Lennart Gard
Friedrich-Meinecke-Institut
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
DFG-Forschungsprojekt "Translating Toleration: Concepts, Texts and Intermediaries Between Poland and Protestant Germany 1645-1795"
Geschichte der Frühen Neuzeit
Raum A388
14195 Berlin
Juli 2024
Karl-Ferdinand-Werner-Fellowship, Deutsches Historisches Institut Paris
seit 2023
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Forschungsprojekt „Translating Toleration: Concepts, Texts and Intermediaries Between Poland and Protestant Germany 1645-1795“
2019–2023
Promotion in Frühneuzeitlicher Geschichte an der Freien Universität Berlin (Publikation voraussichtlich 2024/2025)
Titel der Dissertation: „Die Entdeckung der Engelsbrüder. Religiosität, Gemeinschaftlichkeit und Kommunikation um 1700“
Förderung des Dissertationsprojektes durch ein Promotionsstipendium der Gerda Henkel Stiftung, durch ein Herzog-Ernst-Stipendium der Fritz-Thyssen-Stiftung und durch ein Dr.-Liselotte-Kirchner-Stipendium der Franckeschen Stiftungen in Halle an der Saale
2016–2019
Masterstudium (M.A.) im Fach Geschichtswissenschaft an der Freien Universität Berlin und der Université Paris-Sorbonne (Paris-IV)
2013 –2016
Bachelorstudium (B.A.) in den Fächern Geschichte und Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und am Instituto Universitário de Lisboa (ISCTE-IUL)
Kultur- und Sozialgeschichte Europas in der Frühen Neuzeit
insbesondere
- Religionsgeschichte (binnenkonfessionelle Pluralität um 1700, Toleranzdebatten und Praktiken religiöser Koexistenz, Heterodoxiediskurse)
- Kommunikations- und Mediengeschichte (Geschichte diplomatischer Kommunikation, frühneuzeitliche Manuskriptkulturen, Epistolographie, neue Archivgeschichte)
- historische Mobilitätsforschung (Exilforschung, Geschichte des Reisens)
- Wissensgeschichte (höfische Wissenskulturen, Akademiegeschichte, Philologie- und Übersetzungsgeschichte)
Aktuelles Forschungsprojekt: Monarchische Legitimierungsstrategien an Exilhöfen des 17. und 18. Jahrhunderts. Gelehrsamkeit, religiöse Koexistenz und Toleranzdebatten im Umfeld Stanislaus Leszczyńskis (1737–1766)
Die Geschichte der Monarchie war oftmals eine Geschichte des Exils. Immer wieder kam es vor, dass Thronaspiranten sich nicht durchsetzen konnten, Monarchinnen und Monarchen abgesetzt wurden und die Unterlegenen mitsamt ihres Hofstaats Zuflucht an Orten fernab ihres ehemaligen Herrschaftsgebietes fanden. Sie mussten sich in einem neuen Umfeld behaupten und waren gleichzeitig oft darum bestrebt, den verlorenen Thron zurückzugewinnen.
In meinem aktuellen Forschungsprojekt untersuche ich die Wissenskulturen monarchischer Exilhöfe des 17. und 18. Jahrhunderts. Angesiedelt am Schnittpunkt von Wissens-, Diplomatie-, und Politikgeschichte beschäftigt sich mein Vorhaben mit der Rolle von Gelehrsamkeit bei der monarchischen Legitimierung am Exilort, im ehemaligen Herrschaftsgebiet sowie gegenüber der europäischen Öffentlichkeit. Anhand von administrativem Schriftgut, Briefen, Selbstzeugnissen und historischen Publikationen werden Kontexte und Inhalte der Wissensproduktion im Exil analysiert, Legitimierungspraktiken in gelehrt-diplomatischer Kommunikation ermittelt und die Rezeption der Exilgelehrsamkeit in europäischen Herrschaftsdiskursen untersucht.
