Alexander der Große Rezeption - Adaption - Transformation
9. und 10. Dezember 2011
Alexander der Große im Spiegel der Jahrhunderte.
Schon sehr früh wurde der Makedonenkönig zur Metapher für Macht, Herrschaft und vor allem für Herrschaftsansprüche. Herrschaftskritik via Alexander ist erst ein Phänomen der Neuzeit. Die Tagung nahm sich exemplarisch einzelnen Facetten der Rezeption des 'großen' Königs an und ging der Frage nach, inwieweit die Größe des Makedonen Konstruktion späterer Generationen war.
Elias Koulakiotis (Universität Ioannina, GR.)
Alexander und die Macht der Münzen
Das griechische Wort für Münze (nomisma) hat einen doppelten Sinn und wird sowohl im ökonomischen Bereich als auch in der Gedanken- und Wahrnehmungswelt benutzt. Aufgrund dieser Ambivalenz untersuchte der Beitrag die verschiedenen Funktionen der Münzen Alexanders im Zeitraum zwischen dem 4 Jh. v. und dem 4. Jh. n. Chr. Dabei reicht die Bandbreite von Faktoren monarchischer Legitimation bis zu Zeugnissen ideologischer und geistiger Auseinandersetzung. Zudem bewahren die Münzen wichtige Botschaften, die mit dem politischen, religiösen und historischen Bewusstsein jeder Epoche zu tun haben. Es scheint, als ob zwei wichtige Botschaften, die durch die Münzen tradiert und transformiert werden, das Bild eines charismatischen Gottessohnes und das eines dynamischen Eroberers, Kriegers und Jägers betreffen. Von diesem Standpunkt aus betrachtet ist die Macht der Münzen eng mit ihrer Erscheinung (gr. opsis) verbunden. Denn ohne Bild kann es keine Münze geben.
Pedro Barceló (Universität Potsdam)
Alexander zwischen Mythos und Historie. Einige Anmerkungen
In nur elf Jahren war Alexander zum mächtigsten Potentaten der Welt aufgestiegen. Kaum ein Jahr seiner Odyssee verstrich ohne außergewöhnliche Taten oder dramatische Wendungen. Schon früh begannen sich Mythen um die Persönlichkeit des Makedonen zu ranken. Bereits bei der Landung in Kleinasien unterstrich er die Tragweite seines Vorhabens, wenn er in Achill-Rezeption zur Befreiung der Ionier vom persischen Joch aufrief. Zahlreiche solcher Inszenierungen erinnerten an die homerischen Heroen und stellten den Mythos der glorreichen Vergangenheit in den Dienst einer ungewissen Zukunft. In der Oase Siwah soll Alexander eine Bestätigung seiner göttlichen Abstammung von Zeus/Ammon erhalten haben. Allein die Reihe der Vorfahren, die er für sich in Anspruch nahm, verband menschliche und göttliche Sphäre in seiner Person: Phillip II., Achill, die Pharaonen, Zeus/Ammon, Herakles, Dionysos und Kyros. Alexanders Versuche, das Ende der Welt zu erreichen und dabei selbst Dionysos und Herakles zu übertreffen, bezeugen, dass er selbst nicht eben wenig zu seinem Mythos beigetragen hat. Die mythische Aura, die Alexander aufgrund seiner Erfolge umgab, wird schließlich durch die Schattenseiten des Feldzuges konterkariert. Er hatte das Reich der Achaimeniden bezwungen, doch forderten Alexanders unbezähmbare Ambitionen unzählige Menschenleben. Gewalt, Zerstörung und erhebliche Zumutungen auch gegenüber seinen Gefährten waren die andere Seite der beispiellosen Erfolge des Makedonen. Dabei lässt er sich nicht unter einem Etikett subsumieren. Für die einen verkörperte er einen tugendhaften Anführer, für die anderen gar eine gottähnliche Herrscherpersönlichkeit, für wieder andere schließlich einen blutrünstigen Autokraten. Zu einem Mythos war Alexander bereits zu Lebzeiten geworden, doch erst sein früher Tod konservierte die Vorstellung von ihm als ewig jungem Grenzgänger. Wie sein Vorbild Achill ereilte das Schicksal auch den Makedonen auf dem Höhepunkt seines Lebens, und so wenig wir uns einen greisen Achill vorzustellen vermögen, so wenig können wir uns einen alten und gebrechlichen Alexander vorstellen. Sein Gang durch die Geschichte wirkte ebenso außergewöhnlich wie irreal – sein Ende fügt sich in das Alexanderbild, das der Mythos bereits zu seinen Lebzeiten von ihm entwarf. In der Konsequenz dieser wechselseitigen Durchdringung ergibt sich eine stetige Erneuerung der Wahrnehmung Alexanders, die auch seinen Mythos fortwährend neu belebt.
