Jenny Sprenger-Seyffarth
Öffentliche Massenspeisungen und private Familienmahlzeit in Wien und Berlin im und nach dem Ersten Weltkrieg (1914-1924)
Im Sommer 1916 erklärten die staatlichen Behörden der Mittelmächte die öffentliche Massenverpflegung durch Großküchen zu einer tragenden Säule der städtischen Lebensmittelversorgung. Beauftragt mit dem Ausbau der städtischen Verpflegungseinrichtungen richteten die beiden Großstädte Wien und Berlin zwei unterschiedliche Massenspeisungssysteme ein, die den Anspruch hatten, möglichst weite Teile der Bevölkerung täglich mit einer warmen Mahlzeit zu versorgen. Während für die Wiener Kriegsküchen nicht nur wachsende Besucherzahlen, sondern auch ihr Fortbestand über den Krieg hinaus festzustellen sind, wurde die Berliner Volksspeisung von der Bevölkerung zunehmend abgelehnt und als „Notbehelf der Kriegszeit“ zurückgewiesen.
Das Projekt sucht nach den Ursachen für die größere Inanspruchnahme der Wiener Kriegsküchen während des Krieges sowie deren Fortbestand in der Nachkriegszeit. Es wird angenommen, dass die divergierende Entwicklung der Massenspeisungssysteme das Resultat eines Zusammenwirkens mehrerer sich gegenseitig überlagernder organisatorisch-administrativer, soziokultureller und (sozial-)politischer Faktoren war. Die drei Analyse- und Vergleichsschwerpunkte bilden demnach die städtischen Verwaltungen als Organisatoren der städtischen Küchensysteme, die mehrheitlich aus Arbeiterschaft und Mittelstand bestehende Stadtbevölkerung und die im starken Maße von der Sozialdemokratie beherrschten politischen Entwicklungen ab November 1918.
Das Forschungsprojekt versteht sich als Beitrag zur Wiener und Berliner Alltags- und Stadtgeschichte sowie der Arbeiter- und Sozialgeschichte des Ersten Weltkrieges und der frühen Nachkriegszeit. Im Ergebnis wird mit der Analyse aufgezeigt, welche Auswirkungen die städtischen Küchen schließlich auf das alltägliche Ritual der privaten Familienmahlzeit hatte.