Während das Gesamtvorhaben das Thema im europäischen Maßstab erschließen soll, konzentriere ich mich in der aktuellen Projektphase (im Rahmen meiner Beteiligung am Forschungsprojekt „Translating Toleration“) auf die lothringische Exilherrschaft des polnischen Monarchen Stanislaus Leszczyński (1737–1766). Als französisch protegierter Herzog von Lothringen und Bar entfaltete dieser umfassende kulturelle Patronageaktivitäten – ablesbar etwa an der Gründung neuer Institutionen wie der Akademie von Nancy. In meiner Untersuchung vermesse ich den gelehrten Alltag in Lothringen unter besonderer Berücksichtigung der Aspekte Religion, Geschlecht und Sprache. Ich gehe den europäischen Vernetzungen lothringischer Akteurinnen und Akteure nach und zeige auf, wie aus der Peripherie des Exils in zeitgenössische Debatten etwa zu aufgeklärter Toleranz eingegriffen wurde.
Dissertationsprojekt (2019–2023): Die Entdeckung der Engelsbrüder. Religiosität, Gemeinschaftlichkeit und Kommunikation um 1700
In theologischen Schriften der Frühen Neuzeit war die Warnung vor neuen „Secten“ allgegenwärtig. Obwohl der Widerstand der vermeintlichen Abweichler gegen entsprechende Zuschreibungen vielfach dokumentiert ist, prägen die historischen „Secten“-Begriffe die Forschung bis heute. Man nutzt sie, um die Konfessionskirchen in unterschiedliche Groß- und Kleingruppen zu unterteilen, und davon ausgehend dann historische Prozesse zu untersuchen.
In meiner Dissertation verfolge ich einen anderen Zugriff auf die religiöse Vielfalt der Frühen Neuzeit: Ich beschäftige mich mit Phänomenen religiöser Pluralität, ohne die historischen Fremdbezeichnungen als Analysebegriffe zu übernehmen, aber auch ohne zu ignorieren, dass sie vielfach an konkrete Beobachtungen anknüpften. Als Kulturgeschichte religiöser Kommunikation beleuchtet meine Untersuchung das Gedankengut, die sozialen Beziehungen und das Alltagshandeln vermeintlicher Separatisten, und zeigt, wie und warum diese als Abweichler klassifiziert wurden.
Im Mittelpunkt meiner Dissertation steht der Protestantismus in den Jahrzehnten um 1700 – in einer Zeit also, die gemeinhin als Hochphase religiöser Neubildungen gilt. Ich dekonstruiere das traditionelle Epochenbild anhand des kommunikativen Geschehens im Umfeld des reformierten Protestanten Johann Wilhelm Überfeld (1659–1731). Überfeld betätigte sich zeitlebens als Verfasser religiöser Unterweisungsschreiben, die in zigtausenden handschriftlichen Kopien bis heute überlebt haben. Galt Überfeld seinen Bewunderern als vermeintlich von Gott inspirierter Prophet, so erkannten zeitgenössische und posthume Kritiker in ihm das selbstherrliche Oberhaupt einer weiteren „Secte“ – der sogenannten Gemeinschaft der Engelsbrüder.
Auf Basis heterogener Quellenbestände (neben Briefen u.a. Reiseberichte, Verhörprotokolle, Testamente, Kalender, Zeichnungen und Gemälde) entwerfe ich ein neuartiges Bild von Überfeld und seinem Umfeld, vom Protestantismus um 1700 und von den Strukturen religiöser Pluralität in der Frühen Neuzeit. Durch das Prisma der „Engelsbrüder“ vermittelt meine Untersuchung Einsichten in vielfältige Bereiche frühneuzeitlichen Lebens: in religiöse Vorstellungswelten, in Fragen der Herrschafts- und Geschlechtsordnung, in unterschiedliche Aspekte der Alltagsgestaltung, in Mediengebrauch und Archivkultur sowie in Mechanismen des Streits und Prozessen der polemischen Etikettierung.