Jens Bartels (Universität Zürich, CH)
Alexander und die Frauen in der hellenistischen und römischen Historiographie
Der Beitrag analysierte die Darstellung der Begegnungen und Beziehungen Alexanders mit Frauen bei den antiken Alexanderhistorikern. Es konnte gezeigt werden, dass die Berichte über weibliches Verhalten stark von Vorstellungen über typisch weibliche Verhaltensweisen ('richtige' und 'falsche') geprägt sind. Die Darstellung männlichen und weiblichen Rollenverhaltens ist aber vor allem von Diskursen über Fremdheit und Monarchie geprägt.
Christian Mileta (Universität Halle)
Überlegungen zum Umgang der Diadochen mit dem Andenken Alexanders
Im Unterschied zur späthellenistischen und auch zur römischen Zeit, wo sich die Herrscher gern in die Tradition des freilich mythisch entrückten Welteneroberes Alexander stellten, hatte der Rekurs auf den Makedonenkönig in der Diadochenzeit praktisch keine Konjunktur. Allenfalls für die Zeit unmittelbar nach dem Tod des Monarchen sowie für die Person des Eumenes von Kardia, der als Grieche keine Hausmacht unter den Makedonen hatte, finden sich Bezüge auf Alexander. Dieser fungierte dann als "Legitimationsmaschine", die man nach Gutdünken ideologisch aufladen konnte. Für die Diadochenzeit ist demnach ein ausgesprochen zynischer Umgang mit Andenken und Erbe Alexanders festzustellen, der sich auch daran zeigt, dass fast die gesamte Familie des Argeaden, insonderheit sein legitimer Nachfolger Alexander IV., ausgelöscht wurde. Die Gründe für diese Entwicklung lagen zum einen sicher in den subjektiven Erfahrungen der Diadochen mit dem Terrorregime der letzten Herrschaftsjahre Alexanders. Zum anderen muss bei allen Diadochen schon früh die Einsicht gereift sein, dass das von Alexander in historisch sehr kurzer Zeit zusammengefügte und in vieler Hinsicht heterogene Reich, sei es insgesamt, sei es in verschiedene Teile zerlegt, in anderer Weise regiert werden müsste als unter Alexander. Genau das ist später eingetreten. Dies war aber nur zu erreichen, wenn man sich zunächst konzeptionell und – mit fatalen Folgen für dessen Haus – auch physisch von der Tradition Alexanders löste.
Peter Nadig (FU Berlin)
Rezeption Alexanders unter den späten Ptolemäern
Der Vortrag galt der Alexanderrezeption, die sich unter den beiden Nachfolgern Ptolemaios’ VIII., Soter I. und Alexander I., vorübergehend ausprägte und gegen Ende der Dynastie erneut wiederbelebt wurde. Die Berufung auf Alexander war bei den meisten Ptolemäern schon fast die Ausnahme, da die eigene Dynastie im Mittelpunkt stand. Zugleich war der Rückgriff auf ihn nur einer von sehr vielen Komponenten der Herrschaftsrepräsentation. Er geschah in der Regel zu einer Zeit innerer Unruhen und auswärtiger Konflikte, um durch die Betonung des fiktiven Ahnherrn die eigene Legitimation zu bekräftigen.
Hilmar Klinkott (Universität Tübingen)
Mithridates von Pontos als neuer Alexander. Adaption, Transformation und Rezeption des Alexanderbildes im 1. Jh. v. Chr.
