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Dritter Cross-Area Workshop "Kosmos und Nomos bei Herodot"

Organisation: Research Group B-IV und C-I-3

Datum und Ort: 4. – 5. Juni 2010, Freie Universität Berlin,

Koserstraße 20, 14195 Berlin

Organisation: Prof. Dr. Klaus Geus, Dr. Thomas Poiss

 

 

Der von Klaus Geus (B-IV) und Thomas Poiss (C-I-3) organisierte ritte Cross-Area-Workshop „Topos und Logos bei Herodot“ setzte die beiden vorangegangenen Herodot-Workshops vom 26.6.2009 und 8./9.10.2009 fort, in denen die Raumwahrnehmung bzw. -beschreibung und die Erzähltechnik des griechischen Historikers und Geographen Herodot (ca. 484–424 v.Chr.) in den Blick genommen worden waren. Das Ziel war es, die dort aufgeworfen Fragen nochmals aufzugreifen und zu diskutieren. Dazu zählt zum einen das narratologische Modell von Marco Dorati, das eine Sackgasse der Herodot-Forschung zu vermeiden und über die traditionellen Kategorien Fiktion und Wahrheit, Hörensagen und Autopsie usw. hinauszukommen versucht; zum anderen die Interpretation der intertextuellen Hinweise in Herodots Werk, die Elizabeth Irwin als eine Kritik Herodots am athenischen Imperialismus seiner Zeit deutet. Diese beiden Ansätze wurden erneut auf den Prüfstand gestellt. Neben Marco Dorati und Elizabeth Irwin wurden auch diesmal externe und interne Fachleute und Diskutanten zum Gespräch gebeten, um diese fruchtbaren Diskussionen weiter zu beleben und vor allem auch um die Gebiete der Religionssoziologie, der Politikwissenschaft und der Archäologie zu erweitern.

Der gut besuchte Workshop wurde von Veronica Bucciantini (Berlin, DAI) eröffnet: Ihre „Erwägungen über die Beschreibung Indiens im 3. Buch der Historien Herodots“ verglichen persische Inschriften aus Behistun und Naqš-i-Rustam mit Aussagen des pater historiae. Dadurch gelang es ihr, zwei Ebenen des Indien-Bildes mit unterschiedlichen Diskursen und Quellen herauszuarbeiten. Instruktiv war vor allem ihr Nachweis, dass im geographischen Horizont Herodots Griechisches (z.B. der Bericht des Skylax von Karyanda) mit Persischem (z.B. achaemenidischen Akten) verschmilzt.

Gian Franco Chiais (Berlin, BBAW) Beitrag „Wie man von fremden Göttern erzählt: Herodot und die anderen Religionen“ widmete sich dem Thema der interpretatio Graeca von fremden Gottheiten. Anhand einer eindrucksvollen Liste von Belegen arbeitete er gemeingriechische und individuelle (herodoteische) Züge heraus. Letztere erwiesen sich oft als kontextabhängig und signalisieren eine bewusste Leserlenkung Herodots.

Monika Schuol (Rostock) hat in ihrem Vortrag „Die gepfählten Reiter. Die Funktion des Skythen-Logos bei Herodot“ einen „Fragenkatalog“ Herodots an fremde Völker herausgearbeitet und die Besonderheiten dieses Abschnittes in den Historien Herodots offengelegt. Dazu gehöre insbesondere das Fehlen der Mirabilia, was zu einer Entmythifizierung dieses Volkes beitrage und sich dadurch stark von der Randvölker-Topik in anderen Büchern unterscheide. Die intensive Diskussion kreiste um die Frage, ob dieses Ergebnis darauf hindeute, dass Herodot dabei die durch Handelskontakte bedingte Vertrautheit seines Publikums mit den Skythen berücksichtige oder einen literarischen Gestaltungswillen verfolge.

Nicola Zwingmann (Berlin, FU) widmete sich in ihren „Überlegungen zur Zuverlässigkeit Herodots am Beispiel der Sesostrisreliefs in Ionien“ einer Passage im 2. Buch der Historien (102–106). Die dort erwähnten Monumente werden üblicherweise mit hethitischen Reliefs (Karabel A und B) identifiziert. In einem wissenschaftsgeschichtlich erhellenden Vergleich kontrastierte Frau Zwingmann den herodoteischen Text mit neuzeitlichen Bildbeschreibungen und Nachzeichnungen (von Texier, Lepsius u.a.). Dabei zeigt sich, dass bezüglich der „Zuverlässigkeit“ und „Genauigkeit“ Herodot keineswegs immer hinter seinen neuzeitlichen Forscherkollegen zurücksteht, zumal vor der „Entdeckung“ der hethitischen Kultur zu Beginn des 20. Jh.s auch für die moderne Deutung die ägyptische Kultur als Projektionsfläche nahe lag.

