Akustisches Theater (1750-1930)
Der italienische Kunstkritiker Francesco Algarotti stellt 1762 in seinem Saggio sopra l’opera in musica fest, es sei an der Zeit für ein öffentliches Gebäude, in dem Theater und Wissen(schaft) auf neuartige Weise im Einklang stehen. „Man wuerde alsdenn gewahr werden”, so meint er, „daß ein schoenes praechtiges Theater ein Ort sey, nicht einen lermenden Haufen von Menschen aufzunehmen, sondern ein feyerlicher Hoersaal, in welchem Addisons, Drydens, Daciers, […] gern gegenwaertig sein koennten.” Algarotti zufolge sollte das Auditorium des Gebäudes auch nicht länger glockenförmig gestaltet werden, wie im Barocktheater noch üblich. Vielmehr gelte es, nach einer neuen, in akustischer Hinsicht idealen Theaterarchitektur zu suchen.
Mit seinem Wunsch, Theater- und Hörsaal einander anzunähern, schließt Algarotti zunächst an die europäische Tradition des „Theatrum” an: Als Theatrum wurden in der Frühen Neuzeit neben Schauspielhäusern eine Reihe unterschiedlicher Räume des Ordnens, Archivierens und Repräsentierens von Wissen bezeichnet. Deren Gestaltung und Rezeption orientierte sich allerdings bis ins frühe 18. Jahrhundert an der lexikalischen Definition des Theatrum als „Schauplatz”, d.h. als Stätte visueller Evi¬denzproduktion. Algarotti hingegen verfolgt 1762 mit der Rede vom „Hörsaal [udienza]” ein Bildungskonzept, welches das Ohr als zentrales Erkenntnisorgan projektiert. Während bei Algarotti aber noch unspezifisch die Forderung nach einer neuen Theaterakustik laut wird, unternehmen Theaterarchitekten (wie Pierre Patte, George Saunders, Carl Ferdinand Langhans u. a.) seit Ende des 18. Jahrhunderts tatsächlich theoretische wie auch experimentelle Forschungen zur Raumakustik – lange bevor sich diese um 1900 als wissenschaftliche Disziplin etabliert. Von diesem Befund ausgehend widmet sich das Projekt dem bislang unerforschten Zusammenhang von europäischer Theater- und Akustikgeschichte zwischen 1750 und 1930. In diesen Zeitraum fällt die schrittweise Begründung der physikalischen Akustik und der daraus resultierenden Teildisziplinen, zu denen seit dem frühen 20. Jahrhundert dann auch die Raumakustik zählt.
Zentral ist für das Projekt die Frage, ob die Geschichte der Akustik im Rahmen einer exakten Wissenschaft aufgeht oder ob sie nicht vielmehr in einer kunst- und kulturhistorisch weit verzweigten Wissensgeschichte des ‚Akustischen’ anzusiedeln ist. Das ‚Akustische’ interessiert dabei stets in seiner Doppelfunktion als Produzent und Gegenstand von Wissen(schaft): a.) Zum einen wird untersucht, auf welche Weise sich Algarottis Forderung nach dem Theater als Hörsaal durchsetzt. Weshalb greift die Theaterpraxis ab circa 1750 tatsächlich nicht nur zu akustischen Raumgestaltungen, sondern auch verstärkt zu akustischen Medien und Kommunikationspraktiken? Inwiefern ermöglichen diese akustischen Mittel andere Formen der Wissensproduktion und -vermittlung als die visuellen Mittel des Theaters? b.) Zum anderen soll erforscht werden, ob die Theatertheorie und -praxis einzelne Erkenntnisse der Akustik vorwegnehmen, damit die Herausbildung von Forschungsobjekten und die Etablierung der Disziplin vorantreiben und später deren Ergebnisse umsetzen. Das Interesse gilt hier also dem Transfer akustischer Kenntnisse, Medien und Praktiken zwischen dem Theater und den akustischen Disziplinen. Entsprechend wird in theoretisch-methodischer Hinsicht auf Ansätze zu Wissenstransfers zurückgegriffen, die ihm Rahmen des Projekts weiterentwickelt werden sollen.