Mithridates VI. von Pontos passt, abgesehen von seinem Selbstverständnis als hellenistischer Herrscher, nicht überzeugend zu einer Identifikation mit Alexander d. Gr. Dies nicht zuletzt weil er als 'Iraner' sich mit seinen Eroberungen von Osten nach Westen bewegte. Aus diesem Grund wurde überprüft, in welchen Quellen eine dezidierte Anlehnung des Mithridates an Alexander zu finden ist. Abgesehen von dem schwer zuweisbaren archäologischen Material, hat sich gezeigt, dass sich Mithridates sowohl auf den Münzen als auch in den Inschriften und in den meisten literarischen Nachrichten im typischen Repertoire der Alexander-imitierenden Selbstdarstellung aller hellenistischen Herrscher bewegte. Ausdrückliche und spezifische Bezüge zu Alexander finden sich nur in Justins Epitome und (nur im negativen Kontext) bei Appian. Vor allem an Justin konnte gezeigt werden, dass neben deutlichen Perserbezügen zu Kyros und Dareios die Alexanderimitatio schon früh (noch vor Ausbruch des 1. mithridatischen Krieges) als eine unmittelbare Bedrohung für Rom konstruiert wurde. Dafür verband Justin Elemente Alexanders, Antiochos' III. und Hannibals, durch die sich die Kriege gegen Mithridates (vor allem der 2. und 3. mithridatischen Krieg) als bella iusta rechtfertigen ließen. Nicht zuletzt rückte Mithridates über seine iranische Charakterisierung doch wieder in die topische Rolle eines tyrannischen Perserkönigs, der - trotz seines hellenisierten Status - gegen Pompeius als "römischem Alexander" unterliegen musste.
Christian Wendt (FU Berlin)
Roman Alexanders? Die imitatio Alexandri als politisches Motiv in der ausgehenden Republik
Der Vortrag behandelte die Problematik, inwiefern die imitatio Alexandri nicht allein als am jeweiligen Fallbeispiel einzeln zu überprüfendes Charakteristikum eines römischen nobilis zu betrachten ist, sondern vielmehr die zugrundeliegende politische Motivation bzw. Urbarmachung als ein prägendes Merkmal der ausgehenden römischen Republik verstanden werden kann. Anhand der Karrieren des Pompeius und seiner Nachfolger wurde entwickelt, welchen Stellenwert der Alexanderbezug nach seiner legitimatorischen Vereinnahmung durch Pompeius gewonnen hatte und wie sich schließlich unter Octavian/Augustus die Figur Alexander in einen stärker römisch konnotierten Kanon eingliederte. Dabei wurden auch neuere Ansätze zur terminologischen Differenzierung diskutiert (aemulatio, imitatio, comparatio).
Karten Dahmen (Staatliche Museen zu Berlin)
Der Gebrauch von Darstellungen Alexanders des Großen im antiken Münzbild
Alexander der Große, sein Leben und sein berühmter Kriegszug gegen das Perserreich haben zu allen Zeiten die Gemüter bewegt. Zahlreiche Darstellungen und Bildnisse des Königs sind aus der Antike bekannt, doch häufig herrscht Unsicherheit über die Benennung vor allem der rundplastischen Bildnisse und Statuen. Münzen dagegen, zahlreich und oft auch gut erhalten, geben nicht nur Zeugnis vom Porträt Alexanders durch die Jahrhunderte, sie bieten auch häufig seinen Namen, nennen Auftraggeber, Ort und Zeit in der Münzaufschrift. Das numismatische Material erlaubt damit nicht nur eine Analyse der verschiedenen Darstellungen Alexanders, sondern auch der Motivation der Auftraggeber (= Münzherren). Der Vortrag bot einen Überblick über eine repräsentative Auswahl der numismatischen Bildzeugnisse zu Alexander vom Hellenismus bis in die Spätantike samt eines Ausblickes vom 16. Jh. bis in die jüngste Gegenwart. Für die Antike sind als wesentliche Ursache für die Darstellung die Selbstlegitimierung der Diadochen und bei städtischen Geprägen das Städtelob mittels des berühmten (meist angeblichen) Gründers zu nennen.
Alexander Rubel (Universität Iasi, RO.)