Aufsätze
- Rückkehr zu den Wurzeln oder religiöser Neuanfang? Der Streit um die Biblia Pentapla im Protestantismus des frühen 18. Jahrhunderts. In: Themenportal Europäische Geschichte (2023), www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-98391.
- Mit Mike Zuber: The Angelic Brethren and Everyday Sacredness. A Protestant Theologian’s Journey from Berlin to Leiden in 1717. In: Journal of Religious History 47 (2023), 68–93.
- Epistolary Practices and Group Formation among the Eighteenth Century Followers of Jacob Böhme: Johann Wilhelm Überfeld (1659–1731) and his Community of Rebirth. In: Claudia Brink / Lucinda Martin / Cecilia Muratori (Hg.): Jacob Boehme in Three Worlds. The Reception in Central and Eastern Europe, the Netherlands and Britain. Berlin / Boston 2023, 283–298.
Weitere Aufsätze befinden sich aktuell im Druck bzw. Prozess der Begutachtung.
Rezensionen
- Daniel Cyranka / Thomas Ruhland / Christian Soboth / Friedemann Stengel (Hg.): Gefühl und Norm. Religion und Gefühlskulturen im 18. Jahrhundert. Beiträge zum V. Internationalen Kongress für Pietismusforschung 2018, 2 Bde. Halle a.d.S. 2021. In: ZHF 51 (2024), 189f.
- Lyke de Vries, Reformation, Revolution, Renovation. The Roots and Reception of the Rosicrucian Call for General Reform. Leiden 2021. In: Francia Recensio 2023/1, https://doi.org/10.11588/frrec.2023.1.94371.
- Viktoria Franke: Rebel with a Cause. Gesellschaftliche Reform und radikale religiöse Aufklärung bei Friedrich Breckling (1629–1711). Münster / New York 2021. In: ZHF 49 (2022), 784–786.
- André Junghänel: Kirchenverwaltung und Landesherrschaft. Kirchenordnendes Handeln in der Landgrafschaft Hessen-Kassel im 17. Jahrhundert. Göttingen 2021. In: ZHF 48 (2021), 814–816.
- Jan van de Kamp: Übersetzungen von Erbauungsliteratur und die Rolle von Netzwerken am Ende des 17. Jahrhunderts, Tübingen 2020. In: H-Soz-Kult. 12.02.2021, www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-93486.
- Ronald K. Rittgers / Vincent Evener (Hg.): Protestants and Mysticism in Reformation Europe. Leiden / Boston 2019. In: ZHF 47 (2020), 523–524.
Wissenschaftliche Vorträge
- Lay Clerics and their Media. Prophetic Competition in Early Modern Protestantism. German Studies Association (GSA) – Forty-Eighth Annual Conference, Atlanta (GA), USA. 29.09.2024.
- Spangenberg and Gichtelianism. Online-Workshop: The Life of August Gottlieb Spangenberg. Bethlehem (PA), USA. 20.06.2024.
- Ein König in Lothringen. Politische Kommunikation, Aufklärung und Toleranz am Exilhof Stanislaus Leszczyńskis (1737–1766). Forschungskolloquium zur Kultur- und Religionsgeschichte der Frühen Neuzeit. Freie Universität Berlin. 16.05.2024.
- Toleranz an Exilhöfen. Religiosität und Gelehrsamkeit im Umfeld Stanislaus Leszczyńskis. Workshops des Forschungsprojekts „Translating Toleration. Concepts, Texts, and Intermediaries between Poland and Protestant Germany (1645–1795)“. Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften. 26.03.2024.
- Mobility, Immobility, and the Networking Strategies of Early Modern Protestants (c. 1700). Workshop: Religiöse Mobilitäten. Aushandlungen und Konflikte in Europa seit der Frühen Neuzeit bis ins 21. Jahrhundert / Les mobilités religieuses. Négociations et conflits en Europe de l'époque moderne au XXIe siècle. Menaggio, Italien. 12.03.2024.
