt hat: „dass bisher niemand auf die naheliegende Idee gekommen ist, Tourismusgeschichte unter dem Gesichtspunkt der Kulturtransferforschung zu betrachten.“ Das Dissertationsvorhaben greift dieses Desiderat auf, indem es am Beispiel Baden-Badens Entstehung und Wandel eines transkulturellen Raumes im 19. Jahrhundert untersucht.

Noch zu Beginn der 1830er Jahre allenfalls unter dem unscheinbaren Namen „Baden bei Rastatt“ bekannt, eroberte die kleine Stadt im deutsch-französischen Grenzraum nur wenig später den Rang des „ersten Bades von Europa“. Neben den günstigen topographischen Voraussetzungen, dem raschen Ausbau des Eisenbahnnetzes sowie der Rheinschifffahrt, war diese Entwicklung insbesondere der Initiative der französischen Spielpächter-Dynastie Benazet geschuldet, die von 1839 bis zum mit der deutschen Reichsgründung einhergehenden Glücksspielverbot von 1872 den Baden-Badener Pacht innehatte. Die ihnen von der badischen Regierung zugestandenen Handlungsspielräume wussten sie ebenso zu nutzen, wie ihre vielfältigen Beziehungen und weitreichenden transnationalen Netzwerke. Ihre groß angelegten und durch umfängliche Reklamestrategien gestützten Kulturoffensiven umfassten neben der Förderung von Musik, Theater und Literatur sowie der Ausrichtung von Bällen, Jagden und Pferderennen auch die bauliche Um- und Neugestaltung des öffentlichen Raumes. Schon bald galt Baden-Baden als „Faubourg de Paris“ und schließlich als „Sommerhauptstadt Europas“.

Im Zuge dieser Entwicklung wurden zahlreiche und vielfältige Austauschprozesse in Gang gesetzt, die ein breites Spektrum sozialer und kultureller Phänomene materieller wie immaterieller Natur umfassten, diverse Institutionen und Akteure involvierten und sich sowohl auf einer transnationalen als auch auf einer binnengesellschaftlich grenzüberschreitenden Ebene vollzogen. Sie wirkten als ebenso konstituierende wie dynamisierende Elemente der Kulturverflechtung und führten in ihrer Verdichtung zur Herausbildung transkultureller Strukturen. Dabei konnten sie verschiedene Formen und Ausprägungen annehmen: von mehr oder weniger evidenten Akkulturationsvorgängen im Rahmen soziokultureller Praktiken, über bewusste und unbewusste Aneignungen von Verhaltensnormen und Deutungsmustern, bis hin zu Beispielen gezielten Kultur- und Wissenstransfers und dessen Manifestationen im physisch-materiellen Raum der Stadt. Damit einher gingen stets vielschichte und mitunter konfliktreiche Aushandlungsprozesse, die sowohl durch Gegebenheiten und Ereignisse innerhalb als auch außerhalb des untersuchten Raumes erschüttert oder konsolidiert werden konnten. Auch wurde die Entwicklung Baden-Badens in der Öffentlichkeit überaus kontrovers diskutiert. Während vor allem französische Publizisten die Stadt als Hort des Weltbürgertums, als Brücke zwischen Nationen wie zwischen alten und neuen Eliten rühmten, beklagten weite Teile der deutschen Presse die Dominanz des französischen Elements auf deutschem Boden, die Vermischung von Sitten und Mentalitäten sowie die übermäßige Assimilierungsbereitschaft der einheimischen Bevölkerung Baden-Badens. Der deutsch-französische Krieg von 1870/71 und das reichsweite Glücksspielverbot im darauffolgenden Jahr bedeuteten für die Stadt einen erheblichen Einschnitt, der gemeinhin als das „Ende der Franzosenzeit“ bezeichnet wird.

Das Promotionsvorhaben ist methodisch an der Schnittstelle von histoire croisée und Raumtheorie angesiedelt. In einer multiperspektivischen Betrachtungsweise geht es den Fragen nach, welche Faktoren und Mechanismen in Baden-Baden zur Entstehung eines hybriden Kulturraums beitrugen, welche Dynamiken auf diesen einwirkten und von ihm ausgingen, aber auch wo Konflikte und Grenzen der Kulturverflechtung zu verorten sind. Die Studie fokussiert insbesondere auf die beteiligten Akteure, analysiert Transferprozesse und nimmt die Rolle sowie den potentiellen Wandel von Fremdwahrnehmungsmustern vor dem Hintergrund unmittelbaren Kulturkontakts in den Blick. Als analyseleitende Kategorie liegt ein Raummodell zugrunde, das an Lefebvres dialektische Trias der Raumproduktion sowie Bourdieus Theorie des sozialen Raums und der Ortseffekte anknüpft und darüber hinaus Foucaults in der Geschichtswissenschaft bisher wenig rezipiertes Konzept der Heterotopie berücksichtigt. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich von ca. 1830 über das sogenannte Ende der Franzosenzeit hinaus bis etwa 1880.

Curriculum Vitae

  • Seit 09/2015: Hilfskraft im Forschungsprojekt IC Translor - Cultures transfrontalières / Räume der Grenze (Université de Lorraine, CNRS)
  • 05/2015-07/2015: Forschungsstipendium des DHIP (Deutsches Historisches Institut Paris)
  • Seit 2014/2015: Cotutelle mit Université de Lorraine (école doctorale Fernand Braudel / CEGIL)
  • Seit 2013: Elsa-Neumann-Promotionsstipendium des Landes Berlin
  • 2011: M.A. mit der Arbeit: "Schriftenverbrennungen im vorrevolutionären Frankreich"
  • 2003 - 2011: Studium der Geschichte, der Französischen Philologie und der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

Publikationen

  • „,Französisch-deutsche Gränzliteratur‘—Die Zeitschrift Illustration de Bade (1858-1867) als Medium des Kulturaustauschs“, in: Silvia Richter, Maude Williams (Hrsg), Der Austausch / L’échange,Peter Lang, Coll. Convergences, 2016 (in Druck).

  • “Crossing Territorial Borders and Social Boundaries? Observations on the German and French Workforce in the Spa Town of Baden-Baden, c. 1840-1870”, in: Elisabeth Boesen, Gregor Schnuer (Hrsg.), European Borderlands: Barriers and Bridges in Everyday Life, Ashgate Publishing, 2016 (in Druck).

Vorträge

  • 11/2015: "Auseinadersetzungen mit dem NS in der französischen Tagespresse (1922-1929). Colloque international "Confrontations au national-socialisme" - Université de Lorraine (CEGIL) / FU Berlin (FMI) / Paris-Sorbonne (Labex EHNE). 
  • 01/2015: "Baden-Baden - Sommerhauptstadt Europas. Zur diskursiven Konstruktion einer transnationalen Heterotopie (1840-1872)" Workshop: "Spaces and Borders in Modern German History: Negotiations, Conflicts, Cooperation." - Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin / University of Cambridge.
  • 11/2014: "Seasonal Cross-Border Workers in the Spa Resort of Baden-Baden. 1840-1870". Konferenz: "Living in European Borderlands" Université du Luxembourg. CB-RES. 

Kontakt

evsn[at]zedat.fu-berlin.de