„Der wunderlîchi Alexander“. Alexander der Große als Werkzeug Gottes im Annolied und in der Kasierchronik
Alexander, der Held vieler epischer Dichtungen des Mittelalters (im deutschsprachigen Raum zunächst ca. 1130 im Alexanderroman des Pfaffen Lamprecht), findet seine erste Erwähnung in volkssprachiger Dichtung in zwei frühmittelhochdeutschen Geschichtswerken, dem Annolied (ca. 1080) und der aus diesem schöpfenden Kaiserchronik (ca. 1130ff). Romaneske Motive aus dem lateinischen Alexanderroman werden hier heilsgeschichtlich gedeutet und als historisch relevante Geschehnisse ausgegeben. Dabei erscheint Alexander im Annolied durch die mythologische Anbindung des „deutschen Stammes“ der Sachsen als Nachkommen des makedonischen Heeres gewissermaßen als Stammvater dieser und erlangt in der Dichtung auf diese Weise eine reichspolitische Bedeutung. In der Kaiserchronik werden Alexander und auch Caesar als typologische Vorläufer Karls des Großen gedeutet, der Hauptfigur dieser Geschichtsdichtung. Auf diese Weise wird der Makedonenkönig als wichtige Figur im göttlichen Heilsplan dargestellt.
Monika Schuol (FU Berlin)
Welteroberer oder Märtyrer? Zur Bedeutung des Papstnamens Alexander
Die Motive der Alexander-Päpste für ihre Namenwahl sind durchaus repräsentativ für alle Päpste: Das Kirchenoberhaupt des lateinischen Westens behält seinen Taufnamen (Alexander I.), nennt sich nach einem Heiligen (Alexander II.), nimmt einen familiären Leitnamen an (Alexander VII.), wählt den Namen des Vorgängers (Alexander III., IV., V. und VIII.), will den Petrus-Namen vermeiden (Alexander V. und VIII.) oder sucht wie Alexander VI. tatsächlich die Verbindung zu einer berühmten Persönlichkeit der Antike - in diesem Fall an Alexander den Großen.
Wolfgang Will (Universität Bonn)
Alexanderkritik in der deutschen Literatur
In der deutschsprachigen Literatur wird Alexander mehrheitlich kritisch gesehen, auch wenn sich diese Kritik im Wesentlichen auf bestimmte Epochen, etwa die Aufklärung und die Zeit des 1. Weltkrieges und diejenige nach dem 2. begrenzt. Alexander-Skeptizismus setzt bereits unter der Erfahrung eines langen Krieges in der Barockzeit zum Beispiel mit den Epigrammen von Friedrich von Logau (1605-1655) ein. Sein Bekanntheitsgrad machte Alexander zum bevorzugten Gegenstand von Gedichten, die einzelne Episoden des Zuges thematisierten oder sich auf Charakteristika des Herrschers bezogen. Immer wieder gewähltes Thema wurde die Trunksucht des Königs. In der Zeit der (Spät-)Aufklärung erreichte die Kritik an Alexander einen ersten Höhepunkt. Besonders sichtbar wird sie bei Johann Karl Wezel (1747-1819) und seinem an Voltaires "Candide" angelehnten Roman „Belphegor oder Die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne" von 1776. Mit Hegel und Droysen trat auch in der der deutschen Literatur eine Wende ein, die sich schon bei Heinrich Heine zeigt, dessen Alexander-Bild gespalten ist. Bereits vom 1. Weltkrieg geprägt ist die Alexander-Vorstellung Franz Kafkas, Gottfried Benns oder Bertolt Brechts. Nach einem neuerlichen Rückgriff auf den Mythos Alexander in den dreißiger und Anfang der vierziger Jahre erneuerte das Erleben Hitlers die Kritik und fundierte sie neu. In Gedichtform findet sie sich vor allem bei Schriftstellern der DDR, unbestrittener Höhepunkt ist freilich Arno Schmidts 1948/49 entstandener Kurzroman „Alexander oder Was ist Wahrheit“, der mit der Entlarvung des Großtyrannen Alexander auch eine Hitlers bezweckt.
Knapp 100 Gäste nahmen an der Tagung teil und sorgten für interessante Diskussionen.
Bericht von Michael Rathman