Marco Dorati (Università di Urbino, Italien) baute in „Erzählung und mentaler Raum in Herodots Historien“ sein in den ersten beiden Herodot-Workshops entwickeltes narratologisches Modell weiter aus. Ausgehend von neuesten Ansätzen der Narratologie (A. Palmer, Fictional Minds, 2009) und der Typologie von Screech and Short (Style in Fiction, 1981) untersuchte er die Darstellung mentaler Vorgänge vor dem Hintergrund allgemeiner Prinzipien von Erzählung als sozialem Vorgang. Weit gefehlt, dass die Darstellung fremder Gedanken auf die Fiktion beschränkt sei, stellt sie vielmehr die Regel für menschliche Interaktion dar. Wenn Herodot also Gedanken anderer nie in direkter Rede (wie bei Homer oder Chariton) darstellt, sondern indirekt oder als Referat, so verzichtet er bewusst auf eine Darstellungsweise, – die er aber an Höhepunkten der Handlung zur Beleuchtung dennoch einsetzt. Die Dichotomie Fiktion/Tatsachenbericht, die meist zur Konturierung des historiographischen Diskurses herangezogen wird, muss auch an dieser Stelle aufgegeben und durch ein präziseres Konzept neu beschrieben werden. Die lebhafte Diskussion zeigte, dass von allen Hörern sofort die Anwendung auf weitere Aspekte Herodots wie insgesamt der Analyse von Geschichtsschreibung erkannt und auch ad hoc erprobt wurde.

Christian Wendt (Berlin, FU) umriss in „Herodot als Vater des politischen Realismus?“ mit klaren Strichen, wie Herodot auch als Begründer der Politikwissenschaft gelesen werden könnte. Ging der politikwissenschaftliche Diskurs bislang immer von Thukydides’ expliziten Analysen des Machtkalküls als ersten Ansätzen aus, so muss auch der begriffliche Apparat Herodots hinter der bunten Erzähloberfläche beachtet und berücksichtigt werden. Wendt zeigte dies exemplarisch an drei Teilaspekten, Herodots Darstellung und Bewertung von a) bewaffneten Konflikten, b) Gesandten(immunität) und c) Vertragstreue. Es zeigte sich, dass nicht religiöse oder rechtsproblematische Fragen im Vordergrund stehen, sondern auch schon in Herodots Darstellung Nützlichkeits- und Machtkalkül überwiegen. In der Diskussion wurde die Frage erörtert, inwieweit der ebenfalls sichtbare religiöse Handlungsrahmen dazu im Widerspruch stehe oder ob dies als produktive Spannung zu deuten sei.

Elizabeth Irwin (New York, Columbia University, USA) beleuchtete in ihrem Vortrag „The Meaning of Talthybios’ Wrath“ Herodots Stellung zur griechischen Geschichte am Ende des 5. Jh. v.Chr., insbesondere zu deren Darstellung durch Thukydides. Die Stelle 7, 133–138, in der im Zusammenhang mit Xerxes’ Gesandten an die Griechen rückblickend das Verhalten der Spartaner und vorausblickend das Verhalten der Athener gegenüber Gesandten erörtert wird, enthält zugleich den letzten als auch den weitesten Vorausgriff Herodots auf Ereignisse nach 480/479 v.Chr., nämlich auf Athens Behandlung spartanischer Gesandter zum Großkönig im Jahre 430 v.Chr. Ausgehend von dieser Stelle wurde die implizite Kritik Herodots an der athenischen Machtpolitik herausgearbeitet, was dann anschließend zu einer intensiven und kontroversen Diskussion über die chronologischen Konsequenzen daraus folgte: Wie spät Herodots Werk zu datieren sei, und welche Teile er aus Thukydides’ Werk gekannt haben könnte.

Zusammenfassend gesagt, ließ der 3. Herodot-Workshop zum einen ein weiter wachsendes Interesse an Herodot erkennen, und zwar sowohl in der aktuellen Forschung im Allgemeinen, als auch in Berlin im Speziellen. Zum anderen schreitet durch das innovative Format des Cross-Area-Workshops die gewünschte Vernetzung der einzelnen Gruppen und Forscher in TOPOI gut voran.

 Klaus Geus / Thomas Poiss

 

 

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