- Philology, Religious Self-Fashioning, and Toleration. Matthias Kramer (1649–1729) and his Publications on the Dutch Language. German Studies Association (GSA) – Forty-Sixth Annual Conference, Montreal, Kanada. 07.10.2023
- Venerandus Parens Überfeld. Protestantische Gemeinschaftlichkeit um 1700 zwischen Androgynie und Patriarchat. Workshop: Intersektionen von Lebensalter und Geschlecht im Pietismus. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. 05.05.2023.
- Von keuschen Eheschwestern und Ehegemeinschaften unter Brüdern. Ehe und Sexualität in Korrespondenzen des heterodoxen Protestantismus um 1700. Workshop: Plurale Protestantismen. Religiöse Gruppenbildungen im 17. und 18. Jahrhundert. Freie Universität Berlin. 18.02.2023.
- Stay where you are! Human Immobility and the Networks of Heterodox Protestantism, circa 1700. German Studies Association (GSA) – Forty-Sixth Annual Conference, Houston, TX, USA. 18.09.2022.
- Besuch von der Konkurrenz? August Hermann Franckes Reise in die Niederlande und seine Begegnung mit Johann Wilhelm Überfeld (1705). VI. Internationaler Kongress für Pietismusforschung. Halle a.d.S. 30.08.2022.
- Francke und Überfeld. Protestantische Gemeinschaftlichkeit um 1700. Forschungskolloquium des Dr. Liselotte Kirchner-Stipendienprogramms der Franckeschen Stiftungen zu Halle. Halle a.d.S. 21.10.2021.
- Johann Wilhelm Überfeld und die ‚Engelsbrüder‘. Mechanismen protestantischer Vergemeinschaftung um 1700. Virtueller Vortrag im Rahmen des Forschungskolloquiums zur Europäischen Geschichte der Frühen Neuzeit. Humboldt-Universität zu Berlin. 14.07.2021.
- Pluralisierung in der Praxis. Die Formierung der Gemeinschaft der ‚Engelsbrüder‘ im Protestantismus um 1700. Virtueller Vortrag im Rahmen des Forschungskolloquiums Mittelalter – Frühe Neuzeit. Universität Konstanz. 06.07.2021.
- “Beloved Brother”, “Angelic Sister.” Religious Semantics of ‘Brother’ and ‘Sister’ in Early 18th Century Protestantism. Online-Konferenz: 7th Bethlehem Conference on Moravian History & Music. 20.04.2021.
- „Wir genießen Christi Leib unter aller Speise.“ Zum Zusammenhang zwischen diätetischer Vigilanz und religiöser Vergemeinschaftung im spiritualistischen Protestantismus um 1700. Online-Workshop: Verzicht, Verzehr und Vigilanz zwischen Polyzentrik und Pluralität vormoderner Religionen. Ludwig-Maximilians-Universität München/Goethe-Universität Frankfurt a.M. 12.02.2021.
- Großgruppen und Kleingruppen. Mechanismen protestantischer Gemeinschaftsbildung im frühen 18. Jahrhundert. Virtuelles Forschungskolloquium des Arbeitsbereichs Geschichte der Frühen Neuzeit (Professor Dr. Alexander Schunka). Freie Universität Berlin. 11.06.2020.
- Narration mit Briefauszügen. Überlegungen zur Korrespondenz der Engelsbrüder in den Beständen der Forschungsbibliothek Gotha. Forschungszentrum Gotha. 24.10.2019.
- The Importance of Jacob Böhme for the Correspondence Practices of the ‘Engelsbrüder’. Internationale Konferenz: The Role of the Netherlands in the Reception of Jacob Böhme. Ritman Library Amsterdam. 07.10.2019.
- The Creation of the ‘Engelsbrüder’. Archival Practices in the Context of Separatist and Heterodox Pietism. Internationaler Sommerkurs. The New History of Archives. Early modern Europe and beyond. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. 11.